Dr. Christian Antz: Kulturtourismus. Empfehlungen für einen langfristigen Erfolg
Planung und Steuerung D 1.6
Strategie und Entwicklung
Kulturtourismus
Empfehlungen für einen langfristigen Erfolg
Dr. Christian Antz
Kulturtourismus entwickelt sich immer mehr zu einem europäischen Wachstumsmarkt. Doch ist die
Ausrichtung einerseits stark von Fragmentierung und Differenzierung in Nischenthemen geprägt.
Andererseits entwickeln sich die Zielgruppen für die Kultur nicht so, wie sich das die Kulturinstitu-
tionen vorstellen bzw. wünschen. Den veränderten Rahmenbedingungen in Bildung oder Kultur-
bewusstsein muss in Zukunft Rechnung getragen werden, um den kulturtouristischen Erfolg zu
erringen.
Gliederung Seite
1. Kulturtourismus – Ein stetiger Wachstumsmarkt 2
2. Kulturtouristen – Die einzige sich wie von selbst mehrende Zielgruppe 4
2.1 Kulturtouristen im engeren Sinne 4
2.2 Gelegenheits-Kulturtouristen 5
2.3 Zufalls-Kulturtourist 6
3. Schwerpunktsetzung: Ältere Zielgruppen, Städtetouristen und Tagesreisen 6
3.1 Kulturtouristen als junge Alte 7
3.2 Kulturreisende als Städtetouristen 8
3.3 Kulturtouristen als Tagesreisende 9
4. Fünfzehn Thesen für nachhaltigen Erfolg im Kulturtourismus 10
4.1 Kulturtourismus und Shopping in zukünftiger Allianz 10
4.2 Kulturtourismus als sinnliches Erlebnis 10
4.3 Kulturtourismus in realen oder künstlichen Welten 11
4.4 Kulturtourismus und Authentizität 11
4.5 Kulturtourismus benötigt den gesellschaftlichen Bildungsauftrag 11
4.6 Kulturtourismus als Entdeckung des Andersseins 12
4.7 Kulturtourismus braucht heimische Gastronomiekultur 12
4.8 Kulturtourismus fußt auf regionalen Traditionen 13
4.9 Kulturtourismus als Destinationstourismus 13
4.10 Kulturtourismus als Themenmarketing 13
4.11 Kulturtourismus auf der Suche nach Dienstleistungsmentalität 14
4.12 Kulturtourismus als Imagefaktor 14
4.13 Kulturtourismus und Identität 15
4.14 Kulturtourismus und der Turmbau zu Babel 15
4.15 Kulturtourismus und Politik 16
5. Fazit: Trend zum Kulturtourismus 17
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1. Kulturtourismus –
Ein stetiger Wachstumsmarkt
Definitionen „Kulturtourismus – wie viel ließe sich über dieses Thema sagen, wenn
man nur etwas wüsste!“ Dieser Ausruf, frei nach Robert Gernhardt auf
ein anderes Thema übertragen, soll uns gleich am Anfang, muss uns
aber auch am Ende leider wieder bewusst machen, dass es keine ein-
gleisige Marschrichtung auf das Ziel „Erfolg im Kulturtourismus“ gibt.
Dazu sind die Themen und die Akteure zu unterschiedlich. Doch soll-
ten wir nicht verzweifelt die Flinte ins Korn werfen, denn es gibt mitt-
lerweile erprobte und beschriebene kulturwirtschaftliche Strategien, um
trotz der Differenziertheit eine kulturtouristische Ernte einfahren zu
können. Damit das Rad nicht immer neu erfunden werden muss, kann
Kulturmanagern wie Kulturtouristikern nachfolgender Wegweiser an
die Hand gegeben werden. Zunächst soll es um die Definition, die Ar-
ten und die Einordnung des Kulturtourismus gehen. Nach einer Analy-
se der Zielgruppen der Kulturtouristen und einer diesbezüglichen
Schwerpunktsetzung werden in fünfzehn Thesen Handlungsfelder ei-
nes schlagkräftigen Kulturtourismus herausgearbeitet.
