1. Bewusstlose Verbraucher und
Elefanten im Dunkeln
Mythen und Missverständnisse der Werbewirkungsforschung
Dirk Engel
Frankfurt am Main, 28. November 2016
2. Screenforce Expertenforum 2016
http://werbewirkungs-report.de
1
4. Zitate: Alles scheint unbewusst zu sein
„Heute weiß man, dass zwischen 75% und 90% aller Entscheidungen unbewusst
getroffen werden und Emotionen dabei eine große Rolle spielen.“
Carolin Riedl (2016): Werbewirkungsforschung: Neue Ansätze durch Neuromarketing
„70 bis 80 Prozent aller Entscheidungen werden unbewusst getroffen, manche
Wissenschaftler sprechen sogar von bis zu 95 Prozent.“
Peter A. Worel (2011): Türöffner zum Erfolg: wie Sie bei Gesprächspartnern und Kunden überzeugend auftreten
„Nach den Erkenntnissen der Hirnforschung werden über 95% aller „Entscheidungen“
unbewusst getroffen – nicht rational.“
Dr. Ralf Mayer de Groot (2014): Unbewusste Kaufentscheidungen zuverlässig vorhersagen und beeinflussen,
absatzwirtschaft 11
http://werbewirkungs-report.de
4
5. Die Quelle: Gerald Zaltman
http://werbewirkungs-report.de
5
The 95-5 Split
„At least 95 percent of all
cognition occurs below
awareness in the shadows of
the mind, while, at most, only
5 percent occurs in higher-
order consciousness.
Quelle: Zaltman: How Customers Thing, 2003, S. 50
6. Das Modell: The Mind of the Market
http://werbewirkungs-report.de
6
Unbewusste
Prozesse
Bewusste Prozesse
Quelle: Zaltman: How Customers Thing, 2003, S. 31
Konsumenten Marketers
8. Vorsicht vor der Gleichsetzung von...
unbewusst = emotional
= irrational
= unterschwellig
= unwillentlich
http://werbewirkungs-report.de
8
9. Die schwache Variante des „95-5-Split“:
„Wir haben herausgefunden, dass im menschlichen Gehirn
neuronale Prozesse und bewusst erlebte geistig-psychische
Zustände aufs Engste miteinander zusammenhängen und
unbewusste Prozesse bewussten in bestimmter Weise
vorausgehen.“
11 Neurowissenschaftler in dem „Manifest über Gegenwart und Zukunft
der Hirnforschung“
http://www.spektrum.de/thema/das-manifest/852357
http://werbewirkungs-report.de
9
10. Vielfalt an impliziten und expliziten Prozesse
Eher implizit
• Emotionale Reaktionen
• Intuitive Entscheidungen
• Sensorische Wahrnehmung
• Habituiertes Verhalten
(Autopilot)
• Priming
„vorbewusst“
• Stimmungen
• Routiniertes Kaufverhalten
• Impulsives Kaufverhalten
Eher explizit
• Kommunikation mit
anderen
• Rationale Entscheidungen
• Nachdenken
• Fokussierte
Aufmerksamkeit
• Geplante Handlungen
• Erinnerung an früheres
Verhalten
• Markenwissen
• Einstellungen
http://werbewirkungs-report.de
10
11. Warum man das Bewusste nicht vernachlässigen sollte...
• Zusammenspiel zwischen bewussten und unbewussten Prozessen ist komplex
• Entscheider orientieren sich an „rationaler“ Norm
• Wichtige Heuristik: Ein guter Grund genügt!
• Bewusste Rechtfertigung des Kaufs vor sich selbst – und anderen
Werbung muss Argumente liefern, die verstanden und gelernt werden
http://werbewirkungs-report.de
11
14. http://werbewirkungs-report.de
14
Der Homo Oeconomicus hat viele Väter
• Der Begriff wird oft mit Adam Smith in
Beziehung gebracht.
