Die vorliegende Arbeit setzt sich mit Planungs- und Bewertungskriterien für Bibliotheksbauten auseinander. Es wird untersucht, welche Auswirkungen die Veränderungen im Medienangebot auf das Nutzerverhalten und auf die Rolle der Bibliothek haben und welche Funktionen die Bibliothek als Ort bieten kann.
Beispiele aktueller Bibliotheksbauten werden näher vorgestellt: Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und die Seattle Public Library.
Der anerkannte Kriterienkatalog zur Planung von Bibliotheksbauten von Harry Faulkner-Brown wird vorgestellt, aus heutiger Sicht bewertet und neu interpretiert. Dies wird anhand der vorangegangenen Beispiele exemplarisch verdeutlicht.
Anschließend werden neue Schwerpunkte von aktueller Relevanz entwickelt, die den Kriterienkatalog für den heutigen Bibliotheksbau ergänzen.
Planungs- und Bewertungskriterien fuer Bibliotheksbauten
1. Planungs- und Bewertungskriterien für Bibliotheksbauten
Masterarbeit
im Studiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaften
Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaften
Fachhochschule Köln
vorgelegt von:
Tina Hohmann
Dipl.-Ing. Architektur
Schwerinstr. 26
50733 Köln
Matrikel-Nr. 11039856
am 17.1.2005
Erstprüfer: Prof. Dr. Klaus Lepsky
Zweitprüfer: Prof. Dipl.-Ing. Helmut Jüngling
1
2. Kurzfassung
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit Planungs- und Bewertungskriterien für
Bibliotheksbauten auseinander. Es wird untersucht, welche Auswirkungen die
Veränderungen im Medienangebot auf das Nutzerverhalten und auf die Rolle der
Bibliothek haben und welche Funktionen die Bibliothek als Ort bieten kann.
Beispiele aktueller Bibliotheksbauten werden näher vorgestellt: Die Sächsische
Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, die
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und die Seattle
Public Library.
Der anerkannte Kriterienkatalog zur Planung von Bibliotheksbauten von Harry
Faulkner-Brown wird vorgestellt, aus heutiger Sicht bewertet und neu interpretiert.
Dies wird anhand der vorangegangenen Beispiele exemplarisch verdeutlicht.
Anschließend werden neue Schwerpunkte von aktueller Relevanz entwickelt, die
den Kriterienkatalog für den heutigen Bibliotheksbau ergänzen.
Schlagwörter:
Bibliotheksbau; Wissenschaftliche Bibliothek; Faulkner-Brown Harry; Dresden;
Göttingen
Abstract
This thesis dicusses various aspects relating to the assessment of existing and the
design of new library buildings. It explores the new medias´ impact and assesses
the importance of qualities other than functional on its design. With reference to the
Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden,
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen and the Seattle
Public Library, Harry Faulkner-Brown´s acknowledged guideline for the design of
library buildings is being discussed and updated whereever appropriate.
Keywords:
Library Architecture; Academic Library; Faulkner-Brown, Harry; Dresden
2
3. Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung.............................................................................................................5
2. Anforderungen an die Bibliothek Heute................................................................7
2.1 Die „digitale Revolution“ und ihre Folgen – die Medien..................................7
2.2 Nutzungsverhalten und Kundenbedürfnisse – die Kunden.............................9
2.3 Der Mehrwert der physischen Bibliothek – die Bibliothek als Ort..................10
3. Beispiele aktueller Bibliotheksbauten ................................................................15
3.1 Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek
Dresden.............................................................................................................15
3.2 Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ...........22
3.3 Die Seattle Public Library.............................................................................28
4. Der Kriterienkatalog von Faulkner-Brown ..........................................................31
4.1 Entstehung .................................................................................................31
4.2 Die Kriterien ................................................................................................34
4.2.1. „Flexibel“ - Flexibilität ..........................................................................34
4.2.2. „Compact“ - Kompaktheit....................................................................39
4.2.3. „Accessible“ - Zugänglichkeit und Orientierung...................................41
4.2.4 “Extendible“ - Erweiterungsfähig .........................................................43
4.2.5. „Varied“ - Differenzierung ...................................................................44
4.2.6. „Organized“ - Zugang zu den Medien..................................................46
4.2.7. „Comfortable“ - Behaglichkeit..............................................................48
4.2.8. „Constant in environment“ - Konstanz gegenüber Umwelteinflüssen ..50
4.2.9. „Secure“ - Sicherheit .........................................................................51
4.2.10. „Economic“ - Wirtschaftlichkeit ........................................................47
4.3 Zusammenfassung / Relevanz....................................................................54
5. Neue Schwerpunkte...........................................................................................55
5.1 Grundsätze der Planung..............................................................................55
5.2 Erweiterung der Kriterien.............................................................................55
5.2.1 Angemessenheit...................................................................................55
5.2.2 Nachhaltigkeit.......................................................................................57
5.2.3 Aufenthaltsqualität................................................................................61
5.2.4 Möglichkeit der Kommunikation............................................................66
5.2.5 Barrierefreie Planung und Ausstattung.................................................67
3
5. 1. Einleitung
Die Qualität eines Bibliotheksgebäudes bestimmt zum großen Teil seine
Leistungsfähigkeit. Doch „zum einen gibt es kaum Architekten, die sich auf
Bibliotheken spezialisiert haben. Es gibt nur sehr wenige Architekten, die mehr als
eine Bibliothek in ihrer beruflichen Karriere entworfen haben. Aber auch die
Bibliothekare , denen die Aufgabe zuteil wird, sich mit der Planung eines neuen
Bibliotheksgebäudes zu beschäftigen, tun dies in der Regel nur einmal. Die
Planung eines Neubaus setzt umfassende Kenntnisse über alle Bereiche einer
Bibliothek und ihr Zusammenspiel voraus... Jeder neue Bibliotheksbau ist eine
Zukunftsprojektion. In den Jahren nach der Fertigstellung einer Bibliothek zeigt es
sich, wie tragfähig diese Projektion war.“1
Dazu kommt, dass es für den deutschsprachigen Raum kein aktuelles
Standardwerk zum Bibliotheksbau gibt. Daher stellt sich die Frage:
Was macht den Bibliotheksbau heute aus und was sind die wesentlichen
Planungskriterien für gegenwärtige und zukünftige Bibliotheksgebäude?
Um dies zu untersuchen, sollen in der vorliegenden Arbeit folgende Fragen
behandelt werden:
Welche Auswirkungen haben die Veränderungen im Medienangebot auf das
Nutzerverhalten und auf die Rolle der Bibliothek?
Welche Anforderungen erwachsen daraus an die bauliche Konzeption der
Bibliothek?
Was macht die Bibliothek als Ort aus?
Gehen heute gebaute Bibliotheken auf diese neuen Anforderungen ein?
Was gab es bisher an allgemein anerkannten Planungsvorgaben?
Sind diese heute noch relevant?
Der anerkannte Kriterienkatalog für die Planung von Bibliotheksbauten von Harry
Faulkner-Brown wird hierzu vorgestellt, bewertet, modifiziert und ergänzt.
Grundsätzlich enthalten die neuen Kriterien Aussagen zu zwei großen
Themenbereichen: Die Funktionalität des Gebäudes und die Aufenthaltsqualität.
Durch die stärkere Einbeziehung des zweiten Aspekts unterscheiden sie sich
wesentlich von denen Faulkner-Browns. Anhand von drei Bibliotheksneubauten
werden due Kriterien exemplarisch verdeutlicht. Zwischen den einzelnen Kriterien
sind durchaus Konflikte möglich und es wird nicht möglich sein, allen Kriterien in
einer Planung gerecht zu werden. Ziel ist ein Abwägen der für das spezifische
Bauvorhaben jeweils gültigen Prioritäten.
Das Ziel der Arbeit ist, die Sichtweisen von Architekt und Bibliothekar zu ergänzen
und ihre jeweiligen Ziele in Übereinkunft zu bringen.
Diese Arbeit ist gedacht:
1
Kolasa, Ingo: Bibliotheksbau. In: Die moderne Bibliothek. Ein Kompendium der
Bibliotheksverwaltung. Hrsg. von Rudolf und Klaus Haller. München 2004, S. 62.
5
6. für Architekten
- als Planungshilfe bei der Planung von Bibliotheksbauten
für Bibliothekare
- als Planungshilfe für eine Wettbewerbs-Ausschreibung
- als Bewertungsinstrument für Entwürfe von Bibliotheksbauten
- als Argumentationshilfe in der Auseinandersetzung mit dem Architekt bzw. Planer
Meine Untersuchung bezieht sich auf wissenschaftliche Bibliotheken, ist aber
ebenso auf öffentliche Bibliotheken anwendbar. Obwohl in der Funktionalität
Unterschiede bestehen, sind die Bewertungskriterien vergleichbar.
6
7. 2. Anforderungen an die Bibliothek Heute
„Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die behaupten, dass es auch in
naher Zukunft Bibliotheken und Bibliotheksbauten geben wird, diese [...]
sich aber den Herausforderungen der Zukunft stellen müssen und sich ihre
Aufgaben und Funktionen verändern werden.“ 2
2.1 Die „digitale Revolution“ und ihre Folgen – die Medien
Die sogenannte „digitale Revolution“ beeinflusst verschiedene Bereiche der
Bibliothek und bringt für die Bibliotheken weitreichende Veränderungen mit sich.
Die Bearbeitung der Medien
Die Medienbearbeitung erfolgt heute in der Regel ausschließlich EDV-gestützt, der
Geschäftsgang und die Ausleihe sind komplett integriert. Bei der Katalogisierung
können Bestandsdaten online aus dem Bibliotheksverbund oder von der Deutschen
Bibliothek bzw. aus dem Bibliotheksverbund übernommen werden.
Der Bibliothekskatalog ist heute in den meisten Bibliotheken online zugänglich. Alte
Bestände wurden und werden soweit wie möglich in diesen eingearbeitet.
Der OPAC bietet Nutzungsmöglichkeiten, die weit über die des Zettelkatalogs
hinausgehen. Neben den erweiterten Suchmöglichkeiten für die Recherche ist
sowohl die Einsicht in die Verfügbarkeit des gewünschten Mediums als auch der
Zugriff auf dieses mittels Bestellung oder Vormerkung möglich.
Das Bestandsangebot
Neben den klassischen Printmedien (Buch und Zeitschrift) und den AV-Medien
(z.B. Audio-CD und Video) bietet die Bibliothek digitale Medien in unterschiedlicher
Form und Verfügbarkeit. Digitale Medien auf physischen Trägern (CD´s, DVD´s
etc.) sind im realen Bestand der Bibliothek und können wie die klassischen
Printmedien ausgeliehen werden.
Der Zugriff auf digitale Informationsquellen
Digitale Informationsquellen können über das Internet orts- und zeitunabhängig
verfügbar gemacht werden. Dies ermöglicht einerseits den Zugriff von außerhalb
auf Quellen, die in der Bibliothek real oder virtuell vorhanden sind und andererseits
den Zugriff auf außerhalb der Bibliothek vorhandene Informationsquellen.
Dazu gehören sowohl frei verfügbare als auch lizensierte Quellen wie z.B. Kataloge
anderer Bibliotheken oder Institutionen, Datenbanken, elektronische Zeitschriften,
Volltexte und sonstige Informationen des Internets.
Gegenüber der ehemals betonten Bestandsorientierung gewinnt die Beschaffung
von Information und die Vermittlung von Informationsnachweisen und -zugängen
an Bedeutung. Die Bibliothek hält die Daten nicht unbedingt selbst vor, sondern
Informationen über die diese (evtl. fremder Anbieter), um im Falle einer Nachfrage
2
Beiser, Sylvia: Trends und Visionen im modernen Bibliotheksbau. Mit den Beispielen Seattle
Public Library, Sendai Mediatheque, Phoenix Central Library. Diplomarbeit an der
Hochschule der Medien Stuttgart. Stuttgart 2003, S. 8.
7
8. einen effizienten Zugang und den Zugriff auf die gewünschten Informationen zu
ermöglichen. Dieses Modell der „Bring-Bibliothek“ wird vom Wissenschaftsrat als
zukünftiges Modell für Hochschulbibliotheken empfohlen.3
Was bedeutet das für die Bibliothek, ihre Dienstleistungen und ihre Einrichtungen?
Die physische Bibliothek erfährt eine Erweiterung in den virtuellen Raum. Die
ortsungebundene „virtuelle Bibliothek“ ergänzt das Angebot an Informationsquellen
auf die globale Ebene. Im Benton-Report wird die virtuelle Bibliothek als „the digital
library-without-walls“4 bezeichnet. Die digitale Bibliothek überwindet räumliche und
zeitliche Schranken, da Information heute jederzeit und überall produziert und
veröffentlicht werden kann. Sie bietet Links zu anderen Informationsquellen im
World Wide Web. „Your computer is a library“ ist die Aussage derjenigen, die
dieses Konzept konsequent verteten.5
Dieses webbasierte Angebot der Bibliothek ist das Instrument, das eine immer
größere Bedeutung erlangt. Der Internet-Auftritt und seine grafische Präsentation
ist ebenso prägend für das Bild der Bibliothek nach außen wie das reale
Bibliotheksgebäude an sich.
