1. Schulpart ner schaf t
Abb. 1: Radio Brodcast
Videokonferenz in
Deutschland mit beiden
Partnern.
Ruth Ndouop-Kalajian
Schüleraustausch per Skype
und Facebook
Schulpartnerschaften zwischen Israel und Deutschland
Israel – das ist ein Land, dessen Beziehungen zu Deutschland in erster Linie durch
den Holocaust geprägt sind und das man in zweiter Linie vor allem aus den Nachrich-
ten kennt. Der Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist mal mehr, mal
weniger Schauplatz bewaffneter Auseinandersetzungen. Natürlich ist Israel auch das
Heilige Land, die Wiege von Judentum, Christentum und Islam.
Doch wer kennt das Land Israel wirklich abseits Katzir – das ist ein kleines Städtchen im Norden Is-
dieser großen Themen? Wer weiß, wie Jugendliche raels in der Nähe der drittgrößten israelischen Stadt
und ihre Familien dort leben und wie ihr Alltag aus- Haifa. Mössingen – das ist eine ähnlich kleine Stadt
sieht? Hier tut sich eine große Leerstelle auf, die in Baden-Württemberg, südlich von Tübingen. Zwi-
Fotos: Werner Steinmetz
Werner Steinmetz von der Israelplattform versucht schen diesen beiden Gemeinden entspann sich im
zu schließen. Auf Israelplattform, einer Onlineplatt- vergangenen Schuljahr auf Vermittlung der Israel-
form, bietet er einerseits Unterrichtsmaterial zum plattform eine fruchtbare Schülerpartnerschaft, zu-
Thema Israel an und vermittelt andererseits Part- nächst online und dann tatsächlich auch in Form
nerschaften zwischen deutschen und israelischen von gegenseitigen Besuchen. Steffen Volck vom
Schulen. Quenstedt-Gymnasium in Mössingen initiierte zu-
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2. nächst die Auseinandersetzung mit dem Thema Überlebenden und seine christlichen Wurzeln. „Im
„Nahostkonflikt“ und seine Darstellung in den Me- Gespräch mit Uwe Neumärker, Geschäftsführer Stif-
dien. So wuchs das Interesse an Israel und seiner tung Denkmal für die ermordeten Juden Europas,
Gesellschaft jenseits des Nahostkonflikts. „Die Zu- und Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU, MdB), ent-
sammenarbeit mit der Israel Plattform entsprang stand die Überlegung, ein „Medium der Zukunft“ zu
einem Seminarkurs mit dem Thema „Israel“ im nutzen, um deutsche und israelische Jugendliche
Schuljahr 2008/2009. Der Seminarkurs sollte die für eine gemeinsame Zukunft zu sensibilisieren“
Schüler mit wissenschaftlichem Arbeiten vertraut berichtet er von den Anfängen der Israelplattform,
machen und auf universitäre Anforderungen vor- die finanziell gefördert wird durch die „Jugendstif-
bereiten. Bei der selbstständigen Arbeit über ver- tung Baden-Württemberg“. Seit zwei Jahren werden
schiedene Themen, die alle den Nahen Osten betra- Pilotprojekte gefördert und eine Zusammenarbeit
fen – z. B. „Die Bedeutung von Gastarbeitern und mit dem Forschungsbereich eLearning an der Hoch-
Ausländern in Israel im Vergleich zu Deutschland“ schule Essen-Duisburg wurde ins Leben gerufen.
