m Zentrum dieses Vortrags stehen die unterschiedlichen Formatierungen sozialer Interaktion, die auf verschiedenen Social-Media-Plattformen vorzufinden sind, wobei das besondere Interesse der Mikroblogging-Plattform Twitter gewidmet ist. Während Social Networking Sites (SNS) in der Regel auf die kleinteilige Modellierung einer Persona sowie der sozialen Interaktion setzen, sind die Möglichkeiten auf Twitter vergleichsweise begrenzt: Nutzername, Vor- und Nachname, Link und Kurzbio, damit sind die Mittel der Selbstpräsentation auf der Profilseite bereits umschrieben. An die Stelle der vielfältigen Formen der Interaktion, wie sie auf Facebook, StudiVZ etc. möglich werden (poken bzw. gruscheln, kommentieren, Gefallen ausdrücken, öffentliche oder private Nachrichten schreiben, jemandem einen 'Zombie Hug' geben, etc.), stehen im Zentrum von Twitter ein 140-Zeichen-Textfeld und eine Follower-Following-Logik, die sich von der Reziprozität der sozialen Beziehungen auf SNS unterscheidet. Vor dem Hintergrund von Victor Turners Konzepten von Liminalität und Communitas befasst sich der Vortrag mit der Frage der Konstruktion und Verhandlung des Sozialen im Web 2.0.
Microblogging und die Verhandlung des Sozialen im Web 2.0
1. Microblogging und die
Verhandlung des Sozialen
im Web 2.0
Wissenschaftliche Tagung des Instituts für
Medienwissenschaft der Universität Basel
15./16. Oktober 2009
Jana Herwig, M.A., Ass. am Lehrstuhl Intermedialität,
Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Universität Wien
@digiom | digiom.wordpress.com
jana.herwig@univie.ac.at
2. Gegenstand: Web 2.0
Personalisierte Interfaces in der apparativen
Anordnung eines HCI (Human-Computer Interface)
Technologien, Architekturen, Produktionsweisen
z.B. AJAX, Tags, RESTful Services, offene APIs,
User/Coder, Permanently Beta, Startups, Venture Capital, etc
Aneignung der Technologien durch NutzerInnen
z.B. kreierte Accounts, Profile, Daten, Mashups, Bilder, Video,
konsumieren, kommentieren, bewerten, weiterleiten, bearbeiten
3. Was ist Twitter?
Twitter ist eine sogenannte
Microblogging-Plattform, auf
der man in max. 140 Zeichen
mitteilen kann, was man grad
tut oder was einen bewegt.
9. Zwischen Blogs und SNS
Blogs Twitter Facebook
Abonnieren RSS-Feed ‚Folgen‘
Kontakt einseitig
(‚Follower‘)
oder
reziprok
(‚Friend‘)
Reziprok
10. Zwischen Blogs und SNS
Blogs Twitter Facebook
Abonnieren RSS-Feed
(Themen?)
‚Folgen‘
Kontakt einseitig
(‚Follower‘)
oder
reziprok
(‚Friend‘)
Reziprok
(Abbilden
von Offline-
Beziehungen?)
11.
12.
13.
14. Verhandlungen des Sozialen
1. Anhand einer Interface-Analyse für den
Fall von Microblogging rekonstruieren, wie
UserInnen sich ein Interface aneignen und
so ein soziales Medium schaffen (Initiation).
2. Anhand eines Vergleichs der UserInnen-
Aktivitäten von sogenannten ‚Early‘ und ‚Late‘
Adopters‘ die soziale Integration eines neuen
Mediums nachvollziehen.
15. Leitkonzepte der Analyse
1. Interface-Analyse: Victor Turners
Konzepte der Liminalität und Communitas;
Fokus: Frühphase der Nutzung (Individuum)
2. Veränderung der Aneignungsformen:
Early Adopters (Okt‘06-Mar‘07) vs Late Adopters
(Mar‘09-Jul‘09) -> mögliche Aussagen
zur Veränderung der Funktion Twitters (als
liminaler, i.e. zeitlich begrenzter Raum)?
19. Early Adopter
User E: streng
formatierte
Antworten
auf die Frage
What are
you doing?
über mehr
als 50 Tweets;
erster Dialog
(@-Response)
nach 430 Tagen
bzw. 106
Updates
20. Twitter als
asoziales
Medium?
87.5% der Early Adopter*
berichten im ersten Tweet
was sie gerade tun.
* Sample 1 (16 UserInnen, registriert zwischen
Oct‘06 & Mar‘07
In der Gesamtheit aller 5767 Tweets von
60 Usern stellte Michaud 2007 fest, dass
nur 41.5% die Frage What are you doing?
beantworten.
21. Schwerer Start für Early Adopter
15 von 16 Nutzern (94%) unterbrechen
die Aktivität auf Twitter für ≥ 28 Tage; die
meisten (12/16) in den ersten 2 Monaten.
26. Visualisierung beginnt mit dem ersten Update - im Fall von
User L 600 Tage nach der Registrierung.
User L
27. Video mit allen Säulendiagrammen der Early Adopter Gruppe:
http://www.youtube.com/watch?v=VhPdQaZ_Wu4
User O (‚Lead User‘)
28. Warum twittern?
Was kännte Ende 2006, Anfang 2007
ein Anlass gewesen sein sich auf Twitter
zu registrieren?