Kulturtourismus beinhaltet als zentrales Reisemotiv die Besichtigung
historisch bedeutsamer Städte, Orte und Bauten sowie den Besuch
von Museen und Kulturevents.
Kultur im Trend Der Kulturtourismusmarkt boomt in Europa. Schaut man genauer hin,
stellt man jedoch ein sehr viel differenzierteres Bild der Kundengrup-
pen und Reiseziele fest. Es sind nicht mehr die eigentlichen Bildungs-
reisenden, die die Hauptgruppe der Kulturtouristen darstellen. Der
Bildungsbürger im klassischen Sinn wird – ich bin auch dagegen, aber
es ist so – zu einer aussterbenden Spezies. Die neuen Kulturtouristen
fahren entweder – wie die Lemminge – an ein bestimmtes Reiseziel,
weil es zu den Orten gehört, die man nach unausgesprochenen gesell-
schaftlichen Vorgaben gesehen haben muss. Dies betrifft fast aus-
schließlich die Großstädte Europas, die vom kulturtouristischen
Wachstum überdurchschnittlich profitieren. Oder sie fahren in einen
Erholungsurlaub einer ländlicheren Region und nehmen ein Kultur-
highlight am Wegesrand mit, das ebenfalls zu den regional vorge-
schriebenen „Musts“ gehört. Diese Dominoeffekte des Massentouris-
mus sind es auch, vor denen sich die Kulturbewahrer am meisten
fürchten, vor denen sie die hohe Kultur schützen möchten und die sie
dann manchmal zu einer grundsätzlichen Skepsis und Antipathie ge-
genüber Touristen aufbauen. Wie der Kulturtourist der Zukunft aus-
sieht, darüber wird – nunmehr auch vor dem Hintergrund des demo-
graphischen Wandels – viel und kontrovers diskutiert.
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Kulturtourismus ist und bleibt aber ein europaweiter Wachstums- Kulturtourismus-
markt. Darüber sind sich alle Analysen und Prognosen einig. Hat strategie
sich Mitte der 1990er Jahre schon bereits ein stattliches Drittel der
deutschen Bevölkerung im weitesten Sinne für Kultur im Urlaub
interessiert, sind es zehn Jahre später bereits zwei Drittel. Was sind
dies aber für Menschen als „Kunden“? Was
wünschen sie sich als Angebot von der Kul-
turseite her, wollen sie in den Kultureinrich-
tungen einmal als Besucher, in Tourismus-
einrichtungen im engeren Sinne aber als
Gäste behandelt werden? Wie entwickeln
sich diese Zielgruppen in den nächsten zehn Positionsbestimmung und Strategie
bis zwanzig Jahren? Wie reagiert die „Kul-
tur- oder / und Tourismusszene“ darauf? Bei der konkreten Positionsbestimmung und
Strategieentwicklung in Kulturpolitik und Kultur-
Als unabdingbare Voraussetzungen für ein tourismus sind drei Fragen entscheidend:
erfolgsorientiertes Handeln im Kulturtou- 1. Welches ist das kulturelle Angebot, das ich
rismus – bevor wir auch nur einen Finger verantworte?
krumm machen sollten – gelten zwei Forde-
rungen an alle, an einem Kulturtourismus- 2. Wer sind die potentiellen Nachfrager, die ich
projekt Beteiligten: dafür gewinnen möchte?
• Respekt vor dem kulturellen Erbe früherer 3. Wo sind die kulturtouristischen Schnittmen-
Generationen gen, die die Grundlage meiner Marketing-
strategie bilden werden?
• Wille zur Vermittlung des kulturellen Erbes
an heutige und künftige Generationen.
