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BAK-Buch-Leseprobe_1
1. Schibri-Verlag Berlin • Milow • Strasburg
GEHEIM!
Das eiserne Problem des Sozialismus
Ukrainisches Erz zum hohen Preis
DDR und BRD beim Bau des Bergbau- und
Aufbereitungskombinates Kriwoi Rog
Leseprobe - kein kompletter Text!
Die Qualität der Abbildungen ist hier im Unterschied zum Buch beschränkt.
2. – –
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7
■ Peter Siebler
Das BAK – ein Vorhaben der Investbeteiligung 11
■ Heinz Kinder
Die DDR, ihr Eisenerz und das BAK Kriwoi Rog 12
■ Alexander Lasarew
Das BAK: Episoden der Entwicklung 17
■ Interview mit Prof. Dr. Heinrich Schubert
… deutlich hinter dem internationalen Stand 44
■ Vladimir Malyi
Die Aufbereitung oxidierter Eisenerze – Der lange
Weg zur Technologie 48
■ Gerhard Kasten • Rolf Junghanns
Das Vorkommando 62
■ Wolfgang Bönitz
MGM – eine Nachbetrachtung 67
■ Heinz Hildebrandt
Außerordentliches aus dem Leben eines Baustellen-
direktors, der eigentlich ein Bergmann war 75
■ Gerhard Kasten
Der erste Konvoi 103
■ Peter Hofmann
Bauen ab Stunde Null 105
■ Ulrich Pflaume
Die Projektierung – der Weg von den Kisten mit
den sowjetischen Aufgabenstellungen zu den
Ausführungsplänen 110
■ Klaus Thiemer
Als Maulwurf in der ukrainischen Erde – technische
Herausforderungen und bleibende Erinnerungen 113
■ Joachim Rescher
Projektmanagement im internationalen Anlagen-
bau – wie es nicht sein sollte 121
■ Interview mit Dr. Klaus Blessing
Investitionsbeteiligung in der UdSSR für Eisenerz –
Verlustgeschäft für die DDR? 130
■ Kurt Rudolf
Der Sinn der Beteiligung –
aus der Sicht der Plankommission 134
■ Peter Roloff
Sechs Monate beim Generallieferanten –
ein Interregnum 136
■ Hartmut Dockhorn
Wie serviert man die heiße russische Kartoffel? 139
■ Gerhard Kasten
Verantwortung 142
■ Gerhard Kasten
Rehattacke am Feiertag 142
■ Hans Beck
Gute Verpflegung bringt den Bau in Bewegung 143
■ Jens Hussel
Beschwerden an die Küche 150
■ Rolf Junghanns
Perestroika – und wir mittendrin 151
■ Manfred Griese
Was ist das deutsche Nationalgetränk? 171
■ Gerhard Kasten
Die Rubelkasse 172
■ Klaus Ehrlich
Herausforderung im Osten 174
■ Helmut Gündel
Wohnungsbau über große Entfernungen 181
■ Gerhard Kasten
Schwere Planerfüllung 1988 188
■ Werner Wehrstedt
BAK – problembelastete Großinvestition 189
■ Wolfgang Bönitz
BAK Kriwoi Rog – Versuch einer persönlichen Bilanz 202
■ Hellmut Jentschke
Flucht, Freundschaft und Zikaden 208
■ Gerhard Kasten
Lena 212
■ Manfred Babilinski
Materialwirtschaft und Infrastruktur –
beides ein Kapitel für sich 214
■ Rolf Junghanns
Der Übersetzungscomputer 226
■ Miloslav Klasna
Eine Aufgabe, wie es sie nur einmal im Leben gibt 228
■ Otmar Jordan
Utopien? Müssen sein! 231
■ Rita Österreicher
… gesund durch den Auslandseinsatz 237
■ Ulrich Schneider
Geschichten vom laufenden Band 240
■ Sabine Schubert ■ Viktor Zinchenko
Echte Freundschaft kommt nicht von oben 244
■ Jana und Holger Zschieck
Majak-Disko mit internationalen Folgen 253
■ Holger Milde
Harte Jahre – gute Jahre 259
■ Erich Höldke
Auch Hunde? 263
■ Ursula Rosner
Objektverantwortliche für Reparaturstützpunkt
und Krananlagen 264
■ Erwin Nolte
Ohne Transport kein Bau 267
■ Gerhard Kasten
Schneller als der Fahrplan erlaubt! 274
■ Bernhard Albrecht
Kras-Kipper, Kohl-Köpfe und Knoblauch-
Kuriositäten 275
■ Helmut Tautrim
Verhaftung vorm WM-Finale 278
3. – –
■ Rolf Junghanns
Geografischer Nebel 279
■ Jürgen Schäfer ■ Rolf Junghanns ■ Friedrich Böhrs
Mit »Majak« fing alles an 280
■ Gerhard Kasten
Kultur für Bauarbeiter 298
■ D-ROLF Becker
Abenteuer Ukraine 1986 –
D-ROLF im ukrainischen Winter 299
■ Christa Neumann
Zeitreise 301
■ Gerald Reitmeyer
Zeit der Gemeinsamkeit 306
■ Friedrich Böhrs
Mein Abenteuer BAK 311
■ Frank Borzutzki
Von der Kohle zum Erz – ein besonderer Abschnitt
in meinem Leben 319
■ Hans-Werner Becker
Raubritter mit Maßgefühl 326
■ Regina Böhm
In der BAK-Familie bis zum Schluss 327
■ Marina Noack
Wie die guten Onkels Licht
nach Dolinskaja brachten 330
■ Erwin Nolte
Sportliche Selbstfindung 331
■ Irina Berndt
Gedankenreise Hamburg–Dolinskaja hin und
zurück 332
■ Eugen Neuber
Verständigung in bewegten Zeiten 336
■ Jürgen Brendel
Die LURGI-Projektbegleitung 341
■ Heinz Kinder
Die Unvollendete – 315 Tage am BAK Kriwoi Rog 346
■ Interview mit Staatssekretär a. D. Dr. Lorenz Schomerus
Musste die deutsche BAK-Baustelle geschlossen
werden? 358
■ Rolf Wendler ■ Heinz Köbke ■ Horst Bischof
Rettungsversuche – die UWETEC am BAK 360
■ Dieter Engel
Die Abwicklung einer zwiespältigen Erbschaft 367
■ Rolf Junghanns
Sacorda Mine. Erz-nostalgischer Ausflug 371
■ Gespräch mit Bernd Goldbach
Doli – die Jahre danach 374
■ Jelena Omorokowa
Die Wurzeln unserer Freundschaft 378
■ Alexandra Stanislawska
Zwischen den Welten 380
■ Roswitha Stahr
Das fliegende Klassenzimmer –
Bericht über eine Schülerreise in die Ukraine 383
■ Alexej Grizina
Zustand und Perspektiven des Eisenerzsektors
der Ukraine – Potential des BAK Kriwoi Rog 387
■ Rolf Junghanns
BAK Kriwoi Rog – Reise dreizehn Jahre rückwärts 390
■ Rolf Junghanns
Zukunft des BAK auf der langen Bank 406
■ Alexander Lasarew
Stille 416
Resümee 417
Anhang 421
Eckdaten des Vorhabens 422
Die für das BAK Kriwoi Rog geplante Technologie
der Eisenerzaufbereitung 425
Erläuterung einiger Begriffe der Eisenerz-
Aufbereitung 431
Chronik des BAK Kriwoi Rog 434
Kleines Wörterbuch zum BAK Kriwoi Rog 444
Übersicht: Objekte des BAK Kriwoi Rog 455
Übersicht über die Auftragnehmer auf der
deutschen Baustelle des BAK Kriwoi Rog 466
Förderung und Import von Eisenerz sowie Roheisen-
und Rohstahlproduktion der DDR 471
Literaturübersicht 472
Autoren, Interviewte und Illustrator 474
Danksagung 481
Der Rohstoff und das Endprodukt des BAK 483
Die Kombinatsbaustelle 484
Fotos 486
Fotochronik – Höhepunkte des Baustellenlebens 486
Die Objekte des Kombinats 493
Kollegen unserer Baustelle 500
Freizeitgestaltung auf der Baustelle 504
Eindrücke aus Dolinskaja 506
Karte der Ukraine 511
Anzeigen 512
4. – –
Vorwor t
Es ist nichts so neu, als was in Vergessenheit geriet.
Sprichwort
Sich selbst vergessen ist der Anfang der Torheit.
Sprichwort
Was man immer schon gekannt hat, war doch ganz anders
Hans-Georg Gadamer
Eisen und vor allem seine veredelte Form Stahl verwen-
den wir im Alltagsleben tagtäglich – von der Stecknadel
bis hin zu technischen Großanlagen. Wir nutzen Eisen
und Stahl ganz selbstverständlich, sie scheinen einfach
da zu sein, so wie die Luft um uns. Logisch, dass es so
einfach nicht ist – von nichts kommt nichts. Woher Eisen
kommt, wie es erzeugt wird und was man dazu braucht,
diese Frage überlässt der Verbraucher normalerweise
den Metallurgen.
Eisen und Stahl sind nicht so im Gespräch, wie es Erdöl
ist. Dabei geben sie ein nicht weniger interessantes The-
ma ab – die Gewinnung von Eisen war ja eine wichtige
Grundlage für die Entstehung unserer heutigen Gesell-
schaft. In unserem Buch soll es vor allem um den wich-
tigsten Ausgangsstoff für die Eisengewinnung gehen:
das Eisenerz, und zwar vor allem darum, wo es die DDR
herbekam und was sie dafür zu tun hatte.
In Deutschland wird schon lange kein Eisenerz mehr
gefördert, in Westdeutschland nicht und auch nicht im
Osten Deutschlands. Die eigenen Eisenerz-Vorkommen
erwiesen sich nach dem Krieg in beiden deutschen Staa-
ten als unzureichend, beide Staaten konnten ihre Me-
tallurgie ohne Erzimporte nicht weiter ausbauen. Die
Situation auf beiden Seiten war ähnlich, wobei sich die
Maßstäbe und Zeitpunkte unterschieden. Im Gegensatz
zum wirtschaftlich schwächeren Osten Deutschlands
hatte Westdeutschland traditionell, schon vor dem Krieg,
eine bedeutend stärkere Eisenhüttenindustrie und somit
einen wesentlich größeren Eisenerzbedarf. Hier gab es
in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre noch eine starke
eigene Förderung, aber schon zu dieser Zeit wurde zu-
nehmend mehr Erz importiert, als im Lande gefördert
wurde. Im Weiteren ging der Erzabbau in Westdeutsch-
land kontinuierlich zurück, bis dann ab 1987 in den
Statistischen Jahrbüchern der BRD keine eigene Eisen-
erz-Förderung mehr ausgewiesen wird.
Für unser Buch ist vor allem die Eisenerz-Versorgung
der DDR von Interesse. In Ostdeutschland war die Pro
duktion von Roheisen und Stahl vor dem Krieg nur unbe-
deutend; die hier ansässige eisen- und stahlverarbeitende
Industrie bezog dieses Ausgangsmaterial im Wesent-
lichen aus den Hüttenwerken Westdeutschlands. Nach
dem Krieg änderte sich diese Situation. Noch vor Grün-
dung der DDR begann Westdeutschland, den innerdeut-
schen Handel zu drosseln, speziell auch die Lieferungen
von Eisen und Stahl. Die Bereitstellung dieser Rohstoffe
für Ostdeutschland und die DDR wurde von der poli-
tischen Führung Westdeutschlands, auch durch Druck der
amerikanischen Militäradministration, in der Nachkriegs-
zeit mit Embargo belegt oder als politisches Druckmittel
benutzt, was sich auch später wiederholte.
Da aber Eisen
und Stahl für den Wiederaufbau dringend gebraucht wur-
den, mussten die eigenen metallurgischen Kapazitäten der
DDR ausgebaut werden. Das entsprach auch den damals
in Osteuropa praktizierten Leitthesen der Politischen Öko-
nomie des Sozialismus, die eine vorrangige Entwicklung
der Schwerindustrie vorsahen. Im Osten Deutschlands
waren die Eisenerzvorräte von vornherein mengenmäßig
unbedeutender als die westdeutschen und auch bald er-
schöpft oder immer weniger abbauwürdig, die Qualität
der Eisenerze lag hier meist noch unter der der in West-
deutschland verfügbaren Erze. So ergab sich auch für die
DDR die Notwendigkeit, Eisenerz zu importieren. Mit den
Jahren wuchs der Eisenerz-Import der DDR stetig; ab 1969
importierte die DDR beständig mehr Eisenerz, als im In-
land gefördert wurde. Die heimische Förderung sank bis
1973 auf ein unbedeutendes Niveau und war dann 1981
schließlich eingestellt.
Wo kauft man Eisenerz, wenn man selbst nicht genügend
hat? Auf dem Weltmarkt waren die großen Lieferanten
vor allem Erzgruben in Schweden, Indien und Brasilien,
die Eisenerz guter Qualität in großen Mengen anboten. Im
Unterschied zur westdeutschen Eisenhütten-Industrie, die
auf dem Weltmarkt frei einkaufen konnte und auch be-
stimmte überseeische Eisenerz-Lagerstätten selbst ausbeu-
tete, war die DDR angesichts ihrer Valutaknappheit über
lange Zeit vor allem auf das Erz aus dem ukrainischen Ei-
senerzrevier Kriwoi Rog angewiesen. Die Qualität dieses
Erzes war zu dieser Zeit schon wenig befriedigend, der
Eisengehalt war niedrig, die Beimengungen an taubem
Material hoch. Zum Problem der geringen Qualität kam
im Weiteren die Schere zwischen dem stark wachsenden
Bedarf der UdSSR und der anderen europäischen RGW-
1
Siehe hierzu auch Fässler 2006 und Einblicke. 50 Jahre EKO Stahl.
5. – 12 –
Die DDR, ihr Eisenerz und das BAK Kriwoi Rog
■ Heinz Kinder
Kriwoi Rog – wo genau liegt das? Der ehemalige DDR-
Bürger erinnert sich vielleicht an den Geografie-Unter-
richt, als die Wirtschaft der UdSSR auf dem Stundenplan
stand. Damals war die Rede von den industriellen Errun-
genschaften und vom Reichtum an Bodenschätzen, und
dabei auch von den Erzlagerstätten des Reviers Kriwoi
Rog und von der Eisenhüttenindustrie.
Etwa dreißig Jahre nach meinem Geografie-Unterricht
stand ich selbst, nicht ganz unbeeindruckt, vor einem
solchen industriellen Giganten. Es war dies der 5 000 m3
-
Hochofen des Hüttenkombinates »Kriworoshstal« – der
damals größte der Welt und der Stolz des Werkes –, den
ich als Teilnehmer einer Tagung der Ständigen Kommis-
sion Schwarzmetallurgie des RGW besichtigen konnte.