Trotz dieser Entwicklung werden die digitalen Medien das Buch nicht ersetzen. Die
Produktion von Printmedien ist nach wie vor steigend. Die Nutzung von
internetbasierten Informationsmitteln wird sich erhöhen, aber die gedruckten
Medien werden nicht substituiert, sondern es wird in Zukunft ein Nebeneinander
von papiergebundenen und elektronischen Medien geben.6
Die sogenannte „hybride Bibliothek“ ist das Modell, das gleichermaßen Zugang zu
allen Arten von Medien bietet.
Die digitalen Medien müssen im Angebot der Bibliotheken gleichwertig integriert
werden. Der Zugang zu allen Medienarten sollte möglichst einfach und effizient
organisiert sein. Für die gedruckten Publikationen ist ein möglichst großer
Freihandbereich wünschenswert und die Beschaffung aus dem Magazin sollte in
möglichst kurzer Zeit erfolgen. Für die Nutzung elektronischer Informationsmittel ist
eine angemessene technische Ausstattung im gesamten Gebäude erforderlich. Im
Nutzungsbereich sollten ausreichend viele PC´s mit Netzanschluss bereitgestellt
werden bzw. die Möglichkeit zur Nutzung eigener Geräte (Laptops) durch die
flächendeckende Versorgung mit Strom- und Netzanschluss gewährleistet sein.7
3
Vgl. Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken.
Empfehlungen des Wissenschaftsrat; Juli 2001, S.51.
4
Buildings, Books and Bytes: Libraries and Communities in the Digital Age. Hrsg. von der
Benton Foundation. Washington D.C. 1997 [“Benton Report”].
5
Vgl. Ebenda.
6
Vgl. auch Das, Henk u.a.: Einfluss virtueller Medien auf die physische Bibliothek. Visionen
für einen „intelligenten“ Wandel.- Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 2002, S. 4f.
7
Vgl. Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken. Hrsg.
vom Wissenschaftsrat. Greifswald 2001, S. 47f.
8
9. 2.2 Nutzungsverhalten und Kundenbedürfnisse – die Kunden
Welche Erwartungen und Bedürfnisse hat der Nutzer an die Bibliothek?
Besucher nutzen die Bibliothek für folgende Tätigkeiten:
- Recherche im OPAC
- Zugriff auf vorhandene physische Medien
- Zugriff auf digitale Medien
- Verarbeiten der Information – Scan, Speicherung, Ausdruck, mail-Versand
- Ausleihe von Medien
- Lesen und Lernen:
- Individuelles Erarbeiten
- Erarbeiten in der Gruppe
Laut Nutzerbefragung in allen Universitätsbibliotheken in Nordrhein-Westfalen 2001
nutzten 90% der Bibliotheksbesucher die Bibliothek für die Buchausleihe, 70% für
die Literatursuche und 50% zum Lernen und Arbeiten.8
Für die Literatursuche sind Fachzeitschriften und Fachbücher die wichtigsten
Quellen, ähnlich häufig werden inzwischen aber auch Suchmaschinen im Internet
genutzt. Bei der Nutzung elektronischer Medien sind die meisten Nutzer jedoch
noch sehr unerfahren. Ca. haben keine Erfahrung mit elektronischen
Zeitschriften und ca. ¾ kennen keine Datenbanken. Durch die größere Vielfalt im
Informationsangebot erhöht sich der Informations- und Beratungsbedarf des
Einzelnen. Aufgrund der unterschiedliche Möglichkeiten der Recherche nach
Informationen von verschiedenen Anbietern und in den verschiedenen Medien
entsteht Unsicherheit darüber, wo welche Informationen zu finden sind. Die
Bibliothek wird zum Vermittler von Informationskompetenz. Kommunikation auf
formeller und informeller Ebene wird immer wichtiger.
Die Mehrheit der Nutzer fasst die Bibliothek als Lernumfeld auf, das bestimmte
Mindestanforderungen an Bequemlichkeit und Atmosphäre erfüllen sollte. Den
sekundären Ausstattungsmerkmalen (z.B. Cafeteria) kommt eine hohe Wichtigkeit
zu. Besonders die Wissenschaftler fordern einen größeren fachspezifischen
Zuschnitt der Informationsquellen und die Verknüpfung zwischen Recherche und
Beschaffung.9
Die Aufgabe zukünftiger Bibliotheken wird sein, auf die Auswirkungen dieser
Veränderungen einzugehen. Darin liegen die Chancen für die Bibliothek von
morgen.
Fazit: Angebot neuester Technologien und stärkere Aufenthaltsqualitäten
8
Angaben aus der Nutzerbefragung an allen Universitätsbibliotheken in NRW 2001, zitiert
nach: Bibliothek 2007. Infas-Studie, S. 9-11.
9
Ebenda.
9
10. „Innerhalb dieser Typologie [...] nimmt die Bedeutung der Form des Ortes
immer weiter zu, während die Funktion als Selbstverständlichkeit in den
Hintergrund gerät.“10
Das Bibliotheksgebäude von morgen sollte selbstverständlich die funktionalen
Erfordernisse in räumlicher und technischer Hinsicht erfüllen und mit seiner
Architektur sowohl eine Identifizierung für die betreibende Institution als auch ein
angenehmes Umfeld für den Nutzer und Mitarbeiter bieten.
„Libraries have a splendid future. They will accomodate fewer books and an
increasingly larger number of visitors. Users do not just want to sit alone in
front of a computer but want also to be in a living environment together with
other users. The library now and in the future is that lively cultural
meetingplace, that library departmentstore where people are looking for
when visiting their library.“11
2.3 Der Mehrwert der physischen Bibliothek – die Bibliothek als Ort
„Library leaders see a continuing role for the library building.“12
Im folgenden wird dargestellt, wie die zukünftigen Anforderungen aussehen, was
die Bibliothek in ihrer physischen Präsenz an Mehrwert bietet und was dies für die
Planung von Bibliotheksbauten bedeutet.
Grundsätzlich kann man sagen, dass die physische Bibliothek einen realen Ort mit
einer realen Umgebung, realen Medien und Kommunikationsmöglichkeiten bietet.
„Denn trotz aller Virtualität braucht der Körper reale Architektur als
Klimahülle und auch als realen Ort der Begegnung, aber auch als
Stimulanz der Sinne.“13
„Das Gefühl, dass alles immer flüchtiger, künstlicher, unechter, irrationaler,
nichtiger wird, erzeugt massive psychische Gegenreaktionen. [...] Das
Gehirn reagiert mit Abwehr auf die Suspendierung der haptischen,
dinglichen Wirklichkeit.“14
10
Bibliothek 2007. infas-Studie, S.13.
11
Renes, Wim: Flexibility is that all? Beitrag zur IFLA Conference in Bangkok 20.-28.August
1999. „ Conclusions“.
12
Ebenda.
13
Beiser: Trends und Visionen im modernen Bibliotheksbau, S.18.
14
Daniels, Klaus: Low-Tech Light-Tech High-Tech. Bauen in der Informationsgesellschaft.
Basel 1998.
10
11. Die Bibliothek als Bewahrer von Kulturgut / Ort der Aufbewahrung
Vom Büchermagazin zum hypermedialen Archiv
Die Aufgabe der Bibliothek im klassischen Sinn ist das Sammeln, Bewahren,
Archivieren und Dokumentieren von Medien. Damit leistet sie einen wesentlichen
Beitrag zur „Sicherung des kulturellen Erbes“.15
Weiterhin ist die Bibliothek Bewahrer von Kulturgut, lediglich die Art der Medien
verändert sich. Eine neue Aufgabe erhält sie mit der Langzeitarchivierung von
elektronischen Medien.
Für die langfristige Bestandssicherung von Medien auf den unterschiedlichsten
Trägern müssen die entsprechenden gebäudetechnischen und
netzwerktechnischen Bedingungen gewährleistet werden.16
Die Bibliothek als soziale und kulturelle Institution
„The library is a cultural institution and has certain extra qualities like
character and style [...].“17
Die Bibliothek ermöglicht in der Regel kostenlosen Zugang zu Information und
Bildung für jedermann. Damit übernimmt sie eine wichtige gesellschaftliche
Funktion zur Sicherung der „Informationsdemokratie“.18 Die Tatsache, dass sich
jeder in ihren Räumen völlig zweckfrei und ungerechtfertigt aufhalten kann, macht
sie zu einem der „letzten öffentlichen Orte“.19
Zudem wirkt die Bibliothek identitätsstiftend für ihre Trägerschaft.
Im Falle der öffentlichen Bibliothek trägt die Bibliothek als Ort des Austauschs von
Wissen und Information wesentlich zum Kulturleben der Stadt oder Gemeinde bei.
Sie kann selbst kulturelle Aktivitäten initiieren bzw. den Raum für Kulturereignisse
bieten.20
Die wissenschaftliche Bibliothek übernimmt als eine der zentralen Einrichtungen
ihrer Institution, z.B. der Universität, eine wesentliche Funktion als Informations-
und Lernzentrum, als Raum für kulturelle Aktivitäten, für interdisziplinäre
Kommunikation und als sozialer Treffpunkt.
Ihr äußeres Erscheinungsbild ist ein wichtiger Faktor für das Bild, das die Institution
nach außen bieten möchte. „Repräsentative“ Architektur ist mehr und mehr
erwünscht. Ihre Ausstattung spiegelt die Innovation (und die finanzielle Situation)
des jeweiligen Trägers wider. Die Bibliothek wird zur „Visitenkarte“ der Institution,
15
Vgl. Bibliothek 2007. Bibliotheksentwicklung in Deutschland; Ergebnisse einer bundesweiten
Expertenbefragung.- Bonn: infas, 2002, S.6; S.20.
16
Hierzu ausführlich im Forum Bestandserhaltung: www.forum-bestandserhaltung.de.
17
Renes: Flexibility is that all?, „ Conclusions“.
18
Bibliothek 2007. infas-Studie Expertenbefragung, S.20.
19
Beiser: Trends und Visionen im modernen Bibliotheksbau, S.30.
20
Vgl. Das, Henk u.a.: Einfluss virtueller Medien auf die physische Bibliothek, S.31.
11
12. mit der geworben werden kann.21
„Für die Bibliotheken ergibt sich m. E. die Chance, ihre Stellung und
Bedeutung mit diesen [ästhetisch anspruchsvollen] Gebäuden zu
verstärken.“22
Die Bibliothek als Ort der Informationsvermittlung
„library users are looking to libraries as more than a source of books, they
want information in whatever form is available. Relevance and fast access
are extremly important factors.“23
Bibliotheken sind „Informationsmarktplätze“24. In ihnen findet der Nutzer an einem
Ort die unterschiedlichsten Medien und Inhalte in integrierter Form vor.25 Die
Bibliothek muss diese Informationen nicht unbedingt selbst vorhalten, sondern
ermöglicht den Zugang und Zugriff auf die gewünschten Informationen über ihr
Netzwerk. Im Vergleich zu anderen Anbietern im Internt bietet sie ein strukturiertes
Angebot an aufbereiteter Information. Darüber hinaus bietet sie Zugriff auf
lizensierte Angebote - „wertvolle Informationen“.26
Die Basisfunktion, Medien und Informationen aller Arten anzubieten, wird durch die
dabei geleistete Betreuung zum Mehrwert, den nur Bibliotheken in dieser Form
bieten können. Der Bibliothekar bietet persönliche Beratung in der immer größeren
Informationsvielfalt als „guide through the information jungle“27. Aus den offenen
Suchanfragen des Nutzers entwickelt er zielgerichtete Recherchestrategien.
„Library leaders want the library of the future to be a hybrid institution that
contains both digital and book collections. And they assume that it will be
the librarian navigator who will guide library users to the most useful
sources, unlocking the knowledge and information contained in the vast
annals of the information superhighway [...].“28
Bibliotheken sind Anlaufstelle für die Vermittlung von Informationskompetenz.
Beratung und Schulungen werden immer mehr individuell bzw. gruppenspezifisch
angeboten, der personalisierte Web-Zugang („Meine Bibliothek“) wird bereits in
einigen Bibliotheken angeboten. Die Personalisierung ihrer Dienste ist eine der
wichtigsten Aufgaben der nahen Zukunft. Die individuelle Nutzerorientierung wird
21
Vgl. Homepage der Seattle Public Library oder die Idea Stores in London.
22
Feldsien-Sudhaus, Inken: Follows Form Function? zum DIN-Fachbericht 13. In: ABI-Technik
(1999) Nr.1, S.18.
23
Renes: Flexibility is that all?.
24
Bibliothek 2007. Infas-Studie, S. 20.
25
Vgl. Ebenda.
26
Das, Henk u.a.: Einfluss virtueller Medien auf die physische Bibliothek, S.30.
27
Lang, Brian: Library Buildings for the New Millenium. In:Library buildings in a changing
environment. Hrsg. von Marie-Francoise Bisbrouck. München 2001 (IFLA publications ; 94)].
28
Buildings, Books and Bytes [“Benton Report”].