oder „Die Verarbeitung von Kriegstraumata israe- Werner Steinmetz vermittelt über die Israel-
lischer Jugendlicher in Israel im Vergleich zu deut- plattform Kontakte zwischen deutschen und israe-
schen Jugendlichen nach dem WKII – kam zuneh- lischen Schulen, gibt Hilfestellung und Konzepte bei
mend die Frage auf, ob wir nicht gemeinsam in das der logistischen und kommunikativen Umsetzung
Land reisen könnten, um uns selbst ein Bild davon einer Schulpartnerschaft. Auf israelischer Seite ist
zu machen, was bisher nur über sekundäre Quellen Mara List-Avner Ansprechpartnerin, die dort Kon-
zugängig war. Zu gleicher Zeit gab es ein Rundmail takte zu Schulen knüpft und auch verschiedene Se-
vom Regierungspräsidium Tübingen, in welchem minare anbietet. Ferner bietet die Israelplattform in
gezielt auf die Möglichkeit der Israelplattform hin- einem „Virtuellen Klassenzimmer“ Online-Lernpro-
gewiesen wurde“, berichtet Steffen Volck. jekte an, die deutsche und israelsiche Partnerschu-
len gemeinsam durcharbeiten. Aktuell sind das
Schrittweise Annäherung Workshops zu den Themen „Medien im Nahost-Kon-
flikt“ und „Hier wohnen wir“.
Für eine Annäherung schon vor dem Treffen nah- Bei dem Projekt „Hier wohnen wir“ steht ein Ken-
men die Schulen Kontakt über gemeinsame Skype- nenlernen im Vordergrund. Wie leben die anderen
Konferenzen auf. Via Webcam und Videokonferenz eigentlich? Wie sieht der Alltag eines israelischen
lernten sich die Schüler kennen und konnten erste Jugendlichen aus im Angesicht von Terror und Be-
Gespräche führen. Diese Konferenzen fanden häu- drohung? Welche Hobbys haben israelische Jugend-
fig außerhalb der Schulzeit statt, wenn beide Grup- liche, wie wohnen sie, welche Schule besuchen
pen Zeit hatten. sie? Eine gegenseitige Wahrnehmung abseits von
„Großen Anklang fand auch die gemeinsame Kriegsberichterstattung und dem sonst allgegen-
Kontaktaufnahme und Verknüpfung via Facebook. wärtigen Holocaust soll hier angeregt und ermögli-
Noch besser als beim direkten Kontakt in Skype lie- cht werden. Gerade im Unterrichtsprojekt „Medien
ßen sich hier im Chat Anfangshürden abbauen. Ein im Nahost-Konflikt“ ist ein Blick über den eigenen
zeitverzögertes Antworten ermöglichte es, Sprach- Tellerrand geboten und eine intensive Beschäfti-
barrieren sowie Unsicherheiten abzubauen. Dies gung mit verschiedenen Quellen ermöglicht eine
führte dazu, dass die gemeinsame „Eingewöhnungs- differenziertere Sichtweise auf dieses komplexe
zeit“ beim Besuch nur noch sehr kurz ausfiel. Durch Thema. „Auch in Krisenzeiten ermöglichen das „Vir-
die Aufmachung von Facebook wurde auch die Neu- tuelle Klassenzimmer“ eine stabile Weiterführung
gier der Schüler gefördert, ihren Austauschpart- der Kontakte und dient der nachhaltigen Entwick-
ner und dessen Lebensstil durch die persönlichen lung. Gerade in solchen Zeiten sind Ansprechpart-
Daten sowie Fotos genauer kennenzulernen.“ Die ner und Freunde für israelische Jugendliche beson-
Frage nach den eingesetzten Techniken reicht für ders wichtig“, betont Werner Steinmetz.
Steffen Volck aber weit über die Hard- und Software Er besucht und berät interessierte Schulen, und
hinaus, sondern bezieht auch Methoden und Ge- neben Konzepten und Ideen prüft er auch die tech-
sprächsführung aus der Schulseelsorge sowie Bera- nischen Möglichkeiten der einzelnen Schule. Die Is-
tung mit ein. „Ich denke, Technik sollte nicht ohne raelplattform ist nicht für die Ausstattung mit IK-
begleitende Aufarbeitung benutzt werden. Zu leicht Technologie der Schule zuständig, sondern prüft,
gerät man in einen Sog der unkontrollierten Berie- inwieweit die vorhandene Hard- und Software ein-
selung und des unkritischen Gebrauches von Infor- gesetzt werden kann. Im Quenstedt-Gymnasium
mation und Kommunikation.“ sind es Skype und Facebook, an anderen Schulen
können andere Programme und Medien zum Einsatz
Israelplattform kommen. Steinmetz versteht die Israelplattform als
Schnittstelle zwischen den Schulen in Deutschland
Werner Steinmetz ist der Initiator der Israelplatt- und Israel, und dazu gehören z. B. auch Tests, ob
form. Er gründete dieses Onlineforum vor wenigen die technischen Ausstattungen der Partnerschulen
Jahren. Sein Engagement und Interesse an Israel kompatibel und einsatzfähig sind. Mindestens ge-
entwickelte sich durch die intensive Beschäftigung nauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, sei aber
mit dem Thema „NS-Zeit“, Gespräche mit Holocaust- die inhaltliche Vorbereitung, bevor ein eLearning-
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3. Schulpart ner schaf t
Abb. 2: Projektarbeit in
Israel mit israelischen und
deutsche Schülern.
