Prof. Dr. Susanne Keuchel: Analyse und Typologie des Kulturpublikums
H 2.17
Analyse und Typologie des Kulturpublikums
Kulturtypen zwischen erlebnisorientierten Bildungsbürgern und
Multikulti-Szenegängern
Prof. Dr. Susanne Keuchel
Für die Kulturhauptstadt RUHR 2010 wurde eine Publikumstypologie erarbeitet. Diese lehnt sich
an eine entsprechende Typologie an, die vom Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) 2001 für die
Region „Rheinschiene“ erstellt wurde. Daraus lassen sich zum einen Erkenntnisse für die Zielgrup-
penansprache und Öffentlichkeitsarbeit ermitteln, zum anderen können daraus allgemeine kulturpo-
litische Aussagen zu regionalen Unterschieden im Kulturverhalten der Bevölkerung zweier Regio-
nen gewonnen werden.
Illustriert wird durch eine Beobachtung von ZfKf-Studien, dass in den letzten zehn Jahren das so-
genannte „Expertentum“ im Publikum – Personen, die sich speziell für eine Kunstsparte interessie-
ren, wie beispielsweise „Opernliebhaber“ – kontinuierlich zurückgeht. Das Publikum mit vielfälti-
gen kulturellen Sparteninteressen nimmt immer mehr zu, wobei sich diese innerhalb des Kultur-
publikums nicht gleichmäßig verteilen.
Im Rahmen beider Kulturpublikumsanalysen konnten jeweils acht unterschiedliche Kulturtypen
mit unterschiedlichen Interessensschnittmengen herausgearbeitet werden, die bezogen auf beide
Regionen nur in Teilen deckungsgleich sind – vom Erlebnisorientierten Bildungsbürger, dem Be-
gleiter bis hin zum Multikulti-Szenegänger.
Gliederung Seite
1. Einleitung 2
2. Der Vergleich – Unterschiede im Kulturpublikum von Rhein und Ruhr 3
3. Besonderheiten im Kulturverhalten der Kulturtypen mit höherem
Migrantenanteil 7
4. Die Kulturtypen und ihr Kenntnisstand zur Kulturhauptstadt RUHR.2010 9
5. Erkenntnisse der Publikumstypologien an Rhein und Ruhr für
Kulturveranstalter 12
6. Fazit zu Analysen von regionalen Kulturpublika 15
1
H 2.17 Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Marketingkonzepte
1. Einleitung
Vielfältige kulturelle Analysen des Kulturpublikums der letzten zehn Jahre verdeutlichen,
Sparteninteressen dass das sogenannte „Expertentum“ im Publikum – Personen, die
sind die Regel sich speziell für eine Kunstsparte interessieren, wie beispielsweise
„Opernliebhaber“ – kontinuierlich zurückgeht und ersetzt wird durch
ein Publikum mit vielfältigen kulturellen Sparteninteressen, die mor-
gen ein Museum besuchen, nächste Woche ein Rockkonzert und
übernächste Woche ein klassisches Theaterstück. Das bedeutet im
Umkehrschluss, dass es nicht unbedingt sinnvoll ist, Merkmale des
Opernbesuchers zu bestimmen und in einer anderen Analyse Merk-
male des Museumsbesuchers, da sich dahinter genauso eine Gruppe
von Theater- oder Rockmusikinteressierten verbergen kann. Daraus
könnte man schlussfolgern, dass es für die verschiedenen kulturellen
Spartenanbieter ausreicht, das Kulturpublikum im Allgemeinen zu
analysieren, da der Besucher im Kunstmuseum nächste Woche der
Besucher des Stadttheaters sein wird. Dies setzt jedoch wiederum
voraus, dass sich das Sparteninteresse innerhalb des Kulturpublikums
gleichmäßig verteilt.
„Rheinschiene-Umfrage“ Als Frage steht jedoch im Raum: Gibt es Sparten, die eine größere
Interessentenschnittmenge haben als andere? Dieser Fragestellung
ging das Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) im Jahre 2001 erstmals
im Rahmen der „Rheinschiene-Umfrage“ nach, in der – mit Erfolg –
der Versuch unternommen wurde, das Publikum anhand seiner kultu-
rellen Interessen zu typologisieren. Acht unterschiedliche Interessen-
gruppen konnten herausgearbeitet werden, die auch über die Rhein-
schiene hinaus bundesweit Beachtung fanden.
Grundsätzlich stellt sich jedoch die Frage, ob man die Typologie der
Rheinschienen-Umfrage ohne Weiteres auf andere Regionen im Bun-
desgebiet transferieren kann. Inwieweit haben beispielsweise struktu-
relle Bevölkerungsmerkmale Einfluss auf das Sparteninteresse? Auch
konnte schon in der Rheinschienen-Umfrage ein Einfluss des kulturel-
len regionalen Angebots auf das Kulturinteresse der Bevölkerung ge-
messen werden.
