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Not with my Data
Der „Ohne Mich“-Bürger in der digitalen Welt




“NIMBY”

Umfassender gesellschaftlicher Wandel setzt gesellschaftlichen Mindestkonsens voraus -
zumindest eine verlässliche Mehrheit, die sich für eine bestimmte Politikentscheidung
einsetzt. So einfach diese Annahme ist, so zweideutig ist sie in der Praxis. Das liegt unter
anderem an einer Schizophrenie der modernen Gesellschaften, die die Suche nach einer
Mehrheit für den Wandel schwierig macht: Während der Einzelne den “großen” Zielen
gesellschaftlichen Wandels durchaus zustimmen kann, lehnt er die damit verbundenen
individuellen Einschränkungen ab. Seit den 80er Jahren hat sich für dieses Phänomen der
Begriff “NIMBY” (“not in my backyard”) durchgesetzt. Wer A sagt, will nicht unbedingt
auch B sagen – das gilt insbesondere für Infrastrukturen, die zwar Allgemeingüter wie
Energie- oder Wasserversorgung, Mobilität oder Sicherheit zu Verfügung stellen. Gleichwohl
sind nicht alle Profiteure bereit, die unmittelbaren Kosten der Infrastruktur zu tragen.
Das Problem ist nicht neu: “NIMBY 1.0” ist ein Kind der Atomenergiedebatte. Neue
Relevanz bekommt NIMBY nun, da wir am Beginn eines neuen Infrastruktur-Zeitalters stehen.
Auf den existierenden physischen Infrastrukturen wird eine digitale Ebene etabliert, die aus
diesen mehrere Dekaden alten Infrastrukturen “smarte” Systeme machen – sei es im
Energiesektor (e-Energy), Gesundheit (e-Health) oder durch Verkehrssteuerung (e-Mobility).
Auf der Grundlage digitalisierter Informationen können diese existierenden Infrastrukturen
effizienter genutzt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Bürgerakzeptanz klingt das
zunächst sehr gut, da die Digitalisierung der Infrastruktur im Idealfall den Bau weiterer
“Hardware” ersetzt. Zugespitzt: Wer die Wahl zwischen einem Smart Grid und dem Bau
weiterer Kraftwerke im “Backyard” hat, sollte sich wohl eher für die Bits & Bytes
entscheiden.


NIMBY 2.0: Not with my Data!

Doch “NIMBY” scheint nicht auf die analoge Welt beschränkt zu sein, sondern findet seine
digitale Entsprechung. Im übertragenen Sinne sind Daten der neue “backyard” digitaler
Infrastrukturen – und die Beispiele für “Not with my Data” häufen sich.
Zum Beispiel Smart Grids: In der aktuellen Debatte um die Energiewende stellt sich die
Frage, inwieweit Nutzungsdaten in Haushalten durch Smart Meter ausgelesen und für das
Netzmanagement verwendet werden dürfen. Die vorliegenden Umfrageergebnisse deuten
auf eine große Skepsis seitens der Bevölkerung hin – gleichwohl die „Energiewende“ von
einer Mehrheit unterstützt wird.
Ein weiteres Beispiel: das Gesundheitssystem. Mehr Effizienz und niedrigere
Gesundheitskosten sind dringend notwendig, um den demografischen Wandel zu
bewältigen – soweit der Konsens. Konkrete Ansätze wie die Einführung der eGK stoßen


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dennoch auf großen Widerstand. Eigentlich für Anfang 2006 vorgesehen, hat die
Bundesregierung aufgrund des öffentlichen Drucks die Einführung der
Mehrwertanwendungen erneut verschoben – Experten gehen davon aus, dass dies
frühestens 2018 geschehen wird. Begründet wird die Ablehnung oft mit Verweis auf
angebliche Datenschutzprobleme. Diese Haltung ist umso verwunderlicher, als dass selbst
die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern der eGK ein “vorbildliches
Datenschutzniveau” attestiert haben.
Neuer Personalausweis, TollCollect – die Liste digitaler Infrastrukturen, bei denen
Datenschutz-Bedenken zum „Showstopper“ werden, ließe sich vorführen. Dies ist nicht nur
ein Problem für die Wirtschaft, die angesichts des erheblichen Investionsvolumens
Planungssicherheit braucht. Das im internationalen Vergleich schlechte Abschneiden
Deutschlands bei intelligenten Netzen stellt zunehmend einen Standort-Nachteil dar mit
erheblichen Kosten für die gesamte Gesellschaft.