Projekt angeleiert wird, meint er. Damit die Schüler wie sich tatsächlich ein normales Leben unter kon-
einen Nutzen aus dem Projekt ziehen, müssen sie stanter Terrorbedrohung vollziehen kann, konnten
sich im Vorfeld Grundlagen und ausreichend Infor- auch sich Anrufer mit Fragen und Kommentaren
mationen über das gemeinsame Thema aneignen. melden. Um nicht die Unterschiede, sondern stär-
In Mössingen beließ man es nicht beim virtuellen ker das Gemeinsame zu betonen, erfolgte während
Austausch im Internet, sondern bereitete sich inten- der Sendung eine Schaltung zum israelischen Radi-
siv auf die persönliche Begegenung vor: Die israe- osender „All For Peace“, wo die israelische Koordi-
lische Schülergruppe wurde zum Besuch erwartet. natorin Mara List arbeitet.
„Die Hauptvorbereitung bestand in vielen gemein- „In Israel, beim zweiten Teil unseres Projektes,
samen Arbeitstreffen vor dem Austausch. Dafür besuchten wir dann schließlich diesen Radiosen-
informierten wir uns bei anderen Schulen, welche der in Jerusalem und interviewten eine Moderato-
bereits über eine längere Erfahrung mit Austausch- rin, eine Praktikantin und einen Techniker zu ihren
projekten nach Israel hatte wie z.B. das Gymnasium Eindrücken vom Gazakrieg und dem gespannten
in Dusslingen. Hilfe – im Hinblick auf Finanzierung Verhältnis zwischen Israelis, arabischen Juden und
und Planung – erhielten wir auch sehr von unserer Palästinensern. Da diese Interviewpartner unter-
Rektorin Gudrun Röderer, die uns immer neue Mög- schiedlicher „Herkunft“ waren, ergab sich ein span-
lichkeiten der Finanzierung auftat, so dass wir bei nendes Bild, wo im beruflichen zwar Verständigung
der Programmgestaltung zunehmend variabel wur- möglich ist, die sich zart auch ins private ausdehnte,
den.“ aber auch wo klare Trennlinien herrschten: z.B. war
Ein spannendes gemeinsames Projekt starteten es für die arabische Israelin ganz undenkbar, einen
die israelischen und deutschen Jugendlichen in jüdischen Freund zur Familie heim zu bringen –
Mössingen. Eine Mössinger Schülerin arbeitete in oder überhaupt zu besitzen. Und auch auf israe-
ihrer Freizeit beim Tübinger Radio Uni Radio Wüste lischer Seite ließ sich bei dieser Frage, nach einem
Welle und es bot sich ihnen die Chance, eine ei- anfänglichen leisen Zustimmen („es wäre bedenken-
gene Radiosendung moderierten. Neben einer Aus- los möglich“) der Versuch konstatieren, schnell das
wahl der Lieblingssongs der Jugendlichen verschie- Thema zu wechseln“, so Steffen Volck.
