SlideShare une entreprise Scribd logo
1  sur  6
Télécharger pour lire hors ligne
Ein Roboter, was ist das?
Roboter sind überall, jedoch erkennen wir sie häufig nicht, da wir uns ein bestimmtes
Bild von ihnen gemacht haben. Aufgrund von Filmen, Trickfilmen und Science-Fiction-
Büchern stellen wir uns Roboter sehr menschenähnlich vor. Aber ein Industrieroboter,
der am Fliessband Metallteile zusammenfügt, hat keine kulturelle Präsenz. Für Robotik-
fachleute ist diese verbreitete Vorstellung von Robotern Fluch und Segen zugleich. Ein
Segen, weil sich alle für Robotik interessieren, ein Fluch, weil die Erwartungen überhöht
sind. Der reale Roboter ist fast dazu verdammt, zu enttäuschen.
Doch wovon sprechen wir denn eigentlich genau? Der amerikanische Robotiker Georges
Bekey hat eine der bekanntesten Definitionen eines Roboters vorgeschlagen: eine
Maschine, die sich in der Welt befindet, die wahrnimmt, denkt und handelt (a machine,
situated in the world, which senses, thinks and acts).
–	 Maschine: Alle von Menschen geschaffenen Werkzeuge, unabhängig von Material,
Form oder eingesetzter Mechanik.
–	 In der Welt: Der Roboter kann sich fortbewegen, greifen, stossen, ziehen und
andere Aktionen ausführen und wirkt damit auf seine physische Umgebung ein.
Diese Fähigkeit, direkt auf die Welt – und damit auf die Menschen – einzuwirken,
macht Roboter zu einer eigenen, besonderen Spezies. Aufgrund dieser Eigenschaft
gehören rein digitale Werkzeuge nicht dazu.
–	 Die wahrnimmt, denkt und handelt: Der Roboter wird geschaffen, um ein Ziel
zu erreichen. Aus diesem Grund wird er befähigt, seine Umgebung wahrzunehmen.
Diese Informationen verarbeitet er mithilfe von Funktionen, die üblicherweise mit
Denken und Intelligenz assoziiert werden. Anschliessend wählt er Aktionen aus, die
er in seiner Umgebung durchführt. Maschinen, die vollumfänglich ferngesteuert
sind, und Automaten, die eine einfache Bewegung ausführen, gelten somit nicht
als Roboter.
Ethik in der Robotik
Die Fortschritte auf den Gebieten Robotertechnik und künstliche Intelligenz
führen dazu, dass in immer mehr Bereichen Robotersysteme eingesetzt
werden. Das vorliegende Factsheet erläutert die damit einhergehenden
ethischen Herausforderungen und stellt ein Instrument vor, mit dem die
relevanten Fragen behandelt werden können.
Evaluationsschema
Dieses Evaluationsschema dient dazu, die zentralen ethischen Fragen bei einem Robotikprojekt zu strukturieren. Es eignet sich
für Entwicklungsteams, politische Verantwortungstragende und alle, die sich für die Herausforderungen im Zusammenhang mit
Technologie interessieren.
Ethik in der Technologie
–	 Ist der Roboter autonom und wenn ja, in wel-
chem Sinn? Wer übernimmt bei Problemen die
Verantwortung?
–	 Agiert der Roboter in einem Kontext, in dem
er moralische Regeln einhalten muss? Wer hat
bestimmt, welche Regeln das sind?
–	 Wenn Sie sich ein Katastrophenszenario vor-
stellen müssten, bei dem der Roboter zweckent-
fremdet wird, wie würde dieses aussehen?
–	 Könnte die äussere Erscheinung des Roboters
und seines Interaktionssystems Nutzer:innen
täuschen oder gewisse Stereotype verstärken?
Soziale Gerechtigkeit
–	 Verändert der Roboter die Interaktionen
zwischen Menschen, zum Beispiel die Dynamik
im Team?
–	 Kann der Roboter in einem Kontext, in
dem menschliche Interaktion wichtig ist,
eine Wirkung entfalten?
–	 Wurden die Menschen, die mit dem Roboter
interagieren sollen, angemessen konsultiert und
geschult? Wurde gegebenenfalls ein alternatives
Anforderungsprofil erstellt?
Narrative und Erzählungen
–	 Bedienen der Einsatz des Roboters und die damit ein-
hergehende Kommunikation ein Narrativ der Konkurrenz
zwischen Roboter und Mensch?
–	 Wird der Roboter als Beinahe-Mensch oder aber als
Werkzeug im Dienste des Menschen präsentiert?
1.
Ethik in der
Technologie
3.
Narrative und
Erzählungen
2.
Soziale
Gerechtigkeit
Ethik in der Technologie
Das erste Thema sind ethische Fragen in der Technologie. Während
der Erfindung, des Designprozesses und der Herstellung eines Ro-
boters stellen sich denen, die den Roboter erschaffen, zahlreiche
Fragen. Drei davon sind von besonderer Bedeutung: die Autonomie
des Roboters, der moralische Roboter und das Design des Roboters.
Erste Frage: Ist ein Roboter autonom? Die Autonomie des Robo-
ters wird von Ethiker:innen und Ingenieur:innen unterschiedlich
definiert. Die ISO-Normen zu Robotik liefern uns ein gutes Beispiel
für die «Ingenieurvariante» des Autonomiekonzepts. Dort ist Auto-
nomie definiert als «die Fähigkeit, bestimmte Aufgaben auszufüh-
ren, ausgehend vom bestehenden Zustand und von Erkenntnissen
sowie ohne menschliches Eingreifen». Autonomie ist als Fähigkeit
definiert, die Mittel zu bestimmen, um ein vorab festgelegtes Ziel
zu erreichen. Die Fortschritte im Bereich KI steigern die Autonomie,
da der Roboter bei der Auswahl und dem Einsatz der verwendeten
Mittel immer besser wird. Eine grosse Herausforderung besteht da-
rin, mit klaren Informationen zu den Verhaltensregeln einen Rah-
men für den Roboter abzustecken, und so seine Fähigkeit, irgend-
eine beliebige Strategie auszuwählen, auf ein Ziel zu beschränken.
Die Fachleute der Ethik fügen dem Begriff der Autonomie eine
weitere Ebene hinzu: Die Fähigkeit, sich Ziele zu setzen und diese
zu überdenken. Der Roboter hat diese Fähigkeit nicht, er führt
aus, was andere ihm vorgegeben haben. Dieser erweiterte Auto-
nomiebegriff wird oft in Verbindung mit dem Ichbewusstsein de-
finiert. Dass wir uns unserer Existenz, unserer Bedürfnisse und
unserer Werte bewusst sind, ermöglicht Autonomie. Der Roboter
hat kein Bewusstsein seiner Existenz als Roboter.
Diese Unterscheidung zwischen zwei Ebenen der Autonomie spielt
eine wichtige Rolle bei der Frage der Verantwortung. Wenn der
Roboter nicht autonom ist, kann er nicht zur Verantwortung fähig
sein. Der Roboter ist ein Akteur, er kann für gewisse Ereignisse ver-
antwortlich sein, aber er ist kein moralischer Akteur. Ein Mensch
muss immer verantwortungsvoll sein. Die verschiedenen Akteur:in-
nen, die einen Roboter erfinden, konzipieren, produzieren und
schliesslich nutzen, können unterschiedliche Verantwortung tragen.
Entwickler:innen treffen einen bestimmten Grundsatzentscheid da-
rüber, was ein Roboter tun kann, den Herstellern des Roboters kön-
nen Fabrikationsfehler unterlaufen, und die Nutzer:innen können
ihren Kauf unsachgemäss verwenden. Mit fortgeschrittenen
KI-Systemen ausgestattete Roboter, die ihr Verhalten ausgehend
von vergangenen Erfahrungen verbessern können, stellen eine
grosse Herausforderung dar, wenn es darum geht, Verantwortung
zuzuweisen. Es ist schwierig, das Verhalten eines Roboters anhand
der Rekonstruktion seiner Entstehung zu erklären. Trotzdem lässt
sich die Diskussion über die Verantwortung in den gewohnten
Kategorien führen. Solange die Entscheidungen der Entwickle-
