1. CEBIT-SONDERTEIL
PROGRAMME
„Die Macht der bunten Bilder“
Jeden Tag werden über 30 Millionen Vorträge mit Hilfe der Präsentations-Software „Powerpoint“
erstellt. Die leicht verdaulichen Texthäppchen und Schaubilder, warnen Kritiker, führten zu einer Verflachung
des Denkens. Doch der Siegeszug des Programms scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein.
MARCO-URBAN.DE
THOMAS DALLAL
„Powerpoint“-Präsentation im Uno-Sicherheitsrat, im Bundesrat*: Wovon war noch mal die Rede?
as Ritual ist immer das gleiche: Der Die Sache hat nur einen Haken: Kom- Haben Powerpoint-Präsentationen sogar
D Vorhang wird zugezogen, das Licht
gelöscht, ein Computer an einen
plexe Zusammenhänge werden dabei in
leicht verdauliche Häppchen atomisiert.
zum Desaster der Raumfähre „Columbia“
beigetragen, die vor einem Jahr beim
Beamer gestöpselt. Dann flackern bunte Die Risiken und Nebenwirkungen die- Landeanflug verglühte? Zu diesem Ur-
Schaubilder mit grob vereinfachten Tor- ses Powerpointilismus lassen sich auf der teil kommt jedenfalls eine Nasa-Unter-
tendiagrammen über die Leinwand, deko- Web-Seite businessplanarchive.org be- suchungskommission in ihrem Abschluss-
riert mit unzitierbaren Satzfetzen ohne wundern: Dort ist ein ganzes Kompen- bericht (www.caib.us). Shuttle-Ingenieure
Punkt und Komma, die der Referent im dium gescheiterter Businesspläne aus der von Boeing, so der Vorwurf, hätten ihre
schlimmsten Fall einfach nur abliest. Blütezeit der New Economy versammelt, Analysen für die Nasa-Verantwortlichen im
Zwischenfragen wimmelt der Redner die nicht zuletzt wegen der eindrucks- Powerpoint-Format präsentiert, wodurch
ab unter Hinweis auf irgendein späteres vollen Powerpoint-Präsentationen damals Warnungen in einem Meer aus Info-Häpp-
Schaubild, das aber nie kommt oder ein- ihre suggestive Überzeugungskraft ent- chen untergegangen seien.
fach untergeht im lauwarmen Strom, der falteten. Ursprünglich stammt diese vernichtende
wie ein mediales Betäubungsmittel wirkt. Das blinde Vertrauen in Businesspläne Analyse von Edward R. Tufte, der als Guru
Wenn nach der hoch dosierten Berieselung ist zwar geschwunden, dafür werden neu- des Informationsdesigns gilt. „Viele wahre
die Vorhänge wieder aufgezogen werden, erdings Fragen von Krieg und Frieden mit Aussagen sind einfach zu lang, als dass sie
stehen viele Zuhörer unter mentaler Nar- auf ein Powerpoint-Bild passen könnten“,
kose. Wovon war noch mal die Rede? kritisiert Tufte, „aber das bedeutet nicht,
So ergeht es Bankmanagern in Frank- Die einstige Hippie-Software, bedauert dass wir die Wahrheit verkürzen sollten.“
furt, Studenten in Boston oder Ingenieuren einer ihrer Programmierer, „wurde Während eine Informationsgrafik in
in Tokio. Auch als die Ministerpräsidenten der Wissenschaftszeitschrift „Science“ auf
Roland Koch und Peer Steinbrück vor ei- zu einem Rädchen im großen Getriebe“. rund tausend Einzeldaten basiere, so Tufte,
nem halben Jahr ihren Vorschlag zum Sub- zeige eine durchschnittliche Powerpoint-
ventionsabbau vortrugen, taten sie das Hilfe von Powerpoint verhandelt. Als Grafik nur zwölf. „Verglichen mit ande-
nach diesem Schema. US-Außenminister Colin Powell vor einem ren internationalen Publikationen sind
Tag für Tag werden weltweit über 30 Jahr den Vereinten Nationen seine „zwin- Powerpoint-Statistiken die dünnsten – mit
Millionen Vorträge mit der Präsentations- genden Beweise“ für die Existenz ira- Ausnahme der ,Prawda‘ im Jahr 1982, als
Software „Powerpoint“ erstellt, der Markt- kischer Massenvernichtungswaffen vorleg- diese Zeitung das wichtigste Propaganda-
