Der Medienwandel ist eine Herausforderung im Kulturbereich und wird einen Kulturwandel nach sich ziehen. Dies zeigt sich auch im Verhältnis von Mensch und Maschine, die in neuer Weise kooperieren können und müssen. Edgar Allan Poes Schachtürke und die Suchalgorithmen von Google und Co sind dabei Modelle funktionierender Wunsch- und Trugbilder. Der eine gibt vor, etwas zu sein, was er nicht ist. Der andere findet nur scheinbar, was wir suchen. Das Internet ist aber kein passiver Raum, der allein von irgendwelchen Nerds und Suchmaschinen bewohnt und regiert wird, sondern ein Ort, den jeder, auch ein Museum, aktiv gestalten kann. Social Media sind dabei für das qualitative Gespräch prädestiniert. Hier treffen gemeinsam Interessierte zusammen. Hier lassen sich Gespräche führen und Inhalte gestalten. Hier erhält das Zusammenspiel von Mensch und Maschine eine neue qualitative Dimension und wird gelebte Kultur.
1. Wunschmaschinen − Menschen und Museen im Web 2.0 Dr. Helge David | TEXT-RAUM Zweiraumagentur für Kommunikation 53111 Bonn [email_address]
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3. Der Mensch und die Wunschmaschine Ab dem 18. Jahrhundert hält die Technik Einzug in die Wunschmaschine. Mit dem wachsenden technischen Fortschritt übernehmen zunehmend mechanische und heute digitale Wunschmaschinen die Aufgabe als Projektionsfläche menschlicher Phantasien, Utopien, Träume und Wünsche. Reklame-Sammelbilder Im Jahre 2000 der Schokoladen-Fabrik Gebr. Stollwerck, Köln, Serie 31, veröffentlicht 1897/98 http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Stollwerck_Sammelbilder_Im_Jahre_2000_1898_001.jpg
4. Der Mensch und die Wunschmaschine Typologie der Wunschmaschinen Typ a: utopische Maschinen, die jetzt schon können, was der Erfinder sich für die Zukunft wünscht Typ b: Maschinen, die Wünsche direkt erfüllen können, quasi die Rolle der guten Fee übernehmen http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Lanature1882_praxinoscope_projection_reynaud.png
5. Wunschmaschine Schachtürke: die simulierte Wirklichkeit Eine berühmte Machine, bekannt als „Schachtürke“, war die Erfindung von Wolfgang von Kempelen aus dem Jahr 1769 und gab vor, eine „ von sich aus functionierende Maschine “ zu sein. Sie folgte somit dem Wunsch, menschliches Leben künstlich zu reproduzieren. „ Dennoch ist das Problem seines modus operandi noch immer nicht geklärt“, so beginnt Edgar Allan Poe seinen berühmten Aufsatz (1836) über den scheinbar ersten Schachcomputer der Welt. [i] Einzigartig erschien diese Maschine, da sie nicht dem immer wiederkehrenden linearen Ablauf der eigenen Mechanik folgte, sondern auf die nicht vorhersehbaren Züge des Gegenüber sinnvoll reagierte und somit eine eigenständige wirkliche Intelligenz zu besitzen schien. [i] Edgar Allan Poe, Maelzel’s Schach-Spieler, in: ders., Die Detektiv-Geschichten, Zürich 1989, S. 211 Joseph Racknitz, Der Schachtürke http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_von_Kempelen
6. Wunschmaschine Schachtürke: die simulierte Wirklichkeit Erst 1838 wurde das Geheimnis endgültig gelüftet: In der Maschine war ein Mensch versteckt. Keine künstliche Intelligenz, sondern eine menschliche spielte hier fast unbesiegbar Schach. Der modus operandi war − wie auch schon E.A. Poe deduktiv schlussfolgerte − also ein ganz menschlicher.