r:innen diejenigen des Roboters schon im Voraus bestimmen –
auch die autonomen Entscheidungen –, kann der Roboter nicht
als moralischer Akteur und somit nicht als verantwortungsfähig
gelten.
Zweite Frage: Ist ein Roboter fähig, moralisch zu handeln? Die
Frage der Autonomie kommt hier in anderer Form erneut ins
Spiel. Ein Roboter kann moralisch handeln, sofern man ihn ent-
sprechend programmiert. Aber er versteht nicht auf dieselbe Wei-
se wie ein Mensch, was er tut. Er führt einfach die Programmie-
rung aus. Programmierteams stehen somit vor einer dreifachen
Herausforderung: Welchen ethischen Ansatz sollen sie wählen,
beispielsweise eine an den Konsequenzen oder aber eine an der
Pflichterfüllung orientierte Ethik? Und wie sollen die zu program-
Eine Orientierungshilfe für Ethik in der Robotik
Roboter werfen zahlreiche ethische Fragen auf. Die Definition von Ethik ist hier weit gefasst und meint eine systematische Reflexion
über Werte und deren Umsetzung in soziotechnischen Systemen, Systemen also, die sowohl eine technische als auch eine kon-
textuelle Komponente aufweisen. Die Orientierungshilfe behandelt drei grosse Themenbereiche und soll die relevantesten ethischen
Fragen rund um Roboter einordnen. Sie ist gewissermassen eine geführte Tour für alle, die das Gebiet Ethik in der Robotik entdecken
möchten. Im Zusammenhang mit verantwortungsvoller Innovation eignet sie sich insbesondere für Teams, die in die Entwicklung
und die Konzeption von technologischen Geräten involviert sind. Die drei Themen bilden ein Ganzes und die Orientierungshilfe
sollte iterativ eingesetzt werden.
1.
Ethik in der
Technologie
3.
Narrative und
Erzählungen
2.
Soziale
Gerechtigkeit
ziehen? Für einige kritische Stimmen könnte Robotik eine Gelegen-
heit sein, fliessendere Übergänge zwischen den Geschlechtern
auszuprobieren und weniger abhängig zu sein von der Binarität
Mann/Frau, die unser soziales Leben prägt.
Diese drei Fragen schlagen eine Brücke zu einer der wichtigsten
Erkenntnisse der Technikethik: Technologische Innovation ist nie
neutral. Sie wird mit der expliziten oder impliziten Absicht erarbei-
tet, entwickelt und hergestellt, bestimmten Zielen und Werten zu
entsprechen. Alle damit zusammenhängenden Entscheidungen
werden als ethische Fragen betrachtet, denn sie hinterfragen be-
stimmte Werte und auferlegen den Entwicklungs- und Produkti-
onsteams Verantwortung.
Soziale Gerechtigkeit
Das zweite Thema betrifft soziale Gerechtigkeit im Zusammen-
hang mit dem Einsatz von Robotern. Es geht darum, wie sich Ro-
boter, und die Robotik allgemein, auf die Gesellschaft auswirken.
Dabei ist zu analysieren, was Roboter für menschliche Beziehun-
gen und den Arbeitsmarkt bedeuten. Beim kontextuellen Ansatz
stehen die verschiedenen Anwendungsgebiete wie Pflege, Bil-
dung oder Sicherheit im Fokus.
Der Einfluss auf den Arbeitsmarkt gilt als eine der bedeutendsten
sozialen Konsequenzen der Robotik. Ein Vorteil von Robotern ist,
dass sie die Menschen von gefährlichen, repetitiven oder stumpf-
sinnigen Aufgaben befreien. Die Kehrseite der Medaille: Robotern
wird zugleich nachgesagt, dass sie Arbeitsplätze vernichten. Die
Modelle, die Wirtschaftsfachleute entwickelt haben, um diese
Entwicklung zu beziffern, umfassen mehrere Aspekte. Einerseits
hängt es von der Art des Wirtschaftsbereichs ab, wie stark Ar-
beitsplätze durch Robotisierung gefährdet sind. In Branchen, die
mierenden Regeln, über die Konsens herrscht, definiert werden?
Diese Diskussion kann nur in Abhängigkeit vom Kontext erfolgen,
wobei es zum Beispiel darauf ankommt, ob es sich um Pflegero-
boter oder autonome Waffensysteme handelt. Und wie kann
man gewährleisten, dass der Roboter technisch dazu in der Lage
ist, diese Regeln einzuhalten? Wenn der Roboter mögliche Konse-
quenzen erkennen und bewerten und anschliessend entspre-
chend handeln muss, wie kann man sicher sein, dass er sich dabei
auf die richtigen Informationen stützt? Dies ist eine zentrale Her-
ausforderung, für die es momentan noch keine Lösung gibt.
Dritte Frage: Wie soll das Design eines Roboters aussehen? Wird
ein Roboter konzipiert, gilt es eine Form und eine äusserer Erschei-
nung zu wählen, aber auch eine Stimme und ein Nutzerinterface.
Diese Notwendigkeit, eine physische Hülle für den Roboter zu ge-
stalten, unterscheidet die Maschine von digitalen Einheiten. Dieses
äussere Design beeinflusst das Vertrauen, das wir Menschen in
diesen Roboter haben. Menschen möchten mit Einheiten intera-
gieren, die sie (wieder-)erkennen und die sie in einem spezifischen
Kontext als kohärent erleben. Eine ungewohnte Kombination aus
Elementen, die als menschlich wahrgenommen werden (Formen,
Texturen, Verhaltensweisen), und Elementen, die mit der Welt der
Roboter assoziiert werden, kann befremdend oder etwas unheim-
lich wirken. Somit stellt sich beim Design eines Roboters die Frage
nach der Manipulation. Ist es wünschenswert, einen Roboter her-
zustellen, der einem Menschen oder einem Tier gleicht, um den
Nutzenden etwas vorzutäuschen? Gleich wie bei digitalen Interak-
tionen – beispielsweise mit einem Chatbot – scheint es nötig, klare
Informationen darüber zu haben, wer genau an einer Interaktion
beteiligt ist. Neben dem Aspekt der Manipulation wirft das Design
eines Roboters auch Fragen bezüglich Repräsentation auf. Wählt
man für den Roboter gewisse charakteristische Eigenschaften,
wird ein bestimmtes, allgemeingültiges Bild damit projiziert. So ha-
ben die meisten Sexroboter grosse Brüste, schmale Hüften und ein
kindliches Gesicht. Solche Designentscheidungen können Stereo-
type verstärken. Die Robotik kann uns allerdings auch ermögli-
chen, bestimmte Fragen zu erkunden, zu denen Menschen norma-
lerweise keinen Zugang haben: Muss ein Roboter ein erkennbares
Geschlecht haben, oder ist ein möglichst neutraler Roboter vorzu-
1.
Ethik in der
Technologie
3.
Narrative und
Erzählungen
2.
Soziale
Gerechtigkeit
auf planbaren repetitiven Prozessen beruhen und wenig
menschliche Interaktion erfordern, ist die Gefahr des Verlusts
von Arbeitsplätzen am grössten. Andererseits trifft die Roboti-
sierung nicht alle Arbeitnehmenden im gleichen Ausmass. Am
ehesten laufen Geringqualifizierte in Industriesektoren Gefahr,
durch Roboter – im Gegensatz zu KI – ihre Arbeit zu verlieren.
Bei Arbeitnehmenden, die kollaborative Roboter in ihren Alltag
integrieren müssen, wird sich das Pflichtenheft erweitern. Die
Auswirkungen der Robotisierung reichen aber über die Interak-
tion zwischen Mensch und Roboter hinaus. Die Integration ei-
nes Roboters verändert die Beziehungsdynamik zwischen Men-
schen, zum Beispiel innerhalb eines Teams. Da der Roboter auf
Strukturierung und Messung angewiesen ist, trägt er dazu bei,
Verhalten zu normieren. Ein Roboter kann nicht improvisieren.
Damit er funktioniert, muss er eingegrenzt werden, und diese