anteil liegt bei 95 Prozent. Im Hand- te, zeigte er bunte Powerpoint-Bildchen. Instrument der sowjetischen kommu-
umdrehen lassen sich unter Zuhilfenahme Die Waffen werden noch immer im Wüs- nistischen Partei war.“
des Microsoft-Programms Texte, Tabellen, tensand gesucht. Dabei lag den Vätern des Präsentations-
Töne und Filme zu Schaubildern zusam- programms nichts ferner, als eine Gehirn-
menfügen, die hinter dem Redner auf der * Durch die Ministerpräsidenten Roland Koch und Peer waschmaschine zu konstruieren. Im Ge-
Leinwand auftauchen. Steinbrück am 30. September 2003. genteil sahen sie den PC als subversives
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2. Befreiungswerkzeug, um sich aus dem Kor- als Leiter der Forschungs- Bald mauserte sich der
sett von Großverwaltungen zu befreien. abteilung, kaufte sich bei Heimwerkerbausatz für
Die Vorgeschichte von Powerpoint be- einer strauchelnden Pro- Idealisten zum Handwerks-
ginnt mit Whitfield Diffie, einem ehema- grammierklitsche ein und zeug für Manager. Frei
ligen Hippie aus Kalifornien. Diffie miss- schrieb gemeinsam mit ei- übersetzt bedeutet der
traute Obrigkeiten. Er schrieb Computer- nem Kollegen ein ähnli- Name Powerpoint in etwa
geschichte, als er 1975 ein bahnbrechendes ches Programm, das er „starkes Argument“. Tat-
Verschlüsselungssystem namens „Public „Presenter“ taufte. Weil sächlich stellten Psycho-
Key“ mitentwickelte, um den freien Mei- dieser Name schon verge- logen fest, dass das Pro-
nungsaustausch vor dem Zugriff von ben war, taufte er es um: gramm nicht nur Texte,
Schnüfflern zu schützen. Powerpoint. sondern auch Meinungen
Das Telefonunternehmen Bell Northern All dies ereignete sich manipulieren kann.
wurde auf den langhaarigen PC-Freak im mythischen Jahr 1984. Ein Forscherteam um
aufmerksam und beauftragte ihn, Sicher- Computer galten damals den US-Psychologen Ro-
heitssysteme für Telefonnetze zu ent- vielen als Inkarnation von bert Cialdini, eine Auto-
wickeln. Dieser Job brachte es mit sich, George Orwells Großem rität für Suggestionsfor-
dass Diffie seine Ideen ständig auf allen Bruder. Gaskins dagegen, Programmierer Diffie schung, unternahm 2000
möglichen Sitzungen vortragen musste, ein Bücherwurm mit einem Genervt von der Tipp-Ex-Bastelei an der Arizona State Uni-
was ihn gewaltig nervte: Um Folien für Faible für alte Musikinstru- versity ein Experiment.
Overhead-Projektoren herzustellen, muss- mente, sah die damals aufkommenden Verschiedene Probandengruppen soll-
te er stundenlang mit Schreibmaschine, „Personal Computer“ als Befreiungsin- ten einen fiktiven Sportler einschätzen,
Schere und Tipp-Ex herumbasteln – oder strument für Individualisten. Im April 1987 dessen Leistungen auf drei Arten präsen-
aber die Hilfe professioneller Schreibkräf- kam die erste Version von Powerpoint auf tiert wurden: als abgetippte Liste, als ein-
te beanspruchen. den Markt – zunächst in Schwarz-Weiß und faches Balkendiagramm und als Power-
Um sich die Vortragsarbeit zu erleich- nur für Apple-Rechner. point-Animation, in der die Ergebnisse in
tern, schrieb Diffie am riesigen Compu- Die Hippie-Software wurde sofort zum Form bunter Balken emporwuchsen. Ob-
ter im Forschungslabor ein kleines Pro- Verkaufsrenner. Noch im selben Jahr wohl dieselben Zahlen gezeigt wurden,
gramm und druckte seine Vortragsfolien schluckte Microsoft die Firma für 14 Mil- wurde der Powerpoint-Sportler durchweg
aus. Damit hatte er schon wieder Ge- lionen Dollar. 1990 erschien die erste um mindestens 20 Prozent besser einge-
schichte geschrieben – aber so beiläufig, Version für Windows. Powerpoint, be- schätzt.
