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Rede Deutscher Verband Tiernahrung
1. Rede anlässlich der Mitgliederversammlung des
„Deutscher Verband Tiernahrung (DVT)“
23. September 2010 in Dresden
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie wollen von mir etwas über die Praxis des Krisenmanagement hören – somit
verzichte ich freiwillig auf kommunikations-theoretische Modelle. Außerdem werde ich
mich bemühen, den Vortrag so kurz halten, dass wir noch genügend Zeit für Frage und
Antwort und Diskussion haben.
Vorab ein Kompliment an Ihren Verband: Ich habe lange nicht eine so gut gegliederte,
informative und zeitgemäß aktualisierte Homepage gesehen. Die wird der
Wirtschaftskraft der in diesem Verbund organisierten Branche mit über 10 Mrd. Euro
Umsatz gerecht. Was absolut nicht selbstverständlich ist.
Sie werden keine Präsentation, keine Bilder, keine Statistiken von mir sehen – ich
beanspruche die Aufmerksamkeit für das gesprochene Wort.
Die Thesen, die ich Ihnen so kurz und prägnant wie möglich vorstellen will, will ich
gerne im Anschluss mit Ihnen diskutieren.
Warum sind Krisenmanagement und Krisenkommunikation neben dem wirtschaftlichen
Erfolg Ihres Unternehmens das Thema, das ganz oben auf Ihrer Prioritätenliste stehen
sollte?
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1. Unsere Welt ist hysterisch. Und sie wird von Tag zu Tag hysterischer. Ob BSE,
Schweine- oder Vogelgrippe, Sarrazin oder Kachelmann – unsere Gesellschaft
entwickelt sich zum einzigen Irrenhaus. Nicht zuletzt gefördert durch das worldwide
web siegt der Lärm über die Substanz. Gerade für die Agrar- und Ernährungswirtschaft
gilt, dass die in Wellen über diese Branche hereinbrechenden Themen zumindest für
einzelne Unternehmen eine existenzbedrohende Gefährdung darstellen.
2. Das Internet ist die Klowand des 21. Jahrhunderts. Jeder Depp kann heute alles über
Sie und Ihre Produkte im Netz einstellen, global und im Schneeballsystem multipliziert.
Vom Boykott-Aufruf (LIDL) bis zum Kopfgeld (PETA), vom Erpressungs-Video (NN) bis
zur Diffamierung („Vier Pfoten“) und Auftragsarbeit (PETA). Es gibt inzwischen
weltweit mehr als 200 Mio. Blogs, 1,5 Mio. Blogger in Deutschland, über 1.000
entstehen jeden Tag. Der „Spiegel“ wird von einer Million Konsumenten gekauft, 90
Millionen Mal aber wird wöchentlich „Spiegel Online“ angeklickt. Schneller, schriller
und mit ungehemmter Individualisierung bedroht Web 2.0 Unternehmen oder ganz
Branchen.
3. NGOs werden immer mächtiger, die Kampagnen folgen in immer kürzeren Abständen,
sie werden zunehmend lauter und schriller. Greenpeace, Foodwatch, PETA & Co.
bestimmen die Diskussion, ganz besonders im Bereich der Agrar- und
Ernährungswirtschaft. Während Parteien, Gewerkschaften und Kirche massiv
Mitglieder verlieren (SPD minus 50 Prozent, CDU minus 30 Prozent, Gewerkschaften
und Kirchen minus 20 Prozent) engagieren sich immer mehr Menschen in durchaus
vernünftigen Organisationen, aber eben auch in sehr dubiosen Vereinigungen. Weil
auch die letztgenannten Kampagnen exzellent beherrschen und die klassischen
Medien mit teilweise ausgedünnten Redaktionen ihre ursprüngliche „Gatekeeper“-
Funktion“ zunehmend verlieren, bestimmen diese Organisationen das Meinungsklima.
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Mit teilweise perfiden Mitteln (Strafanzeige als PR-Instrument/Pestizide in Obst und
Gemüse u.a.), mit Versteckspiel (PETA/“militante Veganergruppe“), mit Methoden, die
man durchaus als „kriminell“ bezeichnen kann (Vier Pfoten/Auftragsproduktionen). Und
mit einer Frechheit, die sich Unternehmen nie leisten könnten
(Foodwatch/Spendenaufruf Talkshow).
4. Es gibt ein Klima der Denunziation in diesem Land. Aus meiner Praxis kann ich Ihnen
sagen, dass zwei Drittel der Hinweise über angebliche „Skandale“ in Firmen aus der
Firma selbst oder vom Wettbewerb kommen. Alleine in den letzten 14 Tagen mussten
wir uns mit folgenden Themen beschäftigen, die von eigenen Mitarbeitern an Medien
herangetragen wurden: Schimmel in der Produktion (bei schimmelgereifter Salami!),
Hefe als Geschmacksverstärker bei Kennzeichnung „ohne Zusatzstoffe“, angebliches
Lohndumping in einem Handelsunternehmen und vermeintliche Hygieneskandale in
einem großen privaten Klinikverbund. Übrigens sind die Formate, an diese Themen
herangetragen werden bekannt und permanent aufnahmebereit: Von Report bis Pano-
rama, von Frontal 21 bis zum Spiegel (siehe Beitrag Tiernahrung). So vulgär-
voyouristisch wie sich unsere Gesellschaft und Medienlandschaft entwickelt, so
entwickelt sich die Bereitschaft von Gruppen und Menschen, Klatsch und Tratsch,
Anschuldigung und Diffamierung weiterzureichen. Auch hier ist die Web 2.0-Welt der
ideale Nährboden, auf dem diese Saat gedeiht.