12
13. nach Überzeugung des Wissenschaftsrat in Zukunft verbindlicher Maßstab für die
Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Hochschulbibliothek sein.29
„The required information derived from the library has to be presented to
the individual needs and interests. Anything that a library could do to
provide this kind of personal information service would be most valuable.“30
Die Bibliothek als Lernumfeld
Die Hälfte der Bibliotheksbesucher einer wissenschaftlichen Bibliothek nutzt diese
zum Lernen und Arbeiten.31 Neben der Bereitstellung der entsprechenden
räumlichen und technischen Infrastruktur wirken sich die sogenannten „soft
values“32 und eine attraktive innenräumliche Atmosphäre studienfördernd aus.33 Zu
den atmosphäre-fördernden Faktoren gehören z.B. Beleuchtung, Akustik,
Oberflächen und Möbeldesign.
Den unterschiedlichen Bedürfnissen zum Recherchieren, Lesen, Lernen, Arbeiten
in der Gruppe u.a. sollte über ein differenziertes Arbeitsplatzangebot entsprochen
werden.34
Die verschiedenen Medientypen erfordern zum Teil unterschiedliche Lese- bzw.
Verarbeitungsgeräte. Das „Lesen“ und die Weiterverarbeitung der angebotenen
Informationen sollte dementsprechend in analoger und digitaler Form möglichst
ortsnah am Arbeitsplatz möglich sein. Dies beinhaltet den Ausdruck, Download und
E-mail-Versand von Dateien und Mikroformen, das Scannen von Printmedien und
die Möglichkeit der Verarbeitung am eigenen PC/Laptop am Arbeitsplatz.35 Der
Wissenschaftsrat empfiehlt zur integrierten Nutzung von digitalen und gedruckten
Medien unter anderem die Vernetzung jeden Arbeitsplatzes, möglichst über
Funknetz, zur Nutzung portabler Rechner und die Möglichkeit der Präsentation von
Arbeitsergebnissen.36
Grundsätzlich sollte das Raumangebot nicht nach Medienart differenziert werden,
sondern fachlich nach den Bedürfnissen der Nutzer.
Universitätsbibliotheken in Großbritannien z.B. verstehen sich als „Learning
29
Vgl. Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken, S.51.
30
Ebenda
31
Laut Nutzerbefragung in allen Universitätsbibliotheken in NRW 2001 nutzten 50% der
Besucher die Bibliothek zum Lernen und Arbeiten, zitiert nach: Bibliothek 2007. infas-Studie,
S.9.
32
Als soft values, auch sekundäre Ausstattungsmerkmale genannt, werden Einrichtungen
bezeichnet, die nicht der Hauptfunktion dienen, sondern zusätzliche Dienstleistungen bieten
wie z.B. die Cafeteria oder der Copy-Shop. Vgl. Das, Henk u.a.: Einfluss virtueller Medien auf
die physische Bibliothek, S. 32f.
33
Vgl. Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken, S.47.
34
Ausführlich dazu siehe Kap. 4.2.5.
35
Ausführlich dazu siehe Kap. 4.2.6.
36
Vgl. Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken, S. 48.
13
14. Resource Centers“ für die Studierenden.37 In Zusammenarbeit mit den
Universitäten werden Lernprogramme wie z.B. das „Virtual Learning Portal“38
entwickelt, die über das WWW abrufbar sind. In den Bibliotheken sind Schulungs-
und andere Räume nur für die Nutzung dieser Programme vorgesehen.
Die Bibliothek als Ort der Begegnung
Die zunehmende Nutzung neuer Informationstechnologien ruft ein wachsendes
Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Begegnungen hervor.39 Die Bibliothek sollte
Orte der Kommunikation bieten, wo die Begegnung mit Menschen und das
persönliche Gespräch mit Mitarbeitern und anderen Nutzern nicht nur auf formeller,
sondern auch auf informeller Ebene möglich ist.
„The general user is more and more looking for human and social contacts,
to do networking with others who share their interests, either business and
education related to culture and recreation.“40
Daraus leitet z.B. der Architekt Rem Kohlhaas über seine Planung der öffentlichen
Bibliothek von Seattle ab: „Die Bibliothek soll geschmeidige Übergänge von
virtuellen Formen des Informationsaustauschs zu konkret physischen
Kommunikationsräumen ermöglichen.“41
Damit hebt die Bibliothek sich von den virtuellen Angeboten ab, da nur in einer
physischen Umgebung persönliche Kommunikation möglich ist.
Für die Planung bedeutet dies, dass das Raumangebot neben den „klassischen“
Kommunikationsformen wie dem Beratungsgespräch an der Informationstheke, der
Teamarbeit in Gruppenarbeitsräumen und Schulungen in Seminarräumen auch
informelle Begegnungsmöglichkeiten berücksichtigen sollte wie dies z.B. in
speziellen Ruhezonen oder einer Cafeteria geschehen kann.
37
Vgl. McDonald, Andrew: Planning Academic Library Buildings for a New Age. Some
Principles, Trends and Developments in the United Kingdom. In: Advances of Librarianship
24 (2000), S. 55.
38
Konzept des VLP der Trent University Nottingham über elearn.ntu.ac.uk.
39
Vgl. Klingmann: Datascapes: Bibliotheken als Informationslandschaften, S.385.
40
Renes: Flexibility is that all?
41
Zitiert nach Klingmann: Datascapes: Bibliotheken als Informationslandschaften, S.385.
14
15. 3. Beispiele aktueller Bibliotheksbauten
Die folgenden Beispiele sollen exemplarisch zeigen, wie Bibliotheken heute geplant
und gebaut werden. Ausgewählt wurden zwei aktuelle Bibliotheksbauten aus
Deutschland, die in ihrer Funktion und Größe vergleichbar sind, sich aber
konzeptionell und äußerlich sehr unterscheiden. Mit der Seattle Public Library soll
zusätzlich ein außergewöhnliches Projekt internationaler Bibliotheksarchitektur
vorgestellt werden.
3.1 Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek
Dresden
Die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden - im folgenden SLUB
genannt - ist entstanden aus der Fusion der Sächsischen Landesbibliothek (1556
gegründet) und der Bibliothek der Technischen Universität Dresden (1828
gegründet).42
Der gesamte Medienbestand umfasst 4,2 Mio. Bände, davon befinden sich am
neuen Standort 3,2 Mio. mit 450.000 Bänden in Freihand-Aufstellung.
Die neue SLUB vereint die zu DDR-Zeiten nur notdürftig untergebrachten
Bestände, die an über 35 Standorten verteilt waren. Neben dem Neubau gibt es
derzeit sieben weitere Standorte.43
Nach einem EU-weiten Wettbewerb 1996 entschied das Preisgericht sich
einstimmig für den Entwurf des Architekturbüros Ortner & Ortner Baukunst aus
Wien / Berlin.
Mit einer Gesamtfläche von ca. 42.000 qm, davon 30.000 qm Hauptnutzfläche und
12.800 qm Benutzungsbereich ist das Projekt - gemessen an der Fläche - das
umfangreichste und organisatorisch anspruchsvollste Bibiotheksneubauprojekt in
den neuen Bundesländern.44 Nach 2 Jahren Planung und 4 ½ Jahren Bauzeit
konnte das Gebäude im Januar 2003 offiziell eingeweiht werden.45
Im Ausschreibungstext für den Wettbewerb hieß es:
„Die Bauaufgabe besteht darin, für eine Bibliothek von hohem
europäischem Rang mit großer Tradition ein Gebäude zu schaffen, das ihr
eine Ausstrahlung in die Universität, nach Dresden und darüber hinaus
gibt. [...] Es soll ein Gebäude sein, in dem sich die verschiedenen
Nutzergruppen wohl fühlen und auf Anhieb zurechtfinden.“46
42
Vgl. Golsch, Michael: Der Neubau der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und
Universitätsbibliothek Dresden. In:Bibliothek: Forschung und Praxis (2003) Nr. 27, S. 72ff.
43
Ebenda, S.72ff.
44
Vgl. Blume, Eckhard und Kempf, Klaus: Moderne Bibliotheksbauten – Beispiele aus den
neuen Bundesländern. Deutscher Beitrag zur ALAG-Konferenz in Atlanta 2002.
45
Vgl. Golsch: Der Neubau der sächsischen Landesbibliothek, S.73.
46
Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. In: Wettbewerbe
aktuell (1996) 7, S. 51.
15
16. Die Architekten Ortner + Ortner über den Bau47:
„Die landschaftliche Eigenheit verleiht dem Ort eine Aura von Ruhe und
subtiler Feierlichkeit“ [...] Größe, Schwere und Geschlossenheit ist für diese
Bauten wesentlich.“48
Bücher sind die wertvollste Bekleidung der Wand. Dicht aneinandergereiht
über die ganze Fläche bilden sie ein Muster übereinandergelagerter
horizontaler Bänder [...] Regal für Regal Generatoren, die sobald ein Block
aus seiner Speicherfunktion gelöst wird, Kraftströme unterschiedlichster Art
freigeben. [...] Das Flimmern dieser Räume bleibt zeitlos neu.“49
[die Bücherrücken und die Oberflächen-Textur] „ergibt [...] eine flimmernde
homogene Textur, die den Baukörper als reduziertes geometrisches Objekt
herauskommen lässt, zugleich aber die genauere visuelle Identifizierung
verweigert.“50
„Was diese Glasur [Textur] so wirksam macht, ist die Glaubwürdigkeit, die
sie Dingen verleiht, die es so noch nicht gibt. Sie funktioniert als Gleitmittel
für den Übergang zu einem nächsten kulturellen Verständnis, eine Methode
zur Transformation des Anerkannten und Bewährten in die Perspektive
einer Zeit, die kommt.“51
Abbildung 2 Luftbild (Quelle SLUB) Abbildung 1 Ansicht öffentliche Nutzungen
Städtebau
Das Baugrundstück liegt in Randlage des Universitätscampus in fußläufiger
Entfernung zu allen anderen wichtigen zentralen universitären Einrichtungen.52 Als
ehemaliger Sportplatz ist es Teil einer Frischluftschneise für die Dresdner
Südvorstadt, die es möglichst zu erhalten galt.
Daher erstreckt sich der Benutzungsbereich der Bibliothek in drei Ebenen zum
47
Meine Anfragen bzgl. der Planungskriterien für den Entwurf der SLUB wurden von den
Architekten nicht beantwortet.
48
Ortner und Ortner: Animare. In: Werk, Bauen + Wohnen (1998) Nr.11, S. 45f.
49
Ortner, Laurids; Ortner, Manfred: Drei neue Bauten für europäische Kultur. 1998, S. 55.
50
Ebenda, S. 39.
51
Ebenda, S. 49.
52
Vgl. Blume und Kempf: Moderne Bibliotheksbauten – Beispiele aus den neuen
Bundesländern.
16
17. größten Teil unter der Erde. Über der Erde stehen sich lediglich zwei ca. 18m hohe
Gebäuderiegel gegenüber. Diese wirken als steinerne Skulpturen. Der dazwischen-
liegende Raum wird als begrünte Fläche und zur Belichtung der darunter liegenden
Räume genutzt. Vom Zelleschen Weg aus gesehen, wo sich der Haupteingang
befindet, verschwindet die Bibliothek fast gänzlich hinter dem erhaltenen bzw.
ergänzten Lindenbaumgürtel. Aufgrund des Geländesprungs ist die Eingangs-
ebene gleichzeitig die oberste der unterirdischen Geschosse (Null-Ebene).
Abbildung 3 Querschnitt (Quelle Ortner)
Baukörper / Nutzung
Nach außen zeigen sich dem Besucher nur die zwei schmalen, sich
gegenüberstehenden Gebäuderiegel, von denen der südliche den Verwaltungstrakt
und der nördliche am Zelleschen Weg die öffentlichen Bereiche wie Buchmuseum,
Cafeteria und Vortragssaal enthalten. Diese können auch unabhängig vom
Bibliotheksbetrieb genutzt werden.53
Der Benutzungsbereich ist in den drei unterirdischen Geschossen angeordnet.
Die Sondersammlungen befinden sich in den Randbereichen des Lesebereichs.
Die geschlossenen Magazine befinden sich in den Geschossen -1 und -2 und
umfassen im Norden und Westen den Benutzungsbereich.
Abbildung 4 Schemaplan Erdgeschoss Abbildung 5 Schemaplan 2.Untergeschoss
(Quelle SLUB) (Quelle SLUB)
53
Vgl. Golsch: Der Neubau der sächsischen Landesbibliothek, S.73.
17
18. Orientierung / Raumabfolge
Nach dem Haupteingang eröffnet sich dem Besucher das Foyer, von dem aus sich
zum einen die öffentlichen Bereiche (Cafe, Buchmuseum, Vortragssaal) als auch
die eigentliche Bibliothek erschließt. Notwendige Nebennutzungen wie Garderobe
und Toiletten sind ebenso hier angeordnet wie auch ein Zeitungslesebereich, der
als allgemeiner Treffpunkt und Wartezone genutzt wird. Ausleihbereich und
einzelne OPAC-Plätze sind direkt vom Foyer aus zugänglich.
Im Benutzungsbereich sind auf dieser Ebene die zentrale Information mit den
Internet-Arbeitsplätzen, die Lehrbuchsammlung und Freihandlesebereiche mit
Nachschlagewerken angeordnet. Der Zugang in die Untergeschosse erfolgt über
eine einläufige Treppe, welche unmittelbar hinter dem Foyer liegt. In den
Untergeschossen befinden sich die Freihandbereiche und Leseplätze. Galerien und
Lufträume setzen die verschiedenen Bereiche visuell in Beziehung.54 In den
äußeren Bereichen der Bibliothek liegen die Sondernutzungen wie die Fotothek
oder die DIN-Auslegestelle.