Eingrenzung wirkt sich wiederum auf das Personal und die Ins-
titution aus. Den Überlegungen zur sozialen Gerechtigkeit liegt
die grosse Frage nach der Beziehung zwischen Anstellung, Ar-
beit, Existenzgrundlage und sozialer Anerkennung zugrunde.
Drei Aspekte können bereits heute umgesetzt werden (und sind
es teilweise bereits). Erstens müssen wir die Art und Weise an-
passen, wie wir das ganze Leben lang lernen. Zweitens braucht
es eine sozialpolitische Antwort auf die Veränderungen, die auf
dem Arbeitsmarkt im Gange sind. Wird ein Wirtschaftsbereich
von einer schnellen und tiefgreifenden technologischen Verän-
derung getroffen, muss die Gesellschaft den Schock für die di-
rekt Betroffenen abfedern können. Die Idee des verantwor-
tungsvollen Wandels ist entscheidend: Die technologischen
Veränderungen müssen als permanenter Wandel betrachtet
werden und nicht als Katastrophe, die bereits ihren Lauf nimmt
und aus der es einen Ausweg zu finden gilt. Drittens müssen wir
darüber diskutieren, welche Bereiche von der Robotisierung
ausgenommen sein sollten. Dieser Ansatz zielt darauf ab, be-
stimmte Lebenssituationen zu identifizieren, in denen ein Kon-
takt zu einem anderen Menschen erhalten bleiben soll.
Narrative und Erzählungen
Das dritte Thema beinhaltet die grossen gesellschaftlichen
Erzählungen rund um die Robotik. Diese Narrative bilden den
allgemeinen Rahmen unserer Diskussionen über Roboter und
sind zugleich eine kollektive Geschichte, die wir pflegen. Im
Bereich Robotik strukturieren drei Narrative einen Grossteil der
gesellschaftlichen Debatte. Hier soll die ethische Dimension die-
ser Narrative und der kollektiven Vorstellungswelt aufgezeigt
werden. Sprache ist nicht neutral und sie trägt eine bestimmte
Sicht der Realität in sich. Zudem haben bestimmte Akteur:innen
ein wirtschaftliches oder politisches Interesse daran, die Realität
aus einer spezifischen Perspektive darzustellen.
Beim ersten Narrativ geht es um die allgemeine Beziehung
zwischen Robotern und Menschen. Diese oszilliert zwischen
Konkurrenzkampf und Kooperation. In der Science-Fiction mün-
det der Konkurrenzkampf früher oder später in eine Situation, in
der die Roboter die Menschen zu kontrollieren oder zu un-
terwerfen drohen. Im Gegensatz dazu stellen wir uns die Be-
ziehungen zwischen Robotern und Menschen aber auch als
partnerschaftliches Verhältnis vor. Der Roboter ist den Menschen
zu Diensten, er ist vergleichbar mit einem perfektionierten
Werkzeug, das die Menschen einsetzen, um ihre Ziele zu er-
reichen. Welches Narrativ für das Verhältnis zwischen Roboter
und Mensch gewählt wird, beeinflusst tiefgreifend, wie der Ro-
boter wahrgenommen wird (als mehr oder weniger komplexes
Ding oder als neue Art von Person).
Dieses erste grosse Narrativ zwischen Konkurrenz und Koopera-
tion führt zum zweiten grossen Narrativ, demjenigen über
menschliche Eigenschaften. Die Spiele Schach und Go, die Krea-
tivität, Einfallsreichtum und Taktik erfordern, galten lange Zeit als
dem Menschen vorbehalten. Heute muss sich der Mensch dabei
geschlagen geben. Müssen wir weiter danach suchen, was den
Menschen ausmacht, oder im Gegenteil den Gedanken akzeptie-
ren, dass der Mensch einfach ein Lebewesen wie alle anderen ist?
Hier spielt auch die Diskussion über die Unterschiede zwischen
Mensch und Tier sowie deren Platz in der Natur mit hinein.
Diese Suche nach den menschlichen Eigenschaften bringt uns
zum dritten grossen Narrativ, dem über den Sinn des
menschlichen Lebens. Roboter werden oft als Höhepunkt einer
arbeitsamen Gesellschaft dargestellt, die voll und ganz auf Pro-
duktivität ausgerichtet ist. Sie schuften ohne Unterbruch. Die
Robotisierung stellt die Bedeutung der entschädigten Arbeit
(Erwerbsarbeit), als wichtiger Pfeiler der persönlichen Identität,
grundsätzlich infrage. Wenn unsere Grosskinder einst vier Stun-
den pro Woche in einer grösstenteils robotisierten Gesellschaft
arbeiten, worin besteht dann der Sinn ihres Lebens? Welche
Narrative können wir erschaffen, um diese Gesellschaft zu be-
gleiten? Die Frage nach dem Sinn des Lebens steht ganz oben
auf der Agenda.
1.
Ethik in der
Technologie
3.
Narrative und
Erzählungen
2.
Soziale
Gerechtigkeit
Impressum
Autor: Johan Rochel (EPFL, UZH, Ethix)
Projektleiter: Francesco Mondada (EPFL)
Projektteam: Johan Rochel (EPFL, UZH, Ethix), Alexandre Luyet (SATW), Adriana Cantaluppi (SATW)
Redaktion: Esther Lombardini
Übersetzung: weiss traductions genossenschaft
Grafik: Andy Braun
Mai 2022
Bei EPFL Press erhältlich:
Les robots parmi nous: pour une éthique des machines
Fotos:
Adobe
Stock
Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften SATW
St. Annagasse 18 | 8001 Zürich | 044 226 50 11 | info@satw.ch | www.satw.ch
Die SATW fördert Projekte im Bereich Künstliche Intelligenz
Zwei wichtige Entwicklungen verändern unsere Beziehung zu Robotern: die zuneh-
mende Interaktion der Roboter mit der breiten Öffentlichkeit und die Verbesserung
der künstlichen Intelligenz, die in Robotern eingebaut ist. Diese tiefgreifenden
Veränderungen konfrontieren uns mit einer Reihe von ethischen Herausforde-
rungen, die wir als Individuen und als Gesellschaft lösen müssen. Es geht darum,
mit welchen Arten von Robotern wir interagieren wollen, wie diese programmiert
werden und wie wir die Gesellschaft auf die Mensch-Roboter-Interaktionen vorbe-
reiten, um eine bessere Lebensqualität zu erreichen.
Diese Fragen sind von äusserster Wichtigkeit. Dennoch findet die Debatte häufig
nicht statt und wenn sie das doch tut, wird sie mit Klischees und extremen Szena-
rien geführt. Die Ausbildungssituation für zukünftige Ingenieur:innen ist ebenfalls
nicht zufriedenstellend. Das Projekt «Ethik in der Robotik» will eine dieser Heraus-
forderungen angehen, indem es der breiten Öffentlichkeit die Werkzeuge für eine
qualitativ hochwertige Debatte an die Hand gibt.
Die SATW unterstützte ein Team von EPFL-Forschenden unter der Leitung des SATW-
Mitglieds Prof. Francesco Mondada in der Planung, Umsetzung und Bekanntmachung
des Pilotprojekts, das in diesem Factsheet vorgestellt wird.
Für den Bereich Künstliche Intelligenz (KI) verfügt die SATW über eine Themen-
plattform und ein Schwerpunktprogramm; sie organisiert regelmässig Dialogfor-
mate und gibt Publikationen heraus – beides in Zusammenarbeit mit Expert:innen
wie Partnerorganisationen. Die SATW ist auch im Bereich Daten sehr aktiv, denn
ohne Daten funktioniert KI nicht. Im Frühling 2021 hat die SATW gemeinsam mit
der Direktion für Völkerrecht des EDA, dem Bundesamt für Kommunikation und der
Swiss Data Alliance das nationale «Netzwerk Digitale Selbstbestimmung» gegründet,
um Bürger:innen, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen eine Nutzung der
Datenwirtschaft auf der Basis freiheitlich-demokratischer Grundwerte zu ermöglichen.

