1. LANDESHAUPTSTADT
1
Wiesbaden
Das Magazin der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden Ausgabe 05 / Juni 2011
Krimistadt
Wiesbaden
Tatort mit vielen Gesichtern
Harfen von
Weltrang
Der perfekte Klang
Von Jawlensky
bis Fluxus
Kunst muss zugänglich sein
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2. ECHT wiesbaden
ausgewählt. authentisch. gut.
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mit Ideenreichtum und Individualität bereichern. Das Motto lautet lokal statt global.
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3. Editorial Magazin der Stadt Wiesbaden
Ausgabe 5 / Juni 2011
wiesbadener leben : Die fünfte Ausgabe unseres
Magazins führt Sie in die Wiesbadener Kulturwelt.
Inhalt
„Ein Anregendes Pflaster für das Krimi-Genre“
Sie erleben die hessische Landeshauptstadt als Tatort mit vielen Gesichtern 4
Schauplatz für das beliebte Krimigenre und als
Oberbürgermeister Helmut Müller zum
Gastgeberin des Deutschen Fernseh- Architektur Sommer Rhein-Main
Krimi-Festivals. Musiktheater auf Moderne Stadt in historischen Strukturen 10
hohem Niveau haben das Wiesbade- Verleihung des
Medienpreises wieder in Wiesbaden
ner Staatstheater und Bürger der Der Bambi kehrt zurück! 12
Stadt gemeinsam geschaffen. Wir Von Jawlensky bis zu Fluxus
Probenarbeit für die durften die Proben für die neue „Kunst muss zugänglich sein“ 14
Gilgamesch-Oper
Gilgamesch-Oper begleiten. Ein ZDF-Moderatorin Babette Einstmann
echter Kulturfan ist auch ZDF-Moderatorin und „In Wiesbaden gibt es noch viel zu
entdecken“ 18
Wahl-Wiesbadenerin Babette Einst-
Ein Heldenepos einmal ganz anders
mann, die wir zum Gespräch getrof- Eine Oper aus der Mitte der Stadt 20
fen haben. Kunst für eine breite Harfen von Weltrang
Öffentlichkeit attraktiv machen: Dies Wertvolle Handarbeit für den
perfekten Klang 24
hat sich die Wiesbadener Kunstszene
Top-Veranstaltungen in der Sommer-Saison
mit ihrem Flaggschiff, dem Hes- Babette Einstmann Veranstaltungen und Service 26
liebt das Theater und
sischen Landesmuseum, als Ziel ge- Wiesbaden
setzt. Seinen neuen Direktor Alexander Titelbild
Klar haben wir für Sie porträtiert. Das Hessische Staatstheater in Wiesbaden,
im Vordergrund der „Warme Damm“.
Dass Handwerk immer auch ein (Foto: Christopher Pfannebecker)
Kunstwerk ist, hat uns der Besuch in
Impressum
der Harfenmanufaktur von Rainer herausgeber: Wiesbaden Marketing GmbH,
Thurau bestätigt. Geschäftsführer: Martin Michel (V.i.S.d.P.),
Postfach 6050, 65050 Wiesbaden
Faszinierendes im Und zwei kulturelle Highlights redaktion: Journalistenbüro Surpress,
Landesmuseum
warten noch auf die Stadt: Oberbür- Jutta Witte, Wiesbaden
germeister Helmut Müller gibt uns eine Vorschau texte: Carsten Hauptmeier (Wiesbadener
Perfektion, Eventstadt Wiesbaden), Christina
auf den Architektursommer Rhein-Main. Dass Kultur Oxfort (Kunst in Wiesbaden), Jutta Witte
(Krimistadt Wiesbaden, Theater aus Wiesbaden,
zuweilen auch das ganze große Publikum braucht, Mein Wiesbaden, Wiesbadener Architektur)
zeigt ein Ausblick auf die Bambiverleihung, die im fotos soweit nicht anders gekennzeichnet:
November in Wiesbaden stattfinden soll. Andreas Baier, Gerhard Hirsch, Christopher
Pfannebecker, Heike Rost
gestaltung und herstellung:
Ihre Redaktion wünscht eine anregende Lektüre. D+K Horst Repschläger GmbH, Wiesbaden
druck: Stark Druck, Pforzheim
4. 4 Krimistadt Wiesbaden
E
CU
„EIN ANREGENDES PFLASTER FÜR DAS KRIMI-GENRE“
Tatort mit vielen
Gesichtern
Foto: Andreas Baier
1
5. Krimistadt Wiesbaden 5
Wiesbaden gilt als eine der
sichersten Städte Deutschlands. 1 In Wiesbaden spielen viele
„Mordsgeschichten“
Mord, Erpressung und Entfüh- 2 Der rote Teppich ist
ausgerollt für Deutschlands
rung sind in der hessischen besten Fernsehkrimi
Landeshauptstadt kaum vor- 3 Ulrich Tukur und Maren
Kroymann bringen das
stellbar. Filmschaffende und Publikum in Schwung
Foto: Andreas Baier
Foto: Andreas Baier
2 3
Schriftsteller haben diese Idylle
nun als Schauplatz für das Vor der Wiesbadener Caligari FilmBühne kutiert. Jetzt wartet alles gespannt auf
ist der rote Teppich ausgerollt. Prominenz die Entscheidung der Jury, die bis in die
Verbrechen entdeckt. Nicht nur aus Film, Fernsehen und Politik zieht es frühen Morgenstunden getagt hat. Die
an diesem Samstagabend ebenso hierher Wahl fällt auf den Tatort „Nie wieder frei
die ZDF-Reihe „Der Staatsan- wie überzeugte Krimifans. Renommierte sein“, eine beklemmende Geschichte um
walt“ spielt hier. Auch immer Schauspieler wie Katrin Sass und Rüdiger das Spannungsverhältnis zwischen Ge-
Vogler sind dabei. Und mit Ulrich Tukur setz und Gerechtigkeit, die mittlerweile
mehr Krimiautoren lassen ihre ist einer der ganz Großen aus dem deut- auch den Grimme-Preis gewonnen hat.
Leser auf die vermeintlichen schen Filmgeschäft gekommen. Diesmal
wird er sich nicht als LKA-Ermittler „Wir holen den Fernsehkrimi weg vom
Abgründe hinter den schicken Felix Murot präsentieren, sondern das Sofa und bringen ihn auf die ganz große
begeisterte Festivalpublikum mit seiner Leinwand“, sagen die Festivalleiterinnen
Fassaden einer Stadt blicken, Band zu den Klängen von Hazy Oster- Barbara Dierksen und Christine Kopf. Mit
die auch für das deutsche walds „Kriminal-Tango“ in Schwung Erfolg. Nach Einschätzung von Wiesba-
bringen. dens Kulturamtschefin Ingrid Roberts hat
Fernseh-Krimi-Festival und den sich das 2005 gestartete Festival, das in
„Wir holen den Fernsehkrimi
„Krimiherbst“ eine perfekte weg vom Sofa.“
diesem Frühjahr rund 4.000 Zuschauer
anzog, mittlerweile zu einem echten
Kulisse bildet. Zum siebten Mal wird in Wiesbaden der Branchentreffpunkt entwickelt: „Es be-
deutsche Fernsehkrimipreis verliehen. kommt immer mehr Glamour.“ Mit von
Vier Tage lang stand die Stadt im Zei- der Partie war diesmal auch Odeon TV.
chen des Lieblingsgenres deutscher Fern- Die Wiesbadener Produktionsfirma steht
sehzuschauer. Die besten zehn Krimi- mit „Ein Fall für Zwei“ für eine Krimi-
produktionen, darunter drei Premieren, serie mit Kultstatus. Seit dreißig Jahren
haben die Veranstalter unter 70 Bewer- ermittelt der Frankfurter Privatdetektiv
bungen ausgewählt, präsentiert und dis- Josef Matula, alias Claus Theo Gärtner, l
6. 6 Krimistadt Wiesbaden
l schon im Rhein-Main-Gebiet. Doch
blickt Matula in seinem Frankfurter
Loft aus dem Fenster sieht er in Wirk-
lichkeit Wiesbaden. Wie die U-Haftzellen
oder das Büro des Ermittlungsrichters
gehört es zu den festen Drehorten, die
Odeon TV in der hessischen Landes-
hauptstadt bezogen hat.