Das Herzstück der neuen Bibliothek bildet der zentrale Lesesaal im untersten
Geschoss, der sich über drei Ebenen erstreckt und von oben über ein ebenerdiges
Glasdach belichtet wird. Er bietet knapp 200 Arbeitsplätze.55 Umlaufende
fensterartige Öffnungen bieten Durchblicke von den zwei oberen Geschossen. Vier
als Fluchtwege ausgebildete Treppenhäuser in den Ecken des Lesesaals
erschließen zusätzlich die einzelnen Ebenen.56
Zugänglichkeit zu den Medien
Von den 3.2 Mio. Bänden sind 450.000 in Freihandaufstellung57, die Regale sind
auf 850.000 Bände ausgelegt. Für Literatur aus dem Magazin liegt die
Beschaffungszeit bei 3-4 Stunden. Die Freihandaufstellung erfolgt nach der
Regensburger Verbund-Klassifikation.58
Die Öffnungszeiten liegen bei momentan 74h in der Woche für die Hauptbereiche,
Sondersammlungen wie z.B. die Deutsche Fotothek sind in eigenen
Räumlichkeiten mit eingeschränkten Öffnungszeiten zugänglich.59 Die AV-
Medien sind in der sogenannten Mediathek zugänglich und nutzbar.
54
Vgl. Brinkmann, Ullrich: Ort für 5 Millionen Bücher: Neubau der SLUB in Dresden. In: Bauwelt
39/2002, S. 17.
55
Vgl. Golsch: Der Neubau der sächsischen Landesbibliothek, S.73.
56
Vgl. Brinkmann: Ort für 5 Millionen Bücher, S. 17.
57
Interview mit Michael Golsch vom 26.11.2004.
58
Begehung vom 26.11.2004.
59
Angaben aus dem Merkblatt der SLUB zu den Öffnungszeiten, Stand: Oktober 2004.
18
19. Abbildung 6 Blick in die Ebene -2 Abbildung 7 Lesesaal
Arbeitsplätze
Es gibt ein differenziertes Angebot an Arbeitsplätzen: vom OPAC-Recherche-Platz
im Foyer über den Leseplatz im klassischen Lesesaal oder Einzelarbeitsplätzen
zwischen den Regalen bis zur Multimedia-Präsentation in der Gruppe bei der
Projektarbeit. Von den insgesamt 990 Arbeitsplätzen sind 103 Arbeitsplätze in
Gruppenarbeitsräumen, davon zwei Blindenarbeitsplätze.60
Es gibt 46 abgeschlossene Carrels, von denen elf Multimedianutzungen dienen und
zwei behindertengerecht eingerichtet sind.
Abbildung 8 OPAC´s Abbildung 10 Arbeitsplatz im Abbildung 9 Carrel mit Blick in
Freihandbereich Lesesaal
Technische Ausstattung
60
Vgl. Golsch: The Shimmer of Books, S. 642.
19
20. An den Arbeitsplätzen gibt es für jeweils zwei Plätze einen Stromanschluss zur
Nutzung von Laptops. Es gibt 120 PC-Arbeitsplätze61, vernetzt sind davon 75.62 Für
das Frühjahr 2005 ist die Ausstattung mit W-LAN geplant.63
Konstruktion / Fassade / Brandschutz:
Der gesamte Bau ist eine Stahlbetonkonstruktion in einem Mischsystem aus
tragenden Wänden und Stützen. Die Fassade besteht komplett aus Thüringer
Travertin, in den eine Textur aus unterschiedlich breiten, senkrechten Streifen
eingefräst wurde. Es soll an Bücherwände erinnern und zieht sich in die
Innenräume fort. Die Fensteröffnungen sind bündig in die Fassadenoberfläche
integriert. Insgesamt wird dadurch der monolithische Charakter der beiden Quader
noch verstärkt.
Der Bau kann über bewegliche Brandschottwände in mehrere Brandabschnitte
unterteilt werden.64 Zusätzlich sind Teile der Bibliothek mit einer Sprinkleranlage
ausgestattet.
Klima / Licht / Akustik
Der gesamte unterirdische Bereich ist mit einer Lüftungsanlage ausgestattet. Im
Verwaltungsbereich sind die Räume einzeln regulierbar.65
Im Benutzungsbereich erfolgt die natürliche Belichtung ausschließlich über
Oberlichter. Buchmuseum, Vortragssaal und Cafeteria sowie die Mitarbeiterräume
sind über Fenster belichtet. Die künstliche Beleuchtung erfolgt aus einer
Kombination zwischen Allgemeinbeleuchtung mit relativ geringer Leuchtstärke und
objektbezogener Beleuchtung an den Bücherregalen und den Arbeitsplätzen.
Die Geräuschbelastung nimmt von der Eingangsebene bis zur untersten Ebene, wo
die geisteswissenschaftlichen Bestände aufgestellt sind, stetig ab.
Oberflächen/Materialien/Farbe
Im gesamten Benutzungsbereich wurden konsequent wenige Materialien
eingesetzt: Thüringer Travertinplatten für die Fassade, die sich im Inneren fortsetzt,
Sichtbeton an den Decken und Außenwänden, Holzwerkstoff-Verkleidung (MDF)66
an den Wänden, Säulen, Einbauschränken und für die Regale. Als Bodenbelag
kam im Foyer ein Steinboden, im Benutzungsbereich Teppichboden in
Natursteinmuster und Parkett zum Einsatz.
Die vorherrschenden Grau- und Brauntöne bewirken einen sehr homogenen
Farbeindruck.
61
Interview mit Michael Golsch vom 26.11.2004.
62
Vgl. Golsch: Der Neubau der sächsischen Landesbibliothek, S.75.
63
Interview mit Michael Golsch vom 26.11.2004. Siehe Glossar.
64
Begehung vom 26.4.2004.
65
Interview mit Michael Golsch vom 26.11.2004.
66
MDF = mitteldichte Faserplatte.
20
21. Abbildung 11 Travertin Abbildung 12 MDF- Abbildung 13 Teppichboden
Verkleidung
In Sonderbereichen wie der Cafeteria z.B. überrascht einen die Farbigkeit der
Wandverkleidung ebenso wie der Bodenbelag im Verwaltungsbau, der aus rotem
Linoleum besteht.
Die Ornamentik
Das sogenannte „Bücherflimmern“ ist prägendes Hauptgestaltungselement. Es
erinnert sowohl an Bücherrücken als auch an Strichcodes. Es taucht an der
Fassade, im Innern an den Wandverkleidungen, auf dem Parkettboden im
Lesesaal und sogar an der Sichtbetondecke als Ornament auf.
21
22. 3.2 Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek - SUB Göttingen - wurde
1734 als Universitätsbibliothek gegründet und ist heute eine der größten
Bibliotheken Deutschlands mit vielfältigen Funktionen: Zentralbibliothek der
Universität Göttingen, Staatsbibliothek für Niedersachsen, Bibliothek der Göttinger
Akademie der Wissenschaften. Sie partizipiert an der Sammlung deutscher Drucke
für das 18. Jahrhundert und besitzt 21 Sondersammelgebiete. 2002 wurde sie von
der Bertelsmann Stiftung als „Bibliothek des Jahres“ ausgezeichnet.
Sie hat insgesamt einen Medienbestand von über 4,5 Mio. Bänden, davon 450.000
in Freihandaufstellung, 850.000 im Freihandmagazin und ein umfangreiches
digitales Angebot. Für die täglich ca. 4.000 Besucher bietet sie insgesamt ca. 950
Arbeitsplätze.67 Sie hat bei einer Gesamtfläche von ca. 47.000 qm eine
Hauptnutzfläche von ca. 26.000 qm, wobei der Nutzungsbereich einen Anteil von
ca. 7.500 qm hat.
Der Neubau, der hier untersucht wird, ist Teil des Gesamtkonzeptes der SUB mit
verschiedenen Standorten und dient als Zentralbibliothek und Studienzentrum vor
allem für die geisteswissenschaftlichen Fächer.
Anlass für die Baumaßnahme waren die schlechte Bausubstanz und die fehlende
Magazinkapazität der bestehenden Bibliothek sowie die gestiegenen Ansprüche
der Nutzer.68
Über eine Wettbewerbsentscheidung erhielt 1985 das Architekturbüro Gerber und
Partner aus Dortmund den Auftrag für die Planung. In mehreren Bauabschnitten
erstellt, wurde das Gebäude schließlich 1993 offiziell eröffnet.69
In der Aufgabenstellung für den Wettbewerb hieß es:
„Entsprechend der großen Bedeutung des Neubaus für die Universität und
die Stadt ist eine stadtbildprägende Gestaltung erwünscht.“70
Der Architekt Gerber zu seinem Bau71:
„Die Göttinger Bibliothek bot in ihrer Entstehungszeit ein ganz neues
Raumkonzept für eine Bibliothek. [...] das offene Haus, mit der Landschaft
und dem Umfeld verbundene Leseräume sind heute Bilder für einen
Bibliotheksbau unserer Zeit.“72
67
Vgl. Homepage der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.
68
Vgl. Mittler, Elmar: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek (SUB Göttingen). In:
Bibliothek: Forschung und Praxis (2003) 27, S. 79.
69
Ebenda, S. 79.
70
Realisierungswettbewerb Nds. Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen. In:
Wettbewerbe aktuell (1985) 8, S. 437.
71
Meine Anfragen bzgl. der Planungskriterien für den Entwurf der SUB wurden vom Architekten
nicht beantwortet.
72
Gerber, Eckhard: Der Entwurf aus Sicht des Architekten. In: Bibliothek 17 (1993), S. 349.
22
23. [Ziel des Entwurfs war] „Bücher aufbewahren, sie zu präsentieren und aus diesem
Ort eine Stätte der Begegnung und Komunikation zu machen.“73
Städtebau
Städtebaulich wirkt die SUB als Verbindungsglied zwischen Universität und Stadt.74
Zur Universitätsseite schließt das Gebäude die vierte Seite des sogenannten
„Forums“ ab. Zur Stadt hin öffnet es sich mit fünf schmalen Gebäuderiegeln, die
sogenannten „Finger“, in eine parkartige Landschaft. Die Rotunde markiert den
Haupteingang der Bibliothek und liegt am Hauptfußweg aus der Stadt zu den
zentralen Einrichtungen der Universität. Sie nimmt Bezug zum von hier sichtbaren
Kirchturm der Sankt-Jakobi-Kirche der Altstadt von Göttingen.75
Abbildung 14 Lageplan (Quelle SUB) Abbildung 15 Luftbild
Baukörper / Nutzung
Die Bibliothek ist in vier übergeordnete Funktionsbereiche gegliedert:
- Benutzungsbereich
- Verwaltung
- Magazin und technische Dienste
- Tiefgarage und haustechnische Zentrale.76
Der Verwaltungsbereich umfasst in zwei an der Nord- und Ostseite gelegenen
Riegeln, dem sogenannten „Rücken“, den Benutzungsbereich, dessen „Finger“ sich
nach Süden und Westen orientieren. In den Untergeschossen befinden sich
Magazin, Tiefgarage und Technik.77
73
Ebenda, S. 348.
74
Vgl. Gerber, Eckhard: Reflexionen zu den Bibliotheksbauten Göttingen, London, Paris,
Alexandria. In: Die Herausforderung der Bibliotheken durch elektronische Medien und neue
Organisationsformen. 85. Deutscher Bibliothekartag in Göttingen 1995. Hrsg. von Sabine
Wefers. Frankfurt 1996 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie: Sonderheft ; 63),
S. 306.
75
Vgl. Gerber: Der Entwurf aus Sicht des Architekten. In: Bibliothek 17 (1993), S. 352.
76
Vgl. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Dokumentation des
Neubaus zur Eröffnung am 30.4.1993. Hrsg. von der Staatshochbauverwaltung des Landes
Niedersachsen, Georg-August-Universität Göttingen. Göttingen 1993, S. 17.
77
Vgl. Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. In: glasforum (1995)
23
24. Abbildung 16 Grundriss Erdgeschoss (Quelle SUB)
Abbildung 17 Grundriss 2.Obergeschoss (Quelle SUB)
Abbildung 19 Eingangsrotunde Abbildung 18 "Finger" Abbildung 20 Halle
Raumabfolge / Orientierung
An die Eingangsrotunde, in der sich im Obergeschoss eine Cafeteria befindet,
schließt sich eine Halle als offene Erschließungszone an, von der aus alle
Nutzungsbereiche „wie ein aufgeblättertes Buch“78 klar erkennbar sind. Eine schräg
in den Raum gestellte Haupttreppe verbindet alle Geschosse miteinander. Somit
wird Tageslicht bis ins Untergeschoss geführt.
Der Benutzungsbereich
Nr. 1, S.65.
78
Gerber: Der Entwurf aus Sicht des Architekten; S. 352.