Neben Wachstumswelle und Wettbewerbsverschärfung ist der moder- Sieben Arten
ne Kulturtourismus – wie die pluralistische Gesellschaft insgesamt – des Kulturtourismus
sowohl angebots- als auch nachfrageseitig gekennzeichnet von Frag-
mentierung und Differenzierung. Er zerfällt in unendlich viele Ni-
schenmärkte, die sich in sieben, sich teilweise überschneidende Arten
des Kulturtourismus einordnen lassen:
1. Objektkulturtourismus (dazu gehören Kunst-, Museums-, Burgen-,
Literatur-, Architektur-, Welterbe-, Geschichts- oder Industriekul-
turreisen)
2. Gebietskulturtourismus (dazu zählen Kulturlandschafts- oder Kul-
turgebietsreisen)
3. Ensemblekulturtourismus (dazu gehören Dorf- und Städtereisen)
4. Ereigniskulturtourismus (dazu zählen Festspiel-, Ausstellungs-,
Opern-, Musical- oder Kultureventreisen)
5. Themenkulturtourismus (dazu gehören Kulturstrassen- oder Spiri-
tuelle Reisen)
6. Gastronomiekulturtourismus (dazu zählen Erlebniskultur-, Wein-
kultur- oder Gourmetreisen)
7. Fernkulturtourismus (dazu gehören Ethnokultur- oder Soziokultur-
reisen.)
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Strategie und Entwicklung
2. Kulturtouristen – Die einzige
sich wie von selbst mehrende Zielgruppe
Die Land auf, Land ab ziehenden „Prediger“ für den europäischen
Kulturtourismus weiten die Palette der Anbieter und Zielgruppen von
Kultur auf das größtmögliche Maß aus, die Bedächtigen lassen sie in
der Mitte einpendeln und die Skeptiker wie die Lobbyisten des Aktiv-
tourismus schätzen ihre Bedeutung eher gering ein. Von der Angebots-
wie von der Nachfrageseite aus lässt sich auch in der Forschung ein
hochgradig differenziertes Bild zeichnen: unter Kulturtourismus ver-
steht man nämlich alle Reisen, bei denen Kultur das haupt- wie das
nebensächliche Reisemotiv darstellt.
Drei Wenn man die nicht immer zu verallgemeinernden Befragungsergeb-
Kulturtourismustypen nisse zusammenfasst, so reicht die statistische Spannbreite der kultur-
touristischen Zielgruppe
• von 4 % (Bewusste Studienreisende) bis zu 32 % (Urlauber, die
häufig Sehenswürdigkeiten besichtigen),
• bei den kulturell interessierten Touristen von 10 % (Kultur als
Hauptgrund der Reise) bis 90 % (Besichtigungsurlauber mit brei-
tem Reisemotivspektrum).
Drei Kategorien von Kulturtouristen, aus denen auch zwei unter-
schiedliche Kulturmarketingstrategien abgeleitet werden, lassen sich
deshalb grundsätzlich unterscheiden:
2.1 Kulturtouristen im engeren Sinne
Kultur als Hauptsache Hauptreiseanlass dieser Kulturtouristen ist der Besuch von Kulturver-
anstaltungen und -einrichtungen oder die Besichtigung des baulichen
kulturellen Erbes. In der Regel werden dabei mehrere Kulturangebote
miteinander verknüpft. Mehrheitlich verfügen sie über folgende
Merkmale:
• Eher älter, gut gebildet, höheres Einkommen
• Zeitlich flexibel, da sie nicht an Schulferien gebunden sind
• Höheres Bildungs- und Kulturinteresse
• Geschichtsträchtige Länder und Städte sind ihnen lieber als gängi-
ge Urlaubsziele
• Geben im Vergleich mehr Geld aus
• Sind individuell und oft mit professionellen Gruppenreisen unterwegs
• Sind anspruchsvolle Urlauber, die ein attraktives und ausgewoge-
nes Angebot aus Kultur-, Konsum-, Erlebnis- und Verwöhnelemen-
ten erwarten.
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