Functionomics -The International Classification of Functioning, Disability an...
ICF - Funktionelle Diagnostik als Basis jeder Behandlung
1. ICF - Funktionelle Diagnostik als
Basis jeder Behandlung
Olaf Kraus de Camargo
Twitter: @DevPeds
90 Jahre Kinder- und Neuroorthopädie - Wichernhaus Altdorf-Rummelsberg
14. November 2015
3. Brockhaus, 1837
„...bezeichnet die oft sehr schwierige Unterscheidung der
Krankheiten und die auf dieser beruhenden Erkenntnis derselben.
Da ohne sie keine mit Bewusstsein der Gründe auszuführende
Heilung denkbar ist, macht sie eine der wichtigsten Aufgaben aus,
welche der Arzt am Krankenbette zu lösen hat. Eine glückliche
Diagnose setzt langjährige und fortwährende Studien, dadurch
erworbene gründliche Kenntnisse, sowie durch öftere
Beobachtung einer großen Menge von Kranken gesammelte
Erfahrung, Scharfblick und richtiges Urteil voraus.”
Diagnose
4. Klagen, Fragen, Beobachtungen, Untersuchungen,
Befunde, Berichte
• Wie lebt das Kind mit seinem Gesundheitszustand?
• Woran hat es Spaß und woran nicht?
• Welche Dinge kann es so ausführen, wie es dies gerne möchte?
• Wo fühlt es sich eingeschränkt oder behindert?
• Welche Umgebung/Menschen sind förderlich, welche weniger?
5.
6. ICF - Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit,
Behinderung und Gesundheit (WHO, 2001)
Körperfunktionen u. -
strukturen
Aktivitäten Partizipation
Diagnose
Umweltfaktoren Persönliche Faktoren
18. Literatur
• Fayed, N., Kraus de Camargo, O., Elahi, I., Dubey, A., Fernandes, R. M., Houtrow, A., & Cohen, E. (2014).
Patient-important activity and participation outcomes in clinical trials involving children with chronic conditions.
Quality of Life Research : An International Journal of Quality of Life Aspects of Treatment, Care and
Rehabilitation, 23, 751–757. http://doi.org/10.1007/s11136-013-0483-9
• Hollenweger, J., & Kraus de Camargo, O. (Hrsg.). (2011). ICF-CY Internationale Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen (1st ed.). Bern: Verlag Hans
Huber.
• Kraus de Camargo, O. (2013). Chronische Erkrankungen im Kindesalter: Diagnose - Behinderung - Identität.
Frühe Kindheit, (01), 14–21.
• Novak, I., McIntyre, S., Morgan, C., Campbell, L., Dark, L., Morton, N., … Goldsmith, S. (2013). A systematic
review of interventions for children with cerebral palsy: state of the evidence. Dev Med Child Neurol, 55(10), 885–
910. http://doi.org/10.1111/dmcn.12246
• Viehweger, E., Jouve, J.-L., & Simeoni, M.-C. (2014). Outcome evaluation in pediatric orthopedics. Orthopaedics
& Traumatology, Surgery & Research : OTSR, 100(1 Suppl), S113–23. http://doi.org/10.1016/j.otsr.2013.06.012
Notes de l'éditeur
Sehr verehrte Damen und Herren, lieber Herr Holm, lieber Herr Strobl!
Es ist mir eine Freude und eine Ehre hier in Nürnberg zu Ihrem Jubiläum sprechen zu dürfen! In den nächsten 15 Minuten werde ich Ihnen einige Gedanken zu einem Thema vermitteln, das auch gut über einige Stunden diskutiert werden kann. Wenden wir uns zunächst den Hauptbegriffen in diesem Titel zu:
Diagnose, ICF, Behandlung und ich habe mir noch erlaubt den Begriff “Forschung” hinzuzufügen, da diese uns ja sowohl in unseren diagnostischen wie auch therapeutischen Aktionen leitet.
Knapp 90 Jahre vor der Gründung von Rummelsberg stand folgende Definition zum Begriff “Diagnose” im Brockhaus: „...bezeichnet die oft sehr schwierige Unterscheidung der Krankheiten und die auf dieser beruhenden Erkenntnis derselben. Da ohne sie keine mit Bewusstsein der Gründe auszuführende Heilung denkbar ist, macht sie eine der wichtigsten Aufgaben aus, welche der Arzt am Krankenbette zu lösen hat. Eine glückliche Diagnose setzt langjährige und fortwährende Studien, dadurch erworbene gründliche Kenntnisse, sowie durch öftere Beobachtung einer großen Menge von Kranken gesammelte Erfahrung, Scharfblick und richtiges Urteil voraus.”
Auch hier findet sich der Begriff der Diagnose eng mit dem Thema Behandlung/Heilung verknüpft. Des weiteren findet sich auch ein Hinweis auf Forschung, wenn man so will, in der Feststellung auf die notwendige Erfahrung mit “einer großen Menge von Kranken”.