24
25. Die Anordnung der einzelnen Bereiche ist der Nutzung angemessen und
übersichtlich. Im Erdgeschoss sind die publikumsintensiven Bereiche mit einer
hohen Nutzerfrequenz und kurzen Verweildauer angeordnet: die Leihstelle, die
Lehrbuchsammlung und das Informationszentrum mit den Rechercheplätzen. In
den beiden Obergeschossen verbinden Stege verbinden die einzelnen
Fachbereiche und zahlreiche Wendeltreppen ermöglichen ein schnelles Wechseln
vom Monographien- zum Zeitschriftenbereich. Die meisten Arbeitsplätze sind in
den Fensterbereichen angeordnet, in den verschatteten Zonen werden PC-
Arbeitsplätze angeboten.79 Im Untergeschoss befinden sich die Garderobe und
weitere Nebenräume.
Verwaltung / Mitarbeiterräume
Der Verwaltungstrakt umschließt den Nutzungsbereich im Norden und Osten und
ist einbündig organisiert, so dass die Büroräume alle nach außen angeordnet sind.
Zum Lesesaal hin befindet sich je eine Zone mit Nebenräumen und
Sondernutzungen wie z.B. Besprechungs- und Schulungsräume sowie das
Rechenzentrum. Eine Schachtzone über alle Geschosse übernimmt die
installations- und betriebstechnische Haupterschließung des Gebäudes80. Die
Werkstätten und Räume des technischen Dienstes (Poststelle, Buchbinderei,
Magazin-Aufenthaltsraum) liegen im Sockelgeschoss auf der Ostseite und erhalten
durch die dortige Erdreichabsenkung natürliche Belichtung. Grundsätzlich wurde
viel Wert auf eine gute Ausstattung der Personal-Aufenthaltsräume gelegt.81
Magazin:
Das unterirdische Magazin ist mit Ausnahme des Freihandmagazins als
Kompaktmagazin angelegt. Die Schrägstellung des Stützrasters erforderte hier
eine entsprechende Anpasssung bei der Aufstellung der Kompaktanlage bzw.
Regale.82
Konstruktion / Fassade / Brandschutz:
Der Bau ist als Stahlbetonskelett konstruiert, das im Verwaltungstrakt über
rechtwinkligem, und im Benutzerbereich über schrägem Raster steht.83 In den
Lesesälen wurden Stützenraster und Regalmaße aufeinander abgestimmt.84
Die Fassade des Verwaltungstraktes ist eine mit Naturstein verkleidete
Lochfassade. Damit passt sie sich den umgebenden Bauten aus den sechziger
Jahren an. Im Benutzungsbereich ist die Fassade als zweischalige Stahl-Glas-
79
Vgl. Mittler: SUB Göttingen, S. 80.
80
Vgl. Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. In: glasforum, S.61.
81
Begehung vom 25.11.2004.
82
Interview mit Reimer Eck vom 25.11.2004.
83
Vgl. Die Göttinger Finger: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. In:
db Deutsche Bauzeitung (1994) Nr. 5, S.80.
84
Vgl. Interview mit Reimer Eck vom 25.11.2004.
25
26. Konstruktion ausgeführt. Dazwischen vermittelt das zylinderförmige
Eingangsbauwerk. Belüftungs- und Belichtungselemente gliedern die Dachfläche.85
Da der gesamte Nutzungsbereich als ein Brandabschnitt definiert wurde, mussten
alle Räume mit einer sogenannten trockenen Sprinkleranlage ausgestattet
werden.86 Dadurch konnte aber die räumliche Offenheit gewahrt werden.
Klima / Licht / Akustik:
Im gesamten Nutzungsbereich ist eine Lüftungsanlage in Betrieb. Die Büros im
Verwaltungsbereich werden konventionell mit Heizkörpern beheizt und sind für die
Mitarbeiter individuell steuerbar.
Über die Gebäudeform wird automatisch sehr viel natürliches Licht ins Gebäude
geführt. Ebenso ist ein Blick nach draußen von fast jedem Punkt der Bibliothek
möglich. Die Benutzungsbereiche sind nach Süden orientiert und verfügen über
einen außenliegenden Sonnenschutz als Markisen und Jalousien, die je nach
Sonnenstand und Windstärke automatisch gesteuert werden.
Die künstliche Allgemeinbeleuchtung ist unabhängig von der Regalaufstellung. Die
Regale selbst sind mit eigenen Leuchten ausgestattet und die Arbeitsplätze
verfügen jeweils über individuelle Beleuchtung.87
Von den lauten Bereichen nahe der Erschließungshalle mit seinen öffentlichen
Nutzungen und Gruppenarbeitsplätzen nimmt die Geräuschkulisse bis zu den
Fingerenden mit den Einzelarbeitsplätzen kontinuierlich ab.88 Durch die offene
Architektur und die harten Oberflächen ist eine gewisse Geräuschbelastung
vorhanden.
Materialien / Oberflächen / Farben:
Das Innenraumkonzept sieht vor, die natürliche Farbigkeit der Materialien wirken zu
lassen. Tragende Teile sind in Sichtbeton belassen, die Stahlteile wurden
metallisch gestrichen. Abgehängte Decken, Trennwände und andere
Ausbauelemente sind aus weißem Gipskarton. Der Fußboden besteht in der Halle
aus hellgrauem Kunststein, im Nutzungsbereich ist grau- und türkisfarbener
Teppichboden verlegt. Die Möbelteile sind in Buchenholz gehalten.89
In den Magazinen wurde auf Wunsch der Mitarbeiter als Bodenbelag Teppichboden
eingesetzt.90
Zugänglichkeit zu den Medien:
85
Vgl. Redecke, Sebastian: Versuch einer Bindung: Die Niedersächsische Staats- und
Universitätsbibliothek Göttingen . In:Bauwelt (1994) 15, S. 839.
86
Vgl. Eck, Reimer: Ein Planungs- und Baubericht aus Sicht des Nutzers. In:Bibliothek 17
(1993), S. 354.
87
Begehung vom 25.11.2004.
88
Wilson, Alison: Germany - Leading Library Design. In: Face (2004) September, S. 26.
89
Vgl. Die Göttinger Finger, S.82.
90
Interview mit Reimer Eck vom 25.11.2004.
26
27. Von den 3,5 Mio. Bänden im Neubau sind ca. 450.000 in Freihandaufstellung und
850.000 im Freihandmagazin.91 Im 1.OG befinden sich die Monographien und im
2.OG die Zeitschriften, nach Fächern in den fünf Fingern verteilt. So ergibt sich
sowohl eine fächerspezifische als auch eine Medienart-bezogene Aufstellung. Die
Auswahl der Medien für die Freihandaufstellung erfolgt nach Aktualität und
Wichtigkeit und liegt in der Verantwortung der Fachreferenten.92
Arbeitsplätze:
Ein differenziertes Angebot an Arbeitsplätzen geht auf die unterschiedlichsten
Nutzerbedürfnisse ein. Vom Internet-Rechercheplatz im Erdgeschoss über
Anleseplätze im Stehen an den Galerien, Einzelarbeitsplätze an der Fassade,
zwischen den Regalen, im Ruheleseraum oder ganz abgeschlossen im Carrel bis
zu Gruppenarbeitsplätzen an mobilen Tischen oder in abgeschlossenen Räumen.
Die Carrels sind v.a. für Doktoranden und Nutzer von Altbestand vorgesehen. Sie
liegen zusammenhängend im Osten des Lesesaals im eigentlichen
Verwaltungstrakt, zur Hälfte innenliegend.
Abbildung 21 Anleseplatz Abbildung 22 Lesesaal Abbildung 23 Carrel
Technische Ausstattung:
Alle Arbeitsplätze haben Stromanschluss und sind mit einer individuellen
Leseleuchte ausgestattet. Fast der komplette Nutzungsbereich ist mit W-LAN
versorgt, so dass von annähernd jedem Arbeitsplatz der Zugriff auf das Internet
gewährleistet ist.
Als in der Planungsphase absehbar wurde, dass der elektronische Katalog den
Zettelkatalog ablösen wird, wurden die Zettelkataloge auf Tischen montiert, die
später zu OPAC-Plätzen umfunktioniert werden konnten.93
91
Vgl. Homepage der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.
92
Interview mit Reimer Eck vom 25.11.2004.
93
Vgl. Wilson, Alison: Germany - Leading Library Design, S.26
27
28. 3.3 Die Seattle Public Library
Im Bereich der öffentlichen Bibliotheken sind in den letzten Monaten im
angloamerikanischen Bereich zukunftsweisende Gebäude entstanden wie z.B. die
„Idea-Stores“, die in verschiedenen Stadtteilen Londons eingerichtet wurden94 und
die neue öffentliche Bibliothek von Seattle (SPL), die im Mai 2004 eröffnet wurde.
Dieses Beispiel wurde gewählt, um zu zeigen, wie ein visionäres Konzept mit
außergewöhnlicher Architektur in ein spektakuläres Gebäude umgesetzt wurde und
soll als Inspiration für den deutschen Bibliotheksbau gesehen werden.
Die neue Zentralbibliothek von Seattle
hat eine Bruttogrundrissfläche von ca.
34.000 qm und bietet Platz für 1,4 Mio.
Medieneinheiten. Die Bibliothek soll als
öffentliches Forum dienen und ihr
Gebäude soll flexibel und übersichtlich
sein mit intimen Orten wie auch
Flächen, die inspirierend und großzügig
wirken.95 Insgesamt sollte ein neues
Abbildung 24 Ansicht Seattle Public Library Wahrzeichen für Seattle geschaffen
(Quelle SPL) werden:
„a signature building that will be an enduring and instantly recognized Seattle
landmark.“96 Das Raumprogramm ließ dem Architekten genügend Spielraum für
seine konzeptionelle Interpretation.
Architekten waren das Office for Metropolitan Architecture (OMA) von Rem
Koolhaas mit Joshua Ramus als ausführendem Projektleiter. Das Planungsteam
beschäftigte sich intensiv mit den Abläufen in einer Bibliothek, unternahm
zusammen mit der Bibliotheksführung Exkursionen zu verschiedenen neu
gebauten Bibliotheken, veranstaltete Workshops zu neuesten technologischen
Entwicklungen und Meetings für interessierte Mitarbeiter und Bürger Seattles.97 In
einem Design Book98 wurde anschließend das Konzept für die neue
Zentralbibliothek zusammengefasst. Es enthält unter anderem folgende Thesen:
Durch die neuen Medien und die Bilderflut hat sich die Rezeption auf das Visuelle
verlagert. In einer Welt des Verlusts des öffentlichen Raums bildet die Bibliothek
die letzte wirklich öffentliche und freie Bastion. Aus der Bibliothek als Leseraum
wird ein immer komplexeres Gebilde mit vielfältigen sozialen Aufgaben.
94
Vgl. Stungo, Naomi: The big idea. In: Building Design July 30, 2004, S.12-15. Lane, Megan:
Is this the library of the future? In: BBC News online vom 18.3.2004.
95
Vgl. Homepage der Seattle Public Library. New Central Library Status Report.
96
Ebenda. Visions for the Central Library System.
97
Vgl. Ramus, Joshua (Office for Metropolitan Architecture Rem Koolhaas) und Deborah
Jacobs: Projekt Neue Zentralbibliothek Seattle. Vortrag beim Symposium „Bibliothek der
Zukunft in der Stadt der Zukunft“ am 17.10.2003.
98
Vgl. Seattle Public Library Proposal [Design Book]. Zitiert nach Beiser: Trends und Visionen
im modernen Bibliotheksbau, S. 44.
28
29. Die einzelnen Funktionsbereiche der Bibliothek wurden als stabile und instabile
Einheiten definiert. Zu den stabilen Elementen, die später „Platforms“ genannt
wurden, gehören die Bücher, das Parkhaus, Mitarbeiterbereich, Versammlung und
Direktion als physisch feste Einheiten. Dazwischen befinden sich die sogenannten
„Trading Floors“,99 räumlich flexible Bereiche, die sozialen Nutzungen dienen.
Hierzu gehören der Lesebereich, der „Living Room“- der Eingangsbereich mit Cafe,
die Kinderbibliothek und der „Mixing Chamber“, die zentrale Informationsstelle als
informelle Begegnungszone zwischen Bibliothekar und Besucher,100 ausgestattet
mit 400 Internet-Arbeitsplätzen.101
Abbildung 26 „Platforms“ (Quelle Baumeister) Abbildung 25 "Urban Walk" (Quelle
Baumeister)
Der Neubau ist ein elfgeschossiger Stahlbau mit einer gefalteten Außenhaut. Die
Fassade besteht aus einem homogenen Stahlgeflecht in Rautenform, das je nach
Ausrichtung mit unterschiedlichen Gläsern belegt ist. Je nach Blickwinkel
erscheinen diese opak oder transluzent.102
Die fünf verschiedenen „Platforms“ wurden auf gegeneinander versetzten Ebenen
als festgelegte Einheiten angeordnet. Die dazwischenliegenden Räume mit
unterschiedlichen Geschosshöhen sind sehr großzügig angelegt. Sie unter-
scheiden sich sowohl in ihren Ausmaßen voneinander als auch bezüglich der in
ihnen verwendeten Materialien und der Lichtverhältnisse. Diese unterschiedlichen
„Erlebnisräume“ bieten dem Nutzer eine klare Orientierung.103
Das Herzstück bildet der sogenannte „Urban Walk“104, eine spiralförmig angelegte
Rampe, an der alle Sachbücher nach der Dewey Decimal Classifikation aufgestellt
sind. Mit einem Neigungswinkel von nur 3,5° ist sie auch für Rollstuhlfahrer leicht
befahrbar. Durch die lineare Struktur des Klassifikationssystems erlaubt die
99
Zitiert nach Häntzschel, Jörg: Zentralbibliothek in Seattle. In:Baumeister (2004) Nr.7, S. 43.