7. Wunschmaschine Google: eine Online-Wirklichkeit Eine heute berühmte Maschine ist „Google“. Auch sie reagiert als Suchmaschine scheinbar verständig. Gibt man einen Suchbegriff bei Google oder einer anderen Suchmaschine ein, erhält man innerhalb von Sekundenbruchteilen viele Millionen möglicher Ergebnisse. Per Suchalgorithmus werden die Ergebnisse gewichtet und in eine Reihenfolge gebracht. Spiegelte die klassische Maschine noch die physische Ordnung, folgt Google aber keinen Naturgesetzen, sondern eigenen Interessen. Nicht Sinn, Deutung und Wissen entscheiden über die Abfolge, sondern die von Google definierte Relevanz im strukturellen Gefüge des Internet. Das ist in vielen Fällen hilfreich. Aber nicht immer. Suchergebnisse zum Begriff „Wunschmaschine“ mit vorrangig esoterischen Angeboten
8. Über das lineare Web und das Web in 3D Google präsentiert uns vorsortierte Suchergebnisse, aber wir können nicht nachfragen, ob die Inhalte stimmen, sind die Quellen vertrauenswürdig oder passen sie wirklich zu meiner Suchanfrage. Eine Dialogfunktion oder eine Kommentarfunktion suchen wir bei Google vergebens. Früher funktionierter das Internet wie ein gigantischert Fernseher mit unendlich vielen Fernsehrogrammen. Google war und ist dazu das passende Programmheft. Heute ist das Web aber ein Kommunikationskosmos, der die monologische Struktur verlassen hat. Es ist für jedermann ohne Vorkenntnisse irgendeiner Computersprache möglich, via Internet in Dialog mit anderen zu treten. siehe: http ://en.wikipedia.org/wiki/File:Internet_map_1024.jpg
9. Wunschmaschinen Wandel Das www ist zwar auch keine Wunschmaschine, es kann aber sehr hilfreich bei der Erfüllung von Wünschen sein. Schließlich ist das Internet heute kein passiver Raum mehr, der allein von irgendwelchen Nerds und Suchmaschinen bewohnt und regiert wird, sondern ein Ort, den jeder, auch ein Museum, aktiv gestalten kann. Der kommunikative Fortschritt im Web hat den vorrangig technischen Fortschritt abgelöst. 2010 http://www.moma.org/explore/mobile/iphoneapp
10. Social Media Prisma Social media übernehmen dabei eine wichtige Funktion. Hier wird Kontakt gezielt gesucht − direkt oder auf eine Empfehlung hin. Ein Blog oder eine facebook-Seite oder ein twitter-Account wird von Menschen eingerichtet und vom Nutzer aufgerufen, ohne Umwege über eine Suchmaschine. Hier sind Dialoge möglich. Hier lassen sich Menschen mit ähnlichen Interessen, Anliegen, Vorlieben finden. Damit ist hier ein persönlicher Dialog, ein Gespräch möglich. Wissen lässt sich austauschen. Hier kann man zuhören oder selbst Angebote machen und Inhalte anbieten. ethority GmbH & Co. KG http ://www.ethority.de/weblog/social-media-prisma/
11. Wunsch nach direkter Kommunikation via Maschine Wollen Museen den qualitativen Dialog aufnehmen und Inhalte gestalten sind Social Media geeignete Kommunikationskanäle. Interaktive Schnittstellen ermöglichen wirkliche Kommunikation mit den virtuellen wie realen Besuchern der Museen und zwischen den Mitarbeitern. Das bedeutet: Social Media sind kein reines Marketing-Instrument. Wer sich hier engagiert, sollte auch mit seinen Besuchern, Kundern, Mitarbeitern offen kommunizieren wollen. http://www.moma.org/explore/communities
12. Drei Wünsche Stellen wir also vor, wir hätten als Museum die berühmten drei Wünsche frei. Was sollten wir uns also wünschen, um diesen Medien- und Kulturwandel online mitzugestalten? siehe http://commons.wikimedia.org/wiki/File:IRC-fairies.jpg
13. Drei Wünsche Wunsch 1: Geld Viel Geld ist natürlich schön, aber vieles geht auch schon mit wenig Geld. Das Budget sollte aber deutlich für die Online-Kommunikation definiert sein. 1
14. Drei Wünsche Wunsch 2: Zeit Zeit ist ja auch irgendwie Geld. Der mögliche zeitliche Rahmen, den Mitarbeiter der Online-Kommunikation widmen, sollte klar benannt werden. Nur so lassen sich Art und Ort der Online-Kommunikation planen. Wer via Social Media im Gespräch sein und bleiben will, muss diese regelmäßig pflegen, auf Fragen individuell antworten, Gespräche anbieten. Also besser die Online-Aktivitäten auf wenige Plattformen konzentrieren und auf die Qualität achten, als Vieles nur halbherzig zu betreiben. 2
