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Die mobile Revolution treibt Indiens
Wirtschaft




   •
       Die Telekommunikation erreicht die entlegensten Dörfer des
       Subkontinents, wo traditionell und ohne Technologie gelebt wird.




Im armen und bevölkerungsreichen Indien floriert die
Mobilfunkindustrie und setzt Entwicklungsimpulse bis in die
kleinsten Einheiten der Wirtschaft
Vor fünfzehn Jahren waren die Mobiltelefone schwer wie Ziegelsteine. Sie
sahen auch so aus. Dennoch galten sie in der klassenbewussten Gesellschaft
Indiens als schick. Allerdings wurden die meisten Handybesitzer nervös,
wenn's klingelte. Denn die Tarife waren sehr hoch, selbst der Empfänger
musste für entgegengenommene Anrufe einen horrenden Betrag zahlen.
Seit damals ist wie im Rest der Welt in Indien die Zahl der Handynutzer
gigantisch gestiegen. Lag die Mobilfunkpenetration in Indien 1998 gerade mal
bei einem Prozent, lag sie im Mai 2010 bei einer Dichte von 55,38 Prozent und
wächst in einer atemberaubenden Geschwindigkeit weiter. Das heißt, dass
mehr als die Hälfte der 1,2 Milliarden zählenden indischen Bevölkerung
theoretisch ein Handy besitzt. Angetrieben wurde diese Entwicklung von
billigen Geräten und niedrigen Tarifen. Nutzer von Prepaid-Handys etwa
können für gerade einmal vier Dollar ihr Leben lang Anrufe empfangen. Die
hoch kompetitive Telekombranche lässt sich viele innovative Angebote
einfallen, um Kunden zu locken oder abzuwerben.
Wachstumssprünge
Statistiken alleine können jedoch die Auswirkungen dieser mobilen Revolution
nicht erfassen. Denn um eine solche handelt es sich, ungeachtet der Tatsache,
dass Indien ein extrem armes Land ist, in dem ein Großteil der Armen dieser
Welt lebt. Es ist nicht gerade wenig Kaufkraft, die dadurch entstanden ist, dass
Menschen in den Metropolen, Städten und Dörfern Handys gekauft haben und
damit kommunizieren. Mobiltelefonie überbrückt alle Arten von Unterschieden
in einem Land, in dem das Straßen- und Brückennetz immer noch mangelhaft
und primitiv ist. Entlegene Dörfer, die bisher kaum erreicht werden konnten,
sind jetzt ans Kommunikationsnetz angeschlossen.
Diese gestiegene Handynutzung wirkt Wunder für Indiens Wirtschaft. "Mit
jedem Wachstumssprung der Mobilfunkverbreitung um zehn Prozentpunkte
nimmt das BIP-Wachstum zusätzlich um mehr als ein Prozent zu. Vor fünf
Jahren lag der Beitrag der Telekommunikation zum Bruttoinlandsprodukt
durchschnittlich bei 3,6 Prozent. Heute sind es 8,8 Prozent, und in den
nächsten fünf Jahren könnten es schon 15,4 Prozent sein" , meinte D.
Shivakumar, Geschäftsführer von Nokia India, vor kurzem in einem Artikel der
Economic Times. Indiens Telekomindustrie zählt zu einer der weltweit am
schnellsten wachsenden Märkte. Das Land verfügt über das zweitgrößte
drahtlose Netz, das schon bald Marktführer China überholen könnte.
Funken und wachsen
Eine Studie des Think-Tank ICRIER (Indian Council for Research on
International Economic Relations) macht deutlich, dass die wirtschaftliche
Wachstumsrate indischer Region proportional einhergeht mit der steigenden
Mobilfunkpenetration. Der Autor der Studie, Rajat Kathuria, weist darauf hin,
dass dieser Faktor in Ländern mit inadäquater Infrastruktur wie Indien noch
um ein Vielfaches höher ist als in westlichen Industriestaaten.
Der Beleg für seine Aussagen ist sichtbar: Kleine Unternehmen und Tagelöhner
kommen in den Genuss eines bescheidenen Wohlstands. Der riesige informelle
Sektor der indischen Wirtschaft zählt dabei zu den Hauptnutznießern. Ein
Beispiel dafür ist der Gemüsehändler und Elektriker Pradeep. Täglich rufen ihn
an die 50 Kunden an, die entweder Gemüse bestellen oder elektronische
Geräte reparieren lassen wollen. "Kunden, die ihre Aufträge telefonisch
abgeben, sind in der Regel kaufwilliger und großzügiger als jene, die ins
Geschäft kommen. Für die Bequemlichkeit, dass ich zu ihnen nach Hause
komme, sind sie bereit, mir etwas mehr zu bezahlen" , freut er sich.
