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Statement von Martin Litsch
Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes
Es gilt das gesprochene Wort!
Was die Gesundheitsversorgung im ländlichen
Raum braucht
Die AOK wird sich in den nächsten zwei Jahren noch stärker um die Gesundheitsversorgung in länd-
lichen Regionen kümmern.
Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens, sind wir dafür prädestiniert. Wir sind sowohl in den
Städten als auch auf dem Land verortet und haben im ländlichen Raum zudem überdurchschnitt-
liche Marktanteile. Zweitens, weil es politisch notwendig ist. Immer häufiger wird davor gewarnt,
dass Schieflagen zwischen Stadt und Land drohen, die Kluft größer wird, auch im Bereich der Ge-
sundheitsversorgung. Das Gefühl der „Abgehängtheit“ alarmiert auch die Politik zusehends, erst
recht vor den anstehenden Wahlen in Europa, Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Aber auch der
Kohlekompromiss oder die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ sind zwei Belege dafür.
Die Menschen sind in Sorge und wir nehmen das als AOK ernst. Deshalb starten wir heute unsere
Initiative „Stadt. Land. Gesund.“. Aber bevor wir zu Lösungsansätzen kommen, möchte ich mit einem
genaueren Blick auf die Versorgung im ländlichen Raum beginnen: Welche Relevanz und Aktualität
hat das Thema „Gesundheitsversorgung“ in Stadt und Land wirklich, auch im Verhältnis zu anderen
Infrastruktureinrichtungen? Wie groß sind dabei die Wahrnehmungsunterschiede zwischen Stadt und
Land? Und was kann die AOK-Gemeinschaft tun?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir zunächst eine Umfrage bei forsa beauftragt.
Rund 2.000 Menschen sind vom 3. bis 18. Januar in computergestützten Telefoninterviews befragt
Seite 1 von 4
AOK-Pressekonferenz
Stadt. Land. Gesund. –
Wie wir die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum sichern
20. Februar 2019, Berlin
www.aok-bv.de
worden. Und die Ergebnisse sind aufschlussreich. Die erste Botschaft, über die ich heute sprechen
möchte, ist: Unter den verschiedenen Infrastruktureinrichtungen vor Ort sind den Bundesbürgern
die Hausärzte am wichtigsten – noch vor Einkaufsmöglichkeiten, dem Internetzugang, Schulen und
dem ÖPNV. Aber auch andere Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäuser oder Fachärzte sind von
hoher Bedeutung.
Dieser Tenor ändert sich auch nicht, wenn man die Ortsgrößen hinzuzieht. Sowohl Städter als auch
Landbewohner halten Hausärzte und Krankenhäuser für wichtig bis sehr wichtig. Fragt man nach der
Zufriedenheit mit den verschiedenen Infrastrukturangeboten, erscheinen wieder Gesundheitseinrich-
tungen in den TOP 5. Mit dem Angebot an Fachärzten und Pflegeeinrichtungen sind indes nur die
Hälfte der Befragten zufrieden.
Unterscheidet man hier zwischen Stadt und Land, so zeigen sich Bewohner in ländlichen Regionen
deutlich unzufriedener mit dem Angebot an Krankenhäusern und Fachärzten. Das gilt allerdings auch
für Einkaufsmöglichkeiten, die Internetversorgung, das kulturelle Angebot sowie den ÖPNV und
deutet auf grundlegende strukturelle Probleme hin. Bei der Frage, ob sich die Situation verschlechtert
hat, stimmen vor allem Befragte aus kleinen und mittleren Städten zu. Das betrifft insbesondere die
Versorgung mit Haus-, Fach- und Kinderärzten.
Wenn man nun die Verfügbarkeit, die sich die Menschen wünschen, mit der Zufriedenheit vergleicht,
erhält man zwei wichtige Aussagen: Erstens ist die Diskrepanz bei der Versorgung mit Fachärzten am
größten, bei den Hausärzten am geringsten. Zweitens ergeben sich auch hier klare Stadt-Land-Unter-
schiede: In den größeren Städten ist die Diskrepanz geringer als in kleinen Städten und auf dem Land.
Natürlich geht es für die Bewohner nicht um die reine Verfügbarkeit, sondern um die konkrete
Versorgung im Krankheitsfall. Sind die Angebote aufeinander abgestimmt? Klappt der Versorgungs-
prozess? Wir haben deswegen auch Einstellungen und Erfahrungen bezüglich verschiedener Gesund-
heitsangebote abfragen lassen. So hat ein Viertel der Befragten schon die Erfahrung gemacht, dass
Behandlungsabläufe zwischen Ärzten schlecht abgestimmt waren. Bei denjenigen mit chronischen Er-
krankungen oder einem Krankenhausaufenthalt liegt der Anteil noch höher, teils bis zu einem Drittel.