Gute zehn Jahre später war es mit der stolzen großen
UdSSR ebenso vorbei wie mit dem RGW. Diesmal – ich
arbeitete inzwischen in der Abteilung Außenwirtschaft
des VEB Mansfeld Generallieferant Metallurgie – ging es
bei meinem Besuch in Kriwoi Rog um Möglichkeiten der
Errichtung einer Schlackenhaldenaufbereitungsanlage im
Hüttenkombinat »Kriworoshstal« und auch schon um die
Errichtung von 1 500 Wohnungen für die aus Deutschland
abziehenden Truppenteile der Sowjetarmee. Für dieses
Vorhaben sollten die deutschen Baukapazitäten, die am
BAK vorhanden waren, genutzt werden. So lernte ich
das BAK kennen – zunächst nur als Übernachtungsmög-
lichkeit im Bauarbeiterdorf »Majak«. Mit dem Bauvorha-
ben selbst hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine
direkten Berührungspunkte. Fragen und Probleme von
Investitionsbeteiligungen waren in meiner bisherigen
Tätigkeit im RGW-Sekretariat in Moskau und in der
Abteilung Internationale Zusammenarbeit des Minis-
teriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali (MEMK)
Gegenstand eher theoretischer Betrachtungen gewesen.
Das begann in den Jahren 1970–1971, als in den Arbeits-
organen des RGW die Hauptrichtungen der langfristigen
wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zu-
sammenarbeit beraten wurden und letztlich 1971 ihren
Niederschlag in dem »Komplexprogramm für die weitere
Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit
und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Inte-
gration der Mitgliedsländer des RGW« fanden. Zur Ver-
sorgung der RGW-Länder mit eisenhaltigen Rohstoffen
hieß es in diesem Komplexprogramm u. a.:
»Die Gewinnung, Aufbereitung und Pelletierung von
Eisenerzen in einem Umfang, der im Wesentlichen
den steigenden Bedarf der interessierten Mitgliedslän-
der des RGW an Eisenerzen langfristig decken wird,
ist in der UdSSR durch gemeinsame Anstrengungen
weiter zu entwickeln, darunter erforderlichenfalls un-
ter Einbeziehung materieller und anderer Ressourcen
Der 5 000 m3
-Hochofen Nr. 9 des Metallurgischen Kombinats »Kriworoshstal«
der interessierten Länder, die in den Jahren 1971–1972
mit der UdSSR entsprechende Abkommen schlie-
ßen.«
Da der steigende Importbedarf der RGW-Länder an Eisen
erzen durch die UdSSR nicht oder nur unter großen Schwie-
rigkeiten gedeckt werden konnte, drängte die UdSSR,
auch unter Hinweis auf die genannten Festlegungen des
Komplexprogramms, Anfang der 70er Jahre auf eine ma-
terielle Beteiligung der Importländer zur Aufrechterhal-
tung bzw. Erhöhung des bisherigen Lieferniveaus, u. a.
durch zweckgebundene Ausrüstungslieferungen.
Im April 1974 unterzeichneten Bulgarien, Ungarn, die
DDR, Polen, die CSSR und die UdSSR ein »Generalab-
kommen über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung
der Produktion von eisenhaltigen Rohstoffen auf dem
Territorium der UdSSR«.
Dieses Abkommen und die entsprechenden bilateralen
Verträge sicherten der DDR ab 1980 den zusätzlichen
jährlichen Bezug von 340 000 Tonnen Eisenerz (Fe-Inhalt)
über die im langfristigen Handelsabkommen von 1975
vorgesehenen Mengen hinaus.
Die DDR stellte dafür im Gegenzug,
ähnlich wie die anderen am Abkom-
men beteiligten Länder, im Zeitraum
1974–1978 als Vorauslieferung Ausrüs-
tungen (u. a. Tagebauausrüstungen), Konsumgüter (wie
z. B. Möbel und Textilien) und andere Waren bereit. Der
Umfang der Vorauslieferungen der am Abkommen betei-
ligten Länder im Zeitraum 1974–1978 belief sich auf über
750 Millionen transferable Rubel.
Für die DDR resultierte die Notwendigkeit der Beteili-
gung an diesem Abkommen einmal aus der Erfordernis,
die eigene Roheisenproduktion zu steigern, da die UdSSR
beträchtliche Probleme hatte, den wachsenden Roheisen-
Zahlenangaben zur Eisen
erzeugung und Eisenerz
versorgung der DDR siehe
Seite 471
6. – 17 –
Das BAK: Episoden der Entwicklung
■ Alexander Lasarew
Die folgenden Episoden sind ein bearbeiteter Auszug
aus dem Band 1 des Buches »Trudnobogoschtschajemyj
KGOKOR« (Schwer aufbereitbares BAK Kriwoi Rog)
von Alexander Lasarew, der uns den Buchtext vor dem
Erscheinen zur Verfügung gestellt hat. Dieses Buch ist
eine breit angelegte chronologische Erzählung über die
Ereignisse am und um das BAK Kriwoi Rog, angefan-
gen von der Idee der Schaffung des Kombinats bis zum
Jahre 1990. Das Buch berichtet in Episoden und Anek-
doten über die gewaltigen Aufgaben der Errichtung des
Kombinats und die dabei zu lösenden Widersprüche und
Probleme, über die Arbeit einer Vielzahl von am Bau be-
teiligten Arbeitern, Ingenieuren, Leitern und Funktio-
nären. Die Schilderung basiert auf Interviews mit vielen
Kollegen der BAK-Direktion, Mitarbeitern der Projektie-
rungsinstitute und lokaler Behörden, anderen Zeitzeu-
gen sowie auf zahlreichen Dokumenten dieser Zeit. Mit
der Arbeit am 2. Band über die Entwicklung des BAK
Kriwoi Rog in den Jahren bis 1998 hat der Autor 2006
begonnen.
Der Band 1 in russischer Sprache mit etwa 300 Seiten,
der etwa 500 Fotos enthalten wird, soll demnächst er-
scheinen. Informationen zum Bezug dieses Buches wer-
den nach Erscheinen veröffentlicht auf der WEB-Seite:
www.bakbuch.de
■ ■ ■
1971. Waljawka – eine Siedlung am Rand von Kriwoi
Rog, die es heute schon nicht mehr gibt.
Bedächtig trete ich an unser Haus, berühre seine kalte
Wand. Einsam steht es da, von der Welt abgeschnitten
durch Gräben und Baugruben, und schaut mich wie ein
verlassenes Waisenkind mit leeren Fensteraugen an. Mit
vier Jahren war ich hierher gekommen und habe die
Kindheit hier verbracht. Dieses Haus, das mein Vater
mit seinen Händen aufgebaut hatte, und die Siedlung
habe ich immer innig geliebt – das war meine Heimat.
Jetzt dröhnt direkt vor der Haustür eine Planierraupe
laut auf.
»Warum müsst ihr es einreißen?« schreie ich den Rau-
penfahrer an.
»Mach Platz!« winkt er mich weg.
Nach wenigen Minuten ist vom Haus nur ein Trümmer-
berg übrig. Der Raupenfahrer schaltet den Motor ab und
steigt herunter um zu rauchen. Zu ihm kommt ein an-
derer Mann.
»Was hat euch das Haus gestört?« schreie ich auf die
beiden ein.
Der Hinzugekommene stellt sich mir als Vermesser vor
und fragt zurück:
»Das ist wohl euer Haus?«
»War es! Was hat es euch gestört? Wofür musstet ihr
es abreißen?«
»Für ’nen Tagebau.«
»Wozu noch so ein Loch, wo doch dort drüben so viel
Erz auf Halde liegt!«
»Das ist armes Erz und noch dazu oxidiertes. Wir brau-
chen besseres Erz.«
»Bald habt ihr das halbe Kriwbass in einen Tagebau
verwandelt und die andere Hälfte unter dem Abfallerz
beerdigt! Denkt ihr auch an die Menschen?«
■ ■ ■
Oxidiertes Eisenerz – eine Schicksalsfrage
für Kriwoi Rog
Bis 1985 wurden rings um die Stadt Kriwoi Rog einige
Milliarden Tonnen an oxidiertem Eisenerz mit einem ge-
ringen Eisengehalt auf Halden geschüttet, während die
Vorräte an reichem Erz zurückgingen. Bereits 1969 hatte
das Ministerium für Schwarzmetallurgie der UdSSR die
Institute »Kriwbassprojekt« und »Mechanobrtschermet«
mit einer Durchführbarkeitsstudie zur Errichtung eines
Kombinats beauftragt, das oxidierte Erze verarbeiten soll.
Zur Errichtung dieses Kombinats, so wollte es Kossygin,
sollten dann auch die sozialistischen Länder mit heran-
gezogen werden, die bisher das Erz »einfach so« – über
Warenaustausch – bekommen hatten.
Nach einem Jahr war die Durchführbarkeitsstudie
fertig. Das Kombinat sollte pro Jahr 30 Millionen Ton-
nen Erz verarbeiten. Als Technologie waren Schwer-
kraftaufbereitung und Starkfeld-Magnetscheidung mit
nachgeschalteter Flotation vorgesehen; erzeugt werden
sollte Erzkonzentrat. Großtechnische Versuche von »Me-
chanobrtschermet« im Aufbereitungskombinat »ZGOK«
ergaben dann aber, dass die entwickelte Technologie nur
eine geringe Effektivität hatte.
Nach weiteren Forschungsarbeiten hatten die Institute
im Auftrag des Ministeriums eine neue Technologie mit
Magnetscheidung und Flotation ausge-
arbeitet, bei der Pellets als Endprodukt
vorgesehen waren. Nach Bestätigung
dieser Technologie durch das Ministe-
rium für Gesundheitswesen und den
Ministerrat der Ukraine wurde sie 1976
dem Ministerium für Schwarzmetallurgie der UdSSR zur
Prüfung vorgelegt. Ein Jahr lang wurde anschließend
nachgebessert und schließlich der Beschluss gefasst, auf
der Basis dieser Technologie das BAK Kriwoi Rog für
oxidierte Erze zu bauen und dabei die RGW-Länder zu
beteiligen.
Zum Thema Aufbereitungs
technologie siehe auch
»Die für das BAK Kriwoi
Rog geplante Technologie
der Eisenerzaufbereitung«
(S. 425 ff.)
7. – 19 –
Rayons, sondern auch des gesamten Oblasts neues Leben
einhauchen. Wie aus dem Füllhorn sollen dem Ort neue
Wohnhäuser, Straßen, Sozial- und Kultureinrichtungen,
Anschluss ans Gasnetz und andere Segnungen zufallen.
Das Schreiben, das er eben unterschrieben hatte, lautet:
»Das Exekutivkomitee des Rayonsowjets der Volksdepu-
tierten des Rayons Dolinskaja hat die Standortzuweisung
des Kombinats in der Variante III geprüft und hat gegen
diese Standortvariante für das Kombinat sowie gegen die
Anlegung der Klärteiche in der Balka Krinitschewatska
keine Einwände.«
Zwei Tage später ist Fedenko dann auf einer Beratung
zum Thema Zivilverteidigung am Getreidehochsilo. Wäh-
rend der Beratung eilt plötzlich der Parteisekretär Kalushny
heran und ruft ihn zum Telefon. Am Apparat ist Kirowo-
grad – der Zweite Sekretär der Oblast-Parteileitung Kibez:
»Mit welchem Recht haben Sie ohne unsere Erlaubnis
ein derart unsinniges Papier unterschrieben?«
Ein Recht der Erwiderung hat Fedenko keines. Ihm
war mit einem Mal klar, was ihm blühen konnte: Entwe-
der stellt man ihm im neuen Kombinat ein Denkmal auf
oder man schickt ihn in die Wüste.
»Machen Sie sich sofort auf den Weg und ziehen Sie
Ihre Genehmigung zurück.«
Das war wie eine eiskalte Dusche. Wozu verlangen sie
von ihm, sich selbst zu erniedrigen? Er wollte, dass Do-
linskaja endlich aus dem Schlamm, den allgegenwärtigen
Schweineställen und der Armut herauskommt. Endlich
gibt es mal eine Chance für ein besseres Leben, und da
wollen die Oblastchefs alles wieder über den Haufen
werfen. Seine Mutter hatte ihn dazu erzogen, den Men-
schen mit Güte und Verständnis zu begegnen, ein offenes
Ohr für ihre Probleme zu haben. Warum wollen die dort
oben diese Zukunftschance nicht sehen?
Grigori Fedenko hatte zeitig gelernt, selbständig zu
entscheiden. Früh hatte er den Vater verloren, der im
Krieg in Polen gefallen war. Nicht leicht war für ihn
der Weg aus dem Dorf Bokowoje zum Studium an die
Lomonossow-Universität nach Moskau gewesen. Als
Lehrer hatte er danach gearbeitet und schließlich als Di-
rektor der Acht-Klassen-Schule in Baschtanka. Die Ent-
scheidung für das Kombinat hatte er mit dem Herzen
getroffen und er hatte nicht vor, gegen sein Gewissen zu
handeln. Und so fuhr er auch nirgendwo hin.
Zwei Tage später wieder ein Anruf – wieder Kibez und
diesmal kategorisch: »Sie fahren sofort nach Kriwoi Rog.«
Nun muss er fahren, das Institut ausfindig machen. Er
findet es und findet auch Dsjubenkos Arbeitsraum. Bei
dem sind etwa zehn Personen versammelt, promovierte
Techniker, die ihn alle mit Händedruck begrüßen. Dsju-
benko stellt den Gast vor:
»Das ist der Mann, der die Genehmigung für den Bau
des Kombinats erteilt hat.«
Alle blicken ihn lächelnd an. In dieses Wohlwollen hi-
nein sagt Fedenko:
»Ich ziehe meine Entscheidung zurück.«
Einer der Experten springt empört auf: »Begreifen Sie
denn nicht, was alles Sie kaputtmachen?«
»Das begreife ich sehr wohl.«
»Verehrtester, Sie kommen zu spät«, schaltet sich Dsju-
benko ein, »Wir haben Ihr Schreiben schon an alle Insti-
tute verteilt. Die Maschine ist nicht mehr anzuhalten!«
Zwei Tage später findet in Dolinskaja eine Plenarsitzung
der Rayonparteileitung statt. Giduljan stellt Fedenko so-
fort an den Pranger:
»Fedenko richtet den Rayon zugrunde! Die beste Schwarz
erde an das Kombinat abzutreten – das ist ein Verbre-
chen!« In diesem Stil geht es dann weiter. Zwei Tage
später muss Fedenko schließlich im Oblast-Exekutivko-
mitee antreten und auch dort stellt man sich dem Vorha-
ben in den Weg.
Am 8. Dezember 1978 unterzeichnet der Vorsitzende
des Oblast-Exekutivkomitees Maximenko einen Brief: »In
Übereinstimmung mit der Oblastleitung der Kommunisti-
schen Partei der Ukraine lehnt das Oblast-Exekutivkomitee
Kirowograd die Errichtung des Kombinats aufgrund des
Mangels an Arbeitskräfteressourcen sowie der dafür erfor-
derlichen Zweckentfremdung von 4 000 Hektar hochpro-
duktivem Ackerboden kategorisch ab.«
Der traditionelle Reichtum des Rayons Dolinskaja wächst auf den fruchtbaren
Schwarzerdefeldern – Weizen, Rüben, Mais, Melonen, Sonnenblumen …
8. – 39 –
Freundschaftstreffen der Mitarbeiter des
Produktionsbereiches des Generallieferan
ten der DDR-Baustelle mit den Kollegen
der Produktionsabteilung der BAK-
Direktion auf der DDR-Baustelle (oben)
und im Dendropark (unten).