Contenu connexe

En vedette

2024 State of Marketing Report – by Hubspot
2024 State of Marketing Report – by Hubspot2024 State of Marketing Report – by Hubspot
2024 State of Marketing Report – by HubspotMarius Sescu
 
Everything You Need To Know About ChatGPT
Everything You Need To Know About ChatGPTEverything You Need To Know About ChatGPT
Everything You Need To Know About ChatGPTExpeed Software
 
Product Design Trends in 2024 | Teenage Engineerings
Product Design Trends in 2024 | Teenage EngineeringsProduct Design Trends in 2024 | Teenage Engineerings
Product Design Trends in 2024 | Teenage EngineeringsPixeldarts
 
How Race, Age and Gender Shape Attitudes Towards Mental Health
How Race, Age and Gender Shape Attitudes Towards Mental HealthHow Race, Age and Gender Shape Attitudes Towards Mental Health
How Race, Age and Gender Shape Attitudes Towards Mental HealthThinkNow
 
AI Trends in Creative Operations 2024 by Artwork Flow.pdf
AI Trends in Creative Operations 2024 by Artwork Flow.pdfAI Trends in Creative Operations 2024 by Artwork Flow.pdf
AI Trends in Creative Operations 2024 by Artwork Flow.pdfmarketingartwork
 
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024Neil Kimberley
 
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)contently
 
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024Albert Qian
 
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie InsightsSocial Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie InsightsKurio // The Social Media Age(ncy)
 
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024Search Engine Journal
 
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
5 Public speaking tips from TED - Visualized summarySpeakerHub
 
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd Clark Boyd
 
Getting into the tech field. what next
Getting into the tech field. what next Getting into the tech field. what next
Getting into the tech field. what next Tessa Mero
 
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search IntentGoogle's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search IntentLily Ray
 
Time Management & Productivity - Best Practices
Time Management & Productivity -  Best PracticesTime Management & Productivity -  Best Practices
Time Management & Productivity - Best PracticesVit Horky
 