• Tatsächlich war es John Kells Ingram, der
1888 erstmals vom “Economic Man”
sprach.
• Vilfredo Pareto, verwendete Ende des
19. Jahrhunderts die lateinische
Schreibweise.
Adam Smith (1723-1790)
Vilfredo Pareto
(1848 – 1923)
John Kells Ingram
(1823 – 1907)
15. Ist der Homo Oeconomicus ein Egoist?
http://werbewirkungs-report.de
15
• Der Homo Oeconomicus ist keine
Beschreibung des Menschen, sondern ein
idealtypisches Modell.
• In den Wirtschaftswissenschaften werden
Modellierungen mit unterschiedlichen
Annahmen eingesetzt.
• Der rein egoistisch handelnde Akteur ist
nur ein Sonderfall und keine empirische
Beschreibung des „Wesen des Menschen“.
17. Der Homo Oeconomicus bringt immer noch neue Insights
http://werbewirkungs-report.de
17
Gary S. Becker (1930 – 2014)
• In vielen Studien zeigt sich die Nutzen-Maximierung – wahrscheinlich gehört das zu unseren evolutionären
Ausstattung
• Der Nutzen ist nicht immer finanzieller Art und direkt erkennbar – es gibt auch sozialen Nutzen
• Analysen auf hoher Aggregations-Ebene zeigen viele Beispiele für Nutzenmaximierung
Edward O. Wilson (* 1929)
19. Warum ist das Modell des emotionalen, unbewussten, irrationalen
Konsumenten gerade heute wieder so beliebt?
• Die Realität scheint sich den idealen
Bedingungen des Homo Oeconomicus
anzunähern
– Mehr Informationen verfügbar
– Besseres Abwägen
– Automatisierte Nutzenmaximierung
– Skepsis gegenüber Marken
• Auf der anderen Seite feiert die Marketing-
Theorie den irrationalen Konsumenten
• Wunschdenken?
http://werbewirkungs-report.de
19
20. Kein Entweder-Oder in der Marketing-Theorie
• Es gibt Kaufentscheidungen, bei denen kommen wir den Ideal des rationalen
Entscheiders sehr nahe.
• Und es gibt andere Entscheidungen, bei denen wir überhaupt nicht rational
vorgehen.
• Beides ist Realität. Wir müssen Modelle finden, die uns helfen, die Bedingungen für
beide Entscheidungswege zu erkennen.
http://werbewirkungs-report.de
20
22. Zwei Klassiker: AIDA
Die Oper:
– Giuseppe Verdi
(1813 – 1901)
– Uraufführung 1871
Das Modell:
– Elias St. Elmo Lewis
(1872 - 1948)
– Entwickelt 1898
http://werbewirkungs-report.de
22
23. Kommunikationsmodelle von vorvorgestern?
„Wer wie die altvorderen Werber immer noch glaubt, Aufmerksamkeit stünde an erster
Stelle, wird vor allem laut trommeln und nach dem Gießkannenprinzip alles über alle
ausgießen. Heißt: Man macht alle nass, um am Ende zu schauen, wer sich darüber
freut.“
Anne M. Schüller: AIDA, Sales Funnel und Buying Cycle:
Kommunikationsmodelle von vorvorgestern (2016)
„Stufenmodelle sind trivial, ihre Aussagekraft wird noch heute überschätzt. Daran
änderten auch Modifikationen wie beispielsweise das so genannte DAGMAR-Modell ...
nichts.