Bild oben v. l. n. r. – hintere Reihe:
Jörg Heckel, Gerd Liebing, Friedrich
Böhrs, Karl-Heinz Straßburger, Jelena
Bondarenko, Heinz Jäger, N, Jelena
Jablunowskaja, Wjatscheslaw Iwanowitsch
Zygul, Brigitte Hildebrandt, Rainer Dahle,
Oleg Perminow, Gerhard Gießler, Ilona
Werner, Volker Werner, Lothar Achtzehn,
Wladimir Iwanow, Gerhard Jeanneret,
Mario Geue;
vordere Reihe:
Valentin Skibizki, Lilja Suprunowa, Sergej
Bondarenko, Konstantin Kowal, Klaus
Bauerhin, Georg Hübner (»On«)
Bild unten v. l. n. r. – hintere Reihe:
N, Nikolai Prokopenko, Karl-Heinz
Straßburger, Marina Prudtschinskaja,
Wjatscheslaw Iwanowitsch Zygul – Leiter
d. Produktionsabt., Swetlana Prokopenko,
Lothar Achtzehn, Lilja Suprunowa, Jürgen
Döring, Jelena Jablunowskaja, N,
Alexander Lasarew, Wladimir Sholobow,
Jürgen Drews, Wolfgang Berndt;
vordere Reihe:
N, Günther Pilz, Dr. Volker Wittenbecher,
Jelena Sawdijarowa, Alexander Gaikowoi
(vorn), N, Valeri Mruk, N, N, Bruno Böhm,
Juri Sawdijarow, Erhard Wolf.
Wir verlassen schließlich Selenodolsk und verabschie-
den uns von Freunden und Kollegen, ich mich auch von
den aufgestauten unlösbaren Problemen in meinem
bisherigen Betrieb. Schwer fällt mir der Abschied vom
Stausee, meinem geliebten Anglerparadies, aber die
versprochene neue Funktion – Sysa will mich als sei-
nen Stellvertreter für Wohnungsbau einsetzen – und
vor allem die Aussicht auf eine große Wohnung verlan-
gen Opfer. Ich fange also bei der BAK-Direktion in Do-
linskaja an. Und schaue erst einmal in den Mond. Nicht
nur, dass ich die erste Zeit jeden Tag nach Kriwoi Rog
pendeln muss, da ich in Dolinskaja noch nicht wohnen
kann – jeden Morgen und jeden Abend jeweils andert-
halb Stunden Fahrt im Schneckentempo im überfüllten,
stickigen Zubringerzug zur Baustelle. Das war abzuse-
hen. Weniger freudvoll ist, dass der versprochene Pos-
ten anderweitig besetzt ist, ich darf mich als einfacher
Ingenieur tummeln …
Schließlich kommt mit einem neuen Stellenplan meine
Chance: Ich werde Leiter des neugebildeten Büros für
die Errichtung der Wohn- und Sozialobjekte. Wir über-
nehmen nun die Verantwortung für diese Objekte von
Valentina Tschishikowa, Juri Brusnik und Valeri Mruk.
Juri weist uns ein: Die rumänische Firma »Arcom« baut
den Mikrorayon Nr. 4: das sind 23 Wohnhäuser, ein Pro-
phylaktorium, das Fernmeldeamt, die Feuerwache, eine
Kaufhalle, ein Kindergarten, zwei Heizverteilerstationen,
eine Schule, das Betriebsgebäude der Gaswirtschaft, Ob-
jekte der Kommunalwirtschaft und der Wohnungsver-
waltung, sowie der Krankenhauskomplex. Mikrorayon
Nr. 5 der ČSSR: »Pozemny stavby« Banská Bystrica baut
13 Wohnhäuser, zwei Kindergärten, eine Kaufhalle mit
9. – 43 –
Wjatscheslaw Zygul und Ljudmila Asmolowa bei den rumänischen Bauarbeitern
eingesperrt war – wegen seiner deutschen Herkunft. Und
all die Jahre danach hat er alles unternommen, um jede
»So, hier sind die Pläne. Baut das mal schnell hin und dann nichts wie wieder weg von hier!«,
(Karikatur aus einer ČSSR-Zeitschrift von 1986)
Vermutung, er könnte Deutscher sein, abzuwehren – zu
tief war der Einschnitt dieser Jahre in sein Leben gewe-
sen.
Heute kommt unser Gespräch auf die ungelösten
Probleme der Baustelle. Bis zur Fertigstellung der In-
dustriebauten bleibt noch viel zu tun. Und eine Masse
ungelöster Probleme lastet auf der Baustelle: Noch im-
mer fehlt eine Gesamtkoordinierung der Baustelle; die
Leitung des »Baukomplexes«, die eigentlich die Bau- und
Montageleistungen aller beteiligten Länder koordinieren
soll, tut dies nur für die Arbeiten der sowjetischen Bau-
betriebe. Jelesow sitzt mit der Kombinatsdirektion immer
noch in Kriwoi Rog statt vor Ort. Die Baubetriebe aus
Kriwoi Rog werden vom Stadtparteikomitee aus Dolins-
kaja nach Kriwoi Rog abgezogen, so dass die Pläne für
die Errichtung des BAK nicht erfüllt werden können. Um
nicht in allen Bauaufgaben von anderen abzuhängen und
operativ ins Baugeschehen eingreifen zu können, sollte
die BAK-Direktion einen eigenen flexiblen Baubetrieb
haben – aber keiner nimmt sich ernsthaft dieser Frage an.
… Ich frage ihn, wie lange das noch so gehen wird, dass
wir die Probleme vor uns herschieben, wenn im kom-
menden Jahr das Kombinat doch in Betrieb gehen soll?!
Ich erfahre jetzt von ihm zum ersten Mal, dass Dsjuba
dem stellvertretenden Minister Antonenko als realen In-
betriebnahmetermin 1992 vorgeschlagen hat. Antonenko
hat das akzeptiert, denn das BAK ist die erste Baustelle,
bei der so viele beteiligte Länder auf einem Baufeld neben
einander so eng verzahnt arbeiten.
Auswahl, Bearbeitung und Übersetzung: Rolf Junghanns
■ ■ ■
10. – 44 –
Zu den im Weiteren ver-
wendeten Fachbegriffen
siehe »Erläuterung einiger
Begriffe der Eisenerz-Auf
bereitung« auf S. 82
… deutlich hinter dem internationalen Stand
■ Interview mit Prof. Dr. Heinrich Schubert
der Technologie Klarheit zu verschaffen. Trotz der aufge-
schlossenen Atmosphäre und der weitgehenden Offenheit
in den Gesprächen mit dem damaligen Direktor des Insti-
tuts »Mechanobrtschermet« Suslikow, seinem Stellvertre-
ter für wissenschaftliche Arbeit Arsentjew und dem Leiter
der Abteilung »Aufbereitung oxidierter Eisenerze« Malyi
erbrachte das Treffen keine Erkenntnisse, durch die sich
die Technologie als vorteilhafter hätte bewerten lassen.
Das zwölfseitige Gutachten und den sich an dieses an-
schließenden Dienstreisebericht stellen wir weiter unten
in Ausschnitten vor. Mit seiner Einschätzung hatte Prof.
Schubert damals viele sachlich denkende Leiterpersön-
lichkeiten auf seiner Seite, bei manchem stieß sie aller-
dings nicht auf Gegenliebe.
Die von Prof. Schubert getroffenen Einschätzungen
wurden als vertrauliche Dienstsache eingestuft, das BAK
wurde trotzdem gebaut.
Wir baten Herrn Prof. Schubert um einen aktuellen
Kommentar – 20 Jahre danach.
l? Zuallererst eine Frage zum Erz: Kann man einem Laien
einigermaßen verständlich erklären, was eigentlich
oxidisches Eisenerz und was oxidiertes Erz ist?
➤ Prof. Schubert: Ein Oxid ist bekanntlich eine Sauerstoff-
verbindung eines Elements. Im Falle des Eisens sind
die wichtigen oxidischen Minerale Magnetit (Fe3
04
),
Hämatit (Fe2
03
) und Eisenhydroxide. Im Magnetit liegt
das Fe in zwei‑ und dreiwertiger Form vor. Die vorhan-
dene Kristallstruktur verleiht ihm ferromagnetische
(stark magnetische) Eigenschaften, die eine sehr effek-
tive Anreicherung auf Schwachfeld‑Magnetscheidern
selbst bei sehr feiner Verwachsung ermöglichen. Hä-
matit enthält demgegenüber das Fe nur in dreiwertiger
Form. Dieses Mineral ist paramagnetisch – schwach
magnetisch. Deshalb ist es nur auf Starkfeldscheidern
anreicherbar, und bei feiner Verwachsung gelingt die
Magnetsortierung nur mit mäßigem Erfolg.
Das Erz, das am BAK Kriwoi Rog aufbereitet werden
sollte, gehörte zu einer Teilgruppe der oxidischen Eisen-
erze – zu den o x i d i e r t e n Eisenerzen. Um ein oxi-
diertes Eisenerz handelt es sich dann, wenn es un-
ter metamorphen Bedingungen, d. h. bei Druck- und
Temperaturzunahme, zu einer Oxidation des zwei-
wertigen Eisens vom Magnetit gekommen ist, der
Magnetit also in Hämatit und/oder Eisenhydroxide
umgewandelt worden ist.
l? Wie und wann kamen Sie in Verbindung mit dem
Vorhaben BAK Kriwoi Rog?
➤ Prof. Schubert: Wie ich mit dem Vorhaben Kriwoi Rog
in Verbindung gekommen bin, dazu vermag ich mich
im Detail nicht mehr zu äußern. Ich habe in meinem
Als die wichtigsten Teile des Vorprojekts
im Februar 1985 übersetzt waren, erhielt
Prof. Dr. Schubert, Experte für Aufberei-
tungstechnologie an der Bergakademie
Freiberg, vom Ministerium für Erzberg-
bau, Metallurgie und Kali den Auftrag,
die für das Projekt BAK geplante Technologie zu bewer-
ten. In seinem Gutachten vom 17. Februar 1985 verglich
er dieses Vorhaben mit den damals betriebenen Anlagen,
in denen ähnliches Eisenerz aufbereitet wurde. Eingangs
stellte er fest: »Die Aufbereitung fein- bis feinstverwach-
sener hämatitischer bzw. eisenhydroxidhaltiger Erze war
lange Zeit ein ungelöstes Problem.« Angesichts der damit
verbundenen technologischen Schwierigkeiten waren bis
dahin nur wenige Anlagen dieser Art realisiert worden. Die
bedeutendsten davon befanden sich in Brasilien und in den
USA (Tilden), in Kriwoi Rog arbeitete man in klein- und
großtechnischen Versuchsanlagen an dieser Technologie.
In Brasilien konnte die Technologie relativ einfach ge-
halten werden. Da das dort aufbereitete Erz aufgrund
seiner günstigeren Verwachsung besser aufbereitbar
war, musste es nicht sehr fein aufgemahlen werden, al-
lein schon mit Nass-Starkfeldmagnetscheidern konnte es
zufriedenstellend angereichert werden.
Die nordamerikanischen Takonit-Eisenerze hingegen,
die von ihrer Zusammensetzung und Verwachsung her
den oxidierten Erzen von Kriwoi Rog nahekamen, muss-
ten wesentlich feiner als das brasilianische Erz aufge-
mahlen werden, um einen Aufschluss zu erreichen. Das
erhaltene feine Korn schloss aber eine Aufbereitung in
Starkfeld-Magnetscheidern aus (da bei dem feinen Korn
die Schleppkräfte der Trübe die Magnetkräfte überwo-
gen). Deswegen hatte man bei der Cleveland Cliffs Iron
Co. in Tilden eine für die damalige Zeit sehr effektive
reine Flotationstechnologie – ohne Magnetscheidung –
gewählt. Bei einem Ausgangserz mit einem Eisengehalt
von 32 bis 36 % konnte man Konzentrate mit einem Eisen
gehalt von 63 bis 67 % und einem Quarzanteil (SiO2
) von
4,7 bis 4,3 % erzielen. Dabei lag der Energieverbrauch je
durchgesetzter Tonne hier wesentlich niedriger, als in Kri-
woi Rog geplant war. Die Technologie der Tilden-Anlage
charakterisierte Prof. Schubert als »die fortschrittlichste
[…], die gegenwärtig für die Aufbereitung oxidierter Tako-
nit-Erze bekannt ist.«
Die anhand der knappen Vorprojektunterlagen begut-
achtete Kriwoi-Rog-Grundtechnologie bewertete er an-
gesichts des unbefriedigenden Aufbereitungsergebnisses
und des hohen Energieverbrauchs als »abzulehnen«. Da
die Projektunterlagen einiges an Fragen offenließen, reis-
te Prof. Schubert zusammen mit Dr. Koch Ende Septem-
ber 1985 nach Kriwoi Rog, um sich dort bei den Autoren
11. – 48 –
Die Aufbereitung oxidierter Eisenerze – Der lange Weg
zur Technologie
■ Vladimir Malyi
Die geologische Schichtenfolge im Eisenerzrevier von
Kriwoi Rog, dem Kriwbass, ist im Wesentlichen (abgese-
hen von einigen Ausnahmen) die folgende:
– Deckgebirge aus Lehm und Felsgestein
– 3 Horizonte armes oxidiertes Eisenerz (Eisenquarzite)
– Horizonte aus armem Magnetiterz
– Horizonte aus reichem Hämatiterz.
Bis in die erste Hälfte der 1950er Jahre wurde im Kriw-
bass vor allem das Hämatit-Erz im untertägigen Bergbau
gefördert. Sein Eisengehalt lag bei 60 %, so dass dieses Erz
direkt, ohne Aufbereitung an die Roheisenerzeuger gelie-
fert werden konnte. Nur etwa 5–10 % des Hämatit-Erzes
wurden damals aufbereitet, ausschließlich in kleinen,
primitiven Anlagen, die mit Absiebung und Setzverfah-
ren arbeiteten und eine Verbesserung des Eisengehaltes
um wenige Prozent erbrachten.
Anfang der 1950er Jahre wurde den Eisenerzerzeu-
gern des Kriwbass die Forderung gestellt, der Metall-
urgie wesentlich mehr Erz zu liefern. Dies war durch
einen Ausbau der Untertageförderung nicht machbar
und so galt es, neue Eisenerzquellen zu erschließen.
Im Erzbergbau trat eine vollkommen neue Situation
ein: Man begann nun mit der Gewinnung des oberflä-
chennahen Eisenerzes im Tagebau. Dazu wurden Berg-
bau- und Aufbereitungskombinate errichtet – große
Industriekomplexe, die zwei Aufgaben wahrnahmen:
die Förderung von Erz im Tagebau und die anschlie-
ßende Aufbereitung des Erzes. Die Notwendigkeit der
Aufbereitung ergab sich dadurch, dass hier Magnetiter-
ze gefördert wurden, die einen geringen Eisengehalt
aufwiesen. Um diese für die Metallurgie brauchbar zu
machen, musste ihr Eisengehalt durch Anreicherung er-
höht werden. Im Laufe der 50er bis 70er Jahre entstanden
in Kriwoi Rog neben kleineren Aufbereitungsanlagen
insgesamt fünf große Bergbau- und Aufbereitungs-
kombinate (BAK): »JuGOK« (BAK »Süd«) – Inbetrieb-
nahme – 1954; NKGOK« (BAK »Neu-Kriwoi-Rog«)
– 1959, »ZGOK« (BAK »Zentrum«) – 1961, »SewGOK«
(BAK »Nord«) – 1963, »InGOK« (BAK »Ingulezk«) –
1965.