dass er selbst es gar nicht bemerkte. dauerte Bob Gaskins später, war damit „zu „Das Ergebnis ist erschreckend“, fand
Sein Chef jedoch witterte eine Geschäfts- einem Rädchen im großen Getriebe ge- Cialdini damals – doch auch er hat seinen
idee: Bob Gaskins quittierte seinen Job worden“. Widerstand längst aufgegeben. Auf Drän-
3. CEBIT-SONDERTEIL
gen des Publikums sind auch seine Vor- und Zusammenlegen von Freundeskreisen
träge heute powerpointiert. INTERNET passende Freizeitpartner zu finden – viel-
Hin und wieder sorgen heroische Wider- leicht sogar den Mann, die Frau oder den
standskämpfer für Aufsehen: Scott McNea-
ly, Chef des Computerkonzerns Sun Micro-
systems, wollte Powerpoint aus der Firma
Vernetzte Job fürs Leben.
Das Ganze funktioniert nach einer Art
Schneeballsystem: Für jeden neuen Nutzer
verbannen. Ähnliches wurde bei dem Tech-
nologiekonzern 3M versucht – weitgehend
erfolglos, das Microsoft-Programm ist nicht
Herzen wird bei Friendster nach Ausfüllen eines
Fragebogens eine kleine Homepage mit
Gästebuch eingerichtet. Per E-Mail lädt das
zu stoppen. Kulturpessimisten geißeln seit- Eine neue Form der Tauschbörse erobert Neumitglied dann seine Freunde ein, auch
her das Programm in wirren Strafpredig- das Internet: In „Social Networks“ dem Club beizutreten. Neben dem Selbst-
ten: „Powerpoint ist wie eine Krankheit“, werden nicht Musikdateien vermittelt, porträt verzeichnet die eigene Homepage
donnert der Wirtschaftswissenschaftler Da- sondern Freunde und Jobs. daraufhin eine ständig wachsende Liste
vid Beatty von der Universität Toronto. aller registrierten Freunde, deren Namen
„Es ist das Aids der Geschäftswelt.“ onathan Abrams hat so viele Be- sich ebenfalls anklicken lassen.
Die Software sei ein großer Gleichma-
cher, analysiert dagegen der Kommunika-
J kannte, dass er mit dem Zählen
nicht mehr nachkommt. Einige
Der Vorteil im Vergleich zu normalen
Kontaktbörsen liegt auf der Hand: Nur wer
tionswissenschaftler Clifford Nass von der hunderttausend Menschen kennen den 33- von einem Mitglied eingeladen wird,
Universität Stanford: „Es hebt den Boden jährigen Kanadier – oder wenigstens einen kommt hinein ins Netz der befreundeten
und senkt die Decke.“ Während schlechte seiner Freunde. Herzen; das erleichtert die Kontaktauf-
Redner ihre Schwäche kaschieren könn- Seine ungeheure Popularität verdankt nahme und schützt vor unschönen Über-
ten, würden packende Präsentationen sel- Abrams dem Internet-Dienst „Friendster“, raschungen mit wildfremden Menschen.
tener. „Bei den besten Seminaren während den er vor zwei Jahren im kalifornischen Längst haben sich spezielle Netze wie
meiner Studentenzeit konnte ich dem Pro- Sunnyvale gründete. Mit ihm hat er in Zei- etwa „Ryze“ gebildet, die sich allein um die
ten anhaltender Dotcom-Tristesse eine fast Berufswelt kümmern – und mit dieser Art
unglaubliche Erfolgsgeschichte geschrie- der Jobvermittlung angeblich bereits profi-
Als der Popsänger David Byrne „Power- ben – und einer Reihe ähnlicher Angebote tabel sind. Auch der Suchmaschinen-
point“ in die Finger bekam, entlockte er zum Durchbruch verholfen. Marktführer „Google“ mischt mit einem
Bei diesen so genannten Social Net- eigenen Dienst namens „Orkut“ mit.
ihm psychedelische Farbexplosionen. works handelt es sich um Tauschbörsen, Der hier zu Lande populärste Friendster-
in denen die Nutzer einander nicht etwa Abklatsch heißt „myfriends“ und hat nach
fessor beim Denken zusehen“, so Nass. Musikdateien oder Videofilme vermitteln, eigenen Angaben schon 200 000 Nutzer.