Nun wollen Sie ja von mir nicht nur eine Zustandsbeschreibung hören, sondern einen
Rat, wie Sie damit umgehen sollen.
Auch hier erlaube ich mir in der Kürze der Zeit einige grundsätzliche Thesen, die man
natürlich lang und tief mit Leben füllen muss. Aber das übersteigt die Möglichkeiten
eines kurzen Vortrags.
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1. Im Sinne einer Krisen-Prävention brauchen Sie Freunde – Feinde haben Sie schon
genug. Dafür müssen Sie sich aber so benehmen, dass man mit Ihnen befreundet sein
will. Wer keine Loyalität gibt, bekommt auch keine Loyalität zurück. Wenn Sie mit den
seriösen Medien an Ihrem Standort, in Ihrer Branche und mit den soliden Journalisten
der großen Zeitungen und Agenturen nicht umgehen, haben Sie in der Krise auch
keine Helfer. Es gibt ja mittelständische Unternehmen in Ihrer Branche, die noch nicht
einmal bereit sind, mit der Lebensmittel Zeitung zu reden. Wer sich versteckt, hat was
zu verstecken. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Medien, sondern auch für die Politik,
Wissenschaft und seriöse Organisationen. Und dies ist beileibe nicht nur die Aufgabe
eines Verbandes – jedes einzelne Unternehmen kann ein Stück beitragen zu einem
Gesamtbild, das die Branche zeichnet. Wer sich in einer öffentlichen Gesellschaft die
immer transparenter wird durch Nicht-Öffentlichkeit verabschiedet, muss sich nicht
wundern, wenn sich kein Vertrauen entwickelt. Wem man vertraut, den schlägt man
nicht – zumindest nicht so fest.
2. Transparenz ist das oberste Gebot. Aufklärung schafft man durch Erklärung. Da darf
sich jedes einzelne Unternehmen Ihres Verbandes angesprochen fühlen: Sie wissen
mehr über Ihre Rezepturen und Produkte, über Ihre Produktionsverfahren und
Qualitätsparameter, über Märkte und Kundenbedürfnisse. Es ist Ihre tägliche Pflicht,
dies in die öffentliche Diskussion einzubringen. Sich nach dem Motto „der Klügere gibt
nach“ aus Frustration oder Angst aus diesen Diskussionen zu verabschieden, bedeutet
die Weltherrschaft der Dummen.
3. Gefordert sind Mut und Loyalität. Gesucht ist die streitbare Führungskraft, die
Diskussionen auch auf- und annimmt statt mutlos Kampagnen über sich ergehen zu
lassen. Viel zu oft musste ich beobachten, dass es keine Loyalität geschweige denn
Solidarität in dieser Branche gibt. Ganz anders übrigens als beispielsweise in der
Automobil-Industrie, der Chemie-Industrie oder der Energiewirtschaft. Im Gegenteil:
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Häufig werden Kampagnen gegen einzelne Unternehmen klammheimlich genossen,
es gibt Häme statt Beistand. Vergessend, dass die nächste Kampagne einen selbst
treffen wird. Es gibt weder Solidarität der Unternehmen der gleichen Branche
untereinander noch einen Zusammenhalt in den verschiedenen Stufen: Erzeuger,
Verarbeiter und Handel arbeiten in Krisensituationen nicht mit- sondern gegeneinander
(Beispiel Pestizide). Es gibt unzählige Verbände in der Ernährungswirtschaft aber
keinerlei Koordination, keine gemeinsame Stimme, keinen gemeinschaftlichen
Spitzenverband. Aktionistische Versuche wie die jüngste Neugründung „Wir erzeugen
Fleisch“ sind aus meiner Sicht schon zum Scheitern verurteilt, bevor sie richtig
gestartet wurden.