Magnetiterz lässt sich aufgrund seiner ausgeprägten ma-
gnetischen Eigenschaften einfach aufbereiten. Die hierfür
übliche Technologie ist die Schwachfeldmagnetscheidung.
Ihr Kernstück ist ein Separator, der mit Dauermagneten
ausgerüstet ist, die aus der Erztrübe die Magnetitkörner
herausziehen. Auf diese Weise wird das Nutzmineral von
den Quarzitkörnern (weitgehend) getrennt. Im Ergebnis
dieses Prozesses erhält man ein Eisenerz-Konzentrat; die
Abgänge werden in Klärteiche abgeleitet.
Führender Kopf bei der Entwicklung der Schwach-
feldmagnetscheider war der Doktor der technischen
Wissenschaften Viktor Grigorjewitsch Derkatsch vom
Leningrader Aufbereitungsinstitut »Mechanobr«.
Oxidiertes Eisenerz
Um die Magnetiterze für die Aufbereitungskombinate
gewinnen zu können, mussten die darüberliegenden drei
Horizonte mit sogenannten oxidierten Armeisenerzen
abgeräumt werden. Die Erze dieser Schichten ließen
sich mit der Technologie der Schwachfeld-Magnetschei-
dung nicht verarbeiten. Grund war ihre andersgeartete
Zusammensetzung. Statt Magnetit enthalten sie andere
Eisenerzminerale – Hämatit und Eisenhydroxid –, die
im Unterschied zum Magnetit nur schwachmagnetisch
sind. In den 1950er Jahren gab es für die Aufbereitung
dieser Erze keine geeignete Technologie, so dass man sie
nur abbaggerte und auf Halde fuhr. Die Aufhaldung er-
folgte mit der Maßgabe einer späteren Weiterverarbeitung
(wobei es aber durch Fehler oder Nachlässigkeit auch zu
Vermischungen mit dem Deckgebirge kam).
Es fiel also – ganz kostenlos – ein Rohstoff an, der we-
gen der fehlenden Verarbeitungstechnologie aufgehaldet
werden musste. Statt diese Ressource gewinnbringend
nutzen zu können, mussten weitere Ressourcen in An-
spruch genommen werden – Flächen gingen der Land-
wirtschaft oder anderen Nutzungen verloren, durch die
Halden entstanden Belastungen für die Umwelt. Es war
also angesagt, eine Technologie für die Verarbeitung die-
ser Erze zu schaffen.
Die Absicht, die oxidierten Eisenerze zu nutzen, be-
stand allerdings schon früher, als die Vorräte schon
erkundet waren, aber noch nicht im großen Maßstab ab-
gebaut wurden. Die Forschungen zu Technologien, die
eine effektive Aufbereitung dieser Eisenerze ermöglichen
könnten, wurden bereits vor dem Krieg aufgenommen
– seit den 30er Jahren liefen sie im Leningrader Insti-
tut »Mechanobr«, im Moskauer Bergbauinstitut und im
Forschungsinstitut für Erzbergbau Dnjepropetrowsk.
Die untersuchten Verfahren waren das Sortieren in Setz-
maschinen, die Schwertrübeaufbereitung, die flotative
Aufbereitung und das magnetisierende Rösten der Hä-
matiterze.
1933 wurde im Erzbergwerk Schmakowo in Kriwoi
Rog eine Versuchsanlage mit einem Schachtofen zum
magnetisierenden Rösten von Hämatiterz gebaut, die bis
1941 bestand. Leiter dieser Anlage war der damals junge
Ingenieur Vitali Iwanowitsch Karmasin. Als dann später
oxidiertes Eisenerz im großen Maßstab als Begleiterz an-
12. – 54 –
Disput über die Technologie
Nach den Versuchen am BAK »MichGOK« entbrannte ab
Ende 1983 im Institut »Mechanobrtschermet«, im Minis-
terium für Schwarzmetallurgie der UdSSR und in einigen
weiteren Einrichtungen ein Disput, der über 2–3 Jahre
– bis zum Beginn der Ausführungsprojektierung für das
BAK Kriwoi Rog – andauerte. Der Disput rührte daher,
dass bis zu dieser Zeit bei der Projektierung des BAK Kri-
woi Rog zwei Technologien parallel untersucht wurden
– die Starkfeldmagnetscheidungs-Flotations-Technologie
und die Starkfeld-Magnetscheidungstechnologie. Für die
Ausführungsprojektierung war dann natürlich eine der
beiden Technologien auszuwählen.
Welche Argumente führten die Disputanten an?
• Argumente der Anhänger der S t a r k f e l d m a g n e t-
scheidungs-Flotations-Technologie (zu denen
aus der Institutsleitung der Direktor G. F. Suslikow
und der stellvertretende Direktor W. A. Arsentjew
gehörten): Die Starkfeld-Magnetscheidung arbeitet
effektiv nur in der 1. Aufbereitungsstufe bei grober
Aufmahlung des Erzes. Bei einer feinen Aufmahlung
(d. h. in der 2. Aufbereitungsstufe) sichern die Separa-
toren keine hohe Konzentratqualität; für feine Teilchen
(unter 10 µm) und besonders schwachmagnetische Teil-
chen (Eisenhydroxide) wird nur ein geringes Ausbrin-
gen erreicht. Im Ausland wird die Magnetscheidung
nur bei grob aufgemahlenem Erz eingesetzt (Brasilien,
Mexiko); feinverwachsene Erze werden mit der Flota-
tion aufbereitet (Tilden, USA).
• Argumente der Anhänger der Starkfeld-Magnet -
s c h e i d u n g s t e c h n o l o g i e (in der Institutsleitung
waren das der Chefingenieur F. U. Popow, der stell-
vertretende Direktor N. A. Strelkin und der stellver-
tretende Direktor L. A. Lomowzew): Die Technologie
der Starkfeld-Magnetscheidung hat in den letzten
Jahren eine große Entwicklung erfahren; die effektive
Trennkorngröße konnte auf 10 µm reduziert werden.
Das Verfahrensschema kann sowohl mit Importtechnik
realisiert werden wie auch mit eigenen Ausrüstungen,
die in den Aufbereitungskombinaten »MichGOK« und
»ZGOK« erfolgreich großtechnisch erprobt worden
sind. Die Qualität des Magnetkonzentrats steht hin-
ter der des Magnetscheidungs-Flotations-Konzentrats
zurück, aber hier sind noch nicht alle Möglichkeiten
ausgeschöpft und bis zur Inbetriebnahme des Kombi-
nats sind Fortschritte bei der Lösung dieses Problems
zu erwarten (was sich im Weiteren noch bestätigen und
in unserem Vortrag auf dem Aufbereitungskongress in
Aachen 1997 dargelegt werden sollte). Geeignete Flo-
tationsreagenzien sind entweder giftig oder nicht ver-
fügbar – auf den Einsatz von Stärke muss verzichtet
werden, da sie in der UdSSR nur für die Lebensmit-
telversorgung zur Verfügung steht. (Hintergrund für
dieses Argument ist die Tatsache, dass eine Aufberei-
tung des Abwassers aus der Aufbereitung angesichts
Der Starkfeld-Nass-Magnetscheider (Rotorseparator) »6 ĖRM 35/315«, konstruiert im Institut »Gipromaschugleobogaschtschenije«, gefertigt im Maschinenbaubetrieb
»Železorudné Bane« (ŽB) Spišská Nová Ves (ČSSR)
1 –Spulenblock; 2 – Magnetpole des mittleren und unteren Rotors; 3 – Magnetpole des oberen Rotors; 4 – Vorrichtung zur Aufnahme des Trennguts; 5 – Matrize;
6, 7 – Antrieb der Rotoren; 8 – Trübeaufgabevorrichtung; 9 – Rotor; 10 – Lüfter zur Kühlung der Magnetspulen
(Technische Daten siehe S. 82)
13. – 62 –
Das Vorkommando
■ Gerhard Kasten ■ Rolf Junghanns
Ein Arbeitstag Mitte August 1985 in Berlin in den Büros
des VEB Mansfeld Generallieferant Metallurgie (MGM),
der den DDR-Teil des RGW-Vorhabens BAK Kriwoi Rog
steuern soll. Nacheinander bekommen drei Kollegen
einen Anruf. Eine schneidige Stimme meldet sich: »Hier
Kasten!« – und beglückwünscht sie zu einer Prämie über
100 Mark. Verwunderung und freudige Erregung bei den
Angerufenen – und gleich darauf dürfen sie die Gefühle
wechseln. Der Anrufer lässt wissen, dass sie zwar den
Erhalt der Prämie per Unterschrift quittieren müssen,
ausgezahlt wird ihnen das Geld aber nicht!
22. August 1985, ein Donnerstag. Durch das nächtliche
Berlin töfft ein »Barkas«-Kleinbus. Die Nacht ist warm,
die Straßen sind menschenleer – kein Wunder, es ist
0.45 Uhr. Zu dieser frühen Stunde startet die Mission
»Vorbereitungsgruppe DDR-Baustelle BAK Kriwoi Rog«.
An der Gethsemane-Kirche hält der »Barkas«. Ein erster
Fahrgast wird an Bord genommen: Gerhard Kasten, Dele
gationsleiter. Nicht weit von hier, in der Stargarder Stra-
ße, steigt Rolf Junghanns dazu, Sprachmittler. Er hat zwei
schwere Koffer bei sich, das schwerste darin sind die
Russisch-Wörterbücher. Um 1.15 Uhr kommt in der Ein-
becker Straße Gerhard Fillinger an Bord, der Haushand-
werker des Vorkommandos. Auch seine Koffer haben
beträchtliches Gewicht – privates Werkzeug, das er in Er-
mangelung betriebseigenen Werkzeugs mitnimmt. Um
1.30 Uhr in Treptow stößt als Letzter Peter Zimmermann
hinzu, Verantwortlicher für die Organisation von Unter-
bringung und Versorgung.
Das kleine Team fährt zum Flughafen Berlin-Schö-
nefeld, Endziel ihrer Reise ist Kriwoi Rog. Die Aufga-
benstellung der Reise lautet: »Vorbereitung der Eröffnung
des DDR-Teils der RGW-Baustelle BAK Kriwoi Rog und
Klärung aller organisatorischen Fragen«.
Zu dieser Aufgabe gehören die Unterbringung der ersten
eintreffenden DDR-Bauarbeiter in einem sowjetischen
Wohnheim und die Organisation ihrer Verpflegung, die
Eröffnung der Bankkonten für Tagegeld für die Bauarbei-
ter und zur Bezahlung der vor Ort gekauften Bau- und
Treibstoffe, die Bereitstellung dieser Materialien, die
Klärung aller Pass-Visa-Formalitäten, die Sicherung der
Wasser- und Energieversorgung auf der Baustelle.
Beim Einchecken auf dem Flughafen Schönefeld zeigt
sich, dass die vier neben den pro Person zulässigen 20 Ge-
päckkilos zusammen noch 74 Kilo Übergepäck haben!
Der Flug IF 616 startet dann um 3.15 Uhr, die »Tu‑134«
bringt sie in zweieinhalb Stunden nach Moskau.
Dort werden sie von Mitarbeitern des Außenhandels-
betriebs LIMEX, den Kollegen Griese und Pester emp-
fangen, die sie zum Kursker Bahnhof an den Zug nach
Kriwoi Rog bringen. Um 20.10 Uhr geht die Reise wei-
ter, über Tula, Kursk, Charkow, Dnjepropetrowsk, und
am 23. August kommen sie dann nach 1 200 Kilometern
Bahnfahrt um 16.10 Uhr auf dem Fernbahnhof von Kri-
woi Rog an.
Am Bahnhof begrüßt sie Juri Dawydenko, Mitarbeiter
der »Abteilung für die Arbeit mit den ausländischen Spe-
zialisten« der noch recht neuen »Direktion des im Bau
befindlichen Bergbau- und Aufbereitungskombinates
Kriwoi Rog«, der sie zur Unterkunft bringt.
Es ist ein 9-stöckiges Arbeiterwohnheim des Metallur-
gischen Kombinats am »Platz der Hochofenbauer«. Das
DDR-Vorkommando mietet in diesem Plattenbau für die
Startphase der Baustelle zunächst anderthalb Etagen. In
Wohnheim des Metallurgischen Kombinats »W. I. Lenin« (Kriworoshstal) am Platz der Hochofenbauer
14. – 67 –
MGM – eine Nachbetrachtung
■ Wolfgang Bönitz
lich die »Fahne von Kriwoi Rog« und das bei Kriegsende
in Eisleben wieder aufgestellte Lenindenkmal. Und eben
diese symbolische Linie musste wohl herhalten, um die
Zuständigkeit des Mansfeld Kombinates zu begründen.
Nach und nach schickten sich alle so vom Ministerrat
benannten Ministerien, deren Kombinate und nachge-
ordnete Betriebe in das Unvermeidliche und arbeiteten
an ihrer Strategie, die da hieß: Wir machen das, was wir
müssen, aber keinesfalls mehr!
Zunächst war in dieser Phase der Gesamtumfang etwas
nebulös, denn die sowjetische Seite hatte ihre Planungen
noch lange nicht abgeschlossen, was aber bei den riesigen
Aufwendungen und den komplizierten Zuordnungen an
die beteiligten Länder auch nicht verwunderlich war. Im
Frühjahr und Sommer 1984 starteten in den Betrieben die
Werbeaktionen um Mitarbeiter für den neuen General-
lieferanten (GL). In Frage kamen dafür zunächst zwei
Betriebe in Berlin. SKET-INGAN, ein bekannter Gene-
rallieferant insbesondere für Anlagen der Metallurgie
und Kabelproduktion, sowie INEX, ein ebenso bekann-
ter Generallieferant für Ausrüstungen des Schwerma-
schinenbaus und generell für komplette Fabrikanlagen.
Solche Aktionen, bei denen aus Mitarbeitern gänzlich ver-
schiedener Betriebe ein neuer gebildet wird, sind immer
riskant. Geht es doch darum, aus den verschiedensten
Betriebskulturen eine neue zu formen, mit der sich nach
und nach alle Mitarbeiter identifizieren können. Geht es
den abgebenden Betrieben gut und haben sie Aufträge, so
sind die Mitarbeiter im Wesentlichen zufrieden. In diesem
Fall müssen die Werber damit rechnen, nur solche Mitar-
beiter zu gewinnen, die der Spenderbetrieb nicht ungern
abgibt. Die Betriebsleitungen werden sich vor jene Mit-
arbeiter stellen, die sie unbedingt halten wollen. Was die
anderen betrifft – soll doch der neue Betrieb sehen, wie
er mit den Luschen zurechtkommt!