„Powerpoint dagegen präsentiert nur die sondern Freunde und Bekannte. Allein Die Gründer dieses Netzwerks, die Brüder
Resultate und unterschlägt den Prozess.“ Friendster hat über fünf Millionen Nutzer Marc, Oliver und Alexander Samwer, ha-
Die meisten Gelehrten allerdings ak- (darunter auch den Firmengründer selbst). ben Erfahrung mit dem Klonen erfolgrei-
zeptieren Powerpoint heute als Fortsetzung Sie alle hoffen darauf, durch das Tauschen cher Geschäftsmodelle: Vor einigen Jah-
der Umgangssprache mit anderen Medien: ren stellten sie mit „Alando“ eine
nicht schön, aber einfach. „Ich bin sicher „EBay“-Kopie auf die Beine – um
kein Fan des Programms“, sagt der Päd- sie später hochprofitabel an EBay zu
agogikprofessor Friedrich Schönweiss aus verscherbeln.
Münster, „aber richtig dosiert kann Po- Was aber treibt Menschen in die
werpoint durchaus sinnvoll sein.“ Kontakt-Netzwerke? Eine Studie der
Aus einer ähnlichen Motivation hat Infor- Annenberg School for Communica-
matiker Martin Wessner die Flucht nach vorn tion in Kalifornien stellt ernüchternd
angetreten und Powerpoint zu einem inter- fest: Der durchschnittliche Friends-
aktiven Medium ausgebaut: Um die Frontal- ter-Fan nutzt das Netzwerk vor al-
berieselung aufzulockern, verteilt der Fraun- lem, um sich selbst zur Schau zu stel-
hofer-Forscher an seine Zuhörer Sendegerä- len – und zwar dadurch, dass er mit
te, mit denen sie kurze Verständnisfragen einem möglichst großen Freundes-
beantworten können. Weil das anonym geht, kreis protzt.
brauchen Fehler niemandem peinlich zu Der designierte US-Präsident-
sein. „Wenn ich an den Antworten sehe, dass schaftskandidat John Kerry zum Bei-
ein Punkt nicht verstanden worden ist, er- spiel posiert auf Friendster als Surfer
kläre ich ihn noch einmal neu.“ – wahrscheinlich, um junge Wähler
Am unterhaltsamsten schlug Kulturpes- zu umwerben.
simismus in Kreativität um, als David Derlei Reklame in eigner Sache
Byrne, einst Sänger der Popband Talking garantiert gleichzeitig, dass die Bör-
Heads, Powerpoint in die Finger bekam. sen intensiv genutzt werden – was
Ursprünglich wollte er sich über den digi- sie wiederum unwiderstehlich macht
talen Flachsinn lustig machen, doch je län- für Anzeigenkunden.
ger er herumspielte, desto skurriler wurden Kritiker prophezeien, dass die Fas-
die psychedelischen Farbexplosionen, die zinationskraft der rein virtuellen
er dem Programm entlockte und die mitt- Ego-Pflege rasch nachlassen wird.
lerweile sogar als Buch erschienen sind. Das Netzwerk Ryze organisiert be-
„Das Geniale ist, dass das Programm reits auch Kennenlern-Partys in der
entworfen wurde, damit jeder Idiot es be- realen Welt. „Networking ist viel
nutzen kann“, schwärmt Byrne. „Ich habe effektiver, wenn man sich leibhaftig
es in ein paar Stunden gelernt, und genau Web-Seiten von „Friendster“-Teilnehmern gegenübersteht“, sagt Firmenchef
darum geht es doch.“ Hilmar Schmundt Reklame in eigener Sache Adrian Scott. Christoph Seidler
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