Wir treffen gleichzeitig auf eine sehr große Aufgeschlossenheit gegenüber innovativen Versorgungs-
formen wie der Betreuung durch speziell qualifizierte medizinische Fachkräfte (finden 91 Prozent sehr
gut oder gut), mobile Arztpraxen (82 Prozent finden diese sehr gut oder gut) und Videotelefonie (55
Prozent finden diese sehr gut oder gut). Nennenswerte Unterschiede zwischen Städtern und Landbe-
völkerung sind hier nicht zu erkennen. Unter denen, für die die Videosprechstunde generell in Frage
kommt, ist die große Mehrheit bereit, die Möglichkeit zur Befundbesprechung oder zur Abwicklung
von Folgeterminen zu nutzen.
In diesem Zusammenhang haben wir auch gefragt, wie die Menschen dazu stehen, wenn ihre Kran-
kenkasse solche und andere Angebote zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung anbietet. Die
Ergebnisse zeigen eine sehr hohe Akzeptanz für Services bei der Entlassung aus einem Krankenhaus,
Fahr- und Bringdienste beziehungsweise mobile Arztpraxen sowie koordinierende Aktivitäten zur
besseren Abstimmung und Vernetzung zwischen Ärzten. Gute Werte erreichen auch arztentlastende
Maßnahmen durch geschultes Fachpersonal. Selbst neue Technologien, wie die Videosprechstunde,
werden von rund der Hälfte der Befragten akzeptiert.
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www.aok-bv.de
Zum Schluss haben wir noch Entscheidungsfaktoren für die Arztwahl abgefragt. Hier ist das überra-
gende Kriterium die nachweislich gute Qualität, noch deutlich vor guter Erreichbarkeit oder kurzer
Entfernung zur Wohnung. Das gilt übrigens auch bei der Krankenhauswahl, wobei hier die Speziali-
sierung an zweiter Stelle steht und dann erst Erreichbarkeit und Entfernung folgen.
Summa summarum unterstreichen die Umfrageergebnisse die Relevanz unserer Initiative: Die Ge-
sundheitsversorgung auf dem Land ist ein zentrales gesellschaftliches Thema, die Bedürfnisse der
ländlichen Bevölkerung müssen stärker in den Fokus rücken! Offenbar macht man sich dort Sorgen
um die Anbindung an die fachärztliche Versorgung. Gleichzeitig sagen die Befragten aber auch, dass
ihnen bei der Arztwahl gute Behandlungsqualität wichtiger sei als schnelle Erreichbarkeit. Und sie
zeigen sich offen für innovative Behandlungsangebote. Und auch wir als AOK können dafür sorgen,
dass in der Region geeignete Angebote wie Fahrdienste oder digitale Services zur Verfügung gestellt
werden.
Das heißt im Umkehrschluss, dass die Versorgungsangebote nicht gleichmäßig über die Landschaft
zu verteilen sind, sondern Distanzen überwunden und Erreichbarkeit hergestellt werden müssen.
Nun beißt sich aber die Politik auf Bundesebene schon seit längerem die Zähne daran aus, den Land-
arztberuf wieder attraktiver zu machen. Trotz der zentralistischen Vorgaben und der Anreize mit
der Gießkanne ist der durchschlagende Erfolg bei der Arztniederlassung bisher ausgeblieben. Die
Gesetzgebung war hier wenig nachhaltig. Wesentliche Maßnahmen liefen ins Leere, zum Beispiel
der Strukturfonds zur Förderung von ärztlichen Neuniederlassungen in unterversorgten Gebieten, der
kaum abgerufen wurde. Auch das Terminservice- und Versorgungsgesetz wird nur bedingt helfen
können bzw. keinen Run der Ärzte auf die Dörfer auslösen. Geplante Maßnahmen wie der Wegfall
von Zulassungssperren in ländlichen oder strukturschwachen Gebieten oder weitere finanzielle Zu-
schläge werden die Fehlverteilung zwischen Stadt und Land eher noch verschärfen. So gerechtfertigt
einige dieser Maßnahmen im Einzelnen sind, sie werden keine schnellen Lösungen bringen.
