1. Web 3.0 – Kundenfreundlichkeit oder Umsatzsteigerung?
Wie das Social Web die Wirtschaft und Gesellschaft revolutionieren kann
Dr. Jan-Hinrik Schmidt
@janschmidt
Wissenschaftlicher Referent
für digitale interaktive Medien
und politische Kommunikation
Fulda #familie2020 28.03.2012
2. Agenda
1. Welche Entwicklungen sind absehbar?
2. Welche Herausforderungen stellen sich?
3. Fazit und Ausblick
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3. Entwicklung des Internets: Meilensteine
100
Fachtagung „Familie 2020“
90
Erste Internet-
verbindung (USA)
80
Erster deutscher „New Economy“-Blase 73,3
70 Rechner 69,4
67,1
(Uni Karlsruhe) 62,7
60 „Web 2.0“
57,9
53,5
50
Start des World
Wide Web
40 (CERN Genf) 38,8
30 Google
20 17,7 Web 3.0?
10 6,5
0
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5. Jenseits des technologischen Hypes: Praktiken
Identitäts- Selbst- „Wer bin ich?“
management auseinander-
setzung
Beziehungs- Sozial- „Welchen Platz
management auseinander- habe ich in der
setzung Gesellschaft?“
Informations- Sach- „Wie orientiere ich
management auseinander- mich in der Welt?“
setzung
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6. Web 3.0: Weitere Verallgegenwärtigung des Internets
Gestalt und Optionen des Internet der
kommenden Jahre wird durch bereits jetzt
absehbare Entwicklungen geprägt sein:
Informationen über die einzelne Person
UND ihre Beziehungen zu anderen
Personen werden als Filter wichtiger
Modelle des „cloud computing“
ermöglichen es, von beliebigen
Zugangsgeräten auf Daten und Programme
zugreifen zu können
Der Zugang zum Internet über mobile
Endgeräte wird sich weiter verbreiten,
wobei die geographische Position des
Nutzers (bewusst oder unbewusst)
übertragen wird
Hinzu wird eine wachsende Zahl von
„intelligenten“ Alltagsgegenständen
kommen, die z.B. über RFID-Chips an
Datennetze angeschlossen sein werden Fulda 6 von 16
7. Persönliche Öffentlichkeiten & die Filter Bubble (1/2)
Internetnutzer agieren in ihren
eigenen persönlichen Öffentlichkeiten
… in denen die strikte Trennung
zwischen „Sender“ und „Empfänger“
weitgehend aufgehoben ist;
… Informationen als „Microcontent“
eingehen, der aus anderen Angeboten
gelöst („entbündelt“) und durch soziale
Beziehungen gefiltert wird sowie …
… im konstanten Informationsfluss der
„streams“ und „feeds“ statt in linearen
abgeschlossenen Produkten („Ausgabe“;
„Sendung“) neu gebündelt wird
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8. Persönliche Öffentlichkeiten & die Filter Bubble (2/2)
• Wer welche Informationen wann zu
sehen bekommt, wird somit in
wachsendem Maße abhängen von
(a) der Position im sozialen wie im
geographischen Raum sowie
(b) softwaretechnischen Parametern
(Algorithmen, Voreinstellungen, …)
• Diese Form von Personalisierung
verspricht „bessere“ Informationen,
die auf den Kontext einer Situation
und Person zugeschnitten sind
• Offen ist, inwieweit dies aber auch zu
„filter bubbles“ führt, die geteilte
Weltsichten erschweren
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9. Aufgaben und Herausforderungen
Gesellschaftliche Verantwortung
wächst, Jugendliche (aber nicht nur
die…) zu einem verantwortungsvollen
und reflektierten Umgang mit der
„Universaltechnologie“ Internet zu
befähigen, z.B. um ….
1. … informationelle Selbstbestimmung
ausüben zu können
2. … Werkzeuge des Internet nutzen zu
können, um an gesellschaftlichen
Belangen und Diskursen teilzuhaben
3. …. sich für die eigenen Belange und
Rechte im Internet einsetzen zu
können
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10. #1: Prekäre informationelle Selbstbestimmung (1/2)
Merkmale der Kommunikationsarchitektur(1) digitaler vernetzter Medien
Persistenz Kopierbarkeit Skalierbarkeit Durchsuchbarkeit
a) Intendiertes Publikum: Welches c) Empirisches Publikum: Welches
Publikum habe ich ganz allgemein im Publikum nimmt tatsächlich Kenntnis
Sinn, wenn ich einen bestimmten von einer Äußerung bzw.
Internetdienst nutze? Information?
b) Adressiertes Publikum: Welchem d) Potentielles Publikum: Wie ist die
Publikum mache ich in einer „technische Erreichbarkeit” –
spezifischen Situation bestimmte welches Publikum hat technisch die
Äußerungen/Informationen tatsächlich Möglichkeit, irgendwann irgendwie
zugänglich? Zugang zu haben?
(1) boyd 2008 Fulda 10 von 16
11. #1: Prekäre informationelle Selbstbestimmung (2/2)
Unter diesen Bedingungen wird informationelle Selbstbestimmung wichtig als…
1. … normatives Konzept: Bestandteil der verfassungs-
Sollen mäßigen Ordnung (und in Datenschutzregelungen
etc. näher spezifiziert); liegt zudem als zumindest
diffuse Erwartung bei vielen Nutzern vor;
2. … ausgeübte Praxis: Nutzer üben sie (mehr oder
weniger kompetent, reflektiert, evtl. auch
Tun scheiternd) aus, wenn sie sich in den vernetzten
persönlichen Öffentlichkeiten des Social Web
bewegen;
3. … notwendige Kompetenz: das eigenständige
Wahrnehmen des „Rechts auf Privatheit”, die
Können informierte Einwilligung in Datenverarbeitung oder
auch die informationelle Autonomie setzt
Wissensformen und Fertigkeiten voraus.
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12. #2: Facetten von Beteiligung (1/2)
• Konkreter auf gesellschaftlich-politische Partizipation bezogen, erlaubt das
Social Web unterschiedliche Modi der Teilhabe (1)
– Sich Positionieren: Eigene Meinungen oder Überzeugungen signalisieren
– Sich Einbringen: durch Inhalte oder Konversationsbeiträge an Debatten teilhaben
– Andere aktivieren: zu Aktivitäten aufrufen und koordinieren
(1) Wagner, Gerlicher & Brüggen 2011 Fulda 12 von 16
13. #2: Facetten von Beteiligung (2/2)
• Soziale Medien dürfen aber nicht nur Werkzeug, sondern
müssen auch Gegenstand von Partizipation sein
• Nutzung der sozialen Medien umfasst unterschiedliche
Grade von Teilhabe(1)
1. Mitwirkung am Bereitstellen und Teilen von
Produkten, Inhalten und Konversationen;
2. Mitbestimmung über Ausrichtung, Gestaltung oder
Moderation der Angebote;
3. Selbstbestimmung in eigenen, nicht bzw. kaum
vorstrukturierten Kommunikationsräumen.
• Soziale Medien fördern Mitwirkung, teilweise auch
Mitbestimmung
• Selbstbestimmte Räume sind allerdings gerade auf den
großen Plattformen eher selten
(1) Wagner, Gerlicher & Brüggen 2011 Fulda 13 von 16
14. #3: Imbalance von Macht und Partizipation
Viele Plattformen und Dienste
werden von Betreibern kontrolliert,
die Aufmerksamkeit nach
ökonomischen und/oder
technischen Kriterien kanalisieren
Plattformen räumen Nutzern
höchstens als „Kunden“, nicht aber
als „Bürger“ Mitspracherechte bei
der Verwendung der Werke und
Daten ein
Formalisierte Verfahren der
Nutzeranhörung existieren nur in
Ansätzen
Auf Nutzerseite fehlt Bewusstsein,
durch kollektives Handeln auch
Mitbestimmung einzufordern
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15. Fazit und Ausblick
• In den kommenden Jahren wird das Internet noch alltäglicher werden und
von einer Kombination aus professionellen, partizipativen und technisierten
Vermittlungen bestimmt sein
• Aus Sicht des Einzelnen verändert sich das Umfeld für Identitäts-,
Beziehungs- und Informationsmanagement, aus Sicht der Gesellschaft die Art
und Weise, wie sozialer Zusammenhalt und Öffentlichkeit hergestellt wird
• Digitale vernetzte Medien sind daher so zentral für die alltägliche
Lebensführung und Teilhabe an der Gesellschaft, dass ihre Gestaltung eine
wesentliche Herausforderung wird
Wie lassen sich Kompetenzen vermitteln, die Mechanismen des „Web 3.0“ zu
reflektieren und selbstbestimmt darin zu handeln?
Wer hat die Macht, die neuen Kommunikationsräume zu gestalten?
Wie garantieren wir, dass alle Teile der Bevölkerung an dieser Entwicklung
teilhaben?
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16. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Jan-Hinrik Schmidt
Hans-Bredow-Institut
Warburgstr. 8-10, 20354 Hamburg
j.schmidt@hans-bredow-institut.de
www.hans-bredow-institut.de
www.schmidtmitdete.de
www.dasneuenetz.de
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18. Literatur
– Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks. How social production transforms markets and freedom.
New Haven/London.
– boyd, danah (2008): Taken out of context. American teen sociality in networked publics. Ph.D. Dissertation
an der University of California, Berkeley. Online verfügbar:
http://www.danah.org/papers/TakenOutOfContext.pdf.
– Münker, Stefan (2009): Emergenz digitaler Öffentlichkeiten – Die Sozialen Medien im Web 2.0. Frankfurt
a.M.
– Neuberger, Christoph/Christian Nuernbergk/Melanie Rischke (Hg.) (2009): Journalismus im Internet.
Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden.
– Pariser, Eli (2011): Filter Bubble. What the Internet is hiding from you. London.
– Paus-Hasebrink, Ingrid/Jan Schmidt/Uwe Hasebrink (2009): Zur Erforschung der Rolle des Social Web im
Alltag von Heranwachsenden. In: Jan Schmidt/Ingrid Paus-Hasebrink/Uwe Hasebrink (Hrsg.): Heranwachsen
mit dem Social Web. Zur Rolle von Web 2.0-Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Berlin. S. 13-40.
– Schmidt, Jan (2009): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Konsequenzen des Web 2.0. Konstanz.
– Schmidt, Jan-Hinrik (2011): Ist das Internet demokratisch? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 7, 2012
– Wagner, U. / Gerlicher, P. / Brüggen, N. (2011): Partizipation in und mit dem Social Web –
Herausforderungen für die politische Bildung. München
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