100
Vgl. Ramus und Jacobs: Vortrag zum Projekt Neue Zentralbibliothek Seattle.
101
Angaben von Clausen L. Meredith: Infopools und „atmende Bücherregale“. Entwurf
öffentliche Bibliothek Seattle. In: Bauwelt (2003) Nr. 27/28, S. 24.
102
Vgl. Ramus und Jacobs: Vortrag zum Projekt Neue Zentralbibliothek Seattle.
103
Vgl. Klingmann: Datascapes: Bibliotheken als Informationslandschaften, S.383.
104
Zitiert nach Clausen: Infopools und „atmende Bücherregale“, S. 23.
29
30. Bücherspirale einen flexiblen Umgang mit dem
Bestand, der sich je nach Bedarf ausdehnen oder
zusammenziehen kann.105 Am oberen Ende
gelangt der Besucher in den offenen Lesesaal.
Über die spezifische Gestaltung der Oberflächen
werden verschiedene Atmosphären geschaffen.106
Auffallend ist der plakative Einsatz von Farbe,
Schrift und Ornamenten im Inneren der Bibliothek.
Die Farbigkeit unterstützt die Orientierung im
Gebäude. Vertikale Elemente wie z.B. Aufzüge
oder die Rolltreppe sind in gelbgrün gehalten.
Im Eingangsbereich soll über die Teppiche mit
Abbildung 27 Dewey-Spirale
(Quelle Baumeister) Grasmuster die Verbindung zur Außenbegrünung
geschaffen werden.
Abbildung 29 „Living Room“ mit Grasteppich Abbildung 28 Lesesaal (Quelle Baumeister)
(Quelle Baumeister)
Abbildung 30 Leihstelle (Quelle SPL) Abbildung 31 "Mixing Chamber" (Quelle SPL)
Plakativ angeordnete Schriftzüge
vermitteln Inhalte und bieten Orientierung, wie z.B. die Thekenbeschriftung oder die
Dewey-Nummern auf dem Boden des Urban Walk.
105
Vgl. Ramus und Jacobs: Vortrag zum Projekt Neue Zentralbibliothek Seattle.
106
Vgl. Klingmann: Datascapes, S.383f.
30
31. 4. Der Kriterienkatalog von Faulkner-Brown
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich zur Bewertung von
Bibliotheksbauten die Grundsätze von Harry Faulkner-Brown als die
wichtigsten Parameter zur Bewertung von Bibliotheksbauten
erwiesen.107 Seine Relevanz für die Lehre und Praxis im heutigen
Bibliotheksbau zeigt sich in zahlreichen Verweisungen in der
Abbildung 32 Fachliteratur. In Deutschland setzten sich als Fachleute für
Faulkner-
Brown Bibliotheksbau z.B. Ingo Kolasa108, Elmar Mittler109 und Ulrich
Naumann110 mit seinen Thesen auseinander.
Die sogenannten „Faulkner-Brownschen Gesetze“111 oder auch „Ten
Commandments“112 wurden vom Architekten Harry Faulkner-Brown Anfang der
siebziger Jahre aufgestellt und bis heute mehrmals in unveränderter Form von ihm
veröffentlicht. Sie beinhalten die zehn wichtigsten Qualitätsanforderungen zur
Planung von Bibliotheksbauten.
4.1 Entstehung
Wie kam es zu den Thesen?
Bereits in den fünfziger Jahren kam in den USA der Gedanke der „flexibility“ in der
Architektur auf und wurde in verschiedenen Hochschulbauten realisiert.113
In den sechziger Jahren verbreiteten die amerikanischen Bibliothekare und
Bauberater Keyes Metcalf und Ralph Ellsworth in Großbritannien das Konzept der
flexiblen Bibliothek, ausgeführt als Skelettbau, d.h. ohne tragende Innenwände und
mit Geschossdecken, die alle auf die Lasten von Bücherregalen ausgelegt
waren.114
Der “Report of the University Grants Committee on libraries” (Parry Report) der
englischen Regierung aus dem Jahr 1967 forderte zum Schutz der Bücher die
künstliche Klimatisierung in neuen Bibliotheksbauten.115
107
Vgl. Kolasa, Ingo: Bibliotheksbau. In: Die moderne Bibliothek. Ein Kompendium der
Bibliotheksverwaltung. München 2004, S.87.
108
Ingo Kolasa war u.a. Baureferent für den Neubau der Deutschen Bibliothek in Frankfurt/ Main
und Berater für den Wettbewerb der Erweiterung Deutsche Bibliothek Leipzig.
109
Prof. Dr. Elmar Mittler ist Vorsitzender der LIBER Architecture Group.
110
Prof. Ulrich Naumann lehrt Bibliotheksbau an der HU Berlin.
111
Nach Naumann, Ulrich: Grundsätze der Planung von Bibliotheksbauten. Die „Faulkner-
Brownschen Gesetze“, 2003.
112
Faulkner-Brown, Harry: Design criteria for large library buildings. In: World Information
Report (1997/98), S. 257.
113
Vgl. Liebers, Gerhard: Der Gedanke der „flexibility“ im neueren amerikanischen
Bibliotheksbau (1952). In: Funktion und Gestalt der Bibliothek, S. 9-11.
114
Vgl. Quinsee, Anthony: After Atkinson. British Library Planning since 1976. 1995,
Introduction.
115
Ebenda.
31
32. Als Harry Faulkner-Brown Ende der sechziger Jahre beauftragt wurde, eine neue
Bibliothek für die Universität von Nottingham zu planen, unternahm er mit dem
damaligen Bibliotheksleiter zwei Exkursionen in die USA, um die Entwicklung des
Bibliotheksbaus dort zu studieren.116 Aus der Analyse von ca. 30 fertiggestellten
Bibliotheken entwickelte er anschließend seinen Kriterienkatalog, den er 1972 in
einer Broschüre über die Bibliothek erstmals veröffentlichte.117
Die Arts and Social Science Library von Nottingham wurde zum weit beachteten
exemplarischen Beispiel für „open-plan, modular, flexible libraries.“118
Abbildung 34 Nottingham Library (Quelle
Thompson)
Abbildung 33 Nottingham Library Grundriss EG
(Quelle Thompson)
Viele Universitätsbibliotheken in
Großbritannien folgten in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre seinem
Beispiel wie z.B. mit den Neubauten von Leicester, Leeds South Library, Bristol und
Loughborough (1982).
Faulkner-Brown selbst plante unter anderem die Universitätsbibliotheken von St.
119
Andrews und Newcastle (1982).
Internationalen Einfluss gewann Faulkner-Brown als Vorsitzender der IFLA Section
Library Buildings and Equipment. Er hielt mehrmals Vorträge bei Konferenzen der
IFLA und bei Seminaren der LIBER Architecture Group.120 Weiterhin fungiert er bis
heute als Berater für viele Neubauten wie für die Königlich-Dänische
Nationalbibliothek Kopenhagen, die Zentralbibliothek von Den Haag und die
Bibliotheka Alexandrina von Alexandria als prominenteste Beispiele. Aktuelle
Projekte seiner Beratungstätigkeit sind die Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin und
die Erweiterung der Cambridge University Library. 121
116
Faulkner-Brown, Harry: Brief vom 4.11.2004.
117
Ebenda. Die Bibliothek wurde 1973 eröffnet.
118
Quinsee: After Atkinson, Introduction.
119
Vgl. Quinsee: After Atkinson, Introduction.
120
Siehe Glossar.
121
Vgl. Knevitt, Charles: Practice makes perfect [portrait of Harry Faulkner-Brown]. In: The
32
33. Es folgt eine Beschreibung der zehn Kriterien von Faulkner-Brown und ihre
Bewertung und Interpretation aus heutiger Sicht, exemplarisch verdeutlicht anhand
der vorangegangenen Bibliotheksbauten in Dresden und Göttingen.
Als Textgrundlage dient eine Veröffentlichung in englischer Sprache für den
Unesco World Information Report aus dem Jahr 1998122 die im Anhang beigefügt
ist. In den folgenden Kapiteln wurden die Thesen sinngemäß übersetzt und
zusammengefasst.
architects´ journal (1997) 20. Februar, S.24.
122
Faulkner-Brown, Harry: Design criteria for large library buildings. In: World Information
Report (1997/98), S. 257-267. Es liegt aus dem Jahr 1981 eine Übersetzung in deutscher
Sprache vor, doch sind dort einige Begrifflichkeiten fachlich missverständlich übersetzt
worden. Faulkner-Brown, Harry: Der offene Plan und die Flexibilität. In: Bibliotheken
wirtschaftlich planen und bauen. Tendenzen – Ausblicke – Empfehlungen. Ergebnisse des
IFLA-Bibliotheksbau-Seminars Bremen 1977. Hrsg. von Horst Meyer. München 1981, S. 9-
26.
33
34. 4.2 Die Kriterien
4.2.1 „Flexibel“ - Flexibilität
Laut Faulkner-Brown sollte ein Bibliotheksgebäude über die Art der räumlichen
Anordnung, der Konstruktion und der technischen Ausstattung Flexibilität [in der
Nutzung] ermöglichen, so dass es sich bei Bedarf veränderten Bedingungen, [d.h.
Nutzungsänderungen] anpassen kann.
Die Voraussetzungen dafür liegen in der Statik und Grundrisskonzeption.
So sollte das Gebäude als Skelettbau mit regelmäßigem und möglichst weitem
Stützenraster realisiert sein. Die Decken sollten einheitlich auf eine Last von
7,2kN/qm - dies entspricht der Belastung durch Bücherregale - ausgelegt sein, so
dass es möglich ist, einzelne Elemente bis zu ganzen Abteilungen komplett zu
verlegen.
Die Geschosse sollten eben sein und die technische Ausstattung sollte so
ausgelegt sein, dass sie Veränderungen anpassbar ist.
Tragende Wände sollten als [statisch wirksame] feste Kerne ausgebildet sein, die
feststehende Nutzungen beinhalten wie z.B. die vertikale Erschließung
(Treppenhäuser und Aufzüge), Nebenräume wie z.B. Toiletten oder
betriebstechnische Anlagen. Sonstige Trennwände sollten nur da, wo sie aus
Gründen der Sicherheit bzw. der Privatsphäre absolut notwendig sind, eingesetzt
werden und dann nicht tragend, d.h. demontierbar ausgeführt werden.
Im „open-plan“ werden geschlossene Räume auf ein Minimum reduziert und die
verschiedenen Abteilungen liegen in locker definierten Bereichen, die informell
miteinander in Beziehung stehen.
Das bewährte Konzept der „Bürolandschaft“ [in der über die Anordnung der
Möblierung verschiedene Arbeitsplätze offen gestaltet werden] verbessert die
Übersichtlichkeit und die Kommunikation. Die visuelle Abgrenzung der
Arbeitsplätze untereinander kann dann über Bücherregale und Zimmerpflanzen
erreicht werden, die akustische Abgrenzung über den Einsatz akustisch-wirksamer
Oberflächen an Boden und Decke sowie die gleichmäßige Geräuschbelastung
durch die Lüftungsanlage.
Dieses Konzept ermöglicht es dem Bibliothekar, räumliche Veränderungen von
Arbeitsabläufen oder ganzer Abteilungen ohne aufwändige Umplanungen zu
realisieren. Dadurch kann die Bibliothek leichter auf Veränderungen reagieren bzw.
Neues ausprobieren. Nur durch das Umstellen der mobilen Einrichtung kann dies
erreicht werden. Bei fest eingebauter bzw. zu massiver Möblierung wäre dies nicht
möglich.
Weiterhin ermöglicht ein offener Grundriss einen wirtschaftlichen Personaleinsatz,
34
35. da durch die größere Übersichtlichkeit [im Nutzerbereich] weniger Personal
notwendig ist.
Bewertung:
Die Bewertung dieses Kriteriums ist geprägt vom Zwiespalt zwischen
größtmöglicher Flexibilität und bedarfsgerechter Differenzierung.
Ingo Kolasa, Baureferent für die Deutsche Bibliothek Frankfurt und Bauberater,
betrachtet dieses Kriterium sehr kritisch. Er weist darauf hin, dass die räumlichen
Veränderungen in den Bibliotheken trotz der Informationsrevolution im Verhältnis
zu ihrer Gesamtfläche in den letzten Jahren sehr gering waren und daher der
mögliche Nutzen mit dem erforderlichen Aufwand kritisch zu vergleichen ist.123
Hierbei sind zum einen ausführungstechnische und wirtschaftliche sowie zum
anderen soziale und gestalterische Faktoren zu betrachten.
So ist zu prüfen, inwieweit Flexibilität machbar und wirtschaftlich vertretbar ist.
„Gebäude für die Informationsgesellschaft sind solche, die sich dem
[jeweiligen] Flächenbedarf, den Organisationsstrukturen [...] und den
technischen Ausbaustandards anpassen können.“124
Einer der Fixpunkte in der Planung von Bibliotheksbauten ist, dass die Bibliothek
sich verändern wird. Aufgrund der rasanten Entwicklung in der Informations-
technologie muss es mehr als jedes andere öffentliche Gebäude fähig sein, auf
neue Anforderungen entsprechend reagieren zu können.