The six step guide to practical project management
The six step guide to practical project managementThe six step guide to practical project management
The six step guide to practical project managementMindGenius
 
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...RachelPearson36
 

En vedette (20)

2024 State of Marketing Report – by Hubspot
2024 State of Marketing Report – by Hubspot2024 State of Marketing Report – by Hubspot
2024 State of Marketing Report – by Hubspot
 
Everything You Need To Know About ChatGPT
Everything You Need To Know About ChatGPTEverything You Need To Know About ChatGPT
Everything You Need To Know About ChatGPT
 
Product Design Trends in 2024 | Teenage Engineerings
Product Design Trends in 2024 | Teenage EngineeringsProduct Design Trends in 2024 | Teenage Engineerings
Product Design Trends in 2024 | Teenage Engineerings
 
How Race, Age and Gender Shape Attitudes Towards Mental Health
How Race, Age and Gender Shape Attitudes Towards Mental HealthHow Race, Age and Gender Shape Attitudes Towards Mental Health
How Race, Age and Gender Shape Attitudes Towards Mental Health
 
AI Trends in Creative Operations 2024 by Artwork Flow.pdf
AI Trends in Creative Operations 2024 by Artwork Flow.pdfAI Trends in Creative Operations 2024 by Artwork Flow.pdf
AI Trends in Creative Operations 2024 by Artwork Flow.pdf
 
Skeleton Culture Code
Skeleton Culture CodeSkeleton Culture Code
Skeleton Culture Code
 
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
PEPSICO Presentation to CAGNY Conference Feb 2024
 
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
Content Methodology: A Best Practices Report (Webinar)
 
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
How to Prepare For a Successful Job Search for 2024
 
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie InsightsSocial Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
Social Media Marketing Trends 2024 // The Global Indie Insights
 
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
Trends In Paid Search: Navigating The Digital Landscape In 2024
 
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
5 Public speaking tips from TED - Visualized summary
 
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
ChatGPT and the Future of Work - Clark Boyd
 
Getting into the tech field. what next
Getting into the tech field. what next Getting into the tech field. what next
Getting into the tech field. what next
 
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search IntentGoogle's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
Google's Just Not That Into You: Understanding Core Updates & Search Intent
 
How to have difficult conversations
How to have difficult conversations How to have difficult conversations
How to have difficult conversations
 
Introduction to Data Science
Introduction to Data ScienceIntroduction to Data Science
Introduction to Data Science
 
Time Management & Productivity - Best Practices
Time Management & Productivity -  Best PracticesTime Management & Productivity -  Best Practices
Time Management & Productivity - Best Practices
 
The six step guide to practical project management
The six step guide to practical project managementThe six step guide to practical project management
The six step guide to practical project management
 
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
Beginners Guide to TikTok for Search - Rachel Pearson - We are Tilt __ Bright...
 