„Wiesbaden bietet eine Menge Möglich-
keiten als Kulisse“, erklärt Odeon-Produ-
zentin Andrea Jedele. „Es ist eine Stadt,
die, anders als die harten Krimistädte wie
Berlin oder Köln, noch nicht so abge-
spielt ist.“ Gut möglich also, dass Jedeles
Szenenbildner auf der Suche nach Origi-
naldrehplätzen an der einen oder ande-
Foto: Andreas Baier
Foto: Andreas Baier
3
2
1
ren schicken Villa der einstigen Welt-
kurstadt anklopfen. In Wiesbaden, wo
nicht jeden zweiten Tag ein Filmset auf-
gebaut wird, stoßen die Teams meist auf
offene Türen. Der 2007 zum ersten Mal
auf Sendung gegangene „Staatsanwalt“,
ebenfalls von Odeon TV produziert,
rückt die Stadt nun selbst in den Mittel-
Foto: Andreas Baier
punkt der Inszenierung.
„Die Idylle gebiert den Horror.“
Ein schummeriges Industriegebiet bei
Nacht, eine junge Frau wird verfolgt und 1 Claus Theo Gärtner, hier beim Fernseh-
liegt plötzlich tot auf der regennassen Krimi-Festival, dreht oft in Wiesbaden
Straße: Die Bilder irritieren, denn sie 2 Krimi-Regisseur Martin Kinkel
passen nicht in eine ordentliche und inszeniert seine Heimatstadt immer
schicke Kongressstadt. Doch in der wieder neu
7. Krimistadt Wiesbaden 7
Staatsanwaltsfolge „Tödlicher Pakt“, die Und genau das illustriert einen Krimi- gewöhnliche Drehs. Den Showdown für
im Frühjahr in der Caligari FilmBühne nalfall um so deutlicher“, glaubt Rainer seinen ersten „Staatsanwalt“ ließ der
Premiere feierte, ist auch die schöne Hunold. Der 61-jährige Schauspieler, der 46-Jähige im Keller des Nobelhotels
Wiesbadenwelt zu bewundern. Auf einer selbst neun Jahre in Wiesbaden gelebt „Schwarzer Bock“ ablaufen. So insze-
Abendveranstaltung im Jagdschloss hat, ist mit der väterlichen und mit niert Kinkel die ganze Stadt vom Schier-
Platte trifft sich die Oberschicht bei Sekt leisem Humor ausgestatteten Figur von steiner Hafen bis in die Weinberge am
und Selters um die unterforderte Frau Staatsanwalt Bernd Reuther in eine sei- Neroberg, lässt in der Marktkirche den
eines Europaabgeordneten für ihr Charity- ner Paraderollen geschlüpft. Die Fälle, Pfarrer umbringen, den Ermittlungs-
Projekt zu ehren. Ein smarter Besitzer die er hier zu lösen hat, leben von den richter seinen Sushi-Imbiss im Hof des
eines Bistros am Bowling Green kommt Brüchen zwischen einer makellosen Fas- hessischen Landtags nehmen und zur
ebenso ins Spiel wie ein Punkpärchen, sade und den Scheußlichkeiten, die sich Not auch einen Nachtbus, den es in
das mit allem Frust und Aggressionen dahinter abspielen: „Die Idylle gebiert Wirklichkeit gar nicht gibt, durch die
versucht durchs Leben zu kommen. den Horror.“ So erklärt Regisseur Martin Fußgängerzone fahren. Mit dem Rat-
Kinkel das Phänomen der Wiesbaden- haus, dem Biebricher Schloss und
„In einer sauberen, reichen und satu- Krimis. Zehn Staatanwaltsfolgen hat er dem alten Landgericht bietet die Stadt
rierten Stadt wie Wiesbaden erwartet in seiner Heimatstadt gedreht, zuletzt direkt drei stilvolle Kulissen für das
man eigentlich keine harten Verbrechen. den „Tödlichen Pakt“. Seit 150 Jahren Büro von Bernd Reuther.
„Sherlock Holmes ist Kosmopolit.“
„Diese Stadt“, sagt Kulturamtsleiterin
Roberts, „ist offenbar ein anregendes
Pflaster für das Krimigenre.“ Denn nicht
nur die Filmschaffenden, sondern auch
die schreibende Zunft schätzt Wiesba-
den als Schauplatz für die unterschied-
lichsten Kriminalfälle. „Wie könnte der
perfekte Mord aussehen?“ Eine kleine
Gruppe von Schriftstellern sitzt im Lite-
raturhaus „Villa Clementine“ zusammen
und diskutiert bei Bier, Kaffee und
Wein Fragen, mit denen ein Krimiautor
sich tagtäglich herumschlagen muss.
„Dostojewskis Erben“ nennt sie sich –
eine Reminiszenz an den russischen
Schriftsteller, der im 19. Jahrhundert an
einem der Wiesbadener Roulettetische
Foto: Andreas Baier
ein Vermögen verspielt hat. Das Interi-
eur der Villa mit seinen Kronleuchtern,
4 schweren Samtportieren und Blumen-
tapeten passt perfekt in die Zeit als Wies-
baden noch eine mondäne Kurstadt war. l
3 Wer ist der ominöse Bogenschütze lebt seine Familie hier. Kinkel ist in
im Wiesbaden-Krimi „Kunstgriff“? Wiesbaden aufgewachsen, zur Schule
5
4 Rainer Hunold ermittelt als gegangen und über diverse Jobs bei
ZDF-Staatsanwalt Bernd Reuther Odeon TV als Student in das Krimigenre
in der Landeshauptstadt hineingewachsen.
5 „Dostojewskis Erben“ lassen sich
immer neue Verbrechen einfallen „Sie müssen Wiesbaden von innen er-
von links nach rechts die AutorInnen zählen“, sagt er. Ihm geht es um mehr
Foto: Andreas Baier
Susanne Kronenberg, Alexander als um schöne Postkartenmotive wie die
Pfeiffer, Belinda Vogt, Karsten Russische Kirche oder das Kurhaus.
Eichner und Christiane Geldmacher Seine engen Kontakte in die Stadt hinein
erweisen sich oft als Türöffner für außer-
8. 8 Krimistadt Wiesbaden
l In den Kurzkrimis von Karsten Eichner,
hauptberuflich Pressesprecher bei der
R+V Versicherung, ersteht diese Epoche
in ungewohnter Art wieder auf. Als
Fan von Sir Arthur Conan Doyle lässt
der 40-jährige Journalist und Historiker
niemand anders als Sherlock Holmes
in der Weltkurstadt ermitteln. „Holmes
1
Foto: Andreas Baier
2
ist Kosmospolit und eine Stadt wie
das Wiesbaden des 19. Jahrhunderts ist
seine Welt“, sagt Eichner. So klärt der
Meisterdetektiv nicht nur den dubiosen
Mord an einem russischen Großfürsten
auf, der im damaligen Nobelhotel Vier-
jahreszeiten erschossen aufgefunden
wird. Er vereitelt auch einen anlässlich
der Einweihung des Niederwald-Denk-
mals in Rüdesheim geplanten Bomben-
anschlag auf den Deutschen Kaiser, eine
Replik auf ein historisches Ereignis aus
dem Jahr 1883.