4. Werfen Sie alle sogenannten Krisen-Handbücher weg. In meinem langen Berufsleben
auch zu diesem Thema habe ich noch keine zwei Krisen erlebt, die mit den gleichen
Rezepturen zu bewältigen gewesen wären. Ich gehe noch weiter: Es gibt keine
Rezeptur. Sogenannte Handbücher machen Sie blind für die Situation – was Sie
brauchen ist Situationsintelligenz. Die verlange ich auch von jemandem, der eine
Firma in einer kritischen Branche führt. Nachdem die Krisen-, CSR- und
Nachhaltigkeitsberater sich inzwischen in den Unternehmen die Klinke in die Hand
geben – sperren Sie die Tür einfach zu. Wenn Ihnen dies ein Berater sagt, sollten Sie
das sehr ernst nehmen. Aber gerade in Krisenfällen stürzen sich unzählige
selbsternannte Fachleute auf Ihre Firma, wie die Geier auf verletztes Wild, und wollen
Ihnen helfen. Krisenbewältigung ist die Aufgabe des Managements. Wenn Sie sich für
bestimmte Aufgaben spezielle Berater zur Seite stellen, vom Juristen bis zum
Kommunikations-Spezialisten, ist grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden. Aber die
Strukturen – von der Qualitätssicherung über die Unternehmensdarstellung, die
Medienkontakte und die Informationsabläufe – legen Sie jetzt außerhalb der Krise und
nicht in der Krise.
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5. Sie brauchen eine Internet-Strategie. Die heutigen Unternehmens-Darstellungen sind
in keiner Weise mehr zeitgemäß. Über Ihre Qualitäts- und Sicherheitskriterien in
Worten zu berichten, ist nur die bestenfalls zweitbeste Lösung. Die Menschen
verlangen heute Bewegtbilder, Videos, Präsenz in YouTube. Die Einweg-
Kommunikation einer Homepage muss ersetzt werden durch die Zweiweg-
Kommunikation im Newsroom – auch um Ihre Ergebnisse beim Namensaufruf in den
Suchmaschinen zu verbessern. Kommunikations-Strategie heißt heute eben auch
Internet-Strategie und dies sind andere Spezialisten und dies ist die Verbindung von
Kommunikation und Technik, Informationsfähigkeit und Programmierung,
Mediengewohnheiten der älteren Generation mit denen einer jüngeren Generation.
6. Natürlich können Sie Krisen-Prophylaxe betreiben: Monitoring, „Schubladentexte“ für
Produkte, Sicherheit, Qualität, Trainingsmaßnahmen für die Führungsmannschaft,
Analyse der Risikofaktoren. Das hilft – ein Bisschen. Ich bleibe aber dabei, dass bei
aller Analyse trotzdem alles schief geht, wenn die Situations-Intelligenz im Krisenfall
nicht gegeben ist. Zumindest ersetzt diese Prophylaxe nicht, dass Sie Themen selbst
besetzen und die Kontakte zu Meinungsbildern in den Medien, der Politik und der
Gesellschaft pflegen. Eine Krise ist ein Herzinfarkt im Unternehmen. Am besten ist es,
dass es durch Ihre Lebensführung gar nicht zum Herzinfarkt kommt.
Auch im Krisen-Management gibt es einen mikro- und makro-ökonomischen Bereich.
In Ihrem individuellen Unternehmen können Sie ein gewisses Fundament legen durch
Prävention wie Monitoring (welche Themen finden Resonanz), Risiko-Analyse und
Training. Dann benötigen Sie Sensibilität, Anstand als kaufmännische Tugend und das
Bewusstsein, dass Sie wegen kurzfristiger Vorteile nicht die langfristige Existenz Ihrer
Firma aufs Spiel setzen sollten. Dazu eine eigentlich selbstverständliche
unternehmerische Tugend: Reaktions-Schnelligkeit und Situations-Intelligenz.
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Über die gesamte Lebensmittelbranche hinweg würde ich mir wünschen, dass eine
zentrale Institution als das Sprachrohr dieser Branche die Interessen von
Agrarwirtschaft und Erzeuger, Verarbeiter und Händler bündelt. Es müsste eine
Stimme geben in dieser Ernährungswirtschaft und eine Politik. Meine Erkenntnis ist
eindeutig, dass die vom Volumen ebenso wie von der Zahl der Beschäftigten her
wichtigste Branche in Deutschland in einem Ausmaß in ihre Einzelteile zersplittert ist in
unzählige Einzel-Interessen, unkoordiniert und damit unfähig, der gesamten
Ernährungswirtschaft die Stärke zu geben, die sie verdienen würde. Sie bekommen zu
skandalisierten Themen ja nicht einmal ein einheitliches Statement vom
Bauernverband, Verband der Ernährungsindustrie und Hauptverband des Deutschen
Einzelhandels.
Das Thema Fleischkonsum, das Sie als Branche ja nun wahrlich direkt betrifft, wird
eines der Mega-Themen des kommenden Jahrzehnts. Das merken Sie unter anderem
an dem globalen Erfolg des Buches „Tiere essen“ – neben Sarrazin der Bestseller im
Sachbuchbereich. Sie bekommen dieses Thema frei Haus aus ökologischen Gründen
des Ressourcen-Verbrauches, aus Gesundheitsgründen des Fleischkonsums und aus
teilweise militanten Tierschutzgründen. Wenn die Ernährungswirtschaft in allen ihren
Stufen diese Diskussion nicht einheitlich aufnimmt, können sie sie nicht gewinnen.
Ich hoffe, dass wir jetzt genügend gemeinsamen Diskussionsstoff haben. Vielen Dank,
dass Sie mir zugehört haben.