Doch trotz der von allen Seiten herbeigeholten neuen
Mitarbeiter – ganz so schlimm sollte es nicht werden. Bei
den Mitarbeitern von INEX stieß die Werbung auf recht
offene Ohren, da mehrere große Vorhaben in Algerien
spätestens 1985 zu Ende gehen sollten und neue Aufga-
ben in annehmbarer Zahl und Größenordnung nicht zu
erwarten waren. Außerdem war das Vertrauen, dass der
– Mansfeld Generallieferant Metallurgie
– Ost-Handels-GmbH
– Infracom
– Aus!
Wie beschreibt man die vorstehende Namenfolge denn
nun? Vielleicht so:
Von der Wiege bis zur Bahre dauerte es nur acht Jahre.
Mansfeld Generallieferant Metallurgie
Als sich der Ministerrat der DDR widerwillig, aber not-
gedrungen mit der Notwendigkeit der Realisierung des
multilateralen Abkommens, abgeschlossen im Oktober
1983 auf Initiative der Regierung der UdSSR mit einer
Reihe von Ländern des RGW, befasste, schrieb man das
Jahr 1984. Es galt, die Realisierung des Abkommens für
den übernommenen Anteil zu organisieren und alle zu
beteiligenden Ministerien, Kombinate, Außenhandelsor-
ganisationen, Betriebe u. a. zu ihrer jeweiligen Aufgabe zu
vergattern. Das traf zunächst alle zu beteiligenden Minis-
terien, also das für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, das
für Schwermaschinen- und Anlagenbau, das Bauministe-
rium, das für Elektrotechnik, das für Handel und Versor-
gung, das für Verkehr usw. – fast keines der vorhandenen
wurde davon ausgeschlossen. Eines aber sollte sich den
Hut aufsetzen und die Verantwortung tragen. Das war
nach der eigentlich geltenden Normierung das Ministe-
rium für Schwermaschinen- und Anlagenbau (MSAB)
mit dem Minister Rolf Kersten an der Spitze. Doch der
lehnte ab und verwies auf das für Erzbergbau, Metallur-
gie und Kali (MEMK) mit dem Chef Dr. Kurt Singhuber,
das ja zuständig für die Beschaffung von Erz und dessen
Weiterverarbeitung sei. Keiner wollte den erwähnten Hut
aufhaben – jedem war klar, was er sich da an den Kopf
binden würde. Jedes der beiden Ministerien hatte seine
»Verdienten Formulierer des Volkes«, die ihren Chef mit
den besten Argumenten auszustatten hatten, wie man
die Verantwortung abwenden könne. Im abschließenden
und entscheidenden Gespräch wurde ein Kompromiss
erzielt. Danach erhielt das MEMK die Gesamtverantwor-
tung, aber das MSAB hatte Mitarbeiter abzugeben, die im
Anlagenbau erfahren sind. Auch andere Ministerien soll-
ten dies, so dass für Elektrotechnik (MEE), doch die meis-
ten sollte schon das MSAB abstellen. Ein Kombinat im
MEMK sollte zuständig sein für die Bildung eines Gene-
rallieferanten, und das war dann das ziemlich überraschte
Mansfeld Kombinat in Eisleben, das in der DDR-Volks-
wirtschaft ein Konglomerat an Aufgaben hatte, die von
der Kupfererzgewinnung und -verarbeitung bis zur Pro-
duktion von Verschlüssen für Bierflaschen reichten. Aber
mit Kriwoi Rog verband es eine symbolische Linie, näm-
15. – 75 –
Außerordentliches aus dem Leben eines
Baustellendirektors, der eigentlich ein Bergmann war
■ Heinz Hildebrandt
Zur Vorgeschichte und etwas über mich,
weil es zum Verständnis dessen, was ich
nun schreiben werde, notwendig ist
Es war Sommer 1984. Bis zu diesem Sommer war ich
Bergmann, zwar kein Bergmann oder Hauer unter Tage,
wie man es im Allgemeinen unter dieser ehrenwerten
Bezeichnung versteht, aber ein recht gut ausgebildeter
Ingenieur, der sein Diplom an der altehrwürdigen Berg-
akademie Freiberg erworben hatte. Seitdem ich die Hoch-
schule verlassen hatte, arbeitete ich im damaligen VEB
Schachtbau in Nordhausen. Zuerst war ich Steiger, arbei-
tete auf verschiedenen Baustellen, teufte Schächte ab, fuhr
Stollen auf, lernte eine Menge von dem dazu, was man
eben auf Hochschulen und Akademien nicht gelehrt be-
kommt, lernte auch, wie man mit Leuten umgehen muss,
um sich zu behaupten, und wie man Vertrauen gewinnt.
Meine Arbeit war also im weitesten Sinne die Arbeit eines
Spezialisten in einem Spezialbetrieb, der sich hauptsäch-
lich mit besonderen Dienstleistungen für den Bergbau
befasst. Natürlich bauten wir auch im eigentlichen Sinne,
nämlich Baustelleneinrichtungen, die wir brauchten, um
unsere Schächte zu teufen und Stollen aufzufahren. Besser
gesagt, wir ließen diese Baustelleneinrichtungen bauen
und wir selber erledigten, oft als Haupt- oder General-
auftragnehmer, die Koordinierungs- und Kontrollaufga-
ben. Wichtig für mich war, dass ich in den 70er Jahren mit
einer relativ großen Mannschaft unseres Betriebes im Ko-
sovo im Süden Jugoslawiens auf der grünen Wiese eine
große Schachtanlage bis zur Produktionsreife aufbauen
konnte, mit der Blei- und Zinkerze für das Bergbau- und
Metallurgie-Kombinat Trepča, ein Blei-und-Zink-Kom-
binat, gewonnen wurden. Eine unschätzbare Erfahrung,
noch dazu, da im letzten dieser Jahre mit zwei westdeut-
schen Unternehmen, der Gutehoffnungshütte (GHH) und
Siemens, kooperiert wurde – in der damaligen politischen
Situation gewiss kein einfaches Unterfangen.
Dann wurde ich Direktor für Produktion im Schacht-
bau Nordhausen. Das war ich zehn Jahre lang und war
immer noch im gleichen Betrieb. Ich hatte eine hübsche
und verständige Frau, zwei Kinder – prima Jungs, und
ich war 48 Jahre alt. Mein Leben lief in »vernünftigen«
Bahnen – bis zu diesem Sommer 1984.
An einem Tag in diesem Sommer rief mich mein Chef,
Direktor Otto Katzmann, in sein Büro und sagte die
schicksalsschweren Worte: »Heinz, hast du schon mal
was von Kriwoi Rog gehört?«
Natürlich hatte ich schon mal was über Kriwoi Rog
gehört, nur nicht das, was mir Otto Katzmann darauf fol-
gend sagte: »Die DDR baut dort ein Aufbereitungskom-
binat für Eisenerze, ein Riesending, mehrere Milliarden
Investumfang, zusammen mit anderen sozialistischen
Ländern. Du sollst die Leitung des DDR-Anteils über-
nehmen, sozusagen im Auftrag der Regierung.«
Meine Reaktion war: »Wie kommen die denn auf mich,
so etwas habe ich noch nie gemacht und von Aufbe-
reitung habe ich gerade so viel Ahnung, wie ich in Frei-
berg während des Studiums in den Vorlesungen gehört
habe.«
Darauf Otto: »So was hat noch keiner von uns gemacht,
jedenfalls nicht in derartigen Dimensionen.«
Wieder ich: »Was hältst du denn davon, was würdest
du mir raten?«
Darauf Otto in seiner ihm eigenen Art, tief Luft holend
und mit ausgebreiteten Händen: »So eine Chance be-
kommt man nur einmal im Leben. Wenn ich zehn Jahre
jünger wäre, ich würde es machen.«
Ich war über zehn Jahre jünger als er – ich hatte ver-
standen und habe es gemacht. Allerdings mit einem er-
wartungsvollen und einem weinenden Auge, da mir in
Aussicht gestellt worden war, in wenigen Jahren Ottos
Nachfolge anzutreten. Damals ahnte ich schon, dass da-
raus wohl nichts werden würde.
Der Anfang
Meine Erinnerungen an diese Zeit sind recht gut, nur ist
es schwer, das heißt fast unmöglich, das Wichtigste in
historisch exakter Reihung wiederzugeben. Aber das ist
ja auch nicht so wichtig. Wichtig ist, was geschah.
Ich glaube das Erste, was damals geschah, war, dass
ich den für mich wahrscheinlich wichtigsten Wegbeglei-
ter der folgenden zwei Jahre, Manfred Wagner, als ersten
aus der Kriwoi Roger Führungsmannschaft kennen lern-
te. Wenn ich mich recht erinnere, verabredeten wir uns
zu einem ersten Treffen auf der Kupferschiefer-Schacht-
anlage Niederröblingen. Manfred war zum damaligen
Zeitpunkt Wirtschaftssekretär bei der SED-Kreisleitung
des Mansfeld Kombinates, ich war Produktionsdirektor
im Schachtbau Nordhausen, einem Betrieb des Mans-
feld Kombinates. Wir begrüßten und betrachteten uns
ein paar Sekunden, und ich glaube, dass diese ersten Se-
kunden für die nächsten Jahre sehr wichtig waren. Man-
fred war ein ganzes Stück jünger als ich, springlebendig
und frisch, und ich fühlte, mit dem kannst du, der passt.
Wichtig zu erwähnen, Manfred war und ist ein kluger
Kopf und im Übrigen promovierter Mathematiker. Da
trafen sie nun aufeinander, der Baustellendirektor in spe
16. – 76 –
– das sollte meine Funktion für die nächsten fünf Jahre
sein – und der designierte POZK (Partei-Organisator des
Zentralkomitees der SED).
In dieser Zeit wichtiger Entscheidungen für die nächs-
ten Jahre unseres Lebens wussten wir sehr wenig über
das, was uns erwartete. Es waren nur Schlagzeilen: Größ-
tes Integrationsvorhaben des RGW, Tausende Arbeiter
aus der DDR werden gemeinsam mit noch vier anderen
Ländern ein riesiges Kombinat in der Ukraine errichten.
Und wir, die Führungskräfte, sollten uns für die Dauer
des gesamten Vorhabens verpflichten. Damit wir ja recht
bei der Stange blieben, sollten wir nun auch noch No-
menklaturkader des ZK werden, was hieß, Verantwor-
tung in erster Linie dem ZK gegenüber zu übernehmen
und rapport- und rechenschaftspflichtig zu sein. Was das
für mich bedeuten sollte, habe ich zum damaligen Zeit-
punkt nicht gewusst und erst viel später verstanden, als
ich begann, daran zu zweifeln, dass ich einmal wieder in
leitender Position im Schachtbau Nordhausen arbeiten
würde.
Dann folgten Aussprachen und Belehrungen beim
Mansfeld-Generaldirektor Professor Jentsch, im ZK bei
Achim Benecke und beim Minister Dr. Kurt Singhuber.
Viel wurde belehrt und auch eine Menge leeres poli-
tisches Stroh gedroschen. Nur mit Informationen über
die Sache, den eigentlichen Kern unserer Aufgabe, sah
es dünn aus. Die erste Beratung bei Minister Singhuber
ist mir in lebendiger Erinnerung.
Beim Minister in Berlin oder
das erste böse Omen
Die Szene (leicht überhöht beschrieben):
Ein richtig sachliches Ministerbüro. Der Minister, klein,
untersetzt, mit stechenden, »starken« dunklen Augen.
An seinem Tisch ein stellvertretender Minister (sehr zu-
rückhaltend, dienstbeflissen), ein Parteisekretär (mit of-
fenem Gesicht, sympathisch), ein Abteilungsleiter (blickt
gelangweilt drein), ein »POZK« (hellwach und etwas
aufgeregt) und ein angehender Baustellendirektor (auch
hellwach, angespannt und sehr neugierig darauf, was da
nun geschehen soll).
Nach kurzem Händeschütteln hatten alle Platz genom-
men.
Danach trat allmählich Totenstille ein, minutenlang
blieb es still, man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen
hören können. Niemand wagte es, sich zu räuspern, kein
Fuß scharrte. Alle schauten nur … die meisten nur Lö-
cher in die Büroluft.
Der Baustellendirektor in spe blickte unverwandt auf
den Minister, der Minister unverwandt auf ihn – minu-
tenlang. Nichts geschah, wirklich gar nichts. Die Stille
war lähmend, fast beängstigend.
Dann, plötzlich der Minister zum Baustellendirektor in
spe: »Na?« – dreimal hintereinander – »Na?« … Pause …
»Na?« … Wieder Totenstille.
Der Baustellendirektor in spe schaut und schaut und
wundert sich und denkt: ›Er müsste doch nun etwas zu
mir sagen, zum Beispiel zu meiner Berufung, meinen
Aufgaben usw. usw.!?‹ …
Dann der Minister zum Baustellendirektor in spe: »Was
guckst’n so?« Darauf der Baustellendirektor in spe: »Ge-
nosse Minister, ich gucke meistens so. Das ist bei mir nur
Ausdruck großer Aufmerksamkeit.«
Worauf das Eis gebrochen war.
In der Folge referierte der Minister über die Bedeu-
tung der Eisen- und Stahlindustrie für die Versorgung
der DDR mit Bananen, Apfelsinen, Zitronen und anderen
Südfrüchten und deren Bedeutung für die Bevölkerung
… und auch etwas über das Vorhaben BAK Kriwoi Rog
und … dass es ihm leider nicht gelungen sei, dieses für
die DDR-Wirtschaft wahrhaft unglückliche Vorhaben zu
verhindern!
Der Baustellendirektor in spe hatte leider kaum Ge-
legenheit, auch nur wenige Worte zu erwidern und die
hundert Fragen zu stellen, die ihm auf der Seele brann-
ten.
Nach abschließendem Händeschütteln kam es doch
noch zum wahrhaft aufschlussreichen und persönlichen
»Gespräch«. Der Minister nahm den – nun ernannten
– Baustellendirektor zur Seite und sagte: »Du wirst es
nicht leicht haben, wahrscheinlich fährst du mit diesem
Vorhaben irgendwie gegen den Baum.«
Das erste böse Omen!
Da dachte sich der Baustellendirektor: ›Ein ehrliches
Wort? … Sollte es vielleicht doch stimmen, was dir deine
ehemaligen Mitstreiter im Schachtbau Nordhausen zum
Abschied ins Stammbuch schrieben?!‹:
»Jetzt beginnt die Geschichte von einem, der auszog,
das Fürchten zu lernen!«
Und es war wirklich ein ehrliches Ministerwort, wie es
sich später herausstellen sollte und ich später erkannt
habe!
Wir lernen Russisch
Wir, das sind Manfred, der »POZK«, Heinz, der Baustel
lendirektor, und Roland Dietze, der Beauftragte des Zen
tralrates der FDJ. Roland war nunmehr der Dritte im
Bunde. Der Beauftragte des Zentralvorstandes des FDGB
fehlte zum damaligen Zeitpunkt noch. Die Partei, das
heißt, das ZK, hatte beschlossen, dass wir drei auf einem
Schnellehrgang Russisch zu lernen hatten. Für diese Auf-
gabe war die Ingenieurschule Riesa ausgewählt worden.