Die für die Sicherstellung zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen können auch keine Ärzte aufs
Land zwingen. Und die Bedarfsmessung und Ansiedlung von Fachärzten wird immer mehr als sekto-
renübergreifendes Thema wahrgenommen, das im Zusammenspiel mit den Kliniken gelöst werden
muss. Vor diesem Hintergrund agiert die Ärzteschaft auf regionaler Ebene zunehmend pragmatisch.
Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass wir Lösungsansätze brauchen, die über die ärztliche
Freiberuflichkeit und arztzentrierte Versorgung hinausgehen. Dass sich etwas tut, zeigen viele Pro-
jekte. Dr. Irmgard Stippler wird gleich darauf eingehen.
Wenn jetzt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Sektorübergreifende Versorgung“ bis zum nächsten
Jahr Vorschläge für den stationären und ambulanten Bereich ausarbeitet und dabei unter anderem die
Bedarfsplanung, Zulassung, Honorierung und Kooperation der Gesundheitsberufe unter Berücksichti-
gung der Telematik und Telemedizin unter die Lupe nimmt, sollte also unbedingt darauf geachtet wer-
den, dass Kassen und Leistungserbringer vor Ort Beinfreiheit für agile, kreative Lösungen behalten.
Schließen möchte ich mit einer Bemerkung zur geplanten Reform des morbiditätsorientierten Risiko-
strukturausgleichs. In diesem Kontext gibt es Überlegungen, eine Regionalkomponente einzuführen.
Dadurch würden künftig Gelder aus den tendenziell eher unterversorgten ländlichen Regionen in
tendenziell eher überversorgte Städte umgeleitet werden. Es würden Kassen unterstützt, die mehr
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Marktanteile in den Ballungsgebieten und Städten haben. Mit Blick auf die gerade vorgestellten
Umfrageergebnisse passen solche „Metropolzuschläge“ weder zur Gefühlslage der Bevölkerung auf
dem Land noch in die aktuelle politische Landschaft. Eine Regionalkomponente würde rund eine
Milliarde Euro aus Regionen wie der Uckermark oder dem Bayerischen Wald in Metropolen wie Han-
nover oder München umleiten. Das ist nicht nur vor dem Hintergrund der in diesem Jahr anstehenden
Landtagswahlen ein fragwürdiges politisches Signal. Das ist auch versorgungspolitisch wahnwitzig:
Mit Geld, das wir für eine bedarfsgerechte Versorgung auf dem Land dringend brauchen, würde eine
verkrustete Überversorgung in den großen Städten zementiert.
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Pressestatement von Martin Litsch (Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes) zur AOK-Initiative "Stadt. Land. Gesund."

  • 1. Statement von Martin Litsch Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes Es gilt das gesprochene Wort! Was die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum braucht Die AOK wird sich in den nächsten zwei Jahren noch stärker um die Gesundheitsversorgung in länd- lichen Regionen kümmern. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens, sind wir dafür prädestiniert. Wir sind sowohl in den Städten als auch auf dem Land verortet und haben im ländlichen Raum zudem überdurchschnitt- liche Marktanteile. Zweitens, weil es politisch notwendig ist. Immer häufiger wird davor gewarnt, dass Schieflagen zwischen Stadt und Land drohen, die Kluft größer wird, auch im Bereich der Ge- sundheitsversorgung. Das Gefühl der „Abgehängtheit“ alarmiert auch die Politik zusehends, erst recht vor den anstehenden Wahlen in Europa, Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Aber auch der Kohlekompromiss oder die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ sind zwei Belege dafür. Die Menschen sind in Sorge und wir nehmen das als AOK ernst. Deshalb starten wir heute unsere Initiative „Stadt. Land. Gesund.“. Aber bevor wir zu Lösungsansätzen kommen, möchte ich mit einem genaueren Blick auf die Versorgung im ländlichen Raum beginnen: Welche Relevanz und Aktualität hat das Thema „Gesundheitsversorgung“ in Stadt und Land wirklich, auch im Verhältnis zu anderen Infrastruktureinrichtungen? Wie groß sind dabei die Wahrnehmungsunterschiede zwischen Stadt und Land? Und was kann die AOK-Gemeinschaft tun? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir zunächst eine Umfrage bei forsa beauftragt. Rund 2.000 Menschen sind vom 3. bis 18. Januar in computergestützten Telefoninterviews befragt Seite 1 von 4 AOK-Pressekonferenz Stadt. Land. Gesund. – Wie wir die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum sichern 20. Februar 2019, Berlin www.aok-bv.de