Daten-Standortpolitik

Angesichts der zentralen Rolle, die digitale Infrastrukturen bei der Lösung gesellschaftlicher
Herausforderungen spielen, brauchen wir eine neue politische Perspektive auf
Datenverarbeitung. Ziel muss es sein, ein Leitbild einer umfassenden “Daten-Standortpolitik”
zu entwickeln, das den Zusammenhang zwischen Datenverarbeitung, Innovation und
gesellschaftlichen Herausforderungen ebenso klar sieht wie den Zusammenhang zwischen
Datenverarbeitung, Vertrauen und Datenschutz.
Eine solche Daten-Standortpolitik bedeutet nicht automatisch eine allgemeine Absenkung des
Datenschutz-Niveaus. Ein guter Datenschutz ist unabdingbare Voraussetzung für intelligente
Netze. Vertrauen bei der Bevölkerung ist unabdingbare Voraussetzung. Aufgrund der
gesellschaftlichen Notwendigkeit von Datenverarbeitung ist es ein gemeinsames Ziel von
Politik und Wirtschaft, für dieses Vertrauen zu werben – und es sich durch konkrete Schritte
zu erarbeiten:
1. Klare Trennung zwischen legitimer Datenverarbeitung und
   Datenmissbrauch: Die illegale Verwendung von Daten schädigt den
   Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig, indem das knappe Gut „Vertrauen“
   verbraucht wird. Datenmissbrauch muss deswegen mit aller Härte bekämpft werden.
   Diese Härte im Kampf gegen illegales Handeln darf aber nicht zu einer generell
   ablehnenden Haltung gegenüber Datenverarbeitung führen.
2. Umsetzung sachgerechter Lösungen, die Datenschutz und
   Datenverarbeitung vereinen: Datenschutz und -verarbeitung sind keine
   Gegensätze. In der Praxis können durch datenminimierende Maßnahmen, technische
   Sicherungen und modernes Rollenmanagement datenschutzrechtliche Anforderungen
   erfüllt werden. Diese Schutzkonzepte können unter Einbeziehung aller Stakeholder
   entwickelt werden. Entscheidend ist, dass das Zielszenario stimmt: Es geht nicht darum,
   Datenverarbeitung per se zu unterbinden, sondern sie zu ermöglichen.
3. Richtige Interpretation des Grundsatzes der „informationellen
   Selbstbestimmung“: Infrastrukturen können nicht auf Basis einer “opt-out”-Option des
   Einzelnen aufgebaut werden. Im Gegensatz zu Facebook wäre die Datenoffenlegung für



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intelligente Netze nicht optional, sondern verpflichtend. Das in den 70er Jahren
  entwickelten Leitbild der “informationellen Selbstbestimmung” sieht die Möglichkeit der
  Einschränkung dieses Rechts dann vor,wenn ein überwiegendes Allgemeininteresse
  existiert. Im Fall der intelligenten Netze lässt sich dies uneingeschränkt bejahen.
4. Trennung zwischen echten Datenschutzanforderungen und
   Partikularinteressen: Die beschriebenen Veränderungen durch die Digitalisierung
   von Infrastrukturen verändern Geschäftsmodelle und erhöhen die Transparenz – es wird
   Gewinner und Verlierer geben. Das Beispiel der Gesundheitskarte zeigt, wie Argumente
   zum Datenschutz von Gegnern höherer Transparenz – insbesondere der Ärzteschaft –
   benutzt wurden, um die Einführung zu verhindern. Es ist davon auszugehen, dass
   Profiteure des “analogen” Status Quo der Infrastrukturen „NIMBY“ nutzen werden, um
   den Wandel zu verhindern. Die Politik sollte sich hier dem Allgemeinwohl verpflichtet
   fühlen und genauer auf die Motivationslage einzelner Interessengruppen schauen.