Also reisten wir in Riesa an, bezogen unsere recht ordent
lich ausgestatteten Zimmer in einem Studentenwohn-
heim und erlernten recht und schlecht einige umgangs-
sprachliche Sätze der russischen Sprache, kernige Be-
grüßungs- und Trinksprüche und einige Fachvokabeln
aus der Aufbereitungstechnik. Uns wurde eine Lehrerin
zugeteilt, die nur für unsere Ausbildung zuständig war
17. – 91 –
denschicht gerammt oder sitzen auf Grund der Reibung
an ihrer Oberfläche ausreichend fest. Gerammt wird mit
einer Ramme, einem riesigen Monstrum mit einem hoch
aufragenden Mast, dem Rammgerüst, an dem der einzu-
schlagende Pfahl befestigt ist, auf den der »Rammbär« ein-
schlägt. Das Gerüst sitzt auf einem Raupenfahrwerk, mit
dem es von Ort zu Ort bewegt wird. Besonders aufwän-
dig waren die Rammarbeiten für die Halle der Filtration
mit Nasskonzentratlager, das größte Gebäude des Bauan-
teils der DDR – 492 Meter lang und 111,5 Meter breit. Hier
mussten die Rammpfähle an den Stellen eingeschlagen
werden, auf denen die Gebäudestützen und die riesigen
Eindickerbehälter von 24 Metern Durchmesser aufgestellt
werden sollten. Ich erinnere mich, dass mich eines Tages
in meinem Büro eine Havariemeldung vom Baufeld er-
reichte: Eine Ramme ist umgestürzt. Wie in solchen Fäl-
len üblich, musste eine Kommission unter meinem Vorsitz
den Vorfall untersuchen. Die Ramme war nur soweit be-
schädigt, dass sie nach einer allerdings aufwändigen Re-
paratur weiter arbeiten konnte. Wichtiger war, dass der
Rammenführer den Umsturz der Ramme ohne wesent-
liche Blessuren überstanden hatte. Während die Ramme
im Umstürzen war, hatte er geistesgegenwärtig den Füh-
rerstand mit einem waghalsigen Sprung verlassen.
Das Probegründungsprogramm
Im Leistungsumfang der DDR war anfangs das Objekt
Grobbrecher vorgesehen. Das ist ein unterirdisches Bau-
werk, das im Wesentlichen zwei große Kegelbrecher und
zwei über ihnen liegende Vorratsbunker beinhaltet. Das
Erz, das in Stücken von bis zu 1,20 Meter Größe angeliefert
wird, soll aus den Waggons in die Bunker gekippt werden.
Aus den Bunkern wird es dann den Brechern zugeführt,
die die Erzbrocken auf eine Stückgröße von maximal
35 Zentimetern zerkleinern. Diese Anlage war in einem
zum größten Teil unterirdischen Stahlbeton-Hohlzylinder
von 39,5 Metern Tiefe und 32 Metern lichtem Durchmes-
ser unterzubringen. Zum Abtransport des gebrochenen
Erzes sollten vom Sohlenniveau des Schachtes zwei Tun-
nel schräg nach oben abgehen bis zum Ansatzpunkt für
die Bandbrücken, die das Erz dem Gebäude der Mittelzer-
kleinerung zuführen. Ein wahrlich gewaltiges Objekt, das
wir da übernehmen sollten, und auch eine Herausforde-
rung für uns. Um bei Baubeginn der Industriebauobjekte
schnell die Arbeiten aufnehmen zu können, machte man
sich in der DDR frühzeitig Gedanken um die Technologie
insbesondere dieses schwierigen Objekts.
Der sowjetische Auftraggeber hatte ursprünglich vor-
gegeben, dass die äußere Hülle dieses Baukörpers als
Bohrpfahlgeräte im Einsatz. Rechts vorn sind bereits angelegte Bohrpfähle mit ihren herausragenden Bewehrungsstäben zu sehen,
ganz vorn teilweise freigelegte Bohrpfähle.
18. – 101 –
nischen oder gastronomischen Highlights vorzuführen,
wie zum Beispiel die fahrbare, gekühlte Bierzapfstelle,
die köstliches, optimal gekühltes Bier spendete. Weil es
uns interessierte, fragten wir, wie denn am Tag zuvor
die Übergabezeremonie abgelaufen wäre, worauf sie
uns mitteilten, dass es eine würdige Übergabe gewesen
sei. Die DDR-Fahne sei eingeholt und zusammengefaltet
und zusammen mit den Insignien und Dokumenten des
Generalkonsuls der DDR an den bundesdeutschen Gene-
ralkonsul übergeben worden.
Die Arbeit nach der Wende
1990 zeichnete sich eine allmähliche Verbesserung im
Bau- und Montagegeschehen ab. Vor allen Dingen war
das der Tatsache zuzuschreiben, dass sich für uns über-
raschend und zunächst nahezu unerklärbar der Zustrom
von Bau- und Montagematerial verbesserte – Lieferter-
mine wurden plötzlich gehalten und die Versorgung
mit den Montageteilen lief sortimentsgerecht. Offenbar
Die Bauarbeiten laufen mit Hochdruck. Links: Arbeiten am Übergabepunkt 2.
Oben: Bewehrungsarbeiten an einem der Eindicker der Filtrationshalle.
Unten: Betonage der Stirnwand des Erzbunkers in der Feinzerkleinerung
wurden in der DDR andere Bauvorhaben »abgewickelt«
– klarer gesagt: eingestellt –, die dort gebundenen Kapa-
zitäten wurden frei, so dass unsere Lieferer von Stahl-
bau‑ und Stahlbetonelementen zunehmend in der Lage
waren, ihren Lieferverpflichtungen für unsere Baustelle
besser nachzukommen. Auch zuvor schwer beschaff-
bare Technik wurde plötzlich verfügbar. Das alles schlug
19. – 103 –
Der erste Konvoi
■ Gerhard Kasten
Am 4. Oktober 1985 soll der erste Kraftfahrzeug-Kon-
voi aus der DDR Dolinskaja, also das Baufeld »Majak«
erreichen. Das waren 43 Bauarbeiter auf 24 Fahrzeugen
mit der für den Baustart notwendigen Technik. Der Tross
war am 27. September aus Cottbus losgefahren nach einer
offiziellen Verabschiedung durch eine große Zahl von
Kollegen und Leitern der am Bau beteiligten Betriebe,
einschließlich des stellvertretenden Ministers für Erz-
bergbau, Metallurgie und Kali Dr. Kurt Döring und des
Generaldirektors des Mansfeld Kombinats, Prof. Karl-
Heinz Jentsch. Am achten Tag nach der Abfahrt, nach fast
2 000 Kilometern Fahrt durch Polen, Belorussland und
die Ukraine, wird der Konvoi nun am Ziel erwartet.
An diesem Tag hat Gerhard Kasten im Büro der DDR-
Baustellendirektion Telefondienst zur Koordinierung
aller Aktivitäten. Nicht nur der Konvoi soll eintreffen,
er soll an der Rayongrenze von Dolinskaja durch Vize-
konsul Dr. Welz aus dem DDR-Konsulat in Kiew, den
Baustellendirektor und sowjetische Vertreter empfangen
werden und ein Kamerateam des DDR-Fernsehens soll
diesen Augenblick aufnehmen. Außerdem sollen fünf-
zehn Kollegen mit dem Zug in Kriwoi Rog ankommen.
Und eben an diesem Tag gibt es am Morgen noch eine
böse Überraschung: Bei zwei »Barkas«-Kleinbussen, ge-
parkt vor unserem Arbeiterwohnheim, sind in der Nacht
die Seitenscheiben eingeschlagen worden, es fehlen De-
cken, Wattejacken und Gummistiefel. Der »Lada« des
Baustellendirektors ist glücklicherweise unbeschädigt.
Die »Barkas« sind zwar fahrbereit (sieht man davon ab,
dass die Fahrt zugig wird), aber losfahren können sie
vorerst nicht – die Miliz ist zu holen, die Untersuchungs-
führer müssen Spuren aufnehmen und protokollieren.
Das kostet Nerven, denn alle wollen rechtzeitig zur Be-
grüßung an der Rayongrenze von Dolinskaja sein. Damit
das Kamerateam rechtzeitig zur Begrüßungszeremonie
kommt, muss schnell ein Taxi ran. Der telefonische Ta-
xiruf will nicht klappen und der Dolmetscher muss nun
eilends auf die Straße, um ein Taxi einzufangen. – Ab
diesem Tage wird speziell für die Bewachung unseres
Parkplatzes vor dem Wohnheim ein Milizionär abge-
stellt.
Mitten in diesem Trubel steht plötzlich eine zierliche
blonde junge Frau im Büro von Gerhard Kasten. »Mein
Name ist Jelena Omorokowa, ich bin Deutschlehrerin an
der 26. Schule in Kriwoi Rog. Ich habe gehört, dass heute
Bauarbeiter aus der DDR hier eintreffen. Wir möchten
zum Jahrestag der Gründung der DDR am 7. Oktober an
unserer Schule ein Fest durchführen und wollen es gern
mit Deutschen begehen. Es möchten bitte sieben bis zehn
Bauarbeiter zu uns kommen. Können Sie uns dabei bitte
helfen?« – Gerhard Kasten kann dann zwar nicht selbst
zu diesem Fest kommen, aber andere Kollegen nehmen
das dann gern wahr. Mit dieser ersten kurzen Begegnung
nimmt eine intensive Freundschaft der Familie Kasten
mit dieser Lehrerin ihren Anfang, die bis heute anhält.
Am Abend kommen dann nach der Begrüßung und
dem Abstellen der Fahrzeuge auf dem Baufeld »Majak«
die Bauarbeiter im Bus zum Wohnheim in Kriwoi Rog.
Da kein warmes Wasser läuft, wird organisiert, dass sie
alle zu einer Sauna gefahren werden, um den Staub der
Reise abzuspülen.
Große Aufregung später in der Finanzabteilung des
MGM Berlin: »Solche Kosten sind in unserer Finanzord-
nung nicht vorgesehen!« In Berlin kann man sich die Si-
tuation vor Ort nicht vorstellen. Man ist der Meinung,
dass Saunabesuch ja ein Privatvergnügen sei, für das je-
der selber zu zahlen habe. Nach einigen Diskussionen
gibt es dann ein Einsehen, MGM übernimmt die Rech-
nung.
Der Abend nach der langen Fahrt für die Bauarbei-
ter und nach dem ersten größeren Stress für die junge
DDR-Baustellenleitung klingt dann in der benachbarten
Kantine »Kijanka« mit einem Festmahl aus. Hier gibt es
auch eine Premiere. Trotz Alkoholverbots ringsum wur-
de das erste Mal Bier aus der DDR auf den Tisch gestellt:
»Braustolz« aus Karl-Marx-Stadt. – Die Bierversorgung
wird dann bis zum Ende der Baustelle mit deutschem
Bier gesichert. Die Sorten wechseln, aber das Prinzip
bleibt: Die Arbeiter sollen bei ihrer harten Arbeit so ver-
sorgt werden, wie sie es zu Hause gewöhnt sind.
Die härteren Sachen bleiben aber vorerst unter Ver-
schluss. Sie werden vom Zoll nicht freigegeben, auch
nicht für den Empfang am 7. Oktober mit sowjetischen
Vertretern von KPdSU, Stadtverwaltung Kriwoi Rog,
BAK-Direktion und mit den Leitern der ČSSR-Partner-
baustelle Mitrovský und Von’ka.
Am nächsten Morgen eröffnet Gerhard Kasten die Ru-
bel-Baustellenkasse. Kassenbelege für Einnahmen und
Ausgaben hat der Baustellendirektor mitgebracht, ein-
schließlich Kassenordnung. Ab jetzt müssen alle Kolle-
gen an der Vollverpflegung teilnehmen und muss der
GL jedem Bauarbeiter die ihm zustehenden Rubel aus-
zahlen.
Jedem auf der DDR-Baustelle am BAK Beschäftigten
stehen pro Tag 11 Rubel Auslösung zu. Von ihnen wer-
den 5 Rubel vom GL einbehalten für die Finanzierung
der Vollverpflegung. Die verbleibenden 6 Rubel können
sich die Kollegen entweder voll auszahlen lassen oder
nur zur Hälfte, um die andere Hälfte auf ein sogenanntes
GENEX-Valutakonto überweisen zu lassen. Mit diesen
eingesparten Valuta können dann zu Hause aus einem
speziellen Katalog DDR-Mangelwaren bestellt werden.
20. – 104 –
Am selben Tag bekommt Gerhard Kasten ein beson-
deres Geburtstagsgeschenk: Nach vielen Wochen Abhär-
tung fließt nun endlich warmes Wasser.
Der 1. Kfz-Konvoi aus der DDR trifft in Dolinskaja ein und wird an der Rayongrenze
offiziell empfangen.
■ ■ ■
21. – 105 –
Bauen ab Stunde Null
■ Peter Hofmann
Einem glücklichen Zufall hatte ich es zu verdanken,
dass ich im Mai 1985 in meinem Betrieb, dem Kombi-
natsbetrieb 01 des Bau- und Montagekombinats Kohle
und Energie, für den ersten Konvoi nach Kriwoi Rog
mit ausgewählt wurde. Eigentlich führte der Weg jedes
BAK-Bauarbeiters damals über die Baustelle des Kern-
kraftwerkes Lubmin, weiter über Baustellen an der Erd-
gastrasse und dann erst nach Kriwoi Rog.
Weil der Termin des Starts für den ersten Konvoi mehr
fach verschoben worden war, waren die dafür ausge-
wählten Bauarbeiter auf diese Baustellen versetzt wor-
den. Da der geplante Starttermin im Mai 1985 näher rück-
te, brauchte man für die Vorbereitung des ersten Konvois
kurzfristig Personal. Genau in dieser Zeit wurde ich vom
Industriebau Bautzen zum KB 01 in Hoyerswerda dele-
giert. Dieser Kombinatsbetrieb 01 des Bau- und Monta-
gekombinates Kohle und Energie bildete in der DDR die
Basis für die Industriebauten in Kriwoi Rog.
Nach einem eintägigen Aufenthalt in Hoyerswerda
schickte man mich ins Kraftwerk Boxberg zu Werner
Thiemig, der die Vorbereitungen für den ersten Kon-
voi leitete. Unsere Aufgabe war, die von überall heran-
geschafften Utensilien, technischen Ausrüstungen und
vieles mehr in die Container, Wohnwagen und Lkws
des ersten Konvois zu verstauen. Eigentlich sollte alles
gleichmäßig verteilt werden, so wie es auf den Packlis-
ten stand, damit es zu keiner Überladung der Fahrzeuge
kam. Eine Ausnahme machten wir. Unter den Wohnwa-
gen befand sich ein großer Stauraum, der mit Kohlen
und anderen sperrigen Materialien gefüllt werden soll-
te. Jeder Wagen wurde nach Packliste mit der gleichen
Menge Kohlen beladen. Weil aber noch genügend Koh-
len da waren, füllten wir den Stauraum des von uns zu
beladenden Wagens so voll mit Kohlen, bis nichts mehr
reinging. Die Vorbereitungen gingen gut voran und man
fieberte dem Start entgegen. Doch es kam anders. Weil
die Vorbereitungen für den Baustart in Dolinskaja nicht
abgeschlossen waren, wurde der Start bis auf Weiteres
verschoben.