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17. Bilderwunschmaschine Kunstwerke sind längst nicht mehr nur im Museum zu betrachten. Sie sind jederzeit digital verfügbar. Informationen über Künstler und das individuelle Kunstwerk können ständig abgerufen werden. Viele Museen in Deutschland stehen dieser „Kultur des Teilens“ skeptisch gegenüber und sehen die Digitalisate als Konkurrenz zu ihren realen Kunstwerken. Dabei verliert das Original seine Bedeutung nicht. Ein Beispiel: Die Frankfurter Botticelli-Ausstellung wollten 365.000 Besucher sehen, obschon Botticellis Werke nicht nur digital, sondern in jeder Kitschvariante vom Bierseidel bis zur Kaffee-to-go-Tasse omnipräsent sind. . Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus, ca. 1485/86, Uffizien http ://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/69/La_naissance_de_V%C3%A9nus.jpg
18. Die Community als Kurator Bleiben wir direkt im Frankfurter Städel, einem der digitalen Vorreiter in der deutschen Museumslandschaft. Das Städel verfügt über eine eigene Städel-Community. Der digitale Besucher wird Kurator seiner eigenen Ausstellung oder beteiligt sich als Kurator an den Galerien der Community. Der Medienwandel verändert auch unsere Wahrnehmung von Kunst. Das wird sich auch auf die Arbeit von Kuratoren und Museen auswirken, Einfluss auf die Hängung im Museum nehmen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann eine Ausstellung über social media co-kuratiert wird. Galerien der Community: Was interessiert? Welche Kunstwerke sind wie beliebt? Welche Kategorien werden gebildet. Wie werden Kunstwerke getaggt, d.h. mit Stichworten versehen, codiert? Welche neue Kontexte entstehen und wie lassen sie sich sinnbildend verwenden. . http://www.staedelmuseum.de/sm/
19. @ MoMA: Marina Abramovi ć Made me Cry Auch Künstler suchen und finden Wege, ihre Kunst in die Sozialen Netzwerke zu tragen. Die Performance-Künstlerin Marina Abramovi ć saß von März bis Mai 2010 in ihrer Ausstellung “The Artist is Present” acht Stunden am Tag im MoMA und jeder konnte sich zu ihr an Tisch setzen. Dabei entstand eine Fotoserie “ Marina Abramovi ć Made Me Cry”, die auf einem separaten Blog und als Flickr-Album abrufbar sind. Die Fotos zeigen einen ganz eigenen Aspekt der Performance − das Gegenüber, den Besucher − und erweitern so den Kunstraum. Die Fotos sind kommentierbar und es besteht die Möglichkeit, der Künstlerin individuelle Fragen zu stellen “Ask me anything”. http://www.moma.org/explore/multimedia/videos/96/567 http://marinaabramovicmademecry.tumblr.com/
20. Am 1. September 2010 war „ask a curator“-Day Weltweit nutzen Museen zunehmend Social Media. An der twitter-Aktion „ask a curator“ haben Museen aus 23 Ländern teilgenommen. Per twitter konnte man Fragen an Museumskuratoren stellen und direkt auf die Antwort warten. Häufiger tauchte die Frage auf, inwieweit Social Media die Museums- und Ausstellungsarbeit beeinflussen. Die Antworten waren meist noch eher vage, zeigten aber, dass einige der beteiligten Museen Social Media schon bei der Ausstellungskonzeption berücksichtigen. http://www.askacurator.com/
21. Neuer Content entsteht Ganz neue Formen von Inhalten können online entstehen. So hat das Museum of London seine historischen Bilder und Fotos wieder an die Orte seiner Entstehung gebracht. Per Smarthone-App kann man seinen Standort innerhalb Londons orten lassen und erhält dazu historische Aufnahmen und passende Informationen. Ähnlich funktioniert die Applikation Wikihood, die alle Wikipedia-Einträge zu den Sehenswürdigkeiten der georteten Umgebung zeigt. Es können vor Ort synchrone Zeitschichten entstehen. Bislang unbekannter Content kann auch via Crowdsourcing durch die User beigesteuert werden: als Text, als Bild, als Video etc. http://www.museumoflondon.org.uk/MuseumOfLondon/Resources/app/you-are-here-app/index.html
22. MoMA Application Applikationen für Smartphones, am besten mit Einbindung in Soziale Netzwerke, ermöglichen eine komplexe Weitergabe von relevanten Inhalten. Die kostenlose MoMA-App ist übersichtlich und zeigt, was eine App so alles bieten kann.