Nach Hause telefonieren
Den unzähligen ländlichen Arbeitsmigranten, die auf einer der vielen Baustellen
in der Hauptstadt Delhi ihr Geld verdienen, helfen Mobiltelefone, mit ihren
Familien in den entlegenen Dörfern in Kontakt zu bleiben. Zu ihnen gehört
auch der Rikschafahrer Hariman, der nie eine Schule besucht hat. "Ich tippe
lediglich ein paar Nummern ein, und schon kann ich mit meinen Leuten zu
Hause sprechen. Ich muss mich nicht mehr damit abquälen, Briefe zu
schreiben." In vielen der Dörfer, aus denen Menschen wie Hariman kommen,
kann es aus Strommangel schwierig sein, die Akkus aufzuladen. Findige
Kleinunternehmen bieten mit "Tankstellen" mit Stromaggregaten Abhilfe.
Die indische Regierung will in ihren Armutsbekämpfungsprogrammen vermehrt
Mobilfunklösungen nutzen, um über mobile Zahlsysteme Geld an die Armen
direkt zu überweisen. Ziel ist es, korrupte Geldvermittler auszuschalten, die
aus den Sozialfonds routiniert ansehnliche Summen für sich abzweigen.
Das phänomenale Wachstum des Kommunikationssektors hat auch den
Telekomfirmen exorbitante Gewinne beschert. Sie sind dadurch in der Lage,
ihre Netze und Dienste auszubauen und sogar ins Ausland zu expandieren. Ein
Beispiel dafür ist Airtel, die heuer die afrikanischen Netze der kuwaitischen
Mobilfunkgruppe Zain für knapp acht Milliarden Euro übernommen hat.
Technologie für alle
Auch dem indischen Fiskus beschert der Mobilfunk stattliche Einnahmen von
jährlich zwei Milliarden Dollar. Die Versteigerung der UMTS-Frequenzen für das
Mobilfunknetz der dritten Generation spülte dem Staat vor kurzem 22
Milliarden Dollar in die Kasse.
Indien bietet ein großes Potenzial für den Telekomsektor. Günstige
Mobiltelefone und niedrige Tarife sorgen für ein rasches Wachstum des
Marktes. Der Erfolg des Mobilfunks in Indien zeigt, dass Technologie dann am
besten funktioniert, wenn sie allen zugänglich ist. (Sanjay
Kapoor/Übersetzung: kat, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8.8.2010)
SANJAY KAPOOR ist Redakteur des indischen Tech-Magazins "Hardnews"
(www.hardnewsmedia.com)

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  • 1. Die mobile Revolution treibt Indiens Wirtschaft • Die Telekommunikation erreicht die entlegensten Dörfer des Subkontinents, wo traditionell und ohne Technologie gelebt wird. Im armen und bevölkerungsreichen Indien floriert die Mobilfunkindustrie und setzt Entwicklungsimpulse bis in die kleinsten Einheiten der Wirtschaft Vor fünfzehn Jahren waren die Mobiltelefone schwer wie Ziegelsteine. Sie sahen auch so aus. Dennoch galten sie in der klassenbewussten Gesellschaft Indiens als schick. Allerdings wurden die meisten Handybesitzer nervös, wenn's klingelte. Denn die Tarife waren sehr hoch, selbst der Empfänger musste für entgegengenommene Anrufe einen horrenden Betrag zahlen. Seit damals ist wie im Rest der Welt in Indien die Zahl der Handynutzer gigantisch gestiegen. Lag die Mobilfunkpenetration in Indien 1998 gerade mal bei einem Prozent, lag sie im Mai 2010 bei einer Dichte von 55,38 Prozent und wächst in einer atemberaubenden Geschwindigkeit weiter. Das heißt, dass mehr als die Hälfte der 1,2 Milliarden zählenden indischen Bevölkerung
  • 2. theoretisch ein Handy besitzt. Angetrieben wurde diese Entwicklung von billigen Geräten und niedrigen Tarifen. Nutzer von Prepaid-Handys etwa können für gerade einmal vier Dollar ihr Leben lang Anrufe empfangen. Die hoch kompetitive Telekombranche lässt sich viele innovative Angebote einfallen, um Kunden zu locken oder abzuwerben. Wachstumssprünge Statistiken alleine können jedoch die Auswirkungen dieser mobilen Revolution nicht erfassen. Denn um eine solche handelt es sich, ungeachtet der Tatsache, dass Indien ein extrem armes Land ist, in dem ein Großteil der Armen dieser Welt lebt. Es ist nicht gerade wenig Kaufkraft, die dadurch entstanden ist, dass Menschen in den Metropolen, Städten und Dörfern Handys gekauft haben und damit kommunizieren. Mobiltelefonie überbrückt alle Arten von Unterschieden in einem Land, in dem das Straßen- und Brückennetz