Was berichten die UserInnen in
ihren ersten Updates bzw. nach einer
Twitter-Pause?
29. Hypothese 1: Nickname sichern
4 von 16 fangen erst 61, 64, 87 bzw. 600
Tage nach der Registrierung an, Updates
zu schreiben. Zweites Update von User L:
(vgl. http://usernamecheck.com)
30. H. 2: Webtechnologieinteresse
“Testing this twitter Flex interface”
“wondering if there’s a way to push
Adium / Facebook updates to Twitter
automatically”
“Just twitting from my DOS console”
“Trying to figure out the twitter api”
32. H.4: Sozial-/Themeninteresse
“thinking about next season as a
Happy Hammer - prompted by a fellow
fan now following me.”
“@xxx You are not the only one in
the UK that is glad to see AmberMac
back on here, Shame Net@Nite is
no longer recorded live though ”
33. H.5: ? (Liminale Herausforderung)
“Testing this gadget”
“Testing twitter”
“back”
“ASDf”
“mic check, 1-2”
“i totally forgot about twitter, i suck”
“trying to remember how to use twitter”
35. Entdeckung der sozialen
Dimension (Ko-Präsenz)
Nachdem die UserInnen in der Early-
Adopter-Gruppe die @-Response das
erste Mal benutzt haben, unterbrechen
nur noch 25% ihre Aktivität ein weiteres
Mal (für min. 28 Tage).
36. Leichter Start mit dem Mainstream
Lediglich 1 von 11 UserInnen stellte das
Twittern für min. 28 Tage ein (Gesamtzeit
auf Twitter: 2 bis 7 Monate)
37. Early Adopters
● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●
12.5% Frauen
(2 von 17)
Late Adopters
● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●
91% Frauen
(10 von 11)
38. Late Adopter & Prominente
C2 schickt in den ersten 100 Updates @-Responses
an 15 Prominente (Musiker, TV-Moderatoren, Filmstars).
E2 schickt in den ersten 100 Updates @-Responses11 an
11 Promis inkl. Fake Accounts und Serienfiguren).
M2 (erstes Update: @-Response) reagiert anfänglich fast
ausschließlich auf Accounts von Mitgliedern von NKOTB,
lädt diese z.B. in Bars ein.
H2 (erstes Update): Still seems a little nuts to me...i mean
where is barack and ashton??? i will get the hang of it..
i graduated u of c
39. Soziale Mechanismen werden im
Mainstream schneller erlernt (1)
@-Response:
EA: Innerhalb von 21 bis 745 Tagen
bzw. in Tweet Nr. 3 bis 302
MS: Innerhalb von 1 - 25 Tagen
bzw. in Tweet Nr. 1 bis 64
40. N.B.: Die nächsten vier Beispiele stammen
nicht aus den Early/Late Adopter Samples
140 Zeichen als kollektives,
sozio-semantisches Labor
43. Hashtag
Jetzt geht es weiter mit @yatil und HTML5 #bcvie09
Hat jemand ein iPhone Ladegerät dabei? #bcvie09
Ortung von Körpern im Raum
(vgl. Willis/Linz 2009)
48. UserInnen retweeten um....
• möglichst viele über etwas zu informieren
• die ‚Verfolger‘ zu unterhalten
• Tweets von anderen zu kommentieren
• zu bestätigen, dass man zuhört
• öffentlich zuzustimmen
• einen Freundschaftsdienst zu leisten
• u.v.m. (siehe boyd/Golder/Lotan 2010)
49. Soziale Mechanismen werden im
Mainstream schneller erlernt (2)
Hashtag (#...):
EA: 292 bis 957 Tage
MS: 1 bis 143 Tage
Retweet (RT...):
EA: 405 bis 947 Tage
MS: 1 bis 94 Tage
(N.B. # und RT waren 2006 vermutlich noch nicht bekannt)
56. Communitas ist fragil
Mit persönlichen Angaben aus Offline-
Bezügen werden auch Hierarchien
und soziales Kapital mit
übernommen.
Oprah Winfrey schrieb in 7 Mon.
sechs @-Responses - fünf mal
an Prominente. @oprah erhält
selbst etliche @-Reponses pro
Stunde.
57. Differenzierung über Anonymität
Facebook: Real Names erwünscht, zahl-
reiche Anlässe zum Abgleich mit Offline.
Twitter: Optionale Anonymität (bis hin zur
Möglichkeit geschlossener Profile)
4chan, Random /b/: Anonymitätspflicht
(/b/ gilt als Mem-Fabrik, Rickroll, Lolcats)
58. Mikroblogging setzt auf Kargheit - und damit die
Notwendigkeit, das Soziale selbst zu gestalten.
Viele der Prozesse der Interfaceaneignung lassen
sich in Analogie zu Liminalität beschreiben.
Die individuellen Aneignungsprozesse verändern
mit der Integration eines Mediums (Early/Late A.).
Verzicht auf die Vernetzung mit Offline-Bezügen
scheint Communitas wahrscheinlicher zu machen.
Verhandlungen des Sozialen