Nun hieß es für einige von uns, mit einem Teil der für
den ersten Konvoi bereitgestellten Technik und Ausrüs-
tung die Gründung für ein neues Gebäude für den VEB
Erzprojekt in Leipzig herzustellen. Mit Autokran, Lkws
und Bagger im Schlepp ging es von Boxberg nach Leipzig.
Innerhalb weniger Monate konnten wir mit Hilfe der neu-
en Technik einen Großteil der Fundamente für diesen Er-
weiterungsbau fertigstellen. Mitte September wurden wir
mit der Technik nach Boxberg zurückbeordert. Nun ging
alles sehr schnell. Die Kandidaten für den ersten Konvoi
wurden zusammengerufen und uns wurden die Namen
und die dazugehörigen Fahrzeuge bekannt gegeben. Eini-
ge – wie auch ich – wurden keinem Fahrzeug zugeordnet,
wir sollten als Reserve zur Verfügung stehen. Es gab dann
aber keine Ausfälle und so konnten wir nur als Zuschauer
dabei sein, als der erste Konvoi auf Reisen ging. Als Trost
erfuhren wir dann aber, dass wir in wenigen Tagen mit
dem Flugzeug nach Kiew fliegen werden und den Konvoi
in Dolinskaja in Empfang nehmen dürfen.
In Kriwoi Rog angekommen, wurden wir in einem Ar-
beiterhotel untergebracht und erfuhren, dass der erste
Konvoi glücklich in Dolinskaja angekommen ist und am
Abend bis auf eine kleine Gruppe nach Kriwoi Rog kom-
men wird. Die Ankunft wurde von uns abends mit einer
kleinen Feier begangen, die durch Stromausfall unterbro-
chen wurde. Ein Blick aus dem Fenster machte deutlich,
dass nicht nur bei uns, sondern im gesamten Umkreis
alle Lampen aus waren. Später erfuhren wir, dass bei ho-
her Stromabnahme durch das Hüttenkombinat in Kriwoi
Rog der Strom in den Wohngebieten abgeschaltet wird.
Eine Woche fuhren wir täglich frühmorgens von Kri-
woi Rog nach Dolinskaja zum Arbeiten und abends zu-
rück. Dabei lernten wir die Umgebung kennen.
Unsere erste Arbeit bestand darin, das der DDR für das
Bauarbeiterdorf zugeteilte Grundstück einzuzäunen und
die mitgebrachten Wohnwagen zu einer Wagenburg auf-
zustellen, um die ersten Tagesunterkünfte zu haben und
damit die ersten Arbeiter zur Bewachung des Geländes
auch über Nacht in Majak bleiben konnten. Beim Aushe-
ben der Löcher für die Zaunpfosten im schweren Boden
von Hand war uns schnell klar, dass uns eine mühselige
Arbeit bevorstand, Technik dafür hatten wir keine. Wir
merkten bald, dass nebenan, hundert oder zweihundert
Meter von uns, auch gearbeitet wird, und waren auf Er-
kundung gegangen. Was wir fanden, waren unsere tsche-
choslowakischen Nachbarn und Kollegen, die wie wir
mit der Errichtung des Wohnlagers begonnen hatten. Der
Besuch brachte uns auch die ersehnte Hilfe für die Zaun-
pfostenlöcher – wir hatten bei ihnen ein Kleingerät mit
einem hydraulischen Erdbohrer erspäht. Die Getränke-
frage war schnell geklärt und der Maschinist übernahm
für uns das Bohren der Löcher für die Zaunpfähle. Hier
zeigte sich zum ersten Mal die gute Zusammenarbeit mit
unseren Kollegen aus der ČSSR.
So hatten wir Zeit gewonnen und konnten mit dem
Aufbau der Wagenburg beginnen. Ein Mitarbeiter vom
technischen Büro des KB 01 maß die Stellplätze der ein-
zelnen Wagen ein und wies die Lkw-Fahrer ein. Er war
so in diese Arbeit vertieft, dass er beim Einweisen eines
Wagens vergaß, seinen Arm, den er zum Abschätzen der
Entfernung zum zurückzuschiebenden Wagen angelegt
hatte, zurückzuziehen. Wie ein dürrer Ast knackte der Arm
durch. Das war unser erster Verletzter. Zum Glück hatten
22. – 106 –
wir schon Detlef, unseren ersten Sani, auf der Baustelle.
Der brachte den Verletzten im Sankra ins Krankenhaus
nach Dolinskaja. Dort wurde der Arm eingegipst, und mit
dem nächsten Flieger ging der Mann nach Hause.
Nachdem die Wagenburg aufgestellt war und sogar der
Duschwagen funktionierte, zogen wir nach Majak. Durch
dieArbeit in Leipzig hatten wir uns in unserem kleinen Kol-
lektiv miteinander vertraut gemacht und wir beschlossen,
zu fünft in einem Wohnwagen zu wohnen, statt abends
die lange Fahrt nach Kriwoi Rog zu machen. Neben den
Arbeiten für das zukünftige Wohnlager mit seinen Ver-
sorgungseinrichtungen musste in den Nachtstunden das
noch nicht vollständig umzäunte Wohnlager bewacht wer-
den. Zwei Stunden lang waren immer zwei Mann für Ru-
he und Ordnung verantwortlich. Anfangs konnten wir mit
einem »Multicar« das Gelände abfahren, nach dem ersten
Regen leider nicht mehr. Durch die vielen Bewegungen
auf dem erst vor kurzem von der Schwarzerde beräum-
ten Feld war der Rest der verbliebenen Schwarzerde zu
einem schwarzen Gekrümel geworden. Im Herbstregen
verwandelte sich das zu einem zähen, klebrigen Teig, der
sich um die Reifen wickelte. Nach wenigen Metern Fahrt
war der Zwischenraum unter den Kotflügeln so verstopft,
dass die Räder verkeilten. Auch zu Fuß wurde dieser fest
anklebende schwarze Teig zu einer Strapaze. Mit jedem
Schritt wuchs man und hatte bald Schuhsohlen so dick
und schwer wie ein Ziegelstein. Der warme Herbst mach-
te vieles erträglich und so gingen die Arbeiten im Wohn-
lager gut voran. Das erste große Versorgungszelt wurde
errichtet und die mobile Küche installiert, die Aufstellung
der ersten Dölbau-Baracken begann.
Ende November war dann der schöne Herbst vorbei. Die
mitgebrachten Kohlen spendeten nun wohlige Wärme,
die Notstromaggregate machten die Nacht zum Tag. Aber
die Kohlevorräte gingen schnell zu Ende und Nachschub
aus der Ukraine war noch nicht in Reichweite. Eine Wa-
genbesatzung brauchte sich darüber noch keine Sorgen
zu machen – das waren wir, denn wir saßen im Wohnwa-
gen mit dem großen Kohlevorrat. Eines Abends hatten
wir es uns nach der Arbeit wieder einmal in unserem
Wagen gemütlich gemacht, als sich unter uns jemand an
unserem Kohlevorrat zuschaffen machte; wir stürmten
hinaus und mussten feststellten, dass die anderen Wa-
genbesatzungen unseren Kohlevorrat entdeckt hatten.
Wir versuchten, die Kiste diebessicher zu machen, was
uns nicht gelang, und so wurden unsere Kohlen schnell
alle. Frieren musste aber keiner. Viele der Lieferungen
aus der Heimat kamen in Holzkisten an. Die wurden zer-
legt und verfeuert. Nur morgens, wenn der Ofen keine
Glut mehr hatte, war es mordskalt im Wagen und keiner
wollte als Erster aus dem Bett.
Nach mehreren Wochen in Dolinskaja hatte es sich bei
uns herumgesprochen, dass im Ort samstagabends im Kul-
turhaus Disko ist. Mit »B1000« und »ARO« fuhren wir hin
und staunten nicht schlecht. Ein großer Saal ohne Tische,
nur Stühle längs der Wände aufgereiht, keinerlei Getränke
– aber schöne Frauen waren da … Nur – wie spricht man
die Damenwelt hier an? Und wie wird hier getanzt? Mit
etwas hängengebliebenem Schulrussisch begannen wir,
die ersten netten Bekanntschaften zu schließen.
Den Jahreswechsel feierten wir in Kriwoi Rog in der
Kantine »Kijanka« gleich neben dem Arbeiterwohnheim.
Wir, die Arbeiter und Angestellten der DDR-Baustelle,
feierten im Erdgeschoss mit Bier und Sekt; im Oberge-
schoss hatten Komsomolzen aus Kriwoi Rog ihre Feier
– mit Limonade und Mineralwasser, so wie es die KPdSU
damals von der Jugend verlangte.
Im Frühjahr des darauffolgenden Jahres begannen wir
mit dem Bau der ersten Baufa-Häuser. Georg Krasel, bes-
ser bekannt als Schorsch, verlangte viel von sich selbst
und von uns, er formte unsere Brigade zu einer schlag-
kräftigen Truppe. Seine Führung und seine Erfahrung im
Zimmererhandwerk brachten uns voran und so konn-
ten wir die gestellten Fertigstellungstermine für mehre-
re Häuser unterbieten. Durch die Arbeit in der FDJ und
der DSF und durch unsere freundschaftlichen Kontakte
zu den Einwohnern von Dolinskaja und insbesondere zu
den Schülern und Lehrern der Schule Nr. 2 waren wir
auch gesellschaftlich sehr aktiv. Dafür wurde die eine
oder andere Arbeitsstunde abgezweigt, was Georg nicht
immer schmeckte. Er war zum Arbeiten nach Dolinska-
ja gekommen, alles andere wurde dem untergeordnet.
Irgendwann fand er sich mit diesen gesellschaftlichen
Das erste Haus in Majak steht schon wenige Tage nach Baubeginn.
Höchstgeschwindigkeit 40 Kilometer pro Stunde? Dolinskaja im Spätherbst.
23. – 113 –
Als Maulwurf in der ukrainischen Erde – technische
Herausforderungen und bleibende Erinnerungen
■ Klaus Thiemer
Exakt aufzuschreiben, was wir vom Autobahnbaukombi-
nat (kurz ABK) am BAK in Kubikmetern und Tonnen ge-
leistet haben, ist mir heute so gut wie unmöglich. Als wir
unsere Leistungen abgeschlossen hatten (wenn auch die
deutschen Objekte der Aufbereitung nicht fertiggestellt
wurden, so gehörten wir doch zu den wenigen deutschen
Baubetrieben am BAK, die ihre Leistungen abschließen
konnten), haben wir alle Bautagebücher, Projektmappen,
Lagepläne, Vermessungsunterlagen und was es da noch
an Papier gab, dem HAN IB übergeben. Wir als ABK be-
hielten nur Lohnunterlagen und Abnahmeprotokolle.
Nach der Wende wurde das ABK privatisiert und der Be-
trieb Erdbau nach wenigen Jahren aufgelöst, wobei auch
die letzten technischen Unterlagen zum BAK verloren
gingen. Da kann nur noch das Gedächtnis helfen.
Wir vom ABK waren seit 1986 auf der Baustelle des
BAK als Nachauftragnehmer (NAN) für Straßen-, Erd-
und Tiefbau. Ich selbst bin auf die Baustelle versetzt wor-
den, nachdem ich im Dezember 1985 wegen politischer
Unzuverlässigkeit und schlechter Vorbildwirkung als
Betriebsdirektor des ABK-Betriebes Verkehrsbau Ber-
lin abgelöst worden war. Zur Bewährung wurde ich im
ABK für die Vorbereitung und Durchführung der Auf-
gaben des BAK Kriwoi Rog eingesetzt und kam dann im
August 1986 nach Dolinskaja, wo ich bis Januar 1989
NAN-Leiter war.
Die Aufgabe unseres NAN, der durchschnittlich mit
150 Arbeitern und Leitern vor Ort war, bestand, in einem
Wort gesagt, in der Baustellenerschließung. Wir übernah-
men dazu von der sowjetischen Seite die grob planierte
Fläche, von der zuvor der fruchtbare Schwarzerdeboden
und große Lösslehmmassen abgetragen und auf die Fel-
der der umliegenden Kolchosen oder auf Kippen abge-
fahren worden waren. Das war eine große Vorleistung,
die nach ursprünglichen Planungen im Beteiligungsum-
fang der DDR gewesen wäre. Wie groß die abgetragenen
Erdmassen waren, dafür sprechen unsere ersten Pla-
nungen: Wir hatten 250 bis 300 Lkw und 60 große Bagger
vorgesehen. Der sowjetische Erdbau erledigte das dann
mit riesigen Schürfkübelwagen, eine Art großer Erdhobel
auf Rädern, die die abgekratzte Erde ins »Hobel«-Inne-
re aufnahmen und auch selbst abfuhren. Ein Teil dieser
Erdmassen lag eine Zeitlang auf Kippe am Rand des In-
dustriebaufeldes als bis zu dreißig Meter hoher Berg.
Aus diesem Grobplanum wurde dann von uns ent-
sprechend den Bauplänen das genaue Feinplanum für
die zu errichtenden Objekte und Baustraßen hergestellt.
Die Baustraßen waren zu bauen und dort, wo notwendig,
auch wieder rückzubauen. Wir hoben die bis zu 15 Meter
tiefen Baugruben für die DDR-Industriebauobjekte aus,
fuhren die dabei anfallenden Erdmassen auf Kippen, die
bis zu 15 Kilometer entfernt lagen und transportierten
Erdstoff auch wieder zurück zur Verfüllung von Gruben.
Auf dem Baufeld der Definitivobjekte und auch auf der
zentralen Baustelleneinrichtung (ZBE) legten wir befes-
tigte Lagerflächen an.
Für die Errichtung der ZBE hatten wir die Plattenstra-
ßen gebaut, das unterirdische Entwässerungssystem für
Regen-, Brauch- und Abwasser angelegt (die Abwas-
serkanalisation mit einem Durchmesser bis zu 1 Me-
ter) und alle Rohr- und Kabelgräben ausgehoben, mit
einem Sandbett versehen und nach Leitungsverlegung
wieder verfüllt. Für uns selbst wie auch für alle anderen
DDR-Baubetriebe entluden wir auf dem Güterbahnhof
Dolinskaja und dann auch am Hochgleis in ZBE-Nähe
Materialien und Baustoffe und transportierten sie zur
Baustelle. Und da der lokale Winterdienst bemerkens-
wert schwerfällig war, halfen wir, neben dem Winter-
dienst auf unseren Baustraßen, schließlich auch noch,
die von uns mitbenutzten öffentlichen Straßen im Rayon
schneefrei zu halten.
Das Anlegen befestigter Lagerflächen und natürlich
auch von Baustraßen war wichtig angesichts der Boden-
verhältnisse in der Region Dolinskaja. An der Oberfläche
lag eine Schicht von 1 bis 1,50 Meter Schwarzerdeboden,
unter dem bis zu 30 Meter mächtiger Lösslehm anstand.