Ethik in der Robotik

  • 1. Ein Roboter, was ist das? Roboter sind überall, jedoch erkennen wir sie häufig nicht, da wir uns ein bestimmtes Bild von ihnen gemacht haben. Aufgrund von Filmen, Trickfilmen und Science-Fiction- Büchern stellen wir uns Roboter sehr menschenähnlich vor. Aber ein Industrieroboter, der am Fliessband Metallteile zusammenfügt, hat keine kulturelle Präsenz. Für Robotik- fachleute ist diese verbreitete Vorstellung von Robotern Fluch und Segen zugleich. Ein Segen, weil sich alle für Robotik interessieren, ein Fluch, weil die Erwartungen überhöht sind. Der reale Roboter ist fast dazu verdammt, zu enttäuschen. Doch wovon sprechen wir denn eigentlich genau? Der amerikanische Robotiker Georges Bekey hat eine der bekanntesten Definitionen eines Roboters vorgeschlagen: eine Maschine, die sich in der Welt befindet, die wahrnimmt, denkt und handelt (a machine, situated in the world, which senses, thinks and acts). – Maschine: Alle von Menschen geschaffenen Werkzeuge, unabhängig von Material, Form oder eingesetzter Mechanik. – In der Welt: Der Roboter kann sich fortbewegen, greifen, stossen, ziehen und andere Aktionen ausführen und wirkt damit auf seine physische Umgebung ein. Diese Fähigkeit, direkt auf die Welt – und damit auf die Menschen – einzuwirken, macht Roboter zu einer eigenen, besonderen Spezies. Aufgrund dieser Eigenschaft gehören rein digitale Werkzeuge nicht dazu. – Die wahrnimmt, denkt und handelt: Der Roboter wird geschaffen, um ein Ziel zu erreichen. Aus diesem Grund wird er befähigt, seine Umgebung wahrzunehmen. Diese Informationen verarbeitet er mithilfe von Funktionen, die üblicherweise mit Denken und Intelligenz assoziiert werden. Anschliessend wählt er Aktionen aus, die er in seiner Umgebung durchführt. Maschinen, die vollumfänglich ferngesteuert sind, und Automaten, die eine einfache Bewegung ausführen, gelten somit nicht als Roboter. Ethik in der Robotik Die Fortschritte auf den Gebieten Robotertechnik und künstliche Intelligenz führen dazu, dass in immer mehr Bereichen Robotersysteme eingesetzt werden. Das vorliegende Factsheet erläutert die damit einhergehenden ethischen Herausforderungen und stellt ein Instrument vor, mit dem die relevanten Fragen behandelt werden können.
  • 2. Evaluationsschema Dieses Evaluationsschema dient dazu, die zentralen ethischen Fragen bei einem Robotikprojekt zu strukturieren. Es eignet sich für Entwicklungsteams, politische Verantwortungstragende und alle, die sich für die Herausforderungen im Zusammenhang mit Technologie interessieren. Ethik in der Technologie – Ist der Roboter autonom und wenn ja, in wel- chem Sinn? Wer übernimmt bei Problemen die Verantwortung? – Agiert der Roboter in einem Kontext, in dem er moralische Regeln einhalten muss? Wer hat bestimmt, welche Regeln das sind? – Wenn Sie sich ein Katastrophenszenario vor- stellen müssten, bei dem der Roboter zweckent- fremdet wird, wie würde dieses aussehen? – Könnte die äussere Erscheinung des Roboters und seines Interaktionssystems Nutzer:innen täuschen oder gewisse Stereotype verstärken? Soziale Gerechtigkeit – Verändert der Roboter die Interaktionen zwischen Menschen, zum Beispiel die Dynamik im Team? – Kann der Roboter in einem Kontext, in dem menschliche Interaktion wichtig ist, eine Wirkung entfalten? – Wurden die Menschen, die mit dem Roboter interagieren sollen, angemessen konsultiert und geschult? Wurde gegebenenfalls ein alternatives Anforderungsprofil erstellt? Narrative und Erzählungen – Bedienen der Einsatz des Roboters und die damit ein- hergehende Kommunikation ein Narrativ der Konkurrenz zwischen Roboter und Mensch? – Wird der Roboter als Beinahe-Mensch oder aber als Werkzeug im Dienste des Menschen präsentiert? 1. Ethik in der Technologie 3. Narrative und Erzählungen 2. Soziale Gerechtigkeit
  • 3. Ethik in der Technologie Das erste Thema sind ethische Fragen in der Technologie. Während der Erfindung, des Designprozesses und der Herstellung eines Ro- boters stellen sich denen, die den Roboter erschaffen, zahlreiche Fragen. Drei davon sind von besonderer Bedeutung: die Autonomie des Roboters, der moralische Roboter und das Design des Roboters. Erste Frage: Ist ein Roboter autonom? Die Autonomie des Robo- ters wird von Ethiker:innen und Ingenieur:innen unterschiedlich definiert. Die ISO-Normen zu Robotik liefern uns ein gutes Beispiel für die «Ingenieurvariante» des Autonomiekonzepts. Dort ist Auto- nomie definiert als «die Fähigkeit, bestimmte Aufgaben auszufüh- ren, ausgehend vom bestehenden Zustand und von Erkenntnissen sowie ohne menschliches Eingreifen». Autonomie ist als Fähigkeit definiert, die Mittel zu bestimmen, um ein vorab festgelegtes Ziel zu erreichen. Die Fortschritte im Bereich KI steigern die Autonomie, da der Roboter bei der Auswahl und dem Einsatz der verwendeten Mittel immer besser wird. Eine grosse Herausforderung besteht da- rin, mit klaren Informationen zu den Verhaltensregeln einen Rah- men für den Roboter abzustecken, und so seine Fähigkeit, irgend- eine beliebige Strategie auszuwählen, auf ein Ziel zu beschränken. Die Fachleute der Ethik fügen dem Begriff der Autonomie eine weitere Ebene hinzu: Die Fähigkeit, sich Ziele zu setzen und diese zu überdenken. Der Roboter hat diese Fähigkeit nicht, er führt aus, was andere ihm vorgegeben haben. Dieser erweiterte Auto- nomiebegriff wird oft in Verbindung mit dem Ichbewusstsein de- finiert. Dass wir uns unserer Existenz, unserer Bedürfnisse und unserer Werte bewusst sind, ermöglicht Autonomie. Der Roboter hat kein Bewusstsein seiner Existenz als Roboter. Diese Unterscheidung zwischen zwei Ebenen der Autonomie spielt eine wichtige Rolle bei der Frage der Verantwortung. Wenn der Roboter nicht autonom ist, kann er nicht zur Verantwortung fähig sein. Der Roboter ist ein Akteur, er kann für gewisse Ereignisse ver- antwortlich sein, aber er ist kein moralischer Akteur. Ein Mensch muss immer verantwortungsvoll sein. Die verschiedenen Akteur:in- nen, die einen Roboter erfinden, konzipieren, produzieren und schliesslich nutzen, können unterschiedliche Verantwortung tragen. Entwickler:innen treffen einen bestimmten Grundsatzentscheid da- rüber, was ein Roboter tun kann, den Herstellern des Roboters kön- nen Fabrikationsfehler unterlaufen, und die Nutzer:innen können ihren Kauf unsachgemäss verwenden. Mit fortgeschrittenen KI-Systemen ausgestattete Roboter, die ihr Verhalten ausgehend von vergangenen Erfahrungen verbessern können, stellen eine grosse Herausforderung dar, wenn es darum geht, Verantwortung zuzuweisen. Es ist schwierig, das Verhalten eines Roboters anhand der Rekonstruktion seiner Entstehung zu erklären. Trotzdem lässt sich die Diskussion über die Verantwortung in den gewohnten Kategorien führen. Solange die Entscheidungen der Entwickle- r:innen diejenigen