3. ||
„Dein Beruf? Kaum mehr, als Deine Kindheit gegen ein würdeloses
Erwachsenenleben zu verteidigen. Nur ein fleißiger Adnoten-Schreiber,
der Menschen, Büchern, Zeitgeschehen, Bäumen sein Zeilchen
anhängt, der Untenstehende auf Zehenspitzen, der über Mauern in
fremde Gärten späht, der leise Immerverirrte, der nur auf Umwegen und
Randpfaden sich fortbewegen kann, blödsinnig streunt in fremden
Städten, auf Reisen allein, nichts sehend in Bordeaux oder Madrid,
herumläuft bis zum Umfallen, bis eine Farbe, ein unverhofftes Sepia
nach kurzer Berührung mit einem Fremden das ganze Gesicht
überschwemmt ... […] (UaZ, 99f.)
28.05.2015Franziska Regner 3
4. ||
„Digging Billie. Ihre Heraufübungen vor Mitternacht. […]
In dieser Stunde wird ihr, der Untenstehenden, alles, was nicht mit ihr tief
unten ist, zum Pandämonium, zur schlimmsten Versuchung. Prächtigkeit
und falsche Fülle: Frauen und Kinder, Wissenschaft und Künste, Geld
und Macht, Maschinen, Netze und Lebensstile, Epochen und Ethnien.
Und der ganze Reigen ihrer nächtlichen Verlockungen entsteigt diesem
Buch, das sie umschreibt. Es hieß einmal: Die Versuchung des heiligen
Antonius. Das Buch, das sie heimsucht, besetzt, nachfolgebesessen
macht. Sie glaubt, wenn sie dies Buch überwindet oder endlich von sich
abwendet, diesen Höllentanz, diese Exuberanz der Großen Bibliothek,
dann wäre sie gereinigt und stünde gefestigt vor Gott – vor dem Abgrund
in Weiß, dem unberührten Papier.“ (UaZ, 121f.)
28.05.2015Franziska Regner 4
5. ||
„Digging Billie: Was sind das für Sprüche! Was für Lehren! Laß uns hervortreten, ins Freie! Wir, die wir nichts als
Untenstehende sind, wie Simone Weil sagt. (»Die ich mich aus freien Stücken und fast hoffnungslos
entschieden habe, den Standpunkt der Untenstehenden einzunehmen …«) Sieh! Die große Schönheit der von
Qualen Zerbissenen … die Inferiore!
Mach dich nicht lächerlich. Sprich nicht so vollmundig mit dir selbst. Du hast keine eigene Stimme. Keine, um
zu schreien, keine, um zu flüstern, keine, um zu überreden. Du hast ein mittönendes Organ. Ein paar Bänder,
die von den Stimmen anderer zum Schweigen gebracht werden. Nimm das an. Krieche mit deinem Mund.
Verkneif dir das Lachen nicht, wenn deine Mitwelt lacht. Du tönst nur mit, du tönst nur wider.
Gut. Ich habe nichts begonnen, ich habe dies und das hervorgebuddelt, in Erinnerung gerufen. Ist nicht
Repristinieren ein eigenes Kulturgeschäft?
Die Untenstehende, ausgesetzt den zuckenden Böen des Übermuts und der Eitelkeit, eine fast ihrer Stimme
Widertönende, Aufheulende im Sturm, Mitwispernde unter den Geistern und pfeifend wie die Kammer hinter der
undichten Tür. Ich selbst bin der undichte Raum, der leere, in dem Ich fehle.
Du bist die, die niemand vernimmt. Der niemand etwas abgewinnen kann. Die man überall meidet. Der
niemand traut. Die alle enttäuscht. Eine, die nicht dazugehört und die dennoch, abgelenkt von den Bäumen,
immer weiter spricht. Überall in ihrem Garten spricht, einmal mit den Ahnen, dem längst verstorbenen Sohn, ein
andermal mit einem unbekannten Mann … Es gibt keine Monologe. Alle Sprache spricht zu fernen Verwandten
… In meiner Minderung, in meiner nochmals wiederum geminderten Minderung. Auf Zehenspitzen die
Untenstehende!“ (UaZ, 157f.)
28.05.2015Franziska Regner 5
6. ||
„Jeder Schritt in der Abwendung erhöht das Bewußtsein und die Vorsicht
des Rückens. Bis es am Ende tatsächlich so etwas wie einen überaus
klar sehenden Rücken gibt.“ (UaZ, 63)
„ […] Nur wenige Autoren sind Augenöffner. Andere, darunter die besten,
empfehlen den Blick mit halbgesenktem Lid.“ (UaZ, 72)
„Vielleicht hätte ich mich nie für das Wenige interessiert, wäre das Viele
mir nicht eines Tages zu viel geworden. Zuviel aber ist die höchste
Negation, negativer als nichts.“ (Uaz, 82)
28.05.2015Franziska Regner 6
7. ||
„Welche Bild-Prägung ersetzt das Labyrinth, das System der
Irrgänge, als Daseinsmetapher? Wir leben nicht in einem
Gebilde, für das die Konstruktion des Dädalus ein
geeignetes Sinnbild abgäbe. Aber es läßt sich nicht sagen,
worin wir leben, sobald wir nach einem treffenden Bild
suchen. Ist es das weltvorspiegelnde Holodrom, die
universale Playstation? Ist es das Netz, oder gar das Netz
der Netze, der Neokortex selbst, in dem wir leben? Worin,
verdammt, leben wir also?“ (UaZ, 121)
28.05.2015Franziska Regner 7