  • 2. worden. Und die Ergebnisse sind aufschlussreich. Die erste Botschaft, über die ich heute sprechen möchte, ist: Unter den verschiedenen Infrastruktureinrichtungen vor Ort sind den Bundesbürgern die Hausärzte am wichtigsten – noch vor Einkaufsmöglichkeiten, dem Internetzugang, Schulen und dem ÖPNV. Aber auch andere Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäuser oder Fachärzte sind von hoher Bedeutung. Dieser Tenor ändert sich auch nicht, wenn man die Ortsgrößen hinzuzieht. Sowohl Städter als auch Landbewohner halten Hausärzte und Krankenhäuser für wichtig bis sehr wichtig. Fragt man nach der Zufriedenheit mit den verschiedenen Infrastrukturangeboten, erscheinen wieder Gesundheitseinrich- tungen in den TOP 5. Mit dem Angebot an Fachärzten und Pflegeeinrichtungen sind indes nur die Hälfte der Befragten zufrieden. Unterscheidet man hier zwischen Stadt und Land, so zeigen sich Bewohner in ländlichen Regionen deutlich unzufriedener mit dem Angebot an Krankenhäusern und Fachärzten. Das gilt allerdings auch für Einkaufsmöglichkeiten, die Internetversorgung, das kulturelle Angebot sowie den ÖPNV und deutet auf grundlegende strukturelle Probleme hin. Bei der Frage, ob sich die Situation verschlechtert hat, stimmen vor allem Befragte aus kleinen und mittleren Städten zu. Das betrifft insbesondere die Versorgung mit Haus-, Fach- und Kinderärzten. Wenn man nun die Verfügbarkeit, die sich die Menschen wünschen, mit der Zufriedenheit vergleicht, erhält man zwei wichtige Aussagen: Erstens ist die Diskrepanz bei der Versorgung mit Fachärzten am größten, bei den Hausärzten am geringsten. Zweitens ergeben sich auch hier klare Stadt-Land-Unter- schiede: In den größeren Städten ist die Diskrepanz geringer als in kleinen Städten und auf dem Land. Natürlich geht es für die Bewohner nicht um die reine Verfügbarkeit, sondern um die konkrete Versorgung im Krankheitsfall. Sind die Angebote aufeinander abgestimmt? Klappt der Versorgungs- prozess? Wir haben deswegen auch Einstellungen und Erfahrungen bezüglich verschiedener Gesund- heitsangebote abfragen lassen. So hat ein Viertel der Befragten schon die Erfahrung gemacht, dass Behandlungsabläufe zwischen Ärzten schlecht abgestimmt waren. Bei denjenigen mit chronischen Er- krankungen oder einem Krankenhausaufenthalt liegt der Anteil noch höher, teils bis zu einem Drittel. Wir treffen gleichzeitig auf eine sehr große Aufgeschlossenheit gegenüber innovativen Versorgungs- formen wie der Betreuung durch speziell qualifizierte medizinische Fachkräfte (finden 91 Prozent sehr gut oder gut), mobile Arztpraxen (82 Prozent finden diese sehr gut oder gut) und Videotelefonie (55 Prozent finden diese sehr gut oder gut). Nennenswerte Unterschiede zwischen Städtern und Landbe- völkerung sind hier nicht zu erkennen. Unter denen, für die die Videosprechstunde generell in Frage kommt, ist die große Mehrheit bereit, die Möglichkeit zur Befundbesprechung oder zur Abwicklung von Folgeterminen zu nutzen. In diesem Zusammenhang haben wir auch gefragt, wie die Menschen dazu stehen, wenn ihre Kran- kenkasse solche und andere Angebote zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung anbietet. Die Ergebnisse zeigen eine sehr hohe Akzeptanz für Services bei der Entlassung aus einem Krankenhaus, Fahr- und Bringdienste beziehungsweise mobile Arztpraxen sowie koordinierende Aktivitäten zur besseren Abstimmung und Vernetzung zwischen Ärzten. Gute Werte erreichen auch arztentlastende Maßnahmen durch geschultes Fachpersonal. Selbst neue Technologien, wie die Videosprechstunde, werden von rund der Hälfte der Befragten akzeptiert. Seite 2 von 4 www.aok-bv.de