An der Oberfläche machte sich das so bemerkbar, dass
ein etwas länger anhaltendender Regen diesen Boden
in eine zähe, schmierige und fest anhaftende Masse ver-
wandelte, die weder für normale Fahrzeuge befahrbar,
noch auch nur begehbar war. Deswegen haben wir alle
Baustraßen, Lagerflächen und Gleise auf einer Unterlage
aus Textilvlies und Splitt oder Schotter aufgebaut und
Entwässerungsrigolen angelegt.
Die DDR-ZBE hatte, gemessen an landläufig üblichen
Baustelleneinrichtungen, die ungewöhnlich große Fläche
von 670 x 380 Meter (254 600 Quadratmeter), aber inner-
halb des Gesamtvorhabens erfüllte sie nur die Funktion
einer Hilfseinrichtung. Die Baugruben der Industriebau-
Objekte waren eine bei weitem größere Aufgabe. Alles
übertraf dabei die Grube der Filtrationshalle. Die Halle
selbst nahm eine Grundfläche war 492 x 111,5 Metern ein.
Bei einer durchschnittlichen Grubentiefe von 10 Metern
hatten wir hier etwa 600 000 Kubikmeter Erdreich zu be-
wältigen. Dazu kamen noch die Gruben für die Kom-
plexe Mittelzerkleinerung mit etwa 85 000 Kubikmetern
und Feinzerkleinerung mit 95 000 Kubikmetern Erdaus-
hub.
24. – 116 –
etwa 30 Metern. Die Region von Dolinskaja war zwar
wegen dieses Bodens als Standort für das BAK gewählt
worden, weil Lösslehm verhindert, dass sich die bei der
Aufbereitung anfallenden umweltschädlichen Abwäs-
ser ungehindert ausbreiten können, aber zugleich ist ein
solcher Baugrund für schwere Bauten nicht tragfähig. Er
wird insbesondere bei dynamischen Belastungen (etwa
durch die Vibrationen der Brecheranlagen) und mit zu-
nehmendem Wassergehalt instabil und trägt nicht mehr,
was dann zum Einsturz des Bauwerks führen kann. Da-
her muss eine aufwändige Spezialgründung ausgeführt
werden. Bei den Industriebauobjekten des BAK waren
das Stahlbetonpfähle, die entweder vorgefertigt aus der
DDR angeliefert und in die Erde gerammt oder aber als
so genannte Bohrpfähle vor Ort hergestellt wurden. Für
die Bohrpfähle wurde mit Spezialbohrgeräten jeweils ein
Bohrloch mit einem Durchmesser von bis zu 1 180 mm
niedergebracht, in das dann ein langer runder Beweh-
rungskorb hinabgelassen wurde, wonach das Bohrloch
mit Beton verfüllt wurde. Diese Pfähle mussten entweder
den tragfähigen Grund erreichen oder durch ihre Länge
eine ausreichende Haftung im Erdreich sichern (durch
die so genannte »Mantelreibung«).
In den Gesprächen mit den Kollegen von der »Kirow«-
Erzverwaltung in Kriwoi Rog hörte ich davon, dass große
Industrieobjekte in der Sowjetunion eingestürzt waren,
die zwar solide auf Pfählen gegründet wurden, bei de-
nen aber das Regenwasser nicht aus dem Bereich der
Gründung abgeleitet worden war. Das Wasser weichte
dann den Boden um die Pfähle auf, die so ihren Halt im
Boden verloren.
Immer wenn unsere ABK-Arbeiter einen Abschnitt
der Baugrubensohle fertigplaniert hatten und dieser mit
Betonplatten oder Ortbeton befestigt war, übernahmen
dann also die Tiefgründer von uns den Staffelstab – die
Kollegen vom Spezialbaukombinat Magdeburg (SBK)
mit ihren schweren »Bauer«-Bohrgeräten oder die Kol-
legen vom Industrie- und Hafenbau Rostock mit ihren
Rammen. Mit Stahlbeton-Rammpfählen wurde u. a.
die Filtrationshalle gegründet. Insgesamt wurden et-
wa 9 500 Rammpfähle mit einer Länge von 7–11 Metern
eingeschlagen. Bei den Komplexen Mittel- und Fein-
zerkleinerung wurden Bohrpfähle niedergebracht – et-
wa 1 800 Pfähle mit einem Durchmesser von 800 bzw.
1 180 Millimetern bis auf eine Tiefe von 21 Metern.
Vorbereitet wurden diese Tiefgründungsarbeiten im
Jahr 1986 mit einem Probegründungsprogramm, das
durch den Schachtbau Nordhausen (SBN) im Auftrag der
Bauakademie der DDR ausgeführt wurde. Mit diesem
Programm sollten vor dem Baubeginn an den Industrie-
objekten die günstigsten Verfahren für den Aushub der
Baugruben und für die Tiefgründung bestimmt werden,
sowohl von den bauphysikalischen Ergebnissen her wie
auch von den Kosten und der technologischen Eignung.
Das Programm umfasste neben dem Niederbringen
von Probebohrpfählen auch die Herstellung von Schlitz-
wänden, gesichert durch schräg verlaufende Injektions-
anker. Das Schlitzwandverfahren stand damals neben
anderen Verfahren (z. B. dem Gefrierwandverfahren) in
der Diskussion als Variante für die Sicherung der Bau-
grubenwände. Längs des Umfangs der Baugrube sollte
eine Schlitzwand aus Stahlbeton in die Tiefe gebracht
werden. Diese hätte dann, gesichert durch die Injek
tionsanker, der Baugrubenwand Stabilität verliehen und
zugleich Einsparungen beim Erdaushub erbracht, da ja
die übliche Abschrägung der Baugrubenwand und die
zusätzlich anzulegende »Arbeitsbreite« nicht notwen
dig gewesen wäre – der Boden hätte nur für den eigent-
lichen Baukörper ausgehoben werden müssen.
Sowohl die Probebohrpfähle wie auch die Schlitzwand
wurden bis in eine Tiefe von 20 Metern niedergebracht.
Das Programm war notwendig, da in der DDR mit sol-
chen Böden in dieser Mächtigkeit keine Erfahrungen
vorlagen. Für die Bauakademie war das Programm ein
gefundenes Fressen mit Sahnehäubchen, denn ohne
das BAK hätte nie jemand ein solch aufwändiges Ver-
suchsprogramm bezahlt.
Die Belastungs- und Zugfestigkeitsmessungen an den
Bohrpfählen, Schlitzwänden und Ankern erbrachten
schließlich sehr zufriedenstellende Ergebnisse. Später
wurde ein Teil der »Bauer«-Injektionsanker mit Bagger
und von Hand zur Besichtigung freigelegt. Das war für
alle interessierten Bauleute vor Ort ein anschaulicher Un-
terricht, denn hier war zu sehen, was bis dahin keiner
gesehen hatte. Zum einen waren verankerte Schlitzwän-
de kein Alltagsgeschäft im Bau und zudem bleiben diese
Konstruktionen normalerweise den Blicken verborgen.
Nach der Auswertung des Versuchsprogrammes wurde
aufgrund der Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Um-
gang mit Lehmböden von den Bauingenieuren und Geo-
technikern der Bauakademie, der Verkehrshochschule und
des ABK wegen der zu erwartenden Kosten entschieden,
auf verankerte Schlitzwände zur Baugrubensicherung zu
verzichten und mit zwischen 70 ° und 80 ° abgeböschten
Baugrubenwänden zu arbeiten. Dabei wurden dann die
Grubenwände mit Textilvlies gegen Niederschlagswasser
geschützt, da nach unseren Erfahrungen der Lösslehm
sehr standfest ist. Weiter wurden in allen Bauphasen Gra-
bensysteme unterhalten, um Niederschlagswasser von
den Baugruben fernhalten bzw. um es sammeln und ab-
pumpen zu können. Für die Objekte Mittel- und Feinzer-
kleinerung wurde die Baugrubenwände im Bereich der
Turmdrehkrane durch Stahlspundwände gesichert.
Während die Bohrpfahlmethode als eines der Grün-
dungsverfahren ausgewählt wurde, kam das Schlitz-
wandverfahren wegen seiner hohen Kosten nicht zum
Einsatz. (Es wurde dann übrigens später in Berlin für die
Bahn-Untertunnelung der Spree angewendet, da es für
die Sicherung von Baugruben und den Tunnelvortrieb
bei anstehendem Wasser die beste Methode ist. Bei die-
sem Bau hat Geld zudem wohl wesentlich weniger eine
Rolle gespielt als am BAK).
25. – 117 –
Warum eigentlich wurde am BAK mit weni-
ger Leuten und Maschinen mehr geschafft
als auf Großbaustellen in der DDR?
Unsere gute Arbeitsleistung am BAK hatte besondere
Triebkräfte. Wenn ich davon zu Hause in der DDR er-
zählte, wurden viele nachdenklich.
In erster Linie war da ein grundsätzlicher Unterschied
in der materiellen Sicherstellung zwischen unserer BAK-
Baustelle und der DDR-Bauwirtschaft. Für uns als Erd-,
Tief- und Straßenbauer war in der DDR schon jahrelang
der Treibstoff limitiert, in den Jahren 1985/1986 schon so
eng, dass Dieselkraftstoff meist am 20. jedes Monats auf-
gebraucht war. So ergaben sich unsinnige technologische
Abläufe und ein enormer bürokratischer Aufwand, um
mit allen nur erdenkbaren Begründungen von den so-
genannten K o n t i n g e n t t r ä g e r n noch Treibstoffmar-
ken zu bekommen. Über den meisten Treibstoff verfügen
konnten Armee, Bergbau und Landwirtschaft. Da war es
naheliegend, dass für diese Bereiche sehr gern und viel
gearbeitet wurde, natürlich außerhalb der Bilanz.
Ein weiteres Mangelprodukt waren Lkw-Reifen. Im
Durchschnitt standen deswegen auf den Baustellen des
ABK in der DDR etwa 20 % der Lkw aufgebockt. Prekär
war die Lage auch bei Ersatzteilen, besonders kritisch
bei Hydraulikbaugruppen. Dadurch wurden in jedem
Betrieb riesige Bestände »für alle Fälle« aufgebaut, ohne
die die Produktion oft nicht gesichert werden konnte. Im
Betrieb Verkehrsbau Berlin mit 1 600 Beschäftigten lagen
die Materialbestände bei 12 bis 14 Millionen Mark.
Ganz anders nun war die Lage am BAK, was mancher
gar nicht recht glauben mochte. Da herrschte in der Mate-
rialversorgung immer Sonnenschein – praktisch alles war
da, wenn es wegen der langen Anlieferungsstrecke auch
nicht immer termingerecht eintraf. Im Lauf der Bauzeit
wurde zwar das Benzin rationiert, wohl deshalb, dass mit
den Pkws nicht so viel privat »herumgejuchtelt« werden
konnte. Da musste man eben, wie zu Hause üblich, ben-
zinbetriebene Baumaschinen haben – da fuhr dann auch
der Pkw wieder. (Von dieser Hintertür ahnten die Ratio-
nierer des Generallieferanten natürlich nichts). Generell
wurde für unsere ABK-Truppe am BAK das gesamte be-
nötigte Material, auch wenn es in der DDR »Goldstaub«
war, bereitgestellt. Mitunter bekamen wir sogar zu viel
des Guten, so dass wir zur Freude der Heimatbetriebe in
der Lage waren, eine größere Menge neuer Lkw-Reifen
zurückzuschicken.
Für ein zufriedenes Arbeiten sorgten natürlich auch die
exquisite Essenverpflegung rund um die Uhr, die sehr
gute Unterbringung im Wohnlager und die vielseitigen
Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Neben Einkaufs-
und gastronomischen Angeboten gab es Sportmög-
lichkeiten auf Freisportflächen und im Winter in einer
großen Traglufthalle, geboten wurden Bibliothek, Rus-
sisch-Sprachzirkel, Kino, Kegelbahn, Sauna, Bade- und
Ausflugsfahrten und vieles andere.
Ein weiterer Aspekt hing mit der Mobilität der ABK-
Mannschaft zusammen. Zu Hause in der DDR war es
bei den ABK-Kraftfahrern üblich, sich täglich ein- oder
mehrmals in einer Kneipe in Baustellennähe zu einem
Zusatzpäuschen zu treffen. Am BAK ging das nicht – in
der Region gab es einfach keine Kneipen, in denen man
bei einem Bier und Essen das Programm für den Feier-
abend hätte besprechen können.
In der DDR war es überall, wo gebaut wurde, Usus, für
Verwandte, Freund, Freundin oder Freunde von Freun-
den mal ’ne Fuhre zu machen – Sand, Kies, Erde auf die
Datschenbaustelle bringen, Schutt abfahren … Auch das
gab es am BAK nicht, die Anverwandten waren fern und
der ortsansässigen Bevölkerung war es verboten, auf sol-
che Hilfe zurückzugreifen. Zudem war der Bewegungs-
bereich unserer Kraftfahrer eingeschränkt und von der
Miliz kontrolliert.
Ein weiterer leistungssteigernder Punkt war das feh-
lende Interesse, sich krankschreiben zu lassen. Wer krank
war, konnte keine Überstunden machen, keine »VAZ« an-
sammeln und bekam auch keinen BAK-Zuschlag. Da
es für unsere Kollegen in der Ukraine keinen Garten um-
zugraben gab und die Freundin meist weit war, entfiel
auch diese Ursache für Krankschreibungen. So nahm man
ohne Murren Pillen und Spritzen hin oder verordnete sich
eine Knoblauchkur, nur um schnell wieder arbeiten zu
können. Nachdem unter den Kollegen durchgesickert
war, wie die Verhältnisse im örtlichen Krankenhaus wa-
ren, fiel die Lust am Kranksein erst recht auf null.
Dies alles waren aus meiner Sicht die Haupttriebkräfte
für unsere recht gute Arbeitsleistung am BAK.
Kranksein in Dolinskaja
Obwohl die Wenigsten nach dem Krankenschein schiel-
ten, ließ sich der Arztbesuch nicht immer umgehen. Eines
Tages klagte einer unserer Kollegen über gewaltige Zahn-
schmerzen. Unsere Dolmetscherin Irina war unterwegs.
Da ich vor der russischen Umgangssprache keine Angst
hatte, fuhr ich mit dem Kranken nach Dolinskaja ins Rayon-
Krankenhaus, und auch Martin, der Meister des Kolle-
gen, kam mit – zu dritt ist man tapferer. (Damals wusste
ich noch nicht, dass es auf der ČSSR-Baustelle einen guten
Zahnarzt mit gut ausgestatteter Praxis gab.)
Vorauszuschicken ist, dass Dolinskaja trotz seines Sta-
tus als Rayonstadt (was soviel wie Kreisstadt bedeutet)
über Jahrzehnte hinweg ein benachteiligtes Provinznest
war. Größere Investitionen waren hier bis zur Eröffnung
der Baustelle des Kombinats so gut wie nie angekom-
men, und so gab es nur ein armseliges Krankenhaus,
ohne internes Wassernetz, ausgestattet nur mit dem Al-
lernotwendigsten. Ein neues Krankenhaus war erst im
Entstehen, von den rumänischen Bauleuten mit vielen
Baustopps allmählich hochgezogen.
Vor dem Zahnarzt-»Kabinett« (so heißen die Behand-
lungszimmer auf Russisch) warteten im spartanischen