Wie gelangt man zu einer Diagnose? Im Wesentlichen geht es darum, Informationen zu sammeln, zu ordnen und zu analysieren. Dabei kann man den Schwerpunkt auf verschiedene Bereiche legen. Naturgemäß neigt man dabei dazu, die Bereiche besonders zu erfragen/untersuchen/behandeln mit denen man am besten vertraut ist.
Nun zur ICF - Wer hat dieses Schema schon einmal gesehen?
Die ICF ist eine Klassifikation, und damit ein Hilfsmittel, um Informationen zu ordnen. Sie ist in verschiedene Bereiche gegliedert, die Informationen zum Körper, zu den Aktivitäten und der Teilhabe sowie auch zum Umfeld der Person erfassen. Zu jeder dieser Kästen gibt es zahlreiche Untergruppierungen und items, die insgesamt etwa 1500 Aspekte beschreiben. Wenn wir von funktioneller Diagnostik auf der Grundlage der ICF sprechen, beschreiben wir alle die aufgeführten Aspekte und in wieweit diese letztendlich die Funktionsfähigkeit einer Person unterstützen oder behindern. Aus dieser ganzheitlichen Sicht lassen sich dann geeignete Hilfsangebote und Therapieentscheidungen ableiten.
Hier ein kurzes Beispiel. Das ist ein Internetfoto, d.h. ich kenne diesen Jungen nicht. Wir können jetzt verschiedene Assoziationen zu diesem Bild haben. Wie glauben Sie wird dieser Junge von seiner Umwelt beschrieben? Zappelphilipp?, Hampelmann? Leseratte? Sportskanone? Das sind jetzt natürlich alles keine “Diagnosen”, Sie haben jedoch die wenigen Informationen, die Ihnen dieses Bild liefert, versucht zu ordnen und zu analysieren. Die Frage, ob dieses Kind tatsächlich eine Behandlung bedarf hängt ganz entscheidend von seiner Funktionsfähigkeit ab. Möglicherweise funktioniert das Lesen und Lernen auf diese Weise ganz hervorragend für ihn und er hat keinerlei Probleme damit.
Ihre kinderorthopädische Kollegin, Frau Dr. Viehweger hat die Komplexität der Erfassung zahlreicher Informationen zu unterschiedlichen Bereichen sehr schön an diesem Schaubild verdeutlicht. Will man tatsächlich konsequent und systematisch alle Patienten unter den Gesichtspunkten der ICF beschreiben, benötigt man eine Vernetzung dieser Informationen um diese dann auch effizient nutzen zu können. Ohne jetzt näher auf diese Problematik einzugehen, darf ich bei dieser Gelegenheit kurz auf eine internationale Kooperation hinweisen, die daran arbeitet, die ICF in ihrer Anwendbarkeit einfacher zu machen und zu verbreiten.
Wenden wir uns nun dem Aspekt der Behandlung zu. Wie kann die funktionelle Diagnostik helfen, die Fragen, die sich vor jeder Therapieentscheidung stellen, zu beantworten?
Eine beachtenswerte Arbeit von Frau Novak aus Australien hat die Evidenzlage zu Therapieverfahren bei der Zerebralparese untersucht und dabei die verschiedenen Methoden zu den jeweiligen Bereichen der ICF zugeordnet. Was sie dabei festgestellt hat und sie an dieser Tabelle erkennen können, ist, dass die meisten Therapieverfahren für die es eine wissenschaftliche Evidenz gibt, diese lediglich auf den Bereich der Körperebene und der Aktivitäten bestehen und nur sehr wenige den Effekt auf die Teilhabe untersucht haben. D.h. wir wissen von den meisten Therapien überhaupt nicht, ob sie dem Patienten eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit im Verständnis der ICF bringen.
In der vorab zitierten Arbeit von Frau Viehweger zeigt sich and der Auflistung der verwendeten Messinstrumente in Studien zum Klumpfuß, dass keine dieser Studien Aspekte der Partizipation betrachtet hat.
In einer eigenen Studie konnten wir zeigen, dass dies nicht nur für das Thema der Zerebralparese und den Klumpfuß gilt, sondern für klinische Studien bei einer Vielzahl chronischer Erkrankungen. In dieser Auswertung von fast 500 registrierter Studien, waren lediglich knapp 2 Prozent aller Zielkriterien aus den Bereichen Partizipation und Lebensqualität.
Ich komme zum Ende meiner Ausführungen. Mit einem Blick auf das heutige Programm sehen wir, dass an dieser Jubiläumsfeier die ICF in all ihren Bereichen vertreten ist: Hier sehen Sie die Bereiche, die wir der Körperebene zuordnen können.
Und hier die Bereiche der Partizipation und Lebensqualität.
Hier ein Blick auf das ICF Schema. Ich freue mich auf eine Reihe von spannenden und sich ergänzenden Vorträgen und wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass es Ihnen auch in der klinischen Arbeit mit den Kindern und ihren Familien weiterhin gelingt so breit aufgestellt zu seinen und damit einen positiven Einfluss auf ihr Leben haben.
Mit diesem Inukchuk, einem Wegweiser der kanadischen Urvölker wünsche ich Ihnen alles Gute auf dem Weg in die Zukunft!