In eine gänzlich andere Welt führt
Alexander Pfeiffers Wiesbadener Krimi-
Trilogie. Pfeiffers Vorbilder sind ameri-
kanische Filmemacher wie John Cassa-
vetes, John Huston oder Martin Scorsese
und seine Geschichten drehen sich um
das harte Hier und Jetzt. Wiesbaden
kennt er von Kindesbeinen an. Eine
Menge Krimistoff hat er als Taxifahrer
gesammelt, bei seinen Touren durch die
Stadt Menschen aus allen Schichten
kennengelernt. Das Westend mit seinem
Multi-Kulti-Flair, sagt er, sei sein Vier-
Foto: Andreas Baier
tel: „Ich habe meine Krimis bewusst
gegen den heimeligen Trend der so ge-
nannten Regionalkrimis geschrieben.“
Art Pfeilschiffer heißt einer seiner Anti-
9. Krimistadt Wiesbaden 9
helden, die am Rande des Existenzmini- erstaunt, was es in der Stadt zwischen Krimiautoren, die für vier Wochen als
mums in der Vorzeigestadt Wiesbaden Taunus und Rhein alles gebe. „Sie erwar- Wohngemeinschaft ins Literaturhaus
leben. Art, wie Pfeiffer selbst Taxifahrer, ten hier einfach keine Abgründe“, sagt „Villa Clementine“ ziehen, von dort aus
macht Karriere als Drogensüchtiger und auch Dostojewski-Erbin Susanne Kronen- die Stadt erkunden und ihre Eindrücke
Kleinkrimineller und verkehrt in den berg. Der Frau aus Norddeutschland hat in einem Kurzkrimi verarbeiten. Wer,
zwielichtigsten Kreisen – auch der neu- es nicht nur die Wiesbadener Kunstszene wann, wo und von wem ermordet wird,
reichen Szene, die unter anderem im angetan, sondern auch die grüne Umge- haben die drei noch nicht verraten. Ihre
noblen Stadtviertel Eigenheim ihre Vil- bung der Stadt. Beides dient ihr als Ku- Werke sind es unter anderem, die im
len bewohnt. Ein Happy End gibt es für lisse, etwa wenn Privatdetektivin Norma Zuge des nächsten Wiesbadener Krimi-
ihn nicht: Art stirbt auf der Intensiv- Tann in die Aufklärung eines Kunstdieb- herbstes vorgestellt werden sollen.
Station der Dr. Horst-Schmidt-Kliniken
an den Folgen eines Bauchschusses.
„Ein gefundenes Fressen für
einen Krimiautor.“
In Wiesbaden, erklärt Pfeiffer, begegne
man krassesten Gegensätzen auf sehr ge-
ringem Radius: „Das ist ein gefundenes
Fressen für einen Krimiautor.“ Viele Leser,
beobachtet der 40-Jährige, seien ganz
Foto: Andreas Baier
Foto: Andreas Baier
3 4
1 Krimiautor Alexander Pfeiffer stahls – ein Original des russischen Die vierwöchige Veranstaltungsreihe
schreibt über Wiesbadens Antihelden Expressionisten Alexej von Jawlensky lässt das Krimijahr mit „Mordsgeschich-
2 Als echter Sherlock Holmes-Fan verschwindet aus einer Galerie – und die ten“, Buchpremieren, Krimidinners,
lässt Karsten Eichner den Meister- Verfolgung eines ominösen Mörders Workshops und angenehmem Gruseln
detektiv in der Weltkurstadt verwickelt wird, der rund um das Jagd- ausklingen. Im Profil „Krimistadt Wies-
ermitteln schloss Platte sein Unwesen treibt. „Ich baden“ jedenfalls sieht Kulturamtsleite-
3 Festivalparty in der Wartburg versuche die typische Atmosphäre Wies- rin Roberts noch ein „ganz großes Po-
4 Das „Trio Mortale“ sucht Inspiration badens einzufangen“, sagt sie. Das ge- tential“. Und auch Regisseur Kinkel hat
in der Wiesbadener Spielbank. lingt ihr zuweilen so überzeugend, dass noch eine Menge Ideen um seine Hei-
Von links nach rechts die Krimi- Leser glauben, Orte in ihren Büchern matstadt als Tatort zu inszenieren. Bei-
stipendiatInnen Beate Maxian, Rainer wiederzufinden, die zwar typisch für die spielsweise im historischen Kanalsystem:
Würth und Brigitte Glaser, hinten: Stadt, aber ansonsten frei erfunden sind. „Den dritten Mann nach Wiesbaden
„Dostojewski-Erbe“ Richard Lifka holen“, schwärmt er, „das wär´s.“
„Die Krimistadt Wiesbaden hat ein
ganz großes Potential.“
Vom Schauplatz Wiesbaden inspirieren
lässt sich in diesem Jahr auch wieder
das „Trio Mortale“. Zum dritten Mal
vergibt das Kulturamt Stipendien an drei
10. 10 Wiesbadener Architektur
oberbürgermeister helmut müller zum architektursommer rhein-main
Moderne Stadt in
historischen Strukturen
Unter dem Motto
„Wohnraum Stadt“
veranstalten Frankfurt,
Architektur definiert chitektursommer ist für
Darmstadt, Offenbach
Räume und schafft mich ein Vehikel, mit
und Wiesbaden den
übergreifende Funkti- dem wir die spannende
Architektursommer
onen. In dem Moment, Frage „Wie schaffen
Rhein-Main 2011. Von
in dem Sie in der Regi- wir eine moderne Stadt
April bis September
on etwas bauen, schrei- in unseren historischen
sollen die vier größten
ben Sie diesem Ort eine Strukturen“ unter die
Städte der Region nach-
bestimmte Funktion zu. Leute bringen und sie
einander zum „offenen
Wenn Sie eine Brücke neugierig machen kön-
Experimentierfeld und
über den Rhein oder nen auf die Architektur,
zur lebendigen Planer-
Main bauen, wissen Sie, die sie Tag für Tag um-
werkstatt“ werden. Am
dass an dieser Stelle gibt. An ganz vielen
26. August fällt in
etwas für die ganze Re- unerwarteten Orten wird
Wiesbaden der Start-
gion geschieht, nicht man in Wiesbaden zum
schuss. Dann will Ober-
nur, weil eine Brücke Beispiel auf Baustellen-
bürgermeister Helmut
buchstäblich verbindet, container stoßen, die
Müller einladen zum
sondern auch, weil sich dazu einladen, hinzuge-
Diskurs über die archi-
dort etwas kanalisieren hen, nachzudenken und
tektonische Vergan-
wird. Wenn Sie eine vor allem mitzureden
genheit und Zukunft
Foto: Andreas Baier
Universität oder ein über ganz unterschied-
der Stadt.
Forschungszentrum in liche architektonische
Darmstadt errichten Themen. Es wird Stra-
oder den hessischen ßenfeste geben, Füh-
„Architektur definiert Räume“, findet Wiesbadens Landtag in Wiesbaden rungen, viele Ausstel-
Oberbürgermeister Helmut Müller umbauen, schaffen lungen und Baulücken,
Sie ebenfalls etwas für die bespielt werden:
Herr Müller. Sie leiten of Work erzeugen und die ganze Region. Ein Diskurs über die
die Koordinierungs- das ist uns – als ein bauliche Zukunft der
runde für den Architek- Beispiel – mit dem Ar- „Die Stadt ist nicht Stadt, so stelle ich mir
tursommer Rhein-Main. chitektursommer nach die Angelegenheit der das vor.
Warum ist diese Ver- einigen Startschwierig- Städtebauer, sondern
anstaltung für Sie so keiten wirklich gelun- die der Stadtbewohner.“ Wollen Sie auch die
wichtig? gen. Bei den Architek- Das sagt der Schrift- geplante Aufnahme
Ich bin überzeugt, dass ten und Städteplanern steller Max Frisch. Wo Wiesbadens in die
man eine Region wie sind wir auf eine of- bleiben die Wiesbade- UNESCO-Liste des
das Rhein-Main-Gebiet fene Szene gestoßen, ner Bürger, wenn es um Weltkulturerbes zur
nicht über administra- die sich für die Idee Baukultur geht? Diskussion stellen?