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  • 1. Backgrounder Not with my Data Der „Ohne Mich“-Bürger in der digitalen Welt “NIMBY” Umfassender gesellschaftlicher Wandel setzt gesellschaftlichen Mindestkonsens voraus - zumindest eine verlässliche Mehrheit, die sich für eine bestimmte Politikentscheidung einsetzt. So einfach diese Annahme ist, so zweideutig ist sie in der Praxis. Das liegt unter anderem an einer Schizophrenie der modernen Gesellschaften, die die Suche nach einer Mehrheit für den Wandel schwierig macht: Während der Einzelne den “großen” Zielen gesellschaftlichen Wandels durchaus zustimmen kann, lehnt er die damit verbundenen individuellen Einschränkungen ab. Seit den 80er Jahren hat sich für dieses Phänomen der Begriff “NIMBY” (“not in my backyard”) durchgesetzt. Wer A sagt, will nicht unbedingt auch B sagen – das gilt insbesondere für Infrastrukturen, die zwar Allgemeingüter wie Energie- oder Wasserversorgung, Mobilität oder Sicherheit zu Verfügung stellen. Gleichwohl sind nicht alle Profiteure bereit, die unmittelbaren Kosten der Infrastruktur zu tragen. Das Problem ist nicht neu: “NIMBY 1.0” ist ein Kind der Atomenergiedebatte. Neue Relevanz bekommt NIMBY nun, da wir am Beginn eines neuen Infrastruktur-Zeitalters stehen. Auf den existierenden physischen Infrastrukturen wird eine digitale Ebene etabliert, die aus diesen mehrere Dekaden alten Infrastrukturen “smarte” Systeme machen – sei es im Energiesektor (e-Energy), Gesundheit (e-Health) oder durch Verkehrssteuerung (e-Mobility). Auf der Grundlage digitalisierter Informationen können diese existierenden Infrastrukturen effizienter genutzt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Bürgerakzeptanz klingt das zunächst sehr gut, da die Digitalisierung der Infrastruktur im Idealfall den Bau weiterer “Hardware” ersetzt. Zugespitzt: Wer die Wahl zwischen einem Smart Grid und dem Bau weiterer Kraftwerke im “Backyard” hat, sollte sich wohl eher für die Bits & Bytes entscheiden. NIMBY 2.0: Not with my Data! Doch “NIMBY” scheint nicht auf die analoge Welt beschränkt zu sein, sondern findet seine digitale Entsprechung. Im übertragenen Sinne sind Daten der neue “backyard” digitaler Infrastrukturen – und die Beispiele für “Not with my Data” häufen sich. Zum Beispiel Smart Grids: In der aktuellen Debatte um die Energiewende stellt sich die Frage, inwieweit Nutzungsdaten in Haushalten durch Smart Meter ausgelesen und für das Netzmanagement verwendet werden dürfen. Die vorliegenden Umfrageergebnisse deuten auf eine große Skepsis seitens der Bevölkerung hin – gleichwohl die „Energiewende“ von einer Mehrheit unterstützt wird. Ein weiteres Beispiel: das Gesundheitssystem. Mehr Effizienz und niedrigere Gesundheitskosten sind dringend notwendig, um den demografischen Wandel zu bewältigen – soweit der Konsens. Konkrete Ansätze wie die Einführung der eGK stoßen 1/3
  • 2. dennoch auf großen Widerstand. Eigentlich für Anfang 2006 vorgesehen, hat die Bundesregierung aufgrund des öffentlichen Drucks die Einführung der Mehrwertanwendungen erneut verschoben – Experten gehen davon aus, dass dies frühestens 2018 geschehen wird. Begründet wird die Ablehnung oft mit Verweis auf angebliche Datenschutzprobleme. Diese Haltung ist umso verwunderlicher, als dass selbst die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern der eGK ein “vorbildliches Datenschutzniveau” attestiert haben. Neuer Personalausweis, TollCollect – die Liste digitaler Infrastrukturen, bei denen Datenschutz-Bedenken zum „Showstopper“ werden, ließe sich