des Roboters schon im Voraus bestimmen – auch die autonomen Entscheidungen –, kann der Roboter nicht als moralischer Akteur und somit nicht als verantwortungsfähig gelten. Zweite Frage: Ist ein Roboter fähig, moralisch zu handeln? Die Frage der Autonomie kommt hier in anderer Form erneut ins Spiel. Ein Roboter kann moralisch handeln, sofern man ihn ent- sprechend programmiert. Aber er versteht nicht auf dieselbe Wei- se wie ein Mensch, was er tut. Er führt einfach die Programmie- rung aus. Programmierteams stehen somit vor einer dreifachen Herausforderung: Welchen ethischen Ansatz sollen sie wählen, beispielsweise eine an den Konsequenzen oder aber eine an der Pflichterfüllung orientierte Ethik? Und wie sollen die zu program- Eine Orientierungshilfe für Ethik in der Robotik Roboter werfen zahlreiche ethische Fragen auf. Die Definition von Ethik ist hier weit gefasst und meint eine systematische Reflexion über Werte und deren Umsetzung in soziotechnischen Systemen, Systemen also, die sowohl eine technische als auch eine kon- textuelle Komponente aufweisen. Die Orientierungshilfe behandelt drei grosse Themenbereiche und soll die relevantesten ethischen Fragen rund um Roboter einordnen. Sie ist gewissermassen eine geführte Tour für alle, die das Gebiet Ethik in der Robotik entdecken möchten. Im Zusammenhang mit verantwortungsvoller Innovation eignet sie sich insbesondere für Teams, die in die Entwicklung und die Konzeption von technologischen Geräten involviert sind. Die drei Themen bilden ein Ganzes und die Orientierungshilfe sollte iterativ eingesetzt werden. 1. Ethik in der Technologie 3. Narrative und Erzählungen 2. Soziale Gerechtigkeit
  • 4. ziehen? Für einige kritische Stimmen könnte Robotik eine Gelegen- heit sein, fliessendere Übergänge zwischen den Geschlechtern auszuprobieren und weniger abhängig zu sein von der Binarität Mann/Frau, die unser soziales Leben prägt. Diese drei Fragen schlagen eine Brücke zu einer der wichtigsten Erkenntnisse der Technikethik: Technologische Innovation ist nie neutral. Sie wird mit der expliziten oder impliziten Absicht erarbei- tet, entwickelt und hergestellt, bestimmten Zielen und Werten zu entsprechen. Alle damit zusammenhängenden Entscheidungen werden als ethische Fragen betrachtet, denn sie hinterfragen be- stimmte Werte und auferlegen den Entwicklungs- und Produkti- onsteams Verantwortung. Soziale Gerechtigkeit Das zweite Thema betrifft soziale Gerechtigkeit im Zusammen- hang mit dem Einsatz von Robotern. Es geht darum, wie sich Ro- boter, und die Robotik allgemein, auf die Gesellschaft auswirken. Dabei ist zu analysieren, was Roboter für menschliche Beziehun- gen und den Arbeitsmarkt bedeuten. Beim kontextuellen Ansatz stehen die verschiedenen Anwendungsgebiete wie Pflege, Bil- dung oder Sicherheit im Fokus. Der Einfluss auf den Arbeitsmarkt gilt als eine der bedeutendsten sozialen Konsequenzen der Robotik. Ein Vorteil von Robotern ist, dass sie die Menschen von gefährlichen, repetitiven oder stumpf- sinnigen Aufgaben befreien. Die Kehrseite der Medaille: Robotern wird zugleich nachgesagt, dass sie Arbeitsplätze vernichten. Die Modelle, die Wirtschaftsfachleute entwickelt haben, um diese Entwicklung zu beziffern, umfassen mehrere Aspekte. Einerseits hängt es von der Art des Wirtschaftsbereichs ab, wie stark Ar- beitsplätze durch Robotisierung gefährdet sind. In Branchen, die mierenden Regeln, über die Konsens herrscht, definiert werden? Diese Diskussion kann nur in Abhängigkeit vom Kontext erfolgen, wobei es zum Beispiel darauf ankommt, ob es sich um Pflegero- boter oder autonome Waffensysteme handelt. Und wie kann man gewährleisten, dass der Roboter technisch dazu in der Lage ist, diese Regeln einzuhalten? Wenn der Roboter mögliche Konse- quenzen erkennen und bewerten und anschliessend entspre- chend handeln muss, wie kann man sicher sein, dass er sich dabei auf die richtigen Informationen stützt? Dies ist eine zentrale Her- ausforderung, für die es momentan noch keine Lösung gibt. Dritte Frage: Wie soll das Design eines Roboters aussehen? Wird ein Roboter konzipiert, gilt es eine Form und eine äusserer Erschei- nung zu wählen, aber auch eine Stimme und ein Nutzerinterface. Diese Notwendigkeit, eine physische Hülle für den Roboter zu ge- stalten, unterscheidet die Maschine von digitalen Einheiten. Dieses äussere Design beeinflusst das Vertrauen, das wir Menschen in diesen Roboter haben. Menschen möchten mit Einheiten intera- gieren, die sie (wieder-)erkennen und die sie in einem spezifischen Kontext als kohärent erleben. Eine ungewohnte Kombination aus Elementen, die als menschlich wahrgenommen werden (Formen, Texturen, Verhaltensweisen), und Elementen, die mit der Welt der Roboter assoziiert werden, kann befremdend oder etwas unheim- lich wirken. Somit stellt sich beim Design eines Roboters die Frage nach der Manipulation. Ist es wünschenswert, einen Roboter her- zustellen, der einem Menschen oder einem Tier gleicht, um den Nutzenden etwas vorzutäuschen? Gleich wie bei digitalen Interak- tionen – beispielsweise mit einem Chatbot – scheint es nötig, klare Informationen darüber zu haben, wer genau an einer Interaktion beteiligt ist. Neben dem Aspekt der Manipulation wirft das Design eines Roboters auch Fragen bezüglich Repräsentation auf. Wählt man für den Roboter gewisse charakteristische Eigenschaften, wird ein bestimmtes, allgemeingültiges Bild damit projiziert. So ha- ben die meisten Sexroboter grosse Brüste, schmale Hüften und ein kindliches Gesicht. Solche Designentscheidungen können Stereo- type verstärken. Die Robotik kann uns allerdings auch ermögli- chen, bestimmte Fragen zu erkunden, zu denen Menschen norma- lerweise keinen Zugang haben: Muss ein Roboter ein erkennbares Geschlecht haben, oder ist ein möglichst neutraler Roboter vorzu- 1. Ethik in der Technologie 3. Narrative und Erzählungen 2. Soziale Gerechtigkeit