tive Überlegungen zu- sehr begeistern konnte. Wir sind da alle ganz Ja, ich möchte den
sammenführen kann. bei Frisch: Wir müssen Architektursommer
Regionale Identität Wie kann Architektur herauskommen aus der auch zum Anlass neh-
schafft man nur durch zum verbindenden Ele- reinen Expertendiskus- men, diese Diskussion
gemeinsame Projekte. ment für eine Region sion. Die ist auch sehr auf eine breitere Basis
Man muss einen Spirit werden? wichtig. Aber der Ar- zu stellen. Wir denken
11. Wiesbadener Architektur 11
„Zeitenwende – Potenziale der
Wiesbadener Stadtentwicklung“, das
Motto des Architektursommers l
über einen Gestaltungs- Hier sind vor allem die
beirat aus Architekten, Wohnungsbaugesell-
Stadtplanern und Hi- schaften sehr aktiv. Wir Illustration: agentur-bell.de
storikern nach. Wir las- investieren 150 Millio-
sen uns von anderen nen Euro in die Sanie-
Städten über ihre Er- rung – vor allem ener-
fahrungen berichten. getische – ganzer
Wir wollen wissen wie Wohnblocks. Im Stadt-
es sich lebt im Weltkul- teil Weidenborn im Frankfurt
Das Thema „Wohnen“
in drei Diskursen
Darmstadt
Ideen für
und über die Stadt
Offenbach
Leben und Wohnen
Wiesbaden
Zeitenwende und
Potenziale
turerbe. Was ich nicht Südosten Wiesbadens Programmheft
Ausgabe 1
Gratis zum Mitnehmen
04/2011
möchte, ist, dass wir als mußten wir nach Erd-
Weltkulturerbe unter bewegungen 800
eine Glasglocke kom- Wohneinheiten aus den
men, unter der sich 50er und 60er Jahren
nichts mehr bewegen sanieren. Wir haben Schwerpu
Ausgabenkte
Frankfur
Darmst t &
adt
1
darf. Wir müssen na- das zum Anlass ge-
türlich die Marke Wies- nommen das ganze 01
baden erhalten. Wenn Viertel weiter zu entwi-
Foto: WAZ
wir anfangen würden, ckeln. Denn wir müssen
die historische Bau- den Platz nutzen, den
substanz zu zerstören, wir haben, und auch „Zum „Wieder- und Neuentdecken“ der Wiesbadener Baukultur lädt das Team vom
würden wir unser eige- Flächen umwidmen, WAZ Wiesbadener Architekturzentrum e. V. ein
nes Gesicht zerstören. um die große Nachfra-
Aber das bedeutet na- ge nach Wohnraum zu Der Architektursommer 2011
türlich nicht, dass wir decken. Und schauen in Wiesbaden
kein einziges modernes Sie zum Beispiel auf 26. August bis 4. September
Gebäude mehr bauen das ehemalige Areal
dürfen. Es geht nicht der Firma Linde in Von rund 220 Veranstaltungen im Rahmen An den darauf folgenden Events beteili-
darum, ob wir weiter Kostheim. „Die Sied- des Architektursommers finden unter der gen sich neben dem WAZ und der Stadt
bauen werden, sondern lung“, haben die Wies- Federführung des Wiesbadener Architek- Wiesbaden eine Vielzahl von Aktiven, unter
wir wollen gemeinsame badener früher dazu turzentrums (WAZ) rund 70 in Wiesbaden anderem die Hochschule RheinMain, die
Perspektiven entwi- gesagt. Das ist ein statt. Wohnungsbaugesellschaften, der Deutsche
ckeln, wie wir weiter klassisches Gartenstadt- Werkbund, freie Architekten und Kirchen.
bauen können, ohne modell – ein Schatz, Sie stehen unter dem Motto „Zeitenwen-
den Kern zu zerstören. ideal für Familien mit de+Potenziale“, ein Thema, das bereits im Auf dem Neroberg wollen schließlich „über
Kindern. Wir haben das Vorfeld der großen Auftaktveranstaltung den Dächern von Wiesbaden“ alle betei-
Bei der Frage um das alte Moos weggekratzt mit drei Vortragsabenden thematisiert ligten Städte den Abschluss des Architek-
Wie werden Themen und zum Vorschein wird. Sie beleuchten die entscheidenden tursommers feiern.
wie Energieeffizienz gekommen ist nicht nur Zäsuren in der Baugeschichte der Stadt.
und Bauen im Bestand eine moderne Struktur, Eigentlicher Auftakt für die zehntägige Programm und
immer wichtiger. Ist sondern auch schöne Veranstaltung wird ein Straßenfest in der ausführliche Informationen:
Wiesbaden hier auf Architektur. Hochstättenstraße sein. www.asrm2011.de
einem guten Weg?
12. 12 Eventstadt Wiesbaden
VERLEIHUNG DES MEDIENPREISES WIEDER IN WIESBADEN
Der Bambi
kehrt
zurück!
Seit mehr als sechs Jahrzehnten bewegt
und begeistert die Bambi-Verleihung.
In diesem Jahr werden die kleinen
Rehe im November auf einer Gala in
Wiesbaden vergeben. Die Landes-
hauptstadt ist damit nach 1991 be-
reits zum zweiten Mal Gastgeber,
wenn Stars aus dem In- und Ausland
mit Deutschlands wichtigstem Medi-
enpreis ausgezeichnet werden. Das goldene Reh
wird im November in
Wiesbaden verliehen
A
Als die Bambis des Jahres 1991 längst
vergeben waren, ließen sich drei
Preisträger noch zu einem einma-
ligen Auftritt hinreißen: Geigen-
virtuose Nigel Kennedy, Entertai-
ner Hape Kerkeling am Klavier
und Volksmusik-Star Patrick Foto: Hubert Burda Media
Lindner bildeten im Wiesbade-
nener Kurhaus zu später Stunde
ein ungewöhnliches Musik-Trio. „Sie
haben spontan eine Session dargeboten“, Rande wie der unvorhergesehene Auftritt sein entschlossenes und mutiges Handeln
erinnert sich Henning Wossidlo, Geschäfts- des Trios Kennedy, Kerkeling und Lind- vor allem während des August-Putsches in
führer der Kurhaus Wiesbaden GmbH. ner. Auch zwei Jahrzehnte später sind die Moskau geehrt. Allerdings war der Preis-
Erinnerungen an die Wiesbadener Bambi- träger nicht persönlich in Wiesbaden – die
Die 44. Bambi-Verleihung in Wiesbaden: Nacht noch lebendig: „Es war fantas- 600 geladenen Gäste im Kurhaus konnten
Das war eine glanzvolle Gala mit Preis- tisch“, urteilt Wossidlo ebenso knapp wie nur auf zwei großen Bildschirmen sehen,
trägern wie Hollywood-Legende Audrey eindeutig. wie Verleger Hubert Burda Jelzin den Preis
Hepburn oder dem damaligen russischen zuvor in Moskau übergeben hatte. Den-
Präsidenten Boris Jelzin; das waren aber Der erste Bambi an jenem Abend ging an noch wurde der Russe im Saal mit „stan-
auch kleine unvergessliche Momente am Jelzin als „Mann des Jahres“. Er wurde für ding ovations“ gefeiert.
13. Eventstadt Wiesbaden 13
Stehenden Applaus gab es auch für den und Lindner waren darunter unter sich immer mehr zu einer echten Event-
früheren Bundesinnen- und heutigen anderem Top-Model Claudia Schiffer, stadt“, freut sich Wirtschaftsdezernent
Finanzminister Wolfgang Schäuble, der Hochspringerin Heike Henkel, Journalist Detlev Bendel. „Und die Bambi-Verlei-
einen „Ehren-Bambi“ erhielt. Im Jahr Hanns Joachim Friedrichs, die Entertai- hung ergänzt unser Portfolio um eine
zuvor war der CDU-Politiker bei einer ner Siegfried und Roy sowie die Sänge- wirklich glamouröse Gala“. Nicht nur
Wahlkampfveranstaltung von einem rin Patricia Kaas. dem internationalen Publikum, das im
psychisch kranken Mann niedergeschos- November zur Bambi-Verleihung kom-
sen worden und sitzt seitdem im Roll- Im November wird der bereits 1948 ins men wird, möchte Bendel Wiesbaden als
stuhl. Ein, wenn nicht der Höhepunkt Leben gerufene Bambi nun zum zweiten attraktive Stadt präsentieren. „Der Bambi
der Verleihung war schließlich der Mal in Wiesbaden vergeben. Damit wird ist ein Medienereignis, das die Aufmerk-
Auftritt einer der ganz Großen Holly- der Wiesbadener Veranstaltungskalender, samkeit der Zuschauer über Deutschland
woods: Die Schauspielerin Audrey auf dem schon der „Ball des Sports“ oder hinaus auf uns lenken wird“, ist Bendel
Hepburn erhielt aus den Händen von die Open-Air-Konzerte auf dem Bowling überzeugt.