vorführen. Dies ist nicht nur ein Problem für die Wirtschaft, die angesichts des erheblichen Investionsvolumens Planungssicherheit braucht. Das im internationalen Vergleich schlechte Abschneiden Deutschlands bei intelligenten Netzen stellt zunehmend einen Standort-Nachteil dar mit erheblichen Kosten für die gesamte Gesellschaft. Daten-Standortpolitik Angesichts der zentralen Rolle, die digitale Infrastrukturen bei der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen spielen, brauchen wir eine neue politische Perspektive auf Datenverarbeitung. Ziel muss es sein, ein Leitbild einer umfassenden “Daten-Standortpolitik” zu entwickeln, das den Zusammenhang zwischen Datenverarbeitung, Innovation und gesellschaftlichen Herausforderungen ebenso klar sieht wie den Zusammenhang zwischen Datenverarbeitung, Vertrauen und Datenschutz. Eine solche Daten-Standortpolitik bedeutet nicht automatisch eine allgemeine Absenkung des Datenschutz-Niveaus. Ein guter Datenschutz ist unabdingbare Voraussetzung für intelligente Netze. Vertrauen bei der Bevölkerung ist unabdingbare Voraussetzung. Aufgrund der gesellschaftlichen Notwendigkeit von Datenverarbeitung ist es ein gemeinsames Ziel von Politik und Wirtschaft, für dieses Vertrauen zu werben – und es sich durch konkrete Schritte zu erarbeiten: 1. Klare Trennung zwischen legitimer Datenverarbeitung und Datenmissbrauch: Die illegale Verwendung von Daten schädigt den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig, indem das knappe Gut „Vertrauen“ verbraucht wird. Datenmissbrauch muss deswegen mit aller Härte bekämpft werden. Diese Härte im Kampf gegen illegales Handeln darf aber nicht zu einer generell ablehnenden Haltung gegenüber Datenverarbeitung führen. 2. Umsetzung sachgerechter Lösungen, die Datenschutz und Datenverarbeitung vereinen: Datenschutz und -verarbeitung sind keine Gegensätze. In der Praxis können durch datenminimierende Maßnahmen, technische Sicherungen und modernes Rollenmanagement datenschutzrechtliche Anforderungen erfüllt werden. Diese Schutzkonzepte können unter Einbeziehung aller Stakeholder entwickelt werden. Entscheidend ist, dass das Zielszenario stimmt: Es geht nicht darum, Datenverarbeitung per se zu unterbinden, sondern sie zu ermöglichen. 3. Richtige Interpretation des Grundsatzes der „informationellen Selbstbestimmung“: Infrastrukturen können nicht auf Basis einer “opt-out”-Option des Einzelnen aufgebaut werden. Im Gegensatz zu Facebook wäre die Datenoffenlegung für 2/3
  • 3. intelligente Netze nicht optional, sondern verpflichtend. Das in den 70er Jahren entwickelten Leitbild der “informationellen Selbstbestimmung” sieht die Möglichkeit der Einschränkung dieses Rechts dann vor,wenn ein überwiegendes Allgemeininteresse existiert. Im Fall der intelligenten Netze lässt sich dies uneingeschränkt bejahen. 4. Trennung zwischen echten Datenschutzanforderungen und Partikularinteressen: Die beschriebenen Veränderungen durch die Digitalisierung von Infrastrukturen verändern Geschäftsmodelle und erhöhen die Transparenz – es wird Gewinner und Verlierer geben. Das Beispiel der Gesundheitskarte zeigt, wie Argumente zum Datenschutz von Gegnern höherer Transparenz – insbesondere der Ärzteschaft – benutzt wurden, um die Einführung zu verhindern. Es ist davon auszugehen, dass Profiteure des “analogen” Status Quo der Infrastrukturen „NIMBY“ nutzen werden, um den Wandel zu verhindern. Die Politik sollte sich hier dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlen und genauer auf die Motivationslage einzelner Interessengruppen schauen. 3/3