Daraus folgt die Forderung nach der Anpassungsfähigkeit des Gebäudes. Ziel ist
die Ausgewogenheit zwischen der optimalen Umsetzung gemäß den momentanen
Anforderungen und größtmöglicher Flexibilität bzw. Variabilität für zukünftige
Veränderungen.125
Grundsätzlich ist es sinnvoll, Nutzungsbereiche mit unterschiedlichen
Anforderungen bzgl. Statik, Klima, technischer Ausstattung und Aufenthalts-
qualitäten zu differenzieren. In einer Bibliothek sind dies z.B. Magazin, Technik-
und Lagerräume, Werkstätten, Verwaltung und Benutzungsbereich. Innerhalb
dieser einzelnen Bereiche sollte es möglich sein, flexibel auf Veränderungen
reagieren zu können.
Konstruktion und Statik:
Ein großes Bibliotheksgebäude als Skelettbau zu konstruieren ist heute eine
Selbstverständlichkeit, jedoch werden aus gestalterischen Gründen oder
123
Vgl. Kolasa: Bibliotheksbau, S.88.
124
Daniels, Klaus: Low-Tech Light Tech High-Tech. Basel 1998, S.104.
125
Vgl. Mc Donald, Andrew: Planning Academic Library Buildings for a New Age. Some
Principles, Trends and Developments in the United Kingdom. In:Advances of Librarianship 24
(2000), S. 62f.
35
36. funktionalen Bedingungen Gebäudeteile statisch unterschiedlich gestaltet. Dennoch
können diese den Anforderungen nach Flexibilität und Funktionalität nachkommen.
Die Tragfähigkeit der Decken sollte zumindest die Aufstellung von Freihandregalen
an jeder Stelle im Gebäude ermöglichen.126 Allerdings erweist sich die Forderung
Faulkner-Browns, die Tragfähigkeit überall auf die Aufstellung von Kompakt-
anlagen auszulegen, als unwirtschaftlich.127 Vor allem für eine Magazinbibliothek ist
die differenzierte Behandlung von Magazingeschossen und Nutzer- bzw.
Verwaltungsbereichen aus statischen und ebenso aus klimatechnischen Gründen
zweckmäßig.128
Auf tragende Innenwände sollte gemäß seiner Forderungen so weit wie möglich
verzichtet werden. Feste Einbauten mit notwendigen Nutzungen wie z.B. Treppen,
Aufzüge sowie WC-Anlagen können als aussteifende Kerne129 ausgebildet werden.
Nichttragende Innenwände demontierbar auszuführen, bedeutet in der Ausführung,
dass die Innenwände nicht auf den Rohfußboden, sondern erst auf den Estrich
bzw. einen Installationsboden gesetzt werden. Dies führt, insbesondere bei der
Ausführung mit Hohlraumboden130, zu einer höheren Schallübertragung über diese
Elemente.
Räumliche Zuordnung:
Der Verzicht auf sonstige Trennwände, z.B. im Verwaltungsbereich, zieht neben
den Auswirkungen auf die Arbeitsatmosphäre - fehlende Privatsphäre - auf jeden
Fall akustische Probleme nach sich, die meiner Meinung nach nur unzureichend
über die von Faulkner-Brown vorgeschlagenen Mittel auszugleichen sind.
Kolasa plädiert gegen das Großraumbüro, unterstützt aber den Vorschlag der
flexiblen Möblierung, die baukastenartig zusammengesetzt wird und bei neuen
Nutzungsbedingungen schnell verändert werden kann,wie dies z.B. in der
Deutschen Bibliothek Frankfurt verwirklicht wurde.131
Im Verwaltungsbereich erfordern Veränderungen in der Technologie oder
Organisation Veränderungen im Arbeitsablauf. Mitarbeiter müssen verschiedene
Tätigkeiten ausführen und arbeiten dafür in unterschiedlichen Teams zusammen,
die sich temporär neu bilden.132 Die nutzungsneutrale Anordnung von Büroräumen
unterschiedlicher Größen ermöglicht die Anordnung von fixen und flexiblen
126
Vgl. Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken.
Empfehlungen des Wissenschaftsrat; Juli 2001, S.46.
127
Vgl. Kolasa: Bibliotheksbau, S.88.
128
Vgl. Mittler, Elmar: Auf dem Weg zu einem bibliothekarischen Gesamtkonzept. Neubau und
historisches Gebäudeensemble der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek
Göttingen. In: Bibliotheksbauten in der Praxis. Erfahrungen und Bewertungen. Wiesbaden
1994, S. 223-241. Siehe auch Kapitel 4.2.8.
129
Siehe Glossar.
130
Siehe Glossar.
131
Vgl. Kolasa: Bibliotheksbau, S.88.
132
Vgl. Daniels: Low-Tech Light Tech High-Tech, S.87.
36
37. Arbeitsplätzen. Die nach Besoldungsgruppen unterschiedlichen Vorgaben bzgl. der
Raumgrößen im DIN-Fachbericht sind dazu nicht geeignet. Die gemeinschaftlich
genutzte Infrastruktur wie Besprechungs- und Aufenthaltsräume oder Kopierraum
sollten gut zugänglich sein.
Kleinräumige Nutzungen mit ähnlichen Anforderungen sollten räumlich
zusammengefasst werden, um unterschiedliche Raumgrößen anbieten zu können
und diese bei Bedarf verändern zu können. Im Benutzungsbereich gilt dies z.B. für
Gruppenarbeitsräume oder Sonderlesebereiche. Das Tageslichtangebot sollte an
möglichst vielen Stellen die Anordnung von Arbeitsplätzen ermöglichen. Ein
flexibles Möblierungssystem mit integrierter Beleuchtung erleichtert die variable
Anordnung von Regalen und Arbeitsplätzen.
Technische Ausstattung:
Die technische Ausstattung eines Bibliotheksgebäudes ist heutzutage äußerst
komplex. Für verschiedene Nutzungen existieren unterschiedliche Anforderungen
bezüglich Licht, Klima, EDV-Ausstattung und Brandschutz. Daher ist Flexibilität in
diesem Bereich meist mit hohem Aufwand verbunden. Andererseits ist die
technische Ausstattung der Bereich des Gebäudes, der sich wahrscheinlich am
schnellsten verändert. Daten von Jones zeigen, dass die Auslegung der
Nutzungszuordnungen eines öffentlichen Gebäudes auf 15 Jahre und der
technischen Infrastruktur auf 7 Jahre realistische Angaben sind.133
Installationsräume und -zonen sollten für zukünftige Veränderungen ausreichend
dimensioniert sein und leicht zugänglich angeordnet werden. Die notwendige
Verkabelung für Strom und EDV ist beim Fehlen von festen Zwischenwänden nur
über die Außenwände oder über den Fußboden möglich. Der Einbau eines
Hohlraum- bzw. Doppelbodens134 bietet vor allem für den Benutzungsbereich
vielfältige Möglichkeiten. Dieser kann sowohl die Lüftungskanäle als auch die
gesamte Strom- und EDV-Verkabelung aufnehmen. Prinzipiell kann an jeder
beliebigen Stelle auf diese Installationen zugegriffen und somit auf abgehängte
Decken verzichtet werden. Die Massivdecken können dann wiederum als
Speichermasse für den Temperaturausgleich dienen.135
Flexibilität als architektonisches Konzept?
Ein modular aufgebauter, offener Grundriss kann dem Nutzer eine hohe Flexibilität
bieten. Es gibt Beispiele, wo mit einem modularen Konzept qualitätvolle Architektur
entstanden ist. Der Vorteil liegt in der Möglichkeit, sowohl auf äußere
Gegebenheiten als auch auf Nutzungsänderungen im Inneren reagieren zu können.
Aber vollkommene Flexibilität kann nicht alleiniges Entwurfskonzept sein, wie auch
Stephan Dallago, der Architekt der Bozener Universitätsbibliothek anlässlich seines
133
Zitiert nach Mc Donald: Planning Academic Library Buildings for a New Age, S.62.
134
Siehe Glossar.
135
Siehe auch 5.3.2.
37
38. Vortrags zum 12. LIBER-Seminar 2004 auf die Forderung nach Flexibilität in der
Architektur formulierte:
„...dass der Wunsch nach Flexibilität nicht die dem Bau zugrunde liegende
Idee ersetzen kann. [...] Auch Multifunktionalität kann nur eine
Überlagerung verschiedener Funktionalitäten sein, nicht etwa als
Platzhalter für eine später zu definierende Funktionalität dienen.“ 136
Wenn der Anspruch nach vollkommener Flexibilität
überbewertet wird, besteht die Gefahr der
gestalterischen Beliebigkeit.
Dazu Susan Hagan im “Architect´s Journal” über die
Universitätsbibliothek Bristol der Architekten Turist &
Whitley, eine im Sinne Faulkner-Browns geplante
modulare, vollflexible Bibliothek:
„The layout is obviously efficient and a
librarian´s idea of heaven, but inside it does
create a problem of endless unmodulated
Abbildung 35 Bristol Library. vistas from one end of the building to another
Quelle Thompson
and of endless repetition on the exterior”137
Insgesamt muss ein sinnvoller Kompromiss gefunden werden zwischen den
Anforderungen nach Flexibilität, ihrer Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit und
bedarfsgerechter Differenzierung.
Das Beispiel der SUB Göttingen
Die Göttinger Bibliothek ist nicht flexibel im Sinne Faulkner-Browns, da sie keine
homogene Gebäudestruktur hat, sondern auf die unterschiedlichen Nutzungen
innerhalb des Gebäudes mit einer differenzierten Architektur antwortet, um für den
jeweiligen Bedarf optimale Flächen anbieten zu können.138 Doch ist sie flexibel
genug, um in ihren Teilbereichen auf Nutzungsänderungen reagieren zu können.
Davon wurde und wird ständig Gebrauch gemacht. Beispiele dafür sind: Ein
Tiefgaragengeschoss wird jetzt als Magazin genutzt, ein Magazin wurde für die
Benutzer zum Freihandmagazin geöffnet, im Verwaltungstrakt wurden Büros
umorganisiert, im Nutzungsbereich wurden Regale entfernt und Raum für
informelle Gruppenarbeit geschaffen und der Raum für den Zettelkatalog für die
niedersächsische Landesbibliographie wird zum Informationszentrum. Lediglich im
Erdgeschoss ist die flexible Raumnutzung wegen der gestaffelten Ebenen
eingeschränkt.
136
Zitiert nach Diecks, Monika: Bericht über „The Rennaissance of the Library – adaptable
Library Buildings“. 12. Seminar der LIBER Architecture Group in Bozen und Venedig 15.-19.
März 2004. In:Zeitschrift für Buch und Bibliographie 51 (2004), 4, S. 253-254.
137
Zitiert nach Quinsee, Anthony: After Atkinson. British Library Planning since 1976, 1995.
138
Vgl. Mittler, Elmar: Auf dem Weg zu einem bibliothekarischen Gesamtkonzept, S. 224.
38
39. Das Prinzip des „open plan“ ist nur im Benutzungsbereich verwirklicht. Die
Vermischung der vier Teilbereiche der Bibliothek und Großraumbüros für die
Mitarbeiter waren nicht erwünscht. Da aber die Größe der Büros einem Rastermaß
folgen, und diese alle gleich eingerichtet sind, ist es hier ebenfalls möglich, auf
Veränderungen in der Organisation auch räumlich zu reagieren. In der
Nebenraumzone wurden im Planungsstadium verschiedene Räume „zur
besonderen Nutzung“ vorgesehen, die dann je nach Bedarf mit den
verschiedensten Nutzungen gefüllt werden konnten (z.B. Kopierraum,
Getränkeautomaten etc.).
Mit dem Einbau eines Hohlraumbodens erhoffte man sich im Benutzungsbereich
größtmögliche Flexibilität in Bezug auf die technische Ausstattung. Seit einigen
Monaten wird W-LAN-Technologie angeboten.139
Die hohe Anpassungsfähigkeit der Bibliothek ist nur möglich, weil etwaige
Nutzungsänderungen von der Bibliotheksleitung schon in der Planungsphase
prognostiziert wurden, der Architekt auf diese Vorgaben entsprechend einging und
deshalb Konstruktion, Grundrissanordnung und technische Gegebenheiten darauf
ausgerichtet werden konnten. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist hier der
ausdrückliche Wille der Bibliotheksführung, auch später auf neue Anforderungen
bzw. Bedürfnisse von seiten des bibliothekstechnischen Ablaufs oder der Nutzer zu
reagieren.
Das Beispiel der Göttinger Bibliothek zeigt, dass ein Bibliotheksgebäude trotz
differenzierter Architektur mit einer vorausschauenden Planung auf Veränderungen
flexibel reagieren kann.
4.2.2 „Compact“ - Kompaktheit
Ein kompakter Baukörper reduziert die Wege im Gebäude für das Personal, die
Nutzer und die Bücher. Der Besucher sollte vom Eingang direkt zum wesentlichen
Kern der Bibliothek geführt werden. Der Idealkörper des Kubus bietet [aufgrund der
geringen Oberfläche] außerdem eine gute Energiebilanz.