Oscar-Preisträger Maximilian Schell Green stehen, um ein absolutes Top-
den „Charity-Bambi“ für ihr Engagement Ereignis erweitert. „Wiesbaden entwickelt Veranstaltungen wie diese sind das
als UNICEF-Botschafterin. „Sahnehäubchen“ für das umfangreiche
Programm in der hessischen Landes-
Auch die Namen der wei- hauptstadt. Allerdings findet die Verlei-
teren Preisträger sind 20 hung in diesem Jahr nicht wie 1991 im
Jahre später keineswegs Kurhaus, sondern in den Rhein-Main-
vergessen: Neben dem Hallen statt. Der Grund dafür ist einfach:
Trio Kennedy, Kerkeling Für die Live-Übertragung in der ARD
wird mehr Platz gebraucht. Die Größe
des Kurhauses reiche nicht mehr aus, er-
Wirtschaftsdezernent klärt Wossidlo.
Foto: Andreas Baier
Detlev Bendel
sieht Wiesbaden als Noch ist völlig unklar, wer im November
Eventstadt auf dem über den roten Teppich vor den Rhein-
Vormarsch Main-Hallen laufen wird. Wer an die
Das Wiesbadener Kurhaus in
festlichem Glanz
Fotos (2): Hubert Burda Media
Bambi-Verleihung 1991 oder an bisherige
Preisträger wie den früheren US-Präsi-
denten Bill Clinton, Königin Sylvia von
Schweden oder Box-Legende Muhammad
Ali denkt, kann aber schon heute sicher
sein: Wiesbaden wird wieder einen Abend
Hollywood-Ikone Audrey Hepburn mit Oskar-Preisträger Maximilian Schell voller unvergesslicher kleiner und großer
bei der Bambi-Verleihung 1991 Momente erleben.
14. 14 Kunst in Wiesbaden
VON JAWLENSKY BIS ZU FLUXUS
„Kunst muss zugänglich sein“
Die Kunstszene in Wiesbaden braucht den Vergleich nicht zu scheuen. Die Stadt, in der
1962 der Startschuss für die deutsche Fluxusbewegung fiel und die heute alle zwei Jahre den
Wiesbadener Kunstsommer veranstaltet, beherbergt nicht nur eines der Flaggschiffe unter
den deutschen Landesmuseen. Sammler und Galeristen tragen hier ebenso zum kreativen Flair
bei wie die Nachwuchskünstler, die im Nassauischen Kunstverein ihre Werke zeigen.
D
Die Zeiten, da Museen der Ruf der
„Verstaubtheit“ vorauseilte, sind für
Alexander Klar längst passé. Kunst
„Expressionismus bis Minimal“ im Depot
des Museums zahlreiche Arbeiten ent-
deckt, die lange nicht gezeigt worden
zeigt. Peter Forster, unter den
Kuratoren zuständig für die Alten
Meister, hat diese Sonderausstellung
müsse zugänglich sein, mit einer niedrig waren und sie beziehungsreich mit bis bewusst breit angelegt: Sie präsentiert
angesetzten Schwelle und gleichzeitiger dato kaum präsentierten Skulpturen der die Landschaftskunst von der hollän-
Wahrung des Niveaus, betont der Direk- jeweiligen Epoche kombiniert. Neben dischen Landschaftsmalerei bis zur Vi-
tor des Wiesbadener Landesmuseums. Werken von Alexej von Jawlensky, der deokunst der Gegenwart.
Klar versteht sein Museum als „besucher- 20 Jahre lang bis zu seinem Tod in
orientiertes Haus“, das die Konkurrenz Wiesbaden lebte und dem das Museum Als „Keimzelle“ des Museums Wiesba-
zu Theater, Party oder Kino nicht fürch- Wiesbaden die weltweit umfangreichste den gilt der 1847 gegründete Nassau-
ten müsse, eine Zugänglichkeit, die auch Jawlensky-Sammlung verdankt, stellen ische Kunstverein Wiesbaden (NKV),
seinen drei Kuratoren am Herzen liegt. sie Arbeiten von Max Beckmann oder ein nach den Worten seiner Künstle-
Foto: Museum Wiesbaden
Das hessische Landesmuseum beherbergt viele Kunstschätze von Weltrang
Die Umbauphase im Haus nutzt das Emil Nolde, aber auch neue Dauerleihga- rischen Leiterin Elke Gruhn „einzigar-
Museumsteam kreativ, um verborgene ben von Ernst Ludwig Kirchner, Gabriele tiges Modell der Kunstförderung“, um
Schätze wieder ans Tageslicht zu brin- Münter und Karl Schmidt-Rottluff vor. das man weltweit beneidet werde. Die
gen. So haben Jörg Daur, Klars Stell- Die nach den Worten Daurs „vor dem Landeshauptstadt, so Gruhn, betreibe
vertreter und Kustos für die moderne geistigen Auge entstandene Hängung“ eine „gezielte Kulturförderung“. Sie
und zeitgenössische Kunst, und Roman weist zur Freude des Museumsdirektors beschränkt sich nicht allein auf das
Zieglgänsberger, verantwortlich für die keinerlei Brüche auf. Parallel zu „Ex- Domizil des NKV an der zentral gele-
klassische Moderne, für die bis Herbst pressionismus bis Minimal“ wird bis Ok- genen und repräsentativen Wilhelmstra-
diesen Jahres andauernde Ausstellung tober 2011 „Landschaft als Weltbild“ ge- ße. Auch das mit 10.000 Euro dotierte
15. Kunst in Wiesbaden 15
Der Schmetterling aus steht die Kunst der „Follow Fluxus
Rebecca Horns Installa- Stipendiatin 2011“, der tschechischen
tion „Circle for Broken Künstlerin Katerina Šeda auf dem
Landscape“ hat schon Programm, zum festen Bestandteil
viele Besucher fasziniert gehört die Dauerausstellung des
Fluxus-Künstlers Benjamin Patterson.
Als neuer Ausstellungsort für Künst-
„Follow Fluxus Stipendium“, das all- Rund 16 Ausstellungen werden auf lergruppen, Stipendiaten oder auch
jährlich an, sich an den Arbeitsweisen der 350 Quadratmeter umfassenden Wiesbadener Sammler hat im Früh-
von Fluxus orientierende aufstrebende Ausstellungsfläche des Nassauischen jahr nun auch die Kunsthalle am
Künstler vergeben wird, wird von der Kunstvereins pro Jahr gezeigt, mit- Künstlerhaus auf dem Schulberg ihre
Stadt ermöglicht. unter auch parallel. Für den Herbst Pforten geöffnet.
Fotos (4): Heike Rost
Museumsdirektor Alexander Klar im Kurator Peter Forster und Restauratorin Ann-Sophie Bennke
Ausstellungsraum „Informel“ haben Anselm Feuerbachs „Nanna“ aus dem Depot geholt
16. 16 Kunst in Wiesbaden
„Es gibt in dieser Stadt eine Menge Leute, die des letzten Jahrhunderts von Malern, „die wenige
für die Kunst etwas bewegen wollen“, beobachtet kennen und die es wert sind, entdeckt zu werden.“
Reinhard Ernst. Der 66-Jährige gehört zu den Dem Sammler geht es um die Geschichte, die sich
zahlreichen Sammlern in Wiesbaden. Seine Liebe hinter jedem Kunstwerk verbirgt, und darum, den
zur abstrakten und informellen Kunst entdeckte Künstlern, die nach dem Krieg gearbeitet haben,
der heutige Aufsichtsratsvorsitzende der Harmonic den Stellenwert zu verschaffen, der ihnen gebüh-
Drive AG durch ein Werk des Künstlers Karl Otto re. „Ich sammele diese Werke auch“, betont der
Götz. Seit rund zehn Jahren sammelt Ernst nun Wahl-Wiesbadener, „um sie irgendwann einmal
gezielt diese Kunst aus den 50er bis 80er Jahren der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“
Benjamin Pattersons Installation „Ben´s Bar“ ist Kunstsammler Reinhard Ernst hat sich der abstrakten
im Nassauischen Kunstverein zu sehen und informellen Kunst verschrieben
MUSEUMSDIREKTOR ALEXANDER KLAR IM PORTRÄT
Internationale Erfahrung und Elan für die Zukunft
„Die Lebensqualität ist hoch unter anderem in New York, tet. Nach Abschluss der seen des Landes Hessen und
und das kulturelle Angebot im London und Venedig. Promotion ging Klar zur Peggy verfügt über einen Jahresetat
Rhein-Main-Gebiet der Ham- Klar, in Waiblingen bei Guggenheim Collection nach von rund 4,5 Millionen Euro.