  • 5. auf planbaren repetitiven Prozessen beruhen und wenig menschliche Interaktion erfordern, ist die Gefahr des Verlusts von Arbeitsplätzen am grössten. Andererseits trifft die Roboti- sierung nicht alle Arbeitnehmenden im gleichen Ausmass. Am ehesten laufen Geringqualifizierte in Industriesektoren Gefahr, durch Roboter – im Gegensatz zu KI – ihre Arbeit zu verlieren. Bei Arbeitnehmenden, die kollaborative Roboter in ihren Alltag integrieren müssen, wird sich das Pflichtenheft erweitern. Die Auswirkungen der Robotisierung reichen aber über die Interak- tion zwischen Mensch und Roboter hinaus. Die Integration ei- nes Roboters verändert die Beziehungsdynamik zwischen Men- schen, zum Beispiel innerhalb eines Teams. Da der Roboter auf Strukturierung und Messung angewiesen ist, trägt er dazu bei, Verhalten zu normieren. Ein Roboter kann nicht improvisieren. Damit er funktioniert, muss er eingegrenzt werden, und diese Eingrenzung wirkt sich wiederum auf das Personal und die Ins- titution aus. Den Überlegungen zur sozialen Gerechtigkeit liegt die grosse Frage nach der Beziehung zwischen Anstellung, Ar- beit, Existenzgrundlage und sozialer Anerkennung zugrunde. Drei Aspekte können bereits heute umgesetzt werden (und sind es teilweise bereits). Erstens müssen wir die Art und Weise an- passen, wie wir das ganze Leben lang lernen. Zweitens braucht es eine sozialpolitische Antwort auf die Veränderungen, die auf dem Arbeitsmarkt im Gange sind. Wird ein Wirtschaftsbereich von einer schnellen und tiefgreifenden technologischen Verän- derung getroffen, muss die Gesellschaft den Schock für die di- rekt Betroffenen abfedern können. Die Idee des verantwor- tungsvollen Wandels ist entscheidend: Die technologischen Veränderungen müssen als permanenter Wandel betrachtet werden und nicht als Katastrophe, die bereits ihren Lauf nimmt und aus der es einen Ausweg zu finden gilt. Drittens müssen wir darüber diskutieren, welche Bereiche von der Robotisierung ausgenommen sein sollten. Dieser Ansatz zielt darauf ab, be- stimmte Lebenssituationen zu identifizieren, in denen ein Kon- takt zu einem anderen Menschen erhalten bleiben soll. Narrative und Erzählungen Das dritte Thema beinhaltet die grossen gesellschaftlichen Erzählungen rund um die Robotik. Diese Narrative bilden den allgemeinen Rahmen unserer Diskussionen über Roboter und sind zugleich eine kollektive Geschichte, die wir pflegen. Im Bereich Robotik strukturieren drei Narrative einen Grossteil der gesellschaftlichen Debatte. Hier soll die ethische Dimension die- ser Narrative und der kollektiven Vorstellungswelt aufgezeigt werden. Sprache ist nicht neutral und sie trägt eine bestimmte Sicht der Realität in sich. Zudem haben bestimmte Akteur:innen ein wirtschaftliches oder politisches Interesse daran, die Realität aus einer spezifischen Perspektive darzustellen. Beim ersten Narrativ geht es um die allgemeine Beziehung zwischen Robotern und Menschen. Diese oszilliert zwischen Konkurrenzkampf und Kooperation. In der Science-Fiction mün- det der Konkurrenzkampf früher oder später in eine Situation, in der die Roboter die Menschen zu kontrollieren oder zu un- terwerfen drohen. Im Gegensatz dazu stellen wir uns die Be- ziehungen zwischen Robotern und Menschen aber auch als partnerschaftliches Verhältnis vor. Der Roboter ist den Menschen zu Diensten, er ist vergleichbar mit einem perfektionierten Werkzeug, das die Menschen einsetzen, um ihre Ziele zu er- reichen. Welches Narrativ für das Verhältnis zwischen Roboter und Mensch gewählt wird, beeinflusst tiefgreifend, wie der Ro- boter wahrgenommen wird (als mehr oder weniger komplexes Ding oder als neue Art von Person). Dieses erste grosse Narrativ zwischen Konkurrenz und Koopera- tion führt zum zweiten grossen Narrativ, demjenigen über menschliche Eigenschaften. Die Spiele Schach und Go, die Krea- tivität, Einfallsreichtum und Taktik erfordern, galten lange Zeit als dem Menschen vorbehalten. Heute muss sich der Mensch dabei geschlagen geben. Müssen wir weiter danach suchen, was den Menschen ausmacht, oder im Gegenteil den Gedanken akzeptie- ren, dass der Mensch einfach ein Lebewesen wie alle anderen ist? Hier spielt auch die Diskussion über die Unterschiede zwischen Mensch und Tier sowie deren Platz in der Natur mit hinein. Diese Suche nach den menschlichen Eigenschaften bringt uns zum dritten grossen Narrativ, dem über den Sinn des menschlichen Lebens. Roboter werden oft als Höhepunkt einer arbeitsamen Gesellschaft dargestellt, die voll und ganz auf Pro- duktivität ausgerichtet ist. Sie schuften ohne Unterbruch. Die Robotisierung stellt die Bedeutung der entschädigten Arbeit (Erwerbsarbeit), als wichtiger Pfeiler der persönlichen Identität, grundsätzlich infrage. Wenn unsere Grosskinder einst vier Stun- den pro Woche in einer grösstenteils robotisierten Gesellschaft arbeiten, worin besteht dann der Sinn ihres Lebens? Welche Narrative können wir erschaffen, um diese Gesellschaft zu be- gleiten? Die Frage nach dem Sinn des Lebens steht ganz oben auf der Agenda. 1. Ethik in der Technologie 3. Narrative und Erzählungen 2. Soziale Gerechtigkeit
  • 6. Impressum Autor: Johan Rochel (EPFL, UZH, Ethix) Projektleiter: Francesco Mondada (EPFL) Projektteam: Johan Rochel (EPFL, UZH, Ethix), Alexandre Luyet (SATW), Adriana Cantaluppi (SATW) Redaktion: Esther Lombardini Übersetzung: weiss traductions genossenschaft Grafik: Andy Braun Mai 2022 Bei EPFL Press erhältlich: Les robots parmi nous: pour une éthique des machines Fotos: Adobe Stock Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften SATW St. Annagasse 18 | 8001 Zürich | 044 226 50 11 | info@satw.ch | www.satw.ch Die SATW fördert Projekte im Bereich Künstliche Intelligenz Zwei wichtige Entwicklungen verändern unsere Beziehung zu Robotern: die zuneh- mende Interaktion der Roboter mit der breiten Öffentlichkeit und die Verbesserung der künstlichen Intelligenz, die in Robotern eingebaut ist. Diese tiefgreifenden Veränderungen konfrontieren uns mit einer Reihe von ethischen Herausforde- rungen, die wir als Individuen und als Gesellschaft lösen müssen. Es geht darum, mit welchen Arten von Robotern wir interagieren wollen, wie diese programmiert werden und wie wir die Gesellschaft auf die Mensch-Roboter-Interaktionen vorbe- reiten, um eine bessere Lebensqualität zu erreichen. Diese Fragen sind von äusserster Wichtigkeit. Dennoch findet die Debatte häufig nicht statt und wenn sie das doch tut, wird sie mit Klischees und extremen Szena- rien geführt. Die Ausbildungssituation für zukünftige Ingenieur:innen ist ebenfalls nicht zufriedenstellend. Das Projekt «Ethik in der Robotik» will eine dieser Heraus- forderungen angehen, indem es der breiten Öffentlichkeit die Werkzeuge für eine qualitativ hochwertige Debatte an die Hand gibt. Die SATW unterstützte ein Team von EPFL-Forschenden unter der Leitung des SATW- Mitglieds Prof. Francesco Mondada in der Planung, Umsetzung und Bekanntmachung des Pilotprojekts, das in diesem Factsheet vorgestellt wird. Für den Bereich Künstliche Intelligenz (KI) verfügt die SATW über eine Themen- plattform und ein Schwerpunktprogramm; sie organisiert regelmässig Dialogfor- mate und gibt Publikationen heraus – beides in Zusammenarbeit mit Expert:innen wie Partnerorganisationen. Die SATW ist auch im Bereich Daten sehr aktiv, denn ohne Daten funktioniert KI nicht. Im Frühling 2021 hat die SATW gemeinsam mit der Direktion für Völkerrecht des EDA, dem Bundesamt für Kommunikation und der Swiss Data Alliance das nationale «Netzwerk Digitale Selbstbestimmung» gegründet, um Bürger:innen, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen eine Nutzung der Datenwirtschaft auf der Basis freiheitlich-demokratischer Grundwerte zu ermöglichen.