Ohde, Brendler-Lodigkeit: Steuerliche Aspekte im Hospitality- Bereich, Teil 2
Daniel Opper: Gewinnung und Bindung von Studierenden als neue Zielgruppe für Kultureinrichtungen. Ein Praxisleitfaden
1. H 2.16
Gewinnung und Bindung von Studierenden als (neue)
Zielgruppe für Kultureinrichtungen
Ein Praxisleitfaden
Daniel Opper1
50 % der Studierenden gehen nie in ein Museum oder Theater. Wie lässt sich diese Zielgruppe den-
noch für Hochkultur gewinnen? Der Beitrag befasst sich mit Besuchermarketing und stellt ein neu-
artiges Marketing-Instrument vor, das in Hamburg als Pilotprojekt 2010/11 erfolgreich umgesetzt
wurde. Unter dem Titel „freiKartE – 100 % Kultur zum Studienstart“ gewährte das Programm rund
16.000 Studienanfängern freien Eintritt in die 20 wichtigsten Hamburger Museen, Theater und
Konzertsäle. Der Beitrag versteht sich als Leitfaden, um gegebenenfalls diese Marketingmaßnahme
auch für andere Zielgruppen und/oder an anderen Orten zu adaptieren – ohne mögliche Schwierig-
keiten der Projektumsetzung zu verschweigen.
Gliederung Seite
1. Einführung 2
2. Die Herausforderung: Studierende als Zielgruppe gewinnen 2
3. Klassische Methoden des Besuchermarketings gegenüber Studierenden 4
4. Das Marketing-Instrument „Eintrittspreis“ 7
5. Das Projekt „freiKartE” – Burning down the paywall! 11
6. Fazit: (Wie) kann man das Prinzip freiKartE übertragen? 17
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2. H 2.16 Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Marketingkonzepte
1. Einführung
Mit diesem Beitrag möchten wir Mut machen, auch unkonventionelle
Maßnahmen zu ergreifen, um (neue) Zielgruppen für Ihre Kulturein-
richtung zu gewinnen. Stellen Sie sich vor, fünf Studierende stürmen
Ihr Büro und fordern von Ihnen, dass Sie all ihren Kommilitonen frei-
en Eintritt in Ihr Museum, Theater oder Konzerthaus geben. Würden
Sie diesen Studierenden weiter zuhören? Oder würden Sie sie – mit
Verweis auf ihren engen Terminkalender oder die deutschen Sprich-
worte „Was nichts kostet, hat auch keinen Wert!“, „Da könnte ja jeder
kommen!“, „Wer soll denn das bezahlen?“ – höflich bitten, zu gehen?
Drei Monate freier 20 Hamburger Bühnen, Orchester und Museen fanden auch erst nach
Eintritt für 16.000 und nach den Mut, fünf Studierenden zuzuhören, Argumente auszu-
Studienanfänger tauschen, und sich dann darauf einzulassen, etwas zu wagen, was es
zuvor noch in keiner deutschen Stadt gab. Im Wintersemester
2010/2011 kamen somit rund 16.000 Studienanfänger des Stadtstaates
in den Genuss, wichtige Hamburger Kultureinrichtungen – vom Tha-
lia-Theater bis zu den Deichtorhallen, von Kampnagel bis zur Staats-
oper Hamburg, vom Bucerius Kunst Forum bis zum Museum für
Kunst und Gewerbe – drei Monate lang zum Studienstart kostenlos
besuchen, kennen- und erleben lernen zu können.
Entscheidend: Es braucht vor allem Mut, sich auf neue und nicht umsetzbar erschei-
Mut und Offenheit nende Ideen einzulassen. Diese Offenheit wird entscheidend sein, um
sich sowohl neuen Präferenzen und Gewohnheiten des Publikums
anpassen als auch neue Zielgruppen gewinnen und binden zu können.
2. Die Herausforderung: Studierende
als Zielgruppe gewinnen
„Es gibt viele Leute hier, die nicht arbeiten müssen und viel Zeit ha-
ben. Nehmen Sie die vollen Opernsäle. Oper – dafür muss man sich
Zeit nehmen. Oder die Latte-Macchiato-Generation, deren größte Ak-
tivität ist das Plattenauflegen. Studenten allerdings hab ich im Haus
der Kunst nur selten gesehen. (…) Weil sie sich nur für ihre eigene
Sache interessieren, weil sie durch ihr Studium hetzen, in der Angst,
sonst ins Hintertreffen zu geraten. Dieser Tunnelblick widerspricht
meiner Vorstellung von Bildung. Alles hat mit allem zu tun.“
(Chris Dercon, ehem. Leiter „Haus der Kunst“, München, in: SZ-
Magazin 42/2010, S. 26)
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3. Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit H 2.16
Marketingkonzepte
Studierende gehören in mehrfacher Hinsicht zu den besonders schwie- Gründe für Kultur-
rigen Zielgruppen, wenn es um Gewinnung und Bindung als Publikum nutzungsverhalten
geht. Das Jugend-Kultur-Barometer (vgl. Keuchel/Wiesand 2006) at- Studierender
testiert, dass etwa die Hälfte dieser Zielgruppe nie in ein Museum oder
Theater geht; die Erfahrungen in Hamburg zeigen, dass dieser Anteil
sogar noch niedriger sein kann. Dafür gibt es Gründe:
• Studierende sind oft neu in der Stadt2, sie kennen die lokale Kultur-
szene im Zweifel noch nicht.