mer. Da ist es schwer, sich Stuttgart geboren und auch in Venedig. Weitere Stationen sei- Im Herbst 2012 sollen die Sa-
nicht in Wiesbaden einzule- Athen aufgewachsen, studierte ner Karriere waren die Kunst- nierungsarbeiten des 1915 er-
ben.“ Alexander Klar, seit in Erlangen Kunstgeschichte, halle in Emden und das Re- richteten Museums abgeschlos-
einem guten halben Jahr neuer Geschichte und christliche Ar- search Department des Victoria sen sein. Dann verfügen der
Direktor des Museums Wies- chäologie. Hier wurde er im and Albert Museums in London. Museumsleiter und sein knapp
baden, findet für seine Wahl- Jahr 2000 mit einer Arbeit über Vor seinem Wechsel nach Wies- 40-köpfiges Team über rund
heimat nur lobende Worte. das Leben und Werk des Archi- baden war er wissenschaftlicher 7500 Quadratmeter Ausstel-
Und der 42-jährige Kunsthi- tekten Friedrich Bürklein pro- Leiter des Emil-Schumacher- lungsfläche. Sie sollen künftig
storiker, der kürzlich geheira- moviert. Bereits 1997 hatte er Museums in Hagen. auch für die naturkundlichen
tet hat und gemeinsam mit seine Museumslaufbahn als As- Seine neue Herausforde- Schätze des Museumsfundus
seiner Frau das multikulturelle sistent am Guggenheim Muse- rung hat Klar mit viel Elan genutzt werden. Das ist für
Fotos (5): heikerost.com
Flair rund ums Heim im Wies- um in New York begonnen und angenommen. Das Museum Alexander Klar ebenso selbst-
badener Westend genießt, hat danach als freier wissenschaft- Wiesbaden ist neben den Häu- verständlich wie die Ausstel-
etliche Vergleichsmöglich- licher Mitarbeiter für das Euro- sern in Darmstadt und Kassel lung der Alten Meister im dann
keiten, arbeitete und lebte päische Burgeninstitut gearbei- eines von drei staatlichen Mu- renovierten Museumsflügel.
17. Kunst in Wiesbaden 17
oben: Kurator Roman Zieglgänsberger
mit „Nikita“, seinem Leiblingsbild von
Alexej von Jawlensky
unten: Jörg Daur, stellvertretender
„Nur eine einzige (geliebte) Rose“ heißt diese Installation Museumsdirektor, zeigt Eva Hesses
von Jochen Gerz im Landesmuseum „Eighter from Decatur“
18. 18 Mein Wiesbaden
ZDF-MODERATORIN BABETTE EINSTMANN IM GESPRÄCH
„In Wiesbaden
gibt es noch viel
zu entdecken“
Hinter Babette Einstmann liegt eine turbulente Woche.
Doch die Moderatorin, die seit 24 Jahren für das
ZDF arbeitet, unter anderem die Knoff-Hoff-Show und
die Starparade präsentiert hat und als Gesicht der
„drehscheibe deutschland“ einem Riesenpublikum
bekannt ist, hat den Stress längst vergessen. In
Jeans, Bluse und Stiefeln kommt die 48-Jährige
gut gelaunt ins Café Lumen und erzählt von
ihrer Liebe zum Theater und zur
Stadt Wiesbaden.
Frau Einstmann, Sie moderieren Aber nach dem Abitur und einem Jahr als
Politik- und Wissenschaftssendungen Aupair in Paris haben Sie eine Ausbildung
ebenso wie lockere Unterhaltung. als Theaterkauffrau gemacht. Warum?
Sind Sie eine Art Multitalent? Ich bin ein absoluter Theatermensch. Ich liebe
Ich bin von Natur aus neugierig und habe auch die Luft und die kreativen Menschen dort, die
nach vielen Jahren Berufserfahrung nach wie vor mit so viel Idealismus an die Arbeit gehen. Also
Spaß daran, mich in neue Materien einzuarbeiten habe ich mit 19 Jahren in meiner Heimatstadt
und sie meinem Publikum zu erklären. Hinter Hamburg an alle Bühneneingänge geklopft
die Sachen gucken, auch hinter komplizierte und bin schließlich als Technische Assistentin
Themen, sie verstehen und anderen verständlich beim Ernst-Deutsch-Theater gelandet. Das heißt,
machen: Das hat mich immer fasziniert und ist ich war ein Jahr lang Mädchen für alles: Garde-
bis heute mein Job. Als Kind wollte ich eigent- robiere, Bühnenarbeiterin, Souffleuse und
lich Lehrerin werden. Regieassistentin. Dann hat man mir einen Aus-
19. Mein Wiesbaden 19
bildungsplatz angeboten. Ich habe dort nicht
nur gelernt wie Theater funktioniert. Es war wie
eine zweite Familie für mich.
Wie sind Sie zum Fernsehen
gekommen?
Irgendwann hat mich die Dramaturgie interes-
siert und auch das Drehbuchschreiben. Damit
war klar, dass ich ein Studium machen mußte.
Also ging ich nach München und studierte
Publizistik, ein Fach, das mir thematisch viel
bieten konnte. Mit meinen Fernsehjobs habe ich Voller Elan und das bei jedem Wetter
zuerst eigentlich nur das Studium finanziert.
Dann hat mich das ZDF unter 5.000 Bewerbern
als eine von drei Nachwuchsmoderatorinnen Was sagen Sie als Theaterfan zum
genommen. So kam ich nach Mainz. kulturellen Angebot?
In Wiesbaden lohnt es sich wirklich, die Nischen
Seit zehn Jahren leben Sie jetzt in zu entdecken. Natürlich ist das Staatstheater
Wiesbaden. Wie erleben Sie als gebürtige prächtig, natürlich geben ganz große Stars ihre
Hamburgerin diese Stadt? Open-Air-Konzerte auf dem Bowling Green. Aber
Mit ganz großer Freude. Wiesbaden muss man mich zieht es eher zu den kleinen Bühnen, zum
zu Fuß erkunden, egal, ob man auf den Wochen- Pariser Hoftheater, das mich sehr an das Flair
markt geht oder auf den Neroberg oder in den Münchner Kleinkunstbühnen erinnert, in die
Taunusvororten wandert. Einer meiner Lieblings- Wartburg oder ins Thalhaus. Und ich verbinde
orte liegt übrigens mitten in der Altstadt, ein meine Theaterleidenschaft mit einem guten
kleiner Platz mit vielen Cafés, wo Goldgasse, Zweck und stelle gemeinsam mit Schauspielern
Mühlgasse und Grabenstraße aufeinander stoßen des Staatstheaters jedes Jahr eine Benefizgala
und man sich fühlt wie im Süden. für das Kinderhospitz „Bärenherz“ auf die Beine,
dessen Botschafterin ich seit neun Jahren bin.
Und ich schaue gerne in den vielen versteckten
Galerien vorbei und komme mit den Künstlern
ins Gespräch.
Das klingt nach einem vollen
Terminkalender. Was tun Sie, wenn
Sie wirklich mal frei haben?
Dann habe ich direkt ein schlechtes Gewissen.