Erkenntnisse aufs Entsprechend warf die Europäische Kulturhauptstadt RUHR.2010 im
Ruhrgebiet übertragbar? Rahmen ihrer Zielgruppenarbeit die Frage auf, ob die Rheinschienen-
Typologie mit Blick auf Unterschiede in der Bevölkerungsstruktur
(siehe Übersicht) und Angebotsstruktur überhaupt übertragbar ist, und
gab eine erneute Typologie speziell für das Ruhrgebiet in Auftrag.
2
Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit H 2.17
Marketingkonzepte
45%
39%
40% Rheinschiene
35% 31% Ruhrgebiet
29%
30% 26%
25% 23% 22% 22%
22%
20% 18% 17%
15%
10%
5%
0%
Bevölkerung mit niedrig mittel hoch k.A.
Migrationshintergrund
Schulbildung
Abb. H 2.17-1 Bildungsstruktur und Migrantenanteil in den Regionen Ruhr und
Rheinschiene1 (Statistisches Landesamt NRW 2009)
2. Der Vergleich – Unterschiede im
Kulturpublikum von Rhein und Ruhr
Wie aus Abbildung 2 hervorgeht, unterscheiden sich die Kulturpubli-
kumstypologien von Rhein und Ruhr in der Tat bezogen auf einzelne
Kulturtypen.
So gibt es unter den acht ermittelten Kulturtypen im Ruhrgebiet nur Angebot am Standort
drei Kulturtypen, die weitgehend übereinstimmen mit Typen des prägt Interessen der
Rheinlands: Das sind der Popmusikalische Medienorientierte, der Bevölkerung
Musikalisch-konservative Bildungsorientierte und der Zeitgenössische
Grenzgänger. Auffällig ist, dass letztgenannter Typ in der Rheinschie-
ne mit 6 % doppelt so präsent ist wie im Ruhrgebiet. In der Rhein-
schienen-Umfrage konnte man eine Konzentration dieses Typus in
Bonn und vor allem in Düsseldorf feststellen, was u. a. auf das kon-
krete Angebot vor Ort zurückgeführt wurde, so vor allem auf die
Kunst- und Ausstellungshalle der BRD in Bonn mit vielen zeitgenös-
sischen Angeboten und die Kunstsammlung NRW (K21) in Düssel-
dorf. Im Ruhrgebiet findet man diesen Typen vor allem in Essen, was
möglicherweise auf die lokale Präsenz des Museum Folkwang und der
Folkwang Hochschule zurückgeführt werden kann. Unter Annahme
dieser These würde sich auch hier, wie in der Rheinschiene, die Beo-
bachtung bestätigen, dass in der Kultur auch das vorhandene Angebot
die Interessen der Bevölkerung am Standort prägt.
3
H 2.17 Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Marketingkonzepte
Punktuelle Unterschiede bei Rhein und Ruhr zeigen sich bei den
„Bühnenfans“ und den Bildungsbürgern. Der Populär Bühnenorien-
tierte, der seine Präferenzen allgemein im Bereich der Darstellenden
Kunst hat, sei es bezogen auf Theater, Ballett, Musik oder auch Film,
zeigte im Ruhrgebiet eine deutlich stärkere Vorliebe für moderne und
populäre Bühnenkünste, so beispielsweise für Kabarett und Musical,
als in der Rheinschiene. Auch ist dieser Typus im Ruhrgebiet weniger
„weiblich“ ausgeprägt als in der Rheinschiene und zeigt sich sehr
stark am Sport interessiert, so kann beispielsweise auch dem Fußball-
spiel im Stadion ein „theatraler“ Eventcharakter attestiert werden.
Bildungsbürger im Auch der Bildungsbürger präsentiert sich im Ruhrgebiet bunter und
Ruhrgebiet bunter moderner als in der Rheinschiene, mit Interessen im Bereich Film,
und moderner Comedy, Kabarett oder Musical. Gemeinsam ist diesem Typus an
Rhein und Ruhr das Interesse an kulturellen Weiterbildungsangeboten
und vor allem an historischen und antiken Ausstellungen.
Rhein Ruhr
Klassisch Vielinteressierte 9% Kulturell erfahrene Begleiter 6%
(mit Fokus Musik)
Popmusikalische 7% Popmusikalische 8%
Medienorientierte Medienorientierte
Zeitgenössische Grenzgänger 6% Zeitgenössische Grenzgänger 3%
Populär Bühnenorientierte 6% (Moderne) 5%
Populär Bühnenorientierte
Museal klassische Bildungsbürger 6% Erlebnisorientierte 7%
Bildungsbürger
Begleiter 5% Kulturelle Aufstiegsorientierte 4%
(Mittelschicht)
Musikalisch-konservative 5% Musikalisch-konservative 4%
Bildungsorientierte Bildungsorientierte
Belesene Engagierte 5% Multikulti-Szenegänger 10%
(mit Migrationshintergrund)
Abb. H 2.17-2 Gegenüberstellung der ermittelten Kulturtypen in der Rheinschiene
und im Ruhrgebiet (ZfKf 2001/09)
4