dener Nationalitäten erzählten beide Seiten auch
über ihren Weg zum Projekt, ihr Interesse am Pro- Heilungsprozess
jekt und ihre Vermutungen über die Berichterstat-
tung im Gazakrieg. Neben Wissensaustausch und Warum der Austausch zwischen Deutschland und
Erzählungen der israelischen Delegation im Radio, Israel so wichtig ist und sich von Partnerschaften
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4. mit anderen Ländern unterscheidet, fasst Mara
List-Avner, Koordinatorin auf israelischer Seite,
wie folgt zusammen: „Während ihrer Schulzeit ler-
nen israelische Schüler alles über die deutsche Ver-
antwortung für die Vernichtung von Millionen von
Juden vor einem halben Jahrhundert. In der 11. und
12. Jahrgangsstufe unternehmen die Schüler eine
Reise nach Polen zu den Gedenkstätten und Ver-
nichtungslagern unter dem Motto „Der Marsch der
Lebenden“. Die teilnehmenden Schüler besuchen
zuvor ein zweiwöchiges Intensiv-Seminar, in dem
sie durch qualifizierte und spezialisierte Lehrer auf
die Reise vorbereitet werden. Das Kapitel des Holo-
caust nimmt eine zentrales Gewicht in der Bildung
dieser Heranwachsenden ein, das bei ihnen starke
Gefühle auslöst. In der israelischen Gesellschaft
wird viel über die Frage diskutiert, in welcher Form
dieses Kapitel der Geschichte unterrichtet wer-
den sollte. Diese Diskussion spiegelt den ständigen
Kampf wider zwischen unserer Verpflichtung als
„memory keepers“, eine Verpflichtung, an die wir
uns als Juden gebunden fühlen, und dem Wunsch,
die nächste Generation in einer Atmosphäre von
Chancen durch Bildung
Frieden und ohne Voreingenommenheit heran-
wachsen zu lassen. Veränderte Rahmenbedingungen erfordern ständig inhaltliche
Diese beiden Ziele kollidieren miteinander und und strukturelle Veränderungen im Schul- und Hochschul-
hinterlassen einen moralischen Konflikt. Nur ein bereich. Dies eröffnet zahlreiche Möglichkeiten für innovative
Treffen von Deutschen und Israelis kann diesen Unterrichtsmodelle, veränderte Lernmethodik sowie neue
Konflikt lösen. Und deshalb sind diese Schüleraus-
Lehr- und Lernmittel.
tausche so wichtig! Ich weiß, dass in Deutschland
das moralische Gewicht der „Schuld“ allgegenwär-
tig ist. Es gibt viele Erinnerungen und Mahnungen Die didacta in Stuttgart bietet einen umfassenden Überblick
aus dieser dunklen Zeit, denen ein deutscher Schü- über die wichtigsten Trends. Interessante Lösungen, Konzepte
ler regelmäßig begegnet. Ich habe die Erfahrung ge- und Ideen geben dem Besucher vielfältige Anregungen.
macht, dass die Begegnung von jüdischen und deut- Themenschwerpunkte:
schen Jugendlichen das einzige Heilmittel ist, um
Unterrichtsmedien und Schulbücher Lernsoftware und
Gefühle von „Schuld“ und „Opfer“ zu überwinden.
Während all der Jahre, in denen ich solche Treffen E-Learning Pädagogische Dienstleistungen Multimediale
organisiert und begleitet habe, hat es mich immer Anwendungen Nationale und internationale Förderprogramme
wieder tief berührt, welch starke Bindungen und Didaktik/Methodik Bildungspolitik
Freundschaften deutsche und jüdische Jugendliche
entwickelten. Es sind diese Begegnungen der jun-
Planen Sie Ihr Programm online
gen Generationen, die einen Heilungsprozess bewir- www.didacta-stuttgart.de/programm
ken und den sehr schmerzlichen Teufelskreis been-
den.“
Autorin
Ruth Ndouop-Kalajian ist Diplom-Pädagogin und
Redakteurin mit Schwerpunkt Kindheit und Schule.
Informat ionen
Israelplattform
Messe Stuttgart 22. – 26. 02. 2011
Werner Steinmetz
Weidenweg 31 Kindertagesstätten
72144 Dußlingen Schule/Hochschule
Tel.: 07072-208812
werner.steinmetz@israelplattform.de Ausbildung/Qualif ikation
www.israelplattform.de Weiterbildung/Beratung
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