Nein, im Ernst – ich mache dann gar nichts be-
sonderes, setze mich mit einer Latte Macchiato
auf den Balkon, lese ausnahmsweise mal alle
meine Tageszeitungen und vielleicht auch noch
Ihre knappe Freizeit ein gutes Buch. Das ist für mich Freizeit pur.
genießt Fernsehmodera-
torin Babette Einstmann Hamburg, München, jetzt Wiesbaden:
zuweilen im Café Lumen, Wo zieht es Sie als nächstes hin?
vor allem aber erkundet Ich habe diese Stadt wirklich lieben gelernt.
sie Wiesbaden, wie Meine Tochter ist hier geboren. Das verbindet.
hier am Warmen Damm, Sie und mein Mann haben bei der Ortswahl
gerne zu Fuß. natürlich auch ein Wörtchen mitzureden Aber
man sollte niemals nie sagen. Meine Schwester
lebt auf Long Island, meine Mutter in Portugal
und mein Bruder zieht gerade nach Hawaii
Fotos (3): heikerost.com
um. Mal sehen. Wiesbaden ist eine Stadt in
Bewegung und so lange sie sich bewegt bin ich
hier und bewege mich mit. Es gibt noch viel
zu entdecken.
20. 20 Theater aus Wiesbaden
Eine Oper
gilgamesch –
aus der
ein heldenepos einmal
Mitte der
ganz anders
Stadt
In jedem Menschen steckt ein Künstler: Hiervon
sind die Profis vom Hessischen Staatstheater in
Wiesbaden überzeugt. Gemeinsam mit rund
200 Bürgern aus allen Schichten, Nationalitäten
und Generationen haben sie die jahrtausende
alte Geschichte des sumerischen Königs Gilgamesch
zu einer neuen Oper verarbeitet. Entstanden
Die Kreativität ganz
ist ein Gesamtkunstwerk aus der Mitte der Wies- unterschiedlicher Menschen
motiviert sie: Projektleiterin und
badener Gesellschaft. Regisseurin Priska Janssens
D
„Das, wo Ihr jetzt steht“, erklärt Priska
Janssens den aufgeregten Kindern, „ist
unsere Bühne“. Die Regisseurin zeigt auf
gehoben hat. 90 Sekunden dauert die
musikalische Improvisation, mit der sie
die Zuschauer auf die Atmosphäre in
sie, sich in die Gruppe zu integrieren und
verantwortlich zu fühlen für das Projekt.
Unter ihnen sind Problemfälle, die ihre
den riesigen Zuschauerraum im Großen Gilgameschs Hauptstadt Uruk und auf Lehrer manchmal in die Verzweiflung
Haus des Hessischen Staatstheaters mit die Oper einstimmen sollen. Es sind 90 treiben, aber nun an ihrer kreativen Auf-
seinen Logen, Blattgold und wilhelmi- Sekunden, die Geduld und viel Feinarbeit gabe wachsen. „Das ist es, was mich an
nischem Prunk: „Bis da ganz oben hin erfordern. dieser Arbeit fasziniert“, sagt der 57-Jäh-
muss man Euch hören – ohne Mikro, rige, der seit 28 Jahren im Wiesbadener
alles absolut life.“ Eine echte Herausfor- „Jeder, der mitmacht, ist ein Mosaikstein Staatsorchester Oboe spielt und zu den
derung, wenn man bislang nur in einem für das Ganze. Das möchte ich diesen Profikünstlern gehört, die sich nun erneut
Klassenraum geprobt hat. Die Fünftkläss- Kindern vermitteln.“ Seit Wochen probt für eine Aufführung engagieren, die das
ler der Sophie-und-Hans-Scholl-Schule Franz-Josef Wahle schon mit den Ge- Staatstheater für alle gesellschaftlichen
wissen, dass es auf sie ankommt noch samtschülern, steht manchmal wie ein Gruppen in der hessischen Landeshaupt-
bevor sich der Theatervorhang richtig Dompteur zwischen ihnen und animiert stadt öffnen soll.
21. Theater aus Wiesbaden 21
Fotos (alle auf dieser Doppelseite): eigenart Eckhart & Pfannebecker, Wiesbaden
Haben mit Wiesbadener Bürgern die Musik für
die Gilgamesch-Oper geschrieben:
Die Komponisten Ernst August Klötzke (links)
und Cornelius Hummel (rechts)
In den Hauptrollen: Die Sänger
Erik Biegel (links) als Enkidu
und Reinhold Schreyer-Morlock
(rechts) als Gilgamesch
Die „Kreativität ganz unterschiedlicher 47-Jährige. Dann folgte zweimal hinterei- mentalbauten überzieht und nach Unsterb-
Menschen“ und die Lust gemeinsam mit nander Move@School, ein Projekt, das zu- lichkeit sucht. Im Geschöpf Enkidu findet
ihnen etwas auf die Beine zu stellen ist letzt rund 300 Kindern und Jugendlichen er einen positiven Gegenpol aus der Natur
eine Motivation, die Projektleiterin Jans- aller Schulformen die Bühne frei machte und, nachdem die beiden sich heftig be-
sens schon lange antreibt. Mit Produkti- für ihre musikalischen Interpretationen von kämpft haben, auch einen Weggefährten.
onen wie „Semiramis“ und „Wolkenku- Werken Erik Saties und Paul Dukas`. Der Stoff ist oft interpretiert worden. Jetzt
ckucksheim“ ist die Chefin des Jugend - bringt eine bunt gemischte Gruppe aus
referats des Staatstheaters in die Problem- Diesmal dreht sich alles um den sume- Wiesbadener Bürgern – Senioren, Schüler,
viertel der Stadt hinausgegangen und hat rischen König Gilgamesch und seinen wil- Arbeitslose, Akademiker und behinderte
in einem leeren Supermarkt oder einer ge- den Freund Enkidu, deren Geschichte sich Menschen – ihn mit Hilfe der Theaterprofis
schlossenen Schule gemeinsam mit den Be- vor rund 5.000 Jahren im alten Babylon als Oper auf die Bühne. Begonnen hat ihre
wohnern Theater gemacht. Selbst gestan- zugetragen haben soll und der Nachwelt Arbeit vor zwei Jahren. Sie haben gemein-
dene Wiesbadener Theaterbesucher seien auf 12 Tontafeln erhalten ist. Gilgamesch sam das Libretto geschrieben und die
zuhauf gekommen, erinnert sich die ist ein Despot, der seine Stadt mit Monu- Musik komponiert. Seit September proben
22. 22 Theater aus Wiesbaden
Geben den Auftakt: Die
SchülerInnen der Sophie-
und-Hans-Scholl-Schule
Spielen die Tiere:
SchülerInnen der Fluxusschule
mit ihrer Lehrerin Mechthild
Zimmer-Zilias
sie für die Uraufführung am 10. Juni. ckelt. Dabei konnte längst nicht jeder aus Stadt Uruk projezieren. In ihrer Inszenie-
Nicht mehr als 25 Minuten geschriebene der Kompositionsgruppe Noten lesen oder rung nimmt Gilgamesch eine positive Wen-
Musik hatte Cornelius Hummel zu Projekt- gar schreiben. Manche sangen ihre Ideen dung hin zu einem moralischen Herrscher.
beginn erwartet. Am Ende waren einein- auf Band, andere beschrieben ihre Musik- Die 65-jährige Angela Sprengel versucht das
halb Stunden entstanden, die Partitur um- vorstellungen einfach. „Wir haben zeitge- so zu erklären. „Gilgamesch war ein un-
fasst 181 Seiten. „In der künstlerischen nössische Musik geschaffen - von hoher schlagbarer Halbgott, der seine Bürger ge-
Zusammenarbeit zwischen Profis und Laien Qualität und zusammen mit den Menschen, knechtet hat. Aber am Ende setzt er sich
liegt ein unglaubliches Potential“, findet die hier leben“, sagen die beiden Kompo- gemeinsam mit ihnen für die guten Werte
der freie Cellist und Komponist. Gemeinsam nisten. ein“. Die gelernte Arzthelferin gehört zur so
mit den Wiesbadenern und dem künstle- genannten freien Gruppe, die in der Oper
rischen Leiter der Musiktheaterwerkstatt am Zudem galt es, einen alten Mythos in eine das unterdrückte Volk von Uruk verkörpert.
Staatstheater, Ernst August Klötzke, hat moderne Stadt wie Wiesbaden zu übertra- Den Traum „Theater spielen“ verwirklicht
Hummel die musikalischen Motive für die gen. Viele Probleme heutiger Großstädte, ist sie seit sie in den Ruhestand gegangen ist.