Bewertung:
Die Idee der kurzen Wege sollte auf jeden Fall in der Planung bedacht werden,
aber nicht zwangsläufig muss das Ergebnis ein Kubus werden. Es ist sinnvoll,
interne Funktionsabläufe und die Wege der Nutzer zu optimieren.140
Grundsätzlich ist ein kompakter Baukörper mit relativ wenig Fassadenanteil in der
Erstellung wirtschaftlicher und hat in der Regel eine gute Energiebilanz. Ab einer
gewissen Größe steht dem aber ein erhöhter Aufwand für die künstliche Belichtung
139
Vgl. Interview mit Reimer Eck und Begehung am 25.11.2004.
140
Vgl. Kolasa: Bibliotheksbau, S. 88f.
39
40. und Klimatisierung der innenliegenden Flächen gegenüber.
Darüber hinaus beeinflussen weitere Aspekte die Form des Baukörpers. Die
äußere Form der Göttinger Bibliothek z.B. ergibt sich aus städtebaulichen
Gesichtspunkten, internen Funktionsabläufen und Nutzungsanforderungen der
einzelnen Bereiche. Es entspricht in seiner Form nicht einem Kubus und ist nur
eingeschränkt als kompakt zu bezeichnen. Dennoch sind für den Nutzer alle
Bereiche schnell erkennbar und erreichbar. Lediglich im Verwaltungstrakt müssen
zwischen den Büros relativ lange Wege zurückgelegt werden, da alle
Mitarbeiterräume einbündig nach außen angeordnet sind. Nebenräume wie
Teeküche, Aufenthaltsraum, Kopierraum und Toiletten sind den Büros direkt
zugeordnet und dadurch schnell erreichbar. Das Gebäude der SLUB Dresden hat
eine sehr kompakte kubische Gebäudeform, aus dem lediglich die beiden
oberirdischen Quader hervortreten. Die Optimierung der Wege ist zumindest für
die internen Abläufe gut gelöst.141 Für den Nutzer ist die Anordnung der
einzelnen Abteilungen nicht ganz so übersichtlich und schnell erreichbar wie in
Göttingen, da die verschiedenen Abteilungen in den Randbereichen des
Gebäudes angeordnet sind und der zentrale Lesesaal immer „im Weg“ ist.
Die Kompaktheit des Gebäudes und die unterirdische Anordnung des
Nutzungsbereichs sorgen für relativ konstante Temperaturen. Andererseits
müssen diese Räume künstlich belüftet und belichtet werden. Introvertierte
Atmosphäre und fehlender Außenbezug kennzeichnen das Bild der SLUB.
Ausblicke nach draußen und die Möglichkeit, Tageslicht und direkten Luftaustausch
über Fenster nutzen zu können, sind jedoch Qualitäten, die wesentlich zum
Wohlbefinden der Nutzer beitragen.142 In der Verwaltung und im Lesebereich sollten
Arbeitsplätze mit Ausblick oder zumindest Tageslichtanteil über Oberlichter
angeboten werden, da Tageslicht als angenehmer empfunden wird und keinen
zusätzlichen Energieaufwand erfordert.143
Faulkner-Brown selbst betont in seiner Veröffentlichung von 1998 die Bedeutung
der Qualität von Tageslicht und Ausblick:
“Human response to daylight indicates that most people value the variety of
daylight, enjoy its presence and at least want a view of the world outside.
There is a subtle benefit in that occupants metabolic rhythms are
synchronized properly with the time of day or night.”144
Zu beachten ist allerdings, dass durch geeignete Ausrichtung bzw. Verschattungs-
maßnahmen Blendung und zu große Erwärmung durch Sonneneinstrahlung über
141
Vgl. Golsch, Michael: E-mail vom 7.1.2005.
142
Siehe auch Kap. 5.2.3.
143
Vgl. Leitfaden für Nachhaltiges Bauen. Hrsg. vom Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung, 2001, 3.8: Beleuchtung.
144
Faulkner-Brown: Design criteria for large library buildings, S. 266.
40
41. die Fensterflächen vermieden werden sollten.
4.2.3. „Accessible“ - Zugänglichkeit und Orientierung
Dieses Kriterium umfasst sowohl die Zugänglichkeit des Gebäudes als auch der
Bücher.
Der Zugang von außen sollte klar erkennbar sein und der Besucher sollte sich im
Gebäude gut orientieren können. Die wesentlichen Wege und Einrichtungen sollten
ohne zuviel Beschilderung wahrnehmbar sein.
Bewertung
Dieses Kriterium beinhaltet sowohl architektonische (die Orientierung des
Besuchers im Gebäude) als auch organisatorische Aspekte (der Zugang zu den
Medien). Allerdings geht Faulkner-Brown auf die Zugänglichkeit zu den Medien
ausführlicher erst in seiner sechsten These „organized“ ein.
Die Möglichkeit, sich in einem Gebäude gut zu orientieren, hat entscheidenden
Einfluss auf die zukünftige Akzeptanz des Gebäudes und damit auf das Image der
betreibenden Institution.
Im Fall einer Universitätsbibliothek ist eine Lage an zentraler Stelle im Campus
bzw. an notwendigen Wegeverbindungen zur oder innerhalb der Universität ideal.
Der Zugang sollte von außen klar erkennbar und die Eingangssituation einladend
sein. Herr Kolasa bezeichnet den Eingang als die „Visitenkarte“ der Bibliothek.145 In
Göttingen ist die städtebauliche Einbindung optimal gelöst. Der Eingang zum
Gebäude ist eindeutig markiert. Allerdings erhält der Zugang durch die eingestellte
Rotunde eine Schleusenwirkung, die etwas beengt wirkt.146 Der Haupteingang der
SLUB Dresden hingegen ist von der Straße kaum einsehbar. Auch hier ist der
Windfang für Stoßzeiten zu klein dimensioniert.147
Idealerweise sollte sich das Gebäude dem Besucher selbst erschließen.148
Ab einer bestimmten Größe und Komplexität der Bibliothek wird es schwierig, sich
im Inneren ohne Hilfsmittel zu orientieren. Verschiedene architektonische
Maßnahmen sind geeignet, die Übersichtlichkeit innerhalb eines Gebäudes zu
erhöhen. Ziel ist, dass man an jedem Punkt des Gebäudes einschätzen kann, wo
man sich befindet.
Die differenzierte Ausgestaltung der verschiedenen Nutzungsbereiche ermöglicht
es dem Nutzer zuzuordnen, in welchem Teil des Gebäudes er sich aufhält.
Die Abfolge der räumlichen Erschließung149 sollte klar erkennbar sein und sich an
145
Vgl. Kolasa: Bibliotheksbau, S. 89.
146
Begehung vom 25.11.2004.
147
Vgl. Interview mit Michael Golsch vom 26.11.2004.
148
Vgl. McDonald: Planning Academic Library Buildings for a New Age, S. 63.
149
Siehe Glossar.
41
42. den Nutzerwegen orientieren. Ein zentraler Verteiler z.B. in Form einer offenen
Eingangshalle wie z.B. in Göttingen realisiert kann die verschiedenen Geschosse
und Nutzungsbereiche optimal erschließen. Stark frequentierte Bereiche wie z.B.
die Leihstelle oder Recherche-Plätze sollten sich in Eingangsnähe befinden oder
leicht zugänglich sein, weniger frequentierte Bereiche wie z.B. Sonderlesesäle
können auch an weniger zugänglichen Stellen angeordnet sein. Beide Vorgaben
sind in Dresden und in Göttingen räumlich umgesetzt worden.
In einem Gebäude mit einer transparenten, offenen Architektur bietet der
Außenbezug gute Orientierungsmöglichkeiten. Dazu Wilson Alison über die SUB
Göttingen: „The building is easy to read from the inside [...] from the outside too
[...].“150
Für introvertiert angelegte Gebäude wie die SLUB Dresden kann z.B. ein zentral
gelegener Raum diese Orientierungsmöglichkeit ersetzen. Obwohl die
Räumlichkeiten von keinem Standpunkt aus völlig übersehbar sind,151 erschließt
sich dem Besucher das Gebäude relativ gut. Der zentral angeordnete Lesesaal
mit seinen umlaufenden Säulen, der von jedem Geschoss einsehbar ist, bietet
eine gute Orientierung beim Gang durch die Bibliothek. In den Randbereichen
kann es allerdings unübersichtlich werden, da die eigene Standortbestimmung
aufgrund des fehlenden Außenbezugs schwer fällt. Die innere Wegeführung
bringt einen aber zumindest wieder in Sichtnähe dieser architektonischen
Orientierungshilfe.
Sinnvolle Raumzuordnungen und Sichtbeziehungen zwischen den verschiedenen
Gebäudeteilen unterstützen die Übersichtlichkeit insgesamt.
Eine offene Grundrisstruktur ermöglicht dem Besucher, das Gebäude leichter zu
erfassen, fördert aber eine erhöhte Schallübertragung zwischen den einzelnen
Bereichen. Hier bedarf es einer ausgewogenen Abwägung der jeweiligen Wünsche
und Anforderungen.
Für die notwendige Beschilderung sollte ein einheitliches Leitsystem entwickelt
werden. Empfehlenswert ist es, die endgültige Anordnung und Ausgestaltung erst
nach Inbetriebnahme des Gebäudes festzulegen, um Erfahrungen mit den
Benutzergewohnheiten berücksichtigen zu können.152 Das Leitsystem kann plakativ
gestaltet sein, zur Unterscheidung der verschiedenen Bereiche oder Geschosse ist
der Einsatz von Farben gut geeignet wie am Beispiel der Seattle Public Library
deutlich zu sehen ist.153
150
Wilson, Alison: Germany - Leading Library Design. In: Face (2004) September, S. 26.
151
Vgl. Kleine: Bücherflimmern im Elbsand, S. 759.
152
Vgl. Bau- und Nutzungsplanung von wissenschaftlichen Bibliotheken. erarb. im NA
Bibliotheks- und Dokumentationswesen unter Mitw. einer Expertengruppe des Deutschen
Bibliotheksinsituts (DBI). Hrsg.: DIN, Deutsches Institut für Normung e.V. Berlin 1998 (DIN-
Fachbericht ; 13), S. 15. Dies wurde in Göttingen auch so realisiert.
153
Siehe Abbildungen im Kap. 3.3.3.
42
43. Informationstheken an strategisch wichtigen Punkten können unübersichtliche
Stellen überbrücken bzw. als Verteiler funktionieren.154
4.2.4 “Extendible“ - Erweiterungsfähig
Trotz der Vorgaben des Atkinson Report, der eine „sich selbst erneuernde
Bibliothek mit begrenztem Wachstum“ propagiert und damit keine Erweiterungen
vorsieht, sollten Bibliotheksgebäude laut Faulkner-Brown erweiterbar sein und es
sollten Flächen für zukünftige Erweiterungen vorgesehen werden.
Die Konstruktion eines Gebäudes sollte seine Erweiterung erleichtern und trotzdem
sollte das Gebäude in jeder Entwicklungsphase als geschlossenes Ganzes
erscheinen. Faulkner-Brown schlägt vor, dass möglichst serielle Fassadenelemente
verwendet werden, die bei späteren Erweiterungen wiederverwendet werden
könnten.
Dies ist für ihn ein Kriterium, das auf keinen Fall vernachlässigt werden darf.
Bewertung
Für Bibliotheken mit Archivfunktion sollte ausreichend Magazinstellfläche und evtl.
Erweiterungsmöglichkeiten für diese vorgesehen werden. Für Dresden und
Göttingen wurde die Kapazität der Magazine auf ca. 15-20 Jahre ausgelegt.
Erweiterungen sind aber nur begrenzt möglich. Äußere Gegebenheiten wie
Grundstücksgröße und städtebauliche Situation geben einen Rahmen vor, in dem
man sich maximal bewegen kann. Erweiterungen in die Höhe sind aufgrund der
Statik nur begrenzt möglich bzw. stören den Bibliotheksbetrieb erheblich.
Erweiterungen in die Fläche sind oft aus Brandschutz-Gründen (Brandabschnitte,
Fluchtweglänge) nur eingeschränkt möglich.155 Sinnvoll ist die Umnutzung anderer
Funktionsbereiche oder Auslagerung. In der SUB Göttingen z.B. bietet die
Tiefgarage Fläche zur Erweiterung des Magazins.
Dass ein Planer ein Gebäude entwickelt, das beliebig erweiterbar ist, und trotzdem
in jeder Entwicklungsphase als geschlossenes Ganzes erscheint, wirkt paradox.
Diese beiden Forderungen sind meiner Meinung nach nicht miteinander vereinbar.
Das Wiederverwenden von Fassadenelementen an einer Erweiterung, die evtl.
Jahrzehnte nach dem Ursprungsbau vorgenommen wird, ist nicht nur gestalterisch
äußerst fragwürdig. Mir ist kein Beispiel bekannt, bei dem dies realisiert wurde.
Technisch wäre dies nur möglich, wenn zum einen die Fassade nicht selbst
tragend ist, aus seriellen Elementen besteht und kein mehrschichtiges
Verbundsystem verwendet wurde. Zudem müssen die aktuellen Anforderungen an
154
Vgl. Kolasa: Bibliotheksbau, S. 89. Dazu ausführlich in Kap. 5.2.4.
155
Ebenda.
43