immer noch mangelhaft und primitiv ist. Entlegene Dörfer, die bisher kaum erreicht werden konnten, sind jetzt ans Kommunikationsnetz angeschlossen. Diese gestiegene Handynutzung wirkt Wunder für Indiens Wirtschaft. "Mit jedem Wachstumssprung der Mobilfunkverbreitung um zehn Prozentpunkte nimmt das BIP-Wachstum zusätzlich um mehr als ein Prozent zu. Vor fünf Jahren lag der Beitrag der Telekommunikation zum Bruttoinlandsprodukt durchschnittlich bei 3,6 Prozent. Heute sind es 8,8 Prozent, und in den nächsten fünf Jahren könnten es schon 15,4 Prozent sein" , meinte D. Shivakumar, Geschäftsführer von Nokia India, vor kurzem in einem Artikel der Economic Times. Indiens Telekomindustrie zählt zu einer der weltweit am schnellsten wachsenden Märkte. Das Land verfügt über das zweitgrößte drahtlose Netz, das schon bald Marktführer China überholen könnte. Funken und wachsen Eine Studie des Think-Tank ICRIER (Indian Council for Research on International Economic Relations) macht deutlich, dass die wirtschaftliche Wachstumsrate indischer Region proportional einhergeht mit der steigenden Mobilfunkpenetration. Der Autor der Studie, Rajat Kathuria, weist darauf hin, dass dieser Faktor in Ländern mit inadäquater Infrastruktur wie Indien noch um ein Vielfaches höher ist als in westlichen Industriestaaten. Der Beleg für seine Aussagen ist sichtbar: Kleine Unternehmen und Tagelöhner kommen in den Genuss eines bescheidenen Wohlstands. Der riesige informelle Sektor der indischen Wirtschaft zählt dabei zu den Hauptnutznießern. Ein Beispiel dafür ist der Gemüsehändler und Elektriker Pradeep. Täglich rufen ihn an die 50 Kunden an, die entweder Gemüse bestellen oder elektronische Geräte reparieren lassen wollen. "Kunden, die ihre Aufträge telefonisch abgeben, sind in der Regel kaufwilliger und großzügiger als jene, die ins Geschäft kommen. Für die Bequemlichkeit, dass ich zu ihnen nach Hause komme, sind sie bereit, mir etwas mehr zu bezahlen" , freut er sich. Nach Hause telefonieren Den unzähligen ländlichen Arbeitsmigranten, die auf einer der vielen Baustellen in der Hauptstadt Delhi ihr Geld verdienen, helfen Mobiltelefone, mit ihren Familien in den entlegenen Dörfern in Kontakt zu bleiben. Zu ihnen gehört auch der Rikschafahrer Hariman, der nie eine Schule besucht hat. "Ich tippe
  • 3. lediglich ein paar Nummern ein, und schon kann ich mit meinen Leuten zu Hause sprechen. Ich muss mich nicht mehr damit abquälen, Briefe zu schreiben." In vielen der Dörfer, aus denen Menschen wie Hariman kommen, kann es aus Strommangel schwierig sein, die Akkus aufzuladen. Findige Kleinunternehmen bieten mit "Tankstellen" mit Stromaggregaten Abhilfe. Die indische Regierung will in ihren Armutsbekämpfungsprogrammen vermehrt Mobilfunklösungen nutzen, um über mobile Zahlsysteme Geld an die Armen direkt zu überweisen. Ziel ist es, korrupte Geldvermittler auszuschalten, die aus den Sozialfonds routiniert ansehnliche Summen für sich abzweigen. Das phänomenale Wachstum des Kommunikationssektors hat auch den Telekomfirmen exorbitante Gewinne beschert. Sie sind dadurch in der Lage, ihre Netze und Dienste auszubauen und sogar ins Ausland zu expandieren. Ein Beispiel dafür ist Airtel, die heuer die afrikanischen Netze der kuwaitischen Mobilfunkgruppe Zain für knapp acht Milliarden Euro übernommen hat. Technologie für alle Auch dem indischen Fiskus beschert der Mobilfunk stattliche Einnahmen von jährlich zwei Milliarden Dollar. Die Versteigerung der UMTS-Frequenzen für das Mobilfunknetz der dritten Generation spülte dem Staat vor kurzem 22 Milliarden Dollar in die Kasse. Indien bietet ein großes Potenzial für den Telekomsektor. Günstige Mobiltelefone und niedrige Tarife sorgen für ein rasches Wachstum des Marktes. Der Erfolg des Mobilfunks in Indien zeigt, dass Technologie dann am besten funktioniert, wenn sie allen zugänglich ist. (Sanjay Kapoor/Übersetzung: kat, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8.8.2010) SANJAY KAPOOR ist Redakteur des indischen Tech-Magazins "Hardnews" (www.hardnewsmedia.com)