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24. QR-Code − Verknüpfungen schaffen Eine andere Form der digitalen Verknüpfung ermöglichen QR-Codes. Informationen, Hinweise, Links lassen einfach codieren und mit Apps für Smartphones einfach dekodieren. Das bietet die Chance, gruppenspezifischen Kontakt zu den Besuchern zu suchen. Kinder und Jugendliche können so eine Kunstschnitzeljagd durch das Museum veranstalten mit altersgerechten Inhalten. Journalisten, Familien, Senioren − sie alle lassen sich mit gezielt mit auf sie zugeschnittenen Inhalten ansprechen. Als Beispiel ließe sich Edouard Manets Spargelstillleben aus dem Wallraf-Richartz-Museum Köln mit Informationen zu Maltechnik und Zustand verknüpfen. Das Gemälde lässt sich so gleichzeitig auch von hinten, im Durchlicht und in einzelnen Details betrachten. Der QR-Code führt zu: http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/wrm_0802_impressionismus/abb/gross/18.pdf
25. Maschinenwelt | Wünschewelt Die Verbindung von Kunst und Informationstechnik spielt in Museen eine immer wichtigere Rolle: Audioguides, Multitouch-Tische, Mobile Apps … Im Mai 2010 fand das von der HTW Berlin initierte Symposium „Kultur und Informatik: Interaktive Systeme“statt. Hier zeigte sich eine Diskrepanz: Informatiker und Geisteswissenschaftler verfügen über ganz eigenes Fachwissen mit einer sehr geringen Schnittmenge. Die einen meinen in Kenntnis der technischen Möglichkeiten, Wunschmaschinen für Museen bauen zu können; die anderen haben und kennen Wünsche der Museen, aber kennen nicht die technischen Möglichkeiten. Hier schlummert also noch viel Potential für Wünschenswertes und Machbares.
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27. Medienwandel und Kulturwandel Der Medienwandel ist eine Herausforderung im Kulturbereich und wird einen Kulturwandel nach sich ziehen. Dies zeigt sich auch im Verhältnis von Mensch und Maschine, die in neuer Weise kooperieren können und müssen. Edgar Allan Poes Schachtürke und die Suchalgorithmen von Google und Co sind dabei Modelle funktionierender Wunsch- und Trugbilder. Der eine gibt vor, etwas zu sein, was er nicht ist. Der andere findet nur scheinbar, was wir suchen. Der Traum einer Wunschmaschine bleibt ein unerfüllbarer Wunsch. Aber wir können Maschinen gestaltend so nutzen, dass sie unsere Wünsche erfüllen. Inhalte teilen und sich beteiligen wird die Mauern der Museen durchlässiger werden lassen. Die Museen können diesen kreativen Prozess aktiv gestalten. http://blog.stuttgarter-zeitung.de/wp-content/medienwandel-madchenwandel.jpg