  • 3. Zum Schluss haben wir noch Entscheidungsfaktoren für die Arztwahl abgefragt. Hier ist das überra- gende Kriterium die nachweislich gute Qualität, noch deutlich vor guter Erreichbarkeit oder kurzer Entfernung zur Wohnung. Das gilt übrigens auch bei der Krankenhauswahl, wobei hier die Speziali- sierung an zweiter Stelle steht und dann erst Erreichbarkeit und Entfernung folgen. Summa summarum unterstreichen die Umfrageergebnisse die Relevanz unserer Initiative: Die Ge- sundheitsversorgung auf dem Land ist ein zentrales gesellschaftliches Thema, die Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung müssen stärker in den Fokus rücken! Offenbar macht man sich dort Sorgen um die Anbindung an die fachärztliche Versorgung. Gleichzeitig sagen die Befragten aber auch, dass ihnen bei der Arztwahl gute Behandlungsqualität wichtiger sei als schnelle Erreichbarkeit. Und sie zeigen sich offen für innovative Behandlungsangebote. Und auch wir als AOK können dafür sorgen, dass in der Region geeignete Angebote wie Fahrdienste oder digitale Services zur Verfügung gestellt werden. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Versorgungsangebote nicht gleichmäßig über die Landschaft zu verteilen sind, sondern Distanzen überwunden und Erreichbarkeit hergestellt werden müssen. Nun beißt sich aber die Politik auf Bundesebene schon seit längerem die Zähne daran aus, den Land- arztberuf wieder attraktiver zu machen. Trotz der zentralistischen Vorgaben und der Anreize mit der Gießkanne ist der durchschlagende Erfolg bei der Arztniederlassung bisher ausgeblieben. Die Gesetzgebung war hier wenig nachhaltig. Wesentliche Maßnahmen liefen ins Leere, zum Beispiel der Strukturfonds zur Förderung von ärztlichen Neuniederlassungen in unterversorgten Gebieten, der kaum abgerufen wurde. Auch das Terminservice- und Versorgungsgesetz wird nur bedingt helfen können bzw. keinen Run der Ärzte auf die Dörfer auslösen. Geplante Maßnahmen wie der Wegfall von Zulassungssperren in ländlichen oder strukturschwachen Gebieten oder weitere finanzielle Zu- schläge werden die Fehlverteilung zwischen Stadt und Land eher noch verschärfen. So gerechtfertigt einige dieser Maßnahmen im Einzelnen sind, sie werden keine schnellen Lösungen bringen. Die für die Sicherstellung zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen können auch keine Ärzte aufs Land zwingen. Und die Bedarfsmessung und Ansiedlung von Fachärzten wird immer mehr als sekto- renübergreifendes Thema wahrgenommen, das im Zusammenspiel mit den Kliniken gelöst werden muss. Vor diesem Hintergrund agiert die Ärzteschaft auf regionaler Ebene zunehmend pragmatisch. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass wir Lösungsansätze brauchen, die über die ärztliche Freiberuflichkeit und arztzentrierte Versorgung hinausgehen. Dass sich etwas tut, zeigen viele Pro- jekte. Dr. Irmgard Stippler wird gleich darauf eingehen. Wenn jetzt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Sektorübergreifende Versorgung“ bis zum nächsten Jahr Vorschläge für den stationären und ambulanten Bereich ausarbeitet und dabei unter anderem die Bedarfsplanung, Zulassung, Honorierung und Kooperation der Gesundheitsberufe unter Berücksichti- gung der Telematik und Telemedizin unter die Lupe nimmt, sollte also unbedingt darauf geachtet wer- den, dass Kassen und Leistungserbringer vor Ort Beinfreiheit für agile, kreative Lösungen behalten. Schließen möchte ich mit einer Bemerkung zur geplanten Reform des morbiditätsorientierten Risiko- strukturausgleichs. In diesem Kontext gibt es Überlegungen, eine Regionalkomponente einzuführen. Dadurch würden künftig Gelder aus den tendenziell eher unterversorgten ländlichen Regionen in tendenziell eher überversorgte Städte umgeleitet werden. Es würden Kassen unterstützt, die mehr Seite 3 von 4 www.aok-bv.de
  • 4. Marktanteile in den Ballungsgebieten und Städten haben. Mit Blick auf die gerade vorgestellten Umfrageergebnisse passen solche „Metropolzuschläge“ weder zur Gefühlslage der Bevölkerung auf dem Land noch in die aktuelle politische Landschaft. Eine Regionalkomponente würde rund eine Milliarde Euro aus Regionen wie der Uckermark oder dem Bayerischen Wald in Metropolen wie Han- nover oder München umleiten. Das ist nicht nur vor dem Hintergrund der in diesem Jahr anstehenden Landtagswahlen ein fragwürdiges politisches Signal. Das ist auch versorgungspolitisch wahnwitzig: Mit Geld, das wir für eine bedarfsgerechte Versorgung auf dem Land dringend brauchen, würde eine verkrustete Überversorgung in den großen Städten zementiert. Seite 4 von 4 www.aok-bv.de