Hauptfiguren erarbeitet und weiterentwi- Janssens überzeugt, könne man in die Wie einige andere hat sie bereits ein biss-
23. Theater aus Wiesbaden 23
Glaubt an die künstlerische
Kraft der Kinder:
Musiker Franz-Josef Wahle
Fotos (alle auf dieser Doppelseite): eigenart Eckhart & Pfannebecker, Wiesbaden
Arbeitet gern mit den
Künstlern auf Zeit: Tenor
Erik Biegel
chen Theatererfahrung, aber der experi- Wölfe, Vögel und Affen zu ihm und ma- Menschen zusammen, „die noch nicht
mentelle Ansatz des Werkes fordert an vie- chen ihm ihre Bewegungen vor. Die Schü- so abgeklärt sind und einfach Theater
len Stellen immer wieder neuen Mut. ler der Wiesbadener Fluxusschule, einige machen wollen“. Das sei ein Stück
Über der Bühne im Wiesbadener Staatsthe- von ihnen schwerst behindert, spielen die „Lebensqualität“ für ihn. Auch auf das Ge-
ater geht der Mond mit einem riesigen Tiere als hätten sie nie etwas anderes ge- meinschaftsgefühl am Abend der Urauffüh-
Paukenschlag auf. Eine in weiße Tücher ge- macht: „Menschen mit Behinderungen“, rung freut sich der 41-Jährige. Rund 100
wickelte Gestalt taucht auf, rollt sich die weiß Janssens aus langer Erfahrung, „Künstler auf Zeit“, vier Solisten, der
Bühne herunter und bleibt regungslos lie- „haben eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Opernchor und das Staatsorchester sind
gen. Von allen Seiten kriechen Kinder und Das kann ihnen kein Profi nachmachen.“ dann gefragt. Und im Orchestergraben wird
Jugendliche auf sie zu und wickeln sie Franz-Josef Wahle Oboe spielen und sich
langsam aus: Enkidu ist geschaffen, ein Für Erik Biegel, der die Rolle des Enkidu sicher sein, dass seine Schützlinge ihren
Wesen, das nicht sprechen kann und die spielt und singt, ist der gemeinsame Auf- Part auch ohne ihn meistern – ganz in Ei-
Natur erst kennen lernen muss. Also tritt mit den Förderschülern ein ganz genverantwortung.
kommen die Rehe, Schlangen, Antilopen, besonderer. Der Tenor arbeitet gerne mit
24. 24 Wiesbadener Perfektion
HARFEN VON WELTRANG
Wertvolle Handarbeit
für den perfekten Klang
An der Hauswand
des unscheinbaren
Altbaus im Wiesba-
dener Westend hängt
nur ein kleines Fir-
menschild: „Thurau
Harfenmanufaktur“.
Schaufenster oder
große Verkaufsräume
gibt es hier nicht,
nur eine kleine Werk-
statt im Erdgeschoss.
Dabei gehört der
Betrieb international
zu den ersten Adres-
sen im Harfenbau.
25. Wiesbadener Perfektion 25
U
Um fast zwei Meter große Konzertharfen
zu bauen, braucht Rainer Thurau am
Ende winziges Werkzeug: Einen Hobel
die Einmaligkeit.“ Musiker sollen mit ge-
schlossenen Augen hören können, wenn
eine „echte Thurau“ erklingt.
seine Arbeiten auf Kunstaustellungen
und strebte schließlich sogar einen Stu-
dienplatz an der Akademie der Bildenden
etwa, der kaum größer als ein Fingerna- Künste in Berlin an. Doch letztlich gab
gel ist. Oder ein silberfarbenes Messge- Bei historischen Harfen dagegen will er er diesen Plan und auch das Medizin-
rät, das sonst Zahntechniker benutzen, den Klang alter Zeiten wieder aufleben studium zugunsten des Harfenbaus auf.
um Kronen zu messen. Denn bei einer lassen. Dazu versucht der Künstler, sich Sogar die Malerei stellte er dafür über
hochklassigen Harfe kommt es auf jedes in die Klangwelt vergangener Jahrhun- Jahrzehnte zurück. Erst seit gut fünf
noch so kleine Detail an: „Alles muss derte hineinzuversetzen. „Ich stelle mir Jahren malt er wieder intensiver und
auf den Zehntelmillimeter genau stim- vor, ich wäre ein Harfenbauer vor 200 plant neue Ausstellungen seiner Werke.
men“, sagt Thurau. Jahren“, sagt er. Seine erste Harfe baute
Thurau 1976 in Berlin – aus reinem Doch noch ist sein Name vor allem mit
Bei den Instrumenten, die die Manufak- Zufall. In Hamburg geboren und in der Harfen höchster Qualität verbunden und
tur des 60-Jährigen verlassen, stimmt Nähe von Stuttgart aufgewachsen war er dies, obwohl er sich das Handwerk als
offensichtlich alles: Thuraus Konzert- als 17-Jähriger in den Westteil der da- reiner Autodidakt aneignete. Der Har-
harfen werden auf der ganzen Welt ge- mals geteilten Stadt gekommen. Als dort fenbau zog ihn 1983 auch von Berlin
spielt. Von ihm rekonstruierte historische seine Irish-Folk-Musikgruppe eine Harfe zunächst nach Ulm, weil er dort bessere
Harfen stehen in Museen. Und immer brauchte, entschied er kurzerhand: „Die Chancen für sein Geschäft sah. „Berlin
sind es Unikate – denn Standardware baue ich selbst.“ Und damit war seine
gibt es in der „Thurau Harfenmanufak- Passion geweckt.
tur“ nicht. „Ich bin keine Fabrik, ich
mache Handarbeit“, sagt der Mann mit Eigentlich ist Thurau gelernter Groß-
dem wallenden grauen Haar. und Außenhandelskaufmann. Sein Abitur
machte er in Berlin nach und begann
In eine Konzertharfe steckt Thurau rund dort Medizin zu studieren. Vor allem aber
1.200 Arbeitsstunden – würde er ohne widmete er sich der Malerei. Er schloss
eine einzige Minute Pause Tag und Nacht sich einer Künstlergruppe an, präsentierte
arbeiten, wären das fünfzig Tage. Für eine
„Folklore-Harfe“, die ambitionierte Hobby-
musiker spielen, setzt er immer noch
80 Stunden an. Ein solcher Aufwand hat
seinen Preis: Konzertharfen sind ab
Fotos (6): Gerhard Hirsch
65.000 Euro zu haben – ohne eine Grenze
nach oben. „Folklore-Harfen“ kann man
immerhin ab 6.000 Euro kaufen.
Dafür will Thurau seinen Kunden perfekte
Instrumente liefern. Fast alles macht er war damals eingemauert und ein mise-
dabei selbst; nur einen festen Mitarbeiter rabler Standort für eine internationale
beschäftigt der Harfenbauer. Seine Instru- Karriere“, erinnert sich Thurau.
mente bestehen meist aus Ahorn-Holz,
aber auch aus Fichte, Kirsche oder Buche. Ende der 1980er Jahre begann er, mit
Die Saiten sind aus Naturdarm, gelegent- der renommierten Harfenbau-Werkstatt
lich aus Nylon oder Karbon. Oft werden „Josef Löffler & Sohn“ in Wiesbaden
die Harfen noch aufwendig verziert oder zusammenzuarbeiten und zog 1990
gar vergoldet – doch letztlich zählt für schließlich nach Hessen um. Nachdem er
Thurau vor allem der Klang des Instru- erfolgreich die Prüfung zum Konzert-
ments: „Die Kunst steckt im Sound, da ist harfenbauer auf Meisterniveau abgelegt
hatte, übernahm er 1993 die Firma Löff-
ler und gründete die „Thurau Harfen-
Millimeterarbeit: Rainer manufaktur“. Seither baut Rainer Thurau
Thurau achtet beim Bau in der kleinen Werkstatt in der Wiesba-
seiner hochwertigen Harfen dener Helenenstraße Instrumente von
auf jedes Detail. Weltrang.