Wolfgang J. Koschnick: Requiem für AIDA (2005)
http://werbewirkungs-report.de
23
Quellen: http://www.medialine.de/media/uploads/projekt/medialine/docs/publikationen/jb_2005/jb_2005_kb01_koschnick.pdf ; http://blog.anneschueller.de/aida-sales-funnel-
und-bying-cicle-kommunikationsmodelle-von-gestern/
24. Sind Modelle unnütz, nur weil sie alt oder unvollständig sind?
• Modelle beschreiben die Wirklichkeit nicht 1:1
• Sie reduzieren Komplexität und weisen auf relevante Aspekte hin
• Sie haben eine Kommunikations-Funktion
• Eine Vielfalt an Modellen fördert die Erkenntnis und erweitert
den Werkzeugkasten der Praktiker
http://werbewirkungs-report.de
24
Kurt Lewin, Sozialpsychologe (1890 – 1947)
„Nichts ist so praktisch, wie eine gute Theorie!“
25. Zum Beispiel erinnert uns AIDA daran...
• ..., dass Aufmerksamkeit (im Sinne einer Orientierungs-Reaktion) eine
Grundvoraussetzung für Werbewirkung ist.
• ..., dass der Schritt zur nächsten Stufe nicht automatisch erfolgt.
• ..., dass Aufmerksamkeit kein Selbstzweck ist.
http://werbewirkungs-report.de
25
31. Zwei Funktionen von Indikatoren
Erkenntnis-Funktion:
• Indikatoren für (nicht beobachtbare)
Konstrukte
• Verstehe ich die Wirklichkeit besser?
• Langfristige Mechanismen?
http://werbewirkungs-report.de
31
Controlling-Funktion:
• Kennzahlen, um Maßnahmen zu
optimieren
• Gehen die Maßnahmen in die richtige
Richtung?
• Kurzfristige Wirkungen Optimierung
32. Vorsicht mit KPI‘s
• KPI‘s sind nicht „The Real Thing“.
• Wer nur den Rosenstrauch pflegt, verliert den Wein aus dem Auge.
• Kennzahlen haben verschiedene Funktionen und Bedeutungen, abhängig vom
Kontext.
http://werbewirkungs-report.de
32
34. 7 Ebenen der Indikatoren
http://werbewirkungs-report.de
34
Investition
Kontakt
Wahrnehmung
Psychische Wirkung
Verhaltens-Wirkung
Ökonomischer Werbe-Erfolg
Unternehmens-Erfolg
35. Was passiert in den Köpfen und in der Kasse?
http://werbewirkungs-report.de
35
Investition
Kontakt
Wahrnehmung
Psychische Wirkung
Verhaltens-Wirkung
Ökonomischer Werbe-Erfolg
Unternehmens-Erfolg
36. Sagen Klicks etwas darüber, was in Köpfen und Kassen passiert?
http://werbewirkungs-report.de
36
Investition
Kontakt
Wahrnehmung
Psychische Wirkung
Verhaltens-Wirkung
Ökonomischer Werbe-Erfolg
Unternehmens-Erfolg
Klicks
Klickrate (CTR)
Visits
Leads
Downloads
Likes
Shares
ReTweets
...etc.
?
(?)
37. Wer nur die leicht zu messenden Indikatoren beobachtet...
http://werbewirkungs-report.de
37
...ist wie der Betrunkene, der
seinen Schlüssel im dunklen
Hinterhof verloren hat, aber auf
der Straße sucht, weil dort das
Licht besser ist.
38. Einige Forschungsaufgaben für die Zukunft
• Wie hängen verschiedene Wirkungs-Indikatoren zusammen?
– Ökonomische, psychische und (digitale) verhaltens-bezogene Indikatoren
– Implizit und explizit erhobene Indikatoren, d.h. bewusste und unbewusste
Prozesse
• Wie sehen langfristige Wirkungen aus?
• Wie lassen sich die unterschiedlichen Methoden validieren und ggf.
standardisieren?
http://werbewirkungs-report.de
38
39. Was braucht die Werbewirkungs-Forschung?
• Nicht nur messen, auch verstehen. Mehr als nur Controlling.
• Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie. Mehr Modelle.
• Daten Wissen = Verantwortung der gesamten Branche.
Mehr Austausch und Weiterbildung.
http://werbewirkungs-report.de
39