• Selbst wenn Studierende durch das Elternhaus kulturell sozialisiert
wurden, überwiegen Freizeitinteressen, die sich an anderen Werten
orientieren (vgl. Keuchel/Wiesand 2006, S. 19f).
• Den kulturellen Omnivoren gibt es nicht mehr (vgl. Kirchberg
2005, S. 267). In der Erlebnisgesellschaft (Schulze 1993) schneidet
die vermeintlich anstrengende Hochkultur oft nachteilig gegenüber
U-Kulturangeboten ab.
• Noch schwerer sind diejenigen erreichbar, die keine kulturelle Sozia-
lisation über das Elternhaus erfahren haben. „Education-Programme“
richten sich in der Regel an Schulkinder, nicht an Studierende.
• Studierende sind eine „fluide“ Zielgruppe: Studienortswechsel,
Auslandssemester, Praktika in anderen Städten – selbst wenn Stu-
dierende ihre Regelstudienzeit an einem Ort verbringen, ziehen sie
danach oft in eine andere Stadt. Eine langfristige Bindung wird so
erschwert3.
• Junge Menschen möchten spontan und flexibel sein können. Das
widerspricht häufig klassischen Abo-Angeboten der Hochkultur.
Führt man sich nun auch noch vor Augen, dass Studierende lediglich Strategische Bedeutung
eine relativ kleine Teilmenge der Besucherstruktur sein können, die der Zielgruppe
zudem über eine relativ geringe Kaufkraft verfügt (selten Museumsca- Studierende
fés besucht oder teure Kataloge zusätzlich zum Eintritt kauft), werden
Kosten und Nutzen zur Akquisition in der Regel besonders streng
abgewogen. Dennoch können solch „unbequeme“ Zielgruppen von
besonderer strategischer Bedeutung sein:
• Aus Studierenden kann das künftige Kernpublikum werden.
Betrachtet man das Publikum von Theatern, Museen und klassi-
schen Konzerten, dann bilden Akademiker deren Kern. Da am
Markt der Möglichkeiten in der Multioptionsgesellschaft (Gross
1994, Schulze 1993) die Konkurrenz der Freizeitangebote stetig
wächst, ist es umso wichtiger, sie frühzeitig sowohl für das Genre
und die individuelle Kultureinrichtung zu gewinnen und Identifika-
tion zu schaffen.
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4. H 2.16 Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Marketingkonzepte
• Studierende sind Kommunikations- und Imagefaktor. Studie-
rende verjüngen Hauptveranstaltungen (in Abgrenzung zu besonde-
ren Kinderveranstaltungen). Dies ist gar nicht oberflächlich ge-
meint, sondern kann insbesondere bei interaktiven Formaten zu
wichtigen Effekten führen.
• Studierende sind wichtige Multiplikatoren. Gut vernetzt im rea-
len wie im „Online-Leben“ geben Studierende gern und eifrig wei-
ter, was sie erlebt haben. Studierende sind der Schlüssel zu neuen
sozialen Netzwerken wie beispielsweise Facebook. Diese Netz-
werke werden bald ebenso wichtig wie die Netzwerke des klassi-
schen „Premierenpublikums“ – ein nicht zu vernachlässigender Ef-
fekt für das Empfehlungsmarketing.
Der folgende Abschnitt diskutiert klassische Maßnahmen, um diese
Zielgruppe zu gewinnen und zu binden. Gleichzeitig soll der Beitrag
dazu ermuntern, solche Pro- und Contra-Bewertungen für andere
Zielgruppen abzuleiten, die für Ihre Kultureinrichtung von Bedeutung
sind.
„Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Literatur, Musik etc. als so ge-
nanntes meritorisches Gut blüht erst durch Zugewinn an Beschäfti-
gung und Bildung auf. Je mehr man konsumiert, desto mehr Spaß
macht es, desto mehr will man.“
(Jochen Strauch, Thalia Theater Hamburg)
3. Klassische Methoden des
Besuchermarketings gegenüber
Studierenden
Wie gewinnt und bindet man Studierende üblicherweise aus Sicht von
Kulturinstitutionen? Bekannte und auch weniger bekannte Instrumente
auf dem Prüfstand:
Studentenrabatte – ein Das wohl bekannteste Marketinginstrument, um Museen, Theater und
großes Missverständnis Konzerte für Studierende attraktiver zu gestalten, ist der Rabatt auf
den Eintrittspreis. Doch handelt es sich dabei nicht eher um eine Art
Sozialstaatsklausel von Häusern mit öffentlichem Kulturauftrag?
Wenn es politisch gewollt ist, dass Studierende und sozial Schwache
einen ermäßigten Eintritt für öffentliche Kultureinrichtungen bezah-
len, dann ist dieser Rabatt noch kein Marketingtool. Denn auch ein
ermäßigter Eintrittspreis ist eine Hürde. Vergleicht man etwa die
Kaufkraft eines Lehrers oder Arztes (10 